„Ich verteidige den Pazifismus – notfalls mit der Waffe in der Hand“

Martin Sonneborn

 

EU-Kommissionspräsident in spe, Martin Sonneborn, im Interview mit Marcel Malachowski über Sanktionen gegen deutsche Oligarch*innen, den selektiven Humanismus der Pseudo-Gutmenschen in Kriegszeiten & das Ende der Linkspartei

 

Der schärfste politische Konkurrent der Noch-Kommissionspräsidentin der EU, Ursula von der Leyen, und ehemalige TITANIC-Chefredakteur ist Vorsitzender der Partei „DIE PARTEI„, für die er seit 2014 auch im EU-Parlament sitzt und und dort im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres arbeitet, außerdem als Stellvertreter im Ausschuss für konstitutionelle Angelegenheiten, da CDU und SPD hier gerade versuchen, eine 3.5%-Hürde zur nächsten EU-Wahl einzuführen – gegen zwei Urteile des BVerfG. „DIE PARTEI“ gehört mit 57.000 Mitgliedern zu den größeren Parteien in Deutschland und war mit dem Abgeordneten Marco Bülow (Ex-SPD) auch im Bundestag vertreten.

Entscheidend für Martin Sonneborns späteren und sehr ernsthaften Lebensweg dürfte gewesen sein, dass er in jüngeren Jahren ein katholisches Privatgymnasium besuchte, den Wehrdienst bei der Bundeswehr ableistete und gelernter Versicherungskaufmann ist. Als Journalist und Satiriker arbeitete er unter anderem für den Spiegel und die ZDF-heute show, internationale Bekanntheit erreichte er mit dem FIFA-Skandal. Er ist Träger des Grimme-Preises und sitzt in Brüssel im EU-Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, auf Twitter hat er über 320.000 Follower. Durch die wahrscheinliche Wiederholung der Wahl in Berlin könnte er im Herbst nun doch noch Regierender Bürgermeister werden, aktuell tauchte er wieder mit einem Statement zur Zwei-Klassen-Flüchtlingspolitik im ZDF-Kabarett auf und ist mit „Krawall und Satire“ auf Tournee, zuletzt veröffentlichte er unter anderem das Buch „Ein ganz linkes Ding“ zusammen mit Gregor Gysi … Politisch korrekte Triggerwarnung: „Vorsicht: Diese Lektüre macht depressiv!“ (Martin Sonneborn)

 

SPD und Grüne sind eine gefährliche Kombination für den Sozialstaat“

Herr Abgeordneter Sonneborn, in unserem krass&konkret-Interview „Was ist los in diesem Land“ vor der Bundestagswahl prophezeiten Sie, Olaf Scholz aka Schloz könnte der beste Bundeskanzler werden, den die CDU je hatte. Hat er Ihre Erwartungen erfüllt oder sollte er noch einmal ein Fischbrötchen drauflegen, wie wir in Hamburg sagen?

Martin Sonneborn: Eigentlich bin ich mit seiner Zurückhaltung derzeit eher zufrieden. SPD und Grüne sind ja traditionell eine gefährliche Kombination für Frieden und Sozialstaat.

Als man aufgeregt hörte, Scholz verkünde eine Zeitenwende, war vom Standpunkt der Vernunft her anzunehmen, es ginge vielleicht darum, nach zehntausenden Jahren der mörderischen Barbarei in der Menschheitsgeschichte mit Armut, Ausbeutung, Ausgrenzung, Antisemitismus und Rassismus nun ein neues Zeitalter zu verkünden wie einst Charlie Chaplin in seiner ewig epochal gültigen „Diktator“-Schlussrede. Hmm, war doch nicht so … Hatte der Bundeskanzler die Zeichen der Zeit wieder einmal nur verschlafen und hielt im Schlafwandel seine Rede oder meinen Sie, das war wirklich sein Ernst?

