Finnland, Schweden, NATO: Schnellstraße mit Untiefen

Die finnische Regierungschefin Sanna Marin mit dem Präsidenten Sauli Niinistö am Sonntag auf der Pressekonferenz über den Nato-Beitritt. Bild: Matti Porre/Office of the President of the Republic of Finland

 

Finnland und Schweden haben am Sonntag wichtige Schritte Richtung NATO-Beitritt unternommen. Doch offene Fragen bleiben, vor allem die Stationierung von Atomwaffen.

„Das ist ein historischer Tag“, sagte Staatspräsident Sauli Niinistö, der in Helsinki zusammen mit der Premierministerin Sanna Marin in Helsinki vor die Presse trat, um den Antrag auf Mitgliedschaft anzukündigen. „Ich glaube, dass eine Mitgliedschaft in der NATO in der veränderten Situation der Sicherheitspolitik die beste Lösung für das Erhalten der Sicherheit Finnlands und der benachbarten Gebiete ist“, erklärte die Sozialdemokratin in Anspielung auf den russischen Krieg gegen die Ukraine.

Auch in Schweden wurden an diesem Tag entscheidende Weichen gestellt.

„Das Beste für Schweden, für die Schwedische Bevölkerung, ist, dass wir bei der NATO mitmachen“, meinte Magdalena Andersson vor dem Hintergrund einer riesigen Rose, der Parteiblume der Sozialdemokraten. Nach Bekunden der Partei- und Regierungschefin sei der Beschluss auf dem eintägigen Treffen der Sozialdemokraten nicht „leichtfertig“ getroffen worden.

Doch die 57-Jährige verwies auf Massengräber in der Ukraine und die mögliche Anwendung von chemischen und nuklearen Waffen durch Russland. Zudem könne Schweden nicht als einziges Land in der Region bündnisfrei bleiben.

Innerhalb der Traditionspartei gab es starke Widerstände: Frauen- und Jugendverbund waren dagegen und Verteidigungsminister Peter Hultqvist hat erst in der vergangenen Woche seine Kontrahaltung zum Bündnis aufgegeben.

Eine Zoom-Diskussion von Parteimitgliedern über das heiße Thema diese Woche sei undemokratisch gelaufen, so Kent Vilhelmsson. Bei dem dreitätigen Treffen, an dem 1800 Mitglieder teilgenommen hatten, sei es zu keinem Dialog und Gegenargumente nicht zu Wort gekommen, vielmehr hätten sich allein NATO-Befürworter ausgetauscht. Vilhelmsson forderte einen Kongress, wo der Beitritt unter den Parteimitgliedern debattiert wird.

Die finnischen Sozialdemokraten, ebenfalls Regierungspartei, hatten bereits am Samstag den Wunsch nach Beitritt zum Verteidigungsbündnis beschlossen. Von den 60 Abgeordneten waren 53 dafür, fünf dagegen, zwei enthielten sich.

Am Montag wird die Entscheidung in beiden Nationalparlamenten besprochen. In Helsinki  will nur die Linkspartei am Status der Bündnisfreiheit festhalten, in Stockholm sind es ebenso die Linkspartei und teils die Grünen.

Bereits in dieser Woche wollen beide Länder offiziell den Antrag stellen, vermutlich werden sich die Regierungen auf einen gemeinsamen Tag einigen. Denn seit Beginn der offiziellen NATO-Diskussion in Schweden Anfang April wurde zwischen Stockholm und Helsinki Gleichzeitigkeit im möglichen Prozedere vereinbart.

Pressekonferenz von Jens Stoltenberg und Annalena Baerbock: „Russland drängt unsere engen Freunde & Partner #Finnland und #Schweden in die NATO. Wir heißen sie herzlich willkommen, wenn sie sich dafür entscheiden. NATO ist ein Bündnis der offenen Türen; ein Bündnis, das auf Verteidigung setzt. Das wird es auch immer bleiben.“ (Baerbock). Bild: Nato

Türkei verfolgt eigene Interessen

Der NATO-Rat wird nach den vielen Zusicherungen von Generalsekretär Jens Stoltenberg bald grünes Licht geben, jedoch Schwierigkeiten kann die notwendige Zustimmung von 30 Staaten bereiten.

Dies machte am Freitag die Türkei deutlich. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, dass es ein „Fehler“ sei, Schweden und Finnland aufzunehmen,  dabei dreht es sich vor allem um Schweden, da das Land Aktivisten „der PKK und anderer Terrorgruppen“ beherberge. Die Türkei störe sich auch an den Kontakten mit der kurdischen Verwaltung in den IS-Lagern, die sie als verlängerter Arm der PKK ansehen.

Die schwedische Außenministerin Ann Linde sprach darüber in Berlin mit ihrem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu und versicherte ihm, dass die PKK in Schweden als „terroristische Vereinigung“ gelte. Doch eine Lösung habe sie noch nicht erreicht.

