Das abgekartete Spiel von vier Ländern gegen Assange und die Pressefreiheit

Bild: Anachimedia/CC BY-2.0

Nils Melzer, der UN-Sonderberichtserstatter für Folter, erhebt schwere Vorwürfe gegen Schweden, England, Ecuador und die USA, die sich gegen Assange verschworen haben, um an ihm ein abschreckendes Exempel zu statuieren.

 

Es ist ungeheuerlich, was der Rechtswissenschaftler und UN-Sonderberichtserstatter für Folter, Nils Melzer, berichtet. In einem Interview  mit Report.ch legte er erstmals seine Erkenntnisse über die Untersuchung zum Fall von Julian Assange im Einzelnen vor. Die Vorwürfe sind so ungeheuerlich, dass man sie nochmals vor Augen führen muss, man kann sie kaum glauben.

Man fragt sich, wo die investigativen Journalisten in den großen westlichen Medien ihre Augen hinrichten. Bellingcat beispielsweise hätte sich von dem Verdacht befreien können, ein Instrument der britischen Regierung und von transatlantischen Interessen zu sein, wenn man einmal das Vorgehen gegen Assange untersucht und angeprangert hätte. Aber nun ist es das von seinen Lesern finanzierte  unabhängige schweizerische Magazin Republik, das den Blick auf den Skandalfall richtet, der Journalisten einschüchtern soll, die von den Staaten zunehmend praktizierte Geheimhaltung aufrechtzuerhalten.

Zuletzt hatte sich Melzer an Donald Trump gewandt und ihn aufgefordert, Assange zu begnadigen, der „in den letzten zehn Jahren willkürlich seiner Freiheit beraubt worden“ sei und im Hochsicherheitsgefängnis wegen seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes in Todesgefahr schwebe. Trump, feige, hat dies auch kurz vor dem Amtsende bei seiner Begnadigungswelle, die viele halbscharige Personen und auch Soldaten, die Kriegsverbrechen begangen haben, begünstigt hat, nicht gemacht.

Zuvor hatte Melzer, der sich erst einmal Assange nicht annehmen wollte, aber dann nach Einsicht in Dokumente, die er von dessen Anwälten erhalten hatte, feststellte, dass an dem Fall etwas nicht stimmt, sich gefragt: „Warum befindet sich ein Mensch neun Jahre lang in einer strafrechtlichen Voruntersuchung zu einer Vergewaltigung, ohne dass es je zur Anklage kommt?“ Schließlich besuchte er 2019 Assange mit zwei Ärzten in der Botschaft Ecuadors. Sie diagnostizierten in einem offiziellen Bericht, dass er Symptome psychischer Folter zeige und dass sich sein Gesundheitszustand schnell verschlechtern kann, bis hin zum Tod. Die britische Regierung stritt dies ab und beließ Assange, der angeblich die Kautionsbedingungen verletzt hatte, wofür es normalerweise Geldstrafen und höchsten wenige Tage Gefängnis gibt, im Hochsicherheitsgefängnis. Die schwedische Regierung, in einem offiziellen Brief befragt danach, wie sich die Verfahrensführung mit den Menschenrechten vereinbaren ließe, stellte das Verfahren, was Melzer als Schuldeingeständnis wertet.

 

Bislang stand meist das abgekartete Spiel von den USA und Großbritannien in der Aufmerksamkeit der Kritiker, Melzer erhebt nun den Vorwurf einer Verschwörung gegen vier Staaten:

 

„Vier demokratische Staaten schließen sich zusammen, USA, Ecuador, Großbritannien und Schweden, um mit ihrer geballten Macht aus einem Mann ein Monster zu machen, damit man ihn nachher auf den Scheiterhaufen verbrennen kann, ohne dass jemand aufschreit. Wenn Julian Assange verurteilt wird, dann ist das das Todesurteil für die Pressefreiheit.“

Das gefügige Schweden

Schweden kommt dabei schlecht weg, allerdings kann man von einer Unabhängigkeit der Justiz in keinem der vier Staaten sprechen. Doch Schweden hat offenbar unter Druck aus den USA oder aus Gefälligkeit den ersten Schritt gemacht. Schon zuvor hatte Schweden mit der Kooperation mit der CIA schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, als zwei Asylbewerber verschleppt und dem US-Geheimdienst übergeben hat, der die beiden noch im Flughafen misshandelt, betäubte und nach Ägypten ausflog, wo sie gefoltert wurden (Schweden und die CIA-Praxis des Verschleppens von angeblichen „Terroristen“ in Folterländer). Da die beiden überlebten, klagten sie gegen Schweden, das ihnen eine halbe Million US-Dollar Entschädigung zahlen musste.

 

Im Juli 2010 hatte WikiLeaks, übrigens in Zusammenhang mit der New York Times, dem Guardian und dem Spiegel, das „Afghan War Diary“ veröffentlicht. Das veranlasste die USA, so Melzer, die befreundeten Länder aufzufordern, Assange mit Strafverfahren zu überziehen. Im August handelte Schweden prompt. Melzer sagt, er habe für das folgende Vorgehen die entsprechenden Dokumente.