Martin Sonneborn: Smiley! Scholz ist phantasieärmer, als Sie denken. 100.000 Millionen in die Bundeswehr stecken zu wollen, zusätzlich zu den jährlichen 50 Milliarden – das sind PRO MINUTE 150.000 Euro, wenn wir uns nicht verzählt haben -, während die gesellschaftlichen Subsysteme der Bildung, Gesundheit, öffentlichen Daseinsfürsorge, Bierversorgung, digitalen & Verkehrsinfrastruktur in Zeitlupe zerbröseln. Gute Güte, was für gesellschaftliche Veränderungen möglich wären. Freie „Titanic“-Abos für alle…

Nun ist Krieg ja das Lächerlichste, was es gibt, meinte Marlene Dietrich einmal, aber wann wird man je verstehen? Noch lächerlicher ist eigentlich nur der Tod, weshalb man am besten immer nur über ihn lachen sollte … in der Hoffnung, dass er Angst vor einem kriegt und sich fernhält. Kapitalismus an sich heißt ja schon Krieg, aber Putin hat nun wieder einmal bewiesen, dass es immer noch schlimmer geht … Mit der Bitte um ein Bekenntnis: Sind Sie Pazifist?

Martin Sonneborn: Yep. Schon weil es sonst kaum jemand ist. Als Vorsitzender einer PARTEI, der Wählerstimmen scheißegal sind, kann ich dazu beitragen, den Meinungskorridor ein wenig offenzuhalten. Solange im „Spiegel“ in dümmster Weise gegen „Lumpenpazifisten“ polemisiert wird, bin ich auf jeden Fall einer. Diese Position würde ich jederzeit verteidigen. Notfalls mit der Waffe in der Hand.

Reichtum ist immer verdächtig“

Aber peng, die Bundesregierung hatte ja nach der russischen Invasion und wochenlangen „Beratungen“ ein zweites Entlastungspaket für die Reichen und die Wohlhabenden, also den Mittelstand, beschlossen – damit für alle, die nicht von den Preiserhöhungen allerorten betroffen sind … Wäre denn aber nicht ein Entlastungspaket wichtig gewesen für die Menschen, die nicht wohlhabend sind und die von der Mega-Inflation nach der Pandemie betroffen sind?

Martin Sonneborn: Ja. Klar. Schreibt aber niemand. Redet nicht mal jemand drüber …

… außer wir jetzt … krass & konkret …

Martin Sonneborn: … und in Spanien und Portugal deckelt übrigens die Regierung die Energiepreise und lässt die Energieerzeuger die Kosten aus ihren exorbitanten Gewinnen tragen. Es geht auch anders.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist ja viel von Sanktionen gegen Oligarchen die Rede … aber warum fehlen eigentlich deutsche Oligarchen und auch *innen wie BMW-Erbin Susanne Klatt auf der geschlechtergerechten Liste? Oder würden Sie sagen, der eine Reichtum ist unverdächtiger als der andere, nur weil er westlich der Oder erbeutet wurde?

Martin Sonneborn: Reichtum ist immer verdächtig. Und wir sollten nicht vergessen, dass oligarchische Strukturen eine westliche Erfindung sind, als Folge kapitalistischen Wirtschaftens eigentlich unausweichlich. Wir sollten also die Sanktionen nicht auf Russen begrenzen. Was ist mit Gates, Zuckerberg und diesem Tesla-Spinner, der das Berliner Grundwasser kapert? Was ist mit den ukrainischen und den übrigen US-amerikanischen Oligarchen?

Flüchtlinge aus Afrika hat Polen brutalstmöglich abgewehrt“

Nun ja, Optimist zu sein, sollte man sich ja spätestens am Tag der eigenen Geburt abgewöhnen … Humoristen behaupten doch gerne, in unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft seien alle Menschen gleich. Echte Scherzkekse glauben sogar, das sei im Grundgesetz garantiert und werde in der Rechtspraxis auch angewendet. Aber woran liegt es dann, dass manche Flüchtlinge Hilfe bekommen und andere push backs? Die Kolleg*innen von Monitor berichteten nun, das BAMF betreibe sogar mutmaßliche Rechtsbeugung, um politische Flüchtlinge aus der Türkei wieder loszuwerden  …

Martin Sonneborn: Diese Form des selektiven Humanismus wird besonders anschaulich durch Polen demonstriert. Man erinnere sich an die monatelange Aufrüstung der Grenzanlagen mit NATO-Stacheldraht, um Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten brutalst abzuwehren. Polen hat nicht einmal Journalisten an die Grenze gelassen in der Zeit, weil sie ahnten, dass ihnen das keine Rechtsstaatspunkte bringt. Heute wird ihnen für die gleiche Haltung von Frau von der Leyen der Hinterkopf getätschelt und in der EU haben sie plötzlich wieder eine große Fresse.

