Haben Merkel und Macron gegen Polen und die Grünen den Konflikt mit Belarus entschärft?

Den „Bilderkrieg“ hat Polen verloren, das keine Journalisten ins Grenzgebiet lässt und humanitäre Hilfe verweigert. Bild: Belta

Bundeskanzlerin Merkel telefonierte zweimal mit Lukaschenko und die Lage entspannt sich, den Flüchtlingen wird geholfen. Polen, das sich als Verteidiger der europäischen Grenze stilisiert, passt die Deeskalation im Konflikt mit Belarus nicht.

Merkels Telefonate mit „Herrn“ Lukaschenko

Die noch amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gestern noch einmal mit „Herrn“ Lukaschenko telefoniert, was bedeuten soll, dass sie vorgibt, nicht mit dem weißrussischen Präsidenten zu sprechen, sondern mit jemanden, der durch eine angeblich manipulierte Wahl sein Amt wieder eingenommen hat. Merkel war offenbar nach Telefongesprächen mit Wladimir Putin, der immer wieder beteuerte, mit dem Konflikt nichts zu tun zu haben, und direkte Gespräche zwischen der EU und Lukaschenko empfahl, dem Rat nachgekommen und hat nicht weiter Druck auf Putin ausgeübt, als Vermittler aufzutreten.

Für ihr erstes Telefongespräch am Montag mit „Herrn“ Lukaschenko wurde Merkel, die sich nun in den womöglich letzten Tagen ihrer Kanzlerschaft in die Corona-Krise und den Flüchtlingskonflikt an der polnisch-weißrussischen Grenze eingeschaltet hat, vor allem von den Grünen kritisiert, weil das eine Legitimierung von Lukaschenko darstelle und sie sich erpressbar gemacht habe. Wie der Konflikt, der von Weißrussland und Polen und Litauen mit Unterstützung der EU auf dem Rücken der Migranten und Flüchtlinge ausgetragen wird, denn alleine aus humanitären und rechtsstaatlichen Gründen gelöst werden könne, verriet Omid Nouripour allerdings nicht wirklich, der Merkel vorwirft, die Belarus-Politik der EU desavouiert zu haben. Er findet die weiteren Sanktionen gut und den Druck auf die Luftfahrtgesellschaften. Um eine Lösung für die Flüchtlinge und Migranten geht es dem Grünen offenbar im Machtspiel nicht.

Im zweiten Gespräch, so gibt es Regierungssprecher Seibert weiter, „unterstrich die Bundeskanzlerin die Notwendigkeit, mit Unterstützung von UNHCR und IOM und in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission für die humanitäre Versorgung und Rückkehrmöglichkeiten der betroffenen Menschen zu sorgen“. Immerhin also sieht man sich für die „betroffenen Menschen“ – von was betroffen? – verantwortlich, die von Polen (aber auch von Litauen) martialisch mit Militär, Stacheldraht und Wasserwerfern abgewehrt und illegal zurückgedrängt, aber nicht versorgt werden, verantwortlich. Viele wollen nach Deutschland, Merkel scheint aber deutlich zu machen, dass sie wie Außenminister Maas eine „Rückführung“ in die Heimatländer anstrebt.

Flüchtlingslager in Belarus, das zu Propagandazwecken verbessert wurde
Weißrussland bietet Flüchtlingen eine warme und trockene Unterkunft an. Leichter Propagandagewinn. Bild: Belta

Polen begrenzt im Gegensatz zu Belarus Pressefreiheit, EU schweigt

Polen will sich beim Vorgehen zur Sicherung der Grenze und zur Abwehr der Flüchtlinge nicht in die Karten schauen lassen und verbietet im Unterschied zu Belarus auch Hilfsorganisationen und Journalisten den Zugang zu den Grenzgebieten. Diese Begrenzung der Pressefreiheit und die Abwehr humanitärer Hilfe sollte die EU eigentlich nicht dulden, die aber dazu schweigt und dafür den Bau einer Grenzmauer an der Grenze zur Flüchtlingsabwehr unterstützt. Gestern wurde mit großer Mehrheit ein in aller Eile verfertigtes Gesetz vom Parlament (Sejm) beschlossen und an den Senat weitergegeben, das für den Innenminister die Möglichkeit, ein temporäres Betretungsverbot für die Grenzgebiete nach Belieben umzusetzen, auf Dauer stellt. Das soll garantierten, dass die Grenzbehörde ihre Aufgabe mit „maximaler Effektivität“ ausführen kann. Das Verbot betrifft nicht Bewohner, Menschen, die hier arbeiten, oder Reisende. Journalisten brauchen einer Genehmigung.