Als am 20. August eine Frau zusammen mit einer weiteren Frau zur Polizei ging, zeigte sie Assange nicht an, sondern sagte, sie habe einvernehmlichen Sex ohne Kondom mit ihm gehabt. Sie habe Angst, sich mit HIV infiziert zu haben, und fragte, ob man Assange heranziehen könnte, einen HIV-Test zu machen. Schon in der Polizeistation sagte man ihr, man werde ihn wegen Verdachts auf Vergewaltigung festnehmen. Das gefällt der Frau nicht, sie unterbricht die Einvernahme, unterschreibt das Protokoll nicht und geht nach Hause. Kurz darauf berichtet eine Zeitung, Assange werde der zweifachen Vergewaltigung verdächtigt. Die zweite Frau, die auch mit Assange Sex hatte, war aber noch gar nicht vernommen worden. Sie sagte später, Assange hätte beim einvernehmlichen Sex bewusst das Kondom kaputtgemacht, was sie aber erst im Nachhinein bemerkt habe, Auf dem Kondom, das als Beweismittel eingereicht wurde, konnte weder von Assange noch von ihr DNA-Spuren gefunden werden.

Melzer spricht von der „Böswilligkeit der Behörden“, die den Vergewaltigungsverdacht an die Presse durchstachen, ohne Assange befragt zu haben und ihm Widerspruch zur Aussage der Frau. Immerhin schritt die Hauptstaatsanwältin die nächsten Tage ein beendete die Untersuchung, weil es keinen Hinweis auf ein Delikt gebe. Das kam aber oben nicht gut an. Der Vorgesetzte der einvernehmenden Polizistin befahl dieser dann durch eine Mail, die vorliegt, die Aussage der Frau umzuschreiben. Die ursprüngliche Fassung ist unkenntlich, jetzt heißt es, sie sei am Morgen aufgewacht, als Assange versucht habe, ohne Kondom in sie einzudringen. Daraus wurde dann der Vorwurf der Vergewaltigung gestrickt.

Assange bot vergeblich Befragungen an

Und es geht so weiter. Assange erfährt aus den Medien vom Vergewaltigungsvorwurf, geht zur Polizei, als die Untersuchung noch eingestellt war, und wird just von dem Polizisten befragt, der den Befehl gegeben hatte, die Aussage der Frau zu verändern. Er bat darum, den Inhalt des Gesprächs nicht an die Medien zu geben, wo sie aber prompt wieder auftauchten. Danach wurde das Vergewaltigungsverfahren wieder aufgenommen. Mehrmals ließ Assange über seinen Anwalt ausrichten, dass er zu dem Vorwurf Stellung nehmen will. Das wurde von der Polizei und der Staatsanwaltschaft abgewiegelt. Schließlich erhielt eine schriftliche Genehmigung, das Land kurzfristig für eine Konferenz in Berlin verlassen zu dürfen.

An dem Tag wird ein Haftbefehl erlassen. Auf dem Flug nach Berlin mit der schwedischen Linie SAS verschwinden seine Laptops. Assange bietet weiter Termine für eine Einvernahme in Schweden an. Dann erfährt er, dass in den USA ein geheimes Verfahren gegen ihn eröffnet wurde. Er verlangt, dass Schweden ihn nicht an die USA ausliefert. Das hatte er auch während der Zeit in der Botschaft dutzende Male gemacht. Aber Schweden weigerte sich, das zu bestätigen, weil es ja kein Auslieferungsgesucht der USA gebe.

Nach Melzer sind solche Zusicherungen alltäglich. Wenn eine solche diplomatische Zusicherung verweigert wird, „dann sind alle Zweifel am guten Glauben des betreffenden Landes berechtigt“. Schweden weigerte sich, Assange über Video oder vor Ort zu vernehmen, obgleich es ein solches Kooperationsabkommen gibt und dies in anderen Fällen auch gemacht wurde. Und als dann das höchste schwedische Gericht verlangt, dass Klage gegen Assange erhoben werden müsse, schrieb die britische Staatsanwaltschaft an die schwedische Staatsanwältin Marianne Ny: „Kriegt jetzt bloß keine kalten Füße!“

„Sie sind ein Narzisst“

Nie sei es in Schweden um die Interessen der Frauen oder in Großbritannien um die Verletzung der Kautionsauflagen gegangen. Über Nacht wird Assange sein ecuadorianischer Pass entzogen, um ihn an die britischen Behörden ausliefern zu können. In einem Schnellverfahren von 15 Minuten wird Assange zu 50 Wochen in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt. Assange konnte sich mit seienm Anwalt nur 15 Minuten vorbereiten, der Richter sagte zur Verurteilung: „Sie sind ein Narzisst, der nur an seine eigenen Interessen denkt.“ Er wird in Isolationshaft gehalten, hatte lange keine Einsicht in seine Akten und darf nicht in Kontaktmit seinen Anwälten in den USA treten.

 

Man habe den Mann verfolgt, der Folter und Kriegsverbrechen aufgedeckt hatte, deren Täter aber nicht verfolgt wurden. Assange könne in den USA keinen fairen Prozess erwarten, weil der vor einem Gericht in Virginia stattfinden wird, wo die Geschworenen überwiegend bei der CIA, der NSA, dem Pentagon oder dem Außenministerium arbeiten. Assange habe hier keine Chance.

Schweden, England, Ecuador und die USA tragen mit einem abgekarteten Spiel dazu bei, „mit einem Schauprozess ein Exempel zu statuieren“. Melzer ist offensichtlich entsetzt und sagt: „Wenn investigativer Journalismus einmal als Spionage eingestuft wird und überall auf der Welt verfolgt werden kann, folgen Zensur und Tyrannei. Vor unseren Kreiert sich ein mörderisches System.“

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