Man hat ja eh öfter mal den Eindruck, es sitzen die Falschen im Knast, nicht nur in der Türkei, in London oder in Hamburgs Santa Fu … Wen sollte man denn ihrer Meinung nach als ersten freilassen: Boris Becker oder Julian Assange?

Martin Sonneborn: Becker kann ich nicht so recht einschätzen. Im Falle Assange habe ich wenig Hoffnung, denn Priti Patel, Innenministerin in Grobbritannien und zuständig für die Entscheidung über seine Auslieferung, steht im Ruf, sich auf Steuerzahlerkosten für 30.000 Pfund die Augenbrauen richten zu lassen. Meine britischen Kollegen sagen über sie: She would unplug Your Life Support to charge her iPhone.

Viele Politiker und auch *innen setzen heute vermehrt auf Gefühle in der Politik, alle sind nur noch am Heulen: Friedrich Merz bei seiner Dankesrede, Anne Spiegel bei ihrer Karriererettungs-Rede und selbst von Putin gibt es Bilder, auf denen er während einer Rede nach einem Wahlsieg weinte, geradezu verweichlicht vom dekadenten Westen. Sie dagegen setzen weiterhin unbeirrt auf Fakten, auch wenn das Ihre politischen Gegner oft verwirrt …

Martin Sonneborn: Die Bedrückungen von Habeck, wenn er schwere Waffen liefert, Frackinggasterminals bestellt oder Öltürme ins Wattenmeer setzt, sollte man nicht mit Gefühlen verwechseln. Und Merz hätte echte Tränen nur, wenn sein Aktiendepot an Wert verliert. Ich glaube, der würde den Autounfalltod seiner gesamten Familie völlig regungslos zur Kenntnis nehmen.

Die Menschen wählen gegen ihre Interessen“

Ein schlimmer Verdacht … Die legendäre und beste Kreuzberger Punk-Band „Terrorgruppe“  („Gestorben auf dem Weg zur Arbeit“) forderte übrigens schon nach 9/11, den Fundamentalismus in der Welt mit „Fun-damentalismus“  zu bekämpfen: Sex-Bomben statt Bomben. Wir wollen jetzt keinen offenen Brief verfassen, aber was ist eigentlich mit den Menschen los, dass sie es einfach nicht hinkriegen, eine lebenswerte Welt für alle zu schaffen, in der es mehr Freude als unnötiges Leid gibt?

Martin Sonneborn: Ich fürchte, ein paar Konzerne und die Waffenindustrie sind dagegen, die großen Vermögensverwalter, Frau von der Leyen, Putin, die US-Regierung, die „Grünen“, CDU/CSU/FDP und große Teile der SPD eh. Komisch eigentlich, dass die Menschen immer gegen ihre Interesse wählen …

Mit Ihrer Partei ging es eigentlich immer nur nach oben … Haben Sie denn nicht irgendeinen Rat für die Linkspartei?

Martin Sonneborn: Zu spät. Leider.

Und unter uns: Haben Sie auch schon einmal einen Journalisten der Bunte angerufen und von ihm eine Viertelmillion Euro gefordert? Sie sind jetzt schon lange Berufspolitiker und kennen sich aus – sind solche Methoden eigentlich in der Politik auf den Philippinen, äh, in Deutschland üblich? Das wäre ja schrecklich …

Martin Sonneborn: Nein, aber Sie bringen mich da gerade auf einen Gedanken… Smiley! Auf Wiederhörn!

Uhh, aber mein Pfandflaschendepot bei der sehr seriösen Credit Suisse  hat höchstens noch den Gegenwert von 27.000 Schekel … Und die Steuern, die ich in Zürich dafür spare, gehen alle für Hamsterkäufe der notwendigsten Lebensmittel in der Berliner CSU-Späti Bocca di Bacco drauf … Aber wenigstens haben die da ein neues Angebot für das Mittagsmenü: Wer schnell rennen kann, der muss die Rechnung nicht bezahlen. Buon appetito und auf Wiederhörn!

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7 Kommentare

  1. Danke. Aufklärung en passant – dagegen können Böhmermann (Welke sowieso) und die selbstreferenziellen“Anstalt“-Fuzzis einpacken; köstlich, engagiert, emanzipiert, unterhaltsam (im Brecht’schen Sinn). So geht Satire.

    1. herr rötzer, ich bin echt begeistert von ihrem magazin. schade dass es noch kaum die reichweite hat, die es verdient, ich helfe ferne mut dies zu ändern.