Cavusoglu erklärte am Sonntag gegenüber Reuters, „gute Gespräche“ mit den Vertretern Finnlands und Schwedens geführt zu haben. Allerdings hatte er im Vorfeld auch geäußert, dass sich Schweden „provokant“ verhalten habe.

Russische Reaktion

Der finnische Staatspräsident führte am Samstag eine ebenfalls bedeutende  Unterredung – mit Wladimir Putin. Die Unterhaltung per Telefon sei „ruhig“ verlaufen, und „ohne Stimmungsverschlechterung“ gewesen, so Niinistö.

Nach der russischen Nachrichtenagentur Ria habe der russische Präsident die NATO-Mitgliedschaft als einen „Fehler“ bezeichnet und davor gewarnt, dass so das Verhältnis von Russland und Finnland „untergraben“ werden könnte.

„Untergraben“ wurde vorerst die Stromversorgung Finnlands – Russland stoppte die Stromlieferung an das Nachbarland am Samstagvormittag – vermutlich als Reaktion auf die Befürwortung einer NATO-Mitgliedschaft durch Niinistö und Marin am Donnerstag. Die Maßnahmen werden die Stromversorgung des Landes mit 5,5 Millionen Einwohnern nicht ernsthaft gefährden, da die Zufuhr nur zehn Prozent des Strombedarfs ausmachte, allerdings müssen die Bewohner Finnlands nun mit Verteuerungen leben.

Auf solche Aktionen sind beide Länder vorbereitet. Finnland und Schweden rechnen mit Verletzungen der Hoheitsräume, Cyberattacken, Verleumdungskampagnen. Finnland ist hier anfälliger, da es eine über 1300 Kilometer lange Grenze mit dem Nachbarn teilt.

Für die Übergangszeit bis zur Mitgliedschaft haben die USA den beiden Antragsländern militärische Unterstützung zugesagt.

Doch selbst als vollwertiges Mitglied müsste sich auch Schweden erst einmal selbst verteidigen, so eine Analyse der Verteidigungshochschule in Stockholm. Die Umsetzung der Beitrittspflicht, der berühmte Artikel 5 des NATO-Vertrags, kann Wochen dauern, da auch hier der Ernstfall von den Mitgliedern diskutiert wird.

Somit wird aufgerüstet: Für die strategisch wichtige Insel Gotland beschloss die schwedische Minderheitsregierung unter Magdalena Andersson, umgerechnet über 150 Millionen Euro in die dortige Verteidigungsstrukturen zu investieren. Das Eiland gilt als potentielles Angriffsziel der Russischen Föderation, da sich von dort der Luftraum über den baltischen Staaten kontrollieren lasse.

Frage der Atomwaffen ist ungeklärt

Mit der NATO-Mitgliedschaft kommt auch die Frage einer Stationierung von Atomraketen auf den Tisch, die bislang von Spitzenpolitikern beider Länder umgangen wurde. Nur die NATO-Befürworterin und ehemalige Außenministerin Schwedens gesteht, dass ihr das Thema „Kopfschmerzen“ bereite.

Magdalena Andersson meinte zwar noch am Sonntag, „dass Schweden weiterhin eine starke Stimme gegen Nuklearwaffen sein kann“, lieferte jedoch wenig Konkretes – vielleicht ein nostalgischer Rückgriff auf die alte Rhetorik von Olof Palme, dessen Ideal von Schweden als „Drittem Weg“ und Mittler zwischen den Blöcken an diesem Sonntag von den Sozialdemokraten endgültig zu Grabe getragen wurde.

Die mögliche Stationierung von Atomraketen ist in beiden Ländern eine offene, nicht diskutierte Frage. Im Südosten Finnlands sind es gerade mal 150 Kilometer Luftlinie bis nach St Petersburg.

Der Verteidigungs- und Sicherheitsausschusses Russlands reagierte mit einer Ankündigung, die militärische Präsenz an der finnischen Grenze zu verstärken und dort Offensivwaffen zu stationieren.

Nach Angaben des Internetportals der schwedischen Zeitung „Expressen“ soll im Staatssender Rossiya 1 die Rede von „taktischen Atomwaffen“ gewesen sein. Der stellvertretende Außenminister Russlands, Alexander Gruschko, kündigte zudem „eine politische Reaktion“ an.