Am Dienstag griffen Männer in Uniformen Fotojournalisten außerhalb des Sperrgebiets an. Zuvor waren fünf Autos der Hilfsorganisation „Medics on the Border“ von Männern in Uniformen schwer beschädigt worden. Wenn Flüchtlinge als Waffen und die Krise an der Grenze als „hybrider Krieg“ gelten, kann man gegen die Flüchtlinge und deren Helfer kriegsmäßig vorgehen.

Polens Spiel mit der EU Mitgliedschaft

Polens Präsident Andrzej Duda machte während des Besuchs von Frank-Walter Steinmeier klar, dass Polen keine Entscheidungen über das Flüchtlingsproblem an der Grenze anerkennen werde, wenn es nicht daran beteiligt ist. Polen müsse die europäische Grenze für die EU sichern, man führe nur eine europäische Verantwortlichkeit aus. Er hoffe auf die Solidarität der ganzen EU, man nehme die Mitgliedschaft in der EU ernst. Das macht deutlich, dass Polen die Konfrontation an der Grenze nicht unwillkommen ist und sie durch Militarisierung wie „Hybridkrieg“ mit Flüchtlingen als „Waffen“, die man dann entsprechend behandelt, eskaliert hat. Das ist eine Möglichkeit, die EU hinter sich zu zwingen, um den Konflikt mit dieser in den Hintergrund zu stellen.

Merkel will sich offenbar an dieses zynische Spiel nicht halten. Nach dem Gespräch mit Lukaschenko telefonierte sie nicht mit Duda, sondern mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Natürlich betonte sie die Solidarität mit Polen und versprach eine „enge deutsch-polnische Abstimmung über die besorgniserregende Situation an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union“. Einzelheiten werden nicht genannt.

Deeskalation des Konflikts in Belarus

Offenbar hat die Kontaktaufnahme mit Lukaschenko – auch der französische Präsident Macron hat nach einem Gespräch mit Putin mit ihm gesprochen – bereits Wirkungen gezeigt. Dass Lukaschenko Anerkennung und eine Beendigung der Sanktionen verlangt haben soll, wie die estnische Außenministerin Eva-Maria Liimets oder die Bildzeitung behauptete, wird von Belarus bestritten. Darüber sei gar nicht gesprochen worden.

Schon am Dienstag waren um die 1000 Flüchtlinge und Migranten vom Grenzübergang Bruzgi, wo es zu Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und polnischen Soldaten gekommen war, mit Bussen in eine Behelfsunterkunft gebracht worden, wo sie, wie die weißrussische Regierung betont, Matratzen, Kleidung und warmes Essen erhalten haben. Die EU-Kommission hat 700.000 Euro für humanitäre Hilfen für die Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Iraker dürfen nicht mehr visafrei nach Weißrussland einreisen, es gibt den ersten Flug zurück nach Irak, allerdings wollen bislang nur etwas mehr als 300 irakische Migranten, vor allem Kurden, in ihre Heimat zurückfliegen. Viele wollen bleiben in der Hoffnung, nicht nach Polen oder Litauen oder in die Ukraine zu kommen, sondern nach Deutschland oder andere EU-Staaten. Die Reise nach Belarus war für viele sehr teuer. Seit 12. November nimmt die weißrussische Fluggesellschaft Belavia Bürger aus dem Irak, Syrien, Jemen und Afghanistan nicht mehr aus der Türkei nach Belarus mit.

Wenn die Deeskalation des extrem hoch gespielten Konflikts über ein paar tausend Flüchtlinge auf einer neuen Route nach Europa so weitergeht, platzt die Strategie derjenigen, die daraus einen militärischen Konflikt machen wollten. Das ändert nichts daran, dass Lukaschenko, nun gedeckt von Moskau, ein repressives Regime errichtet hat. Aber man darf eben auch nicht jeder Desinformation Glauben schenken, die von interessierten Kreisen und Regierungen aus dem Westen verbreitet werden. Dazu gehört ganz entscheidend, von Informationen und jetzt auch von Menschen als „Waffen“ in einer „hybriden Kriegsführung“ zu sprechen, die den Unterschied zwischen Krieg und Frieden eindampft. Die Folge ist, Soldaten gegen Flüchtlinge aufzubieten, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind und vor die Tore der Festung Europa ziehen, und sie als Waffen zu entmenschlichen.

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