    1. nee, die basis der partei ist von idiotärlinken und gratis-applause-haschern durchseucht. unwählbar weil teil des problemes, das reißt auch ein sonneborn nicht heraus, leider.
      wir von den freien-linken sind zwar gut im widerstand vertreten und sichtbar aber weit davon entfernt eine organisierte politische kraft zu sein. die links(artige) partei ist tot, aber sowas von. die basis noch dabei ihren anspruch an sich mit der realität abzugleichen, tja: als linker bleibt einem nur die APO

      1. Ja, stimmt schon irgendwie… Aber die Basis hat doch eh nichts zu sagen. Gerade und auch, wenn eine, wenn DIE Partei eine herausragende Führergestalt wie Mao Tse Tung oder Martin Sonneborn hat. Er ist die Basis und die Basis ist er. Also ich wähle weiter Die Partei; denn sie ist echt gut. Und wenn die Baerbocks und Lederers sich in der Basis der Partei durchzusetzen drohen, wird Martin Sonneborn sich der Basis entledigen.

  2. Ich verteidige den Pazifismus – notfalls mit der Waffe in der Hand“
    Absurd!
    Ein Pazifist lehnt einen Waffengang grundsätzlich ab, da jeder, der an einen Waffengang teilnimmt gute Gründe dafür findet. Der eine will sein Land verteidigen, der andere will eine Bedrohung beseitigen. Beides sind nachvollziehbare Gründe. Wer sich nun für eine Seite solidarisiert ist Teilnehmer des Krieges und somit kein Pazifist mehr. Ein Pazifist ist grundsätzlich neutral, er kämpft ohne Gewalt auf beide Seiten für den Frieden.

    „Reichtum ist immer verdächtig“
    Ohne Reichtum von wenigen, hätte niemand etwas. Es braucht Reichtum, weil nur die Aussicht auf Reichtum die Menschen motiviert überhaupt morgens aus dem Bett zu kommen. Natürlich werden die wenigsten davon Reich, aber die Reich werden wollen, schaffen erst die Arbeit, damit es überhaupt erst zu Wohlstand kommt. Es braucht also den Reichtum als Anreiz, damit alle ihr Auskommen haben. Wer den Reichtum verhindern oder beschränken will, sollte sich also darüber klar sein, dass er damit allen die Chance auf Wohlstand nimmt. Dabei muss man allerdings Abstriche machen, zumindest ist das bei mir so. Reichtum ist nicht gleich Reichtum. Ist jemand so Reich, das damit Politik gemacht werden kann, muss dieser begrenzt werden, da ansonsten der demokratische Gedanken untergraben wird. Reichtum ist für unser Wirtschaftssystem existenziell, zu viel Reichtum zerstört aber die Demokratie. Die Demokratie geht also an ihrem eigenen Erfolg kaputt, da die Macht des Geldes die Demokratie zerstört. Aber das Problem lässt sich über Steuern ganz einfach regulieren. Wer hier das Geld verdient hat, muss es auch hier versteuern und wer als Person mehr als notwendig verdient hat, muss auch hier viele Steuern zahlen. Was aber unbedingt verboten werden muss, sind Non Profit Unternehmungen und NGO, auch Stiftungen müssten mehr auf ihre Gemeinnützigkeit beobachtet werden. Das sind Organisationen, die häufig den Zweck und das Ziel haben politisch Einfluss zu nehmen. In einer Demokratie entscheidet aber einzig der Souverän, ohne dass seine Entscheidungen durch irgendwelche Machenschaften beeinflusst werden dürfen.

    1. die These das „ur die Aussicht auf Reichtum die Menschen motiviert überhaupt morgens aus dem Bett zu kommen“ halte ich für stark abgegriffen und durch keine bisherigen Beobachtungen, oder Studien auch nur ansatzweise Belegt.
      Genauer würde ich sage, das spätestens nach 10 Jahren Hartz IV diese These wiederlegt sein dürfte, sonst wäre ein beträchtlicher – vllt sogar der eine tragende – Teil dieser Gesellschaft eben morgens nicht mehr aufgstanden, da dieses System offen zu tage bringt, dass der amerikanische Traum ganz sicher kein deutscher ist.

      Meine These was den Menschen morgens aufstehen lässt, ist der Glaube daran, der morgige Tag könnte ein bisschen mehr Freude bringen als der gestrige und finanzieller Reichtum ist defintiv kein Freudegarant.

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