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7 Kommentare

  1. Ich finde es erstaunlich, wo sich die Skandinavier hinentwickelt haben. Die Nato Hetzer, auch Generalsekretäre genannt, sind Skandinavier.
    Olof Palme als Fels in der Brandung gegenüber Befreiungsbewegungen ist schon lange begraben. Hat doch gerade Palme die Reputation Schwedens in Fragen des Rechts und der Demokratie hochgehalten und Respekt in der Welt gehabt.
    Es ist doch erstaunlich, wenn aus der Ukraine berichtet wird, dass Russland am Rand der Niederlage agiert, vor solchem Hanseln haben die Skandinavier „Angst“, die haben doch eine gut ausgebildete Armee und stellen selbst erstklassige Waffen her. Kann es sein, dass, dass es ist, Waffenverkauf in der Nato das die Schweden motiviert?
    Jetzt könnten sie Ihren „Schrott“ wie die anderen nach Selenskyj verschieben.
    Es wird die Geschichte zur Ukraine/Russland verschleiert und nicht ins Kalkül gezogen. Unterstellt, die Russen wollen Finnland besetzen, dann doch nicht mit Panzer. Da wird dann eine taktische Atombombe auf alle Skandinavier abgeschossen. Krieg so wie es die USA lieben, erst alles umbringen, um dann Soldaten zu schicken um auszuplündern.(Siehe bei Assange nach)
    Hier stellt sich dann auch die Frage, wer bestimmt innerhalb der NATO in Europa.
    Wichtig wäre es, die NATO Mitgliedschaft isoliert zu betrachten, die Widersprüche in den Gesellschaften sind fast unendlich und die Zugehörigkeit zu Bündnissen erhöht nur den Nationalismus.

  2. Bevor der Ukrainekrieg ausbrach hat Russland in Kontakt mit NATO+USA ermittelt dass man nicht leben konnte mit der potentiellen Drohung einer Instellation von Natowaffen an der oestlichen Grenze der Ukraine,4 minuten Flugzeit von Moskou.Als Loesung hat man vorgeschlagen die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen,also zu neutralisieren.Dies wurde sowohl von der Nato als von USA verweigert.Man hat die Ukraine zum Krieg verurteilt,der dann auch tatsaechlich angefangen hat.NATO ist ein Instrument zur Sicherheit von den beteiligten Laendern.Wenn die Nato aber zu einer Bedrohung von wichtigen Staaten auf demselben Kontinent fuehrt und man verweigert jede Loesung ist die Sicherheit fuer ALLE weg.Deshalb hat die Natoverweigerung zum Krieg gefuehrt.Ueber Putin werden viele Maerchen erzaehlt,aber er wird bestimmt keine Zugestaendnisse um die Sicherheit seines Landes machen.(Wuerde man auch nicht in NATOeuropa machen)

    1. Guter Kommentar …
      Mit dem Beitritt von Finnland und Schweden wird Russland gezwungen sein einen Atomkrieg zu führen. Denn ob die Atomwaffen in der Ukraine stehen oder in Finnland und Schweden spielt dann keine Rolle mehr. Der Krieg in der Ukraine wird geführt, um eine neutrale Ukraine zu erreichen, nun kommt die NATO durch die Hintertür, was die Situation nicht nur noch gefährlicher macht, auch macht es Verhandlungen unmöglich, denn Finnland und Schweden werden die NATO nicht wieder verlassen. Für Russland bleibt also nur noch die Option Atomkrieg und dieser ist effektiver in einem offensiven Angriff, als bei einem aus Versehen ausgelösten, was zwangsläufig der Fall wäre. Wenn man einen Atomkrieg schon führen muss, dann will man auch das der Gegner komplett vernichtet wird. Die Unterschriften werden noch nicht trocken sein, wenn die ersten Bomben im Ziel einschlagen.

  3. Jo, die wollen halt auch was vom grossen Kuchen, den es irgendwo geben soll. Danach Österreich und schliesslich kommt die Schweiz zum „Nordatlantik-Schutzpack“:
    „Es zittern die morschen Knochen
    Der Welt vor dem roten Krieg
    Wir haben den Schrecken gebrochen
    Für uns war´s ein großer Sieg

    Wir werden weiter marschieren
    Wenn alles in Scherben fällt
    und heute gehört uns Deutschland
    Und morgen die ganze Welt“…

    Das ist doch Goebbels Leitmelodie. Na also!

  4. In Ergänzung zum Artikel: Premierministerin Sanna Marin ist übrigens, wie z.B. auch Baerbock, in den Genuss des Young-Global-Leader-Programms gekommen.

  5. Findet die NATO Osterweiterung durch die Hintertür statt und passiert dort das, was Russland in der Ukraine verhindern will, dann bedeutet das zwangsläufig einen Atomkrieg. Da Putin und Erdogan sich gut verstehen, könnte ich mir vorstellen, dass Putin ihm das genauso gesagt hat und er deshalb die Beitrittsbestrebungen blockiert. In dem Fall hat die Türkei die Menschheit vor dem sicheren Ende bewahrt. Was aber vielleicht so nie in den Geschichtsbüchern stehen wird und es ist davon auszugehen, dass Erdogan diese Heldentat nicht lange überleben wird. Er wird den Weg von Kennedy gehen. Es scheinen immer noch die Gleichen Kräfte die Weichen zu stellen und sie scheinen über die Jahrzehnte nichts gelernt zu haben.

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