Immer noch wollen sich 45 Prozent der Russen nicht impfen lassen

Bild: GAMALEYA NATIONAL CENTER

Zwar verringert sich in Russland die Zahl der Impfgegner in der vierten Welle mit Rekordzahlen bei Inzidenz und Mortalität, aber wie sich auch in Deutschland und den USA zeigt, gibt es einen beträchtlichen harten Kern, der sich nicht von der Impfung überzeugen lassen will.

 

Bei der Forsa-Befragung von Ungeimpften im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums, die Ende September bis Mitte Oktober durchgeführt wurde, stellte sich heraus, dass die überwiegende Mehrheit sich auch in nächster Zeit nicht impfen lassen will. 65 Prozent sind strikt dagegen, weitere 23 Prozent sagen „eher nein“. Unentschlossen sind nur 7 Prozent, lediglich 2 Prozent wollen sich impfen lassen, 3 Prozent eher ja. Es gibt also einen verfestigten Kern von 88 Prozent der Ungeimpften, die aus unterschiedlichen Gründen Impfgegner sind.

Männer gehören ein wenig stärker zu den strikten Impfgegnern, unter den Älteren ab 55 Jahren sind es 68 Prozent. Für 89 Prozent wächst die Impfbereitschaft auch nicht, wenn die Intensivstationen an ihre Grenzen kommen. Das heißt auch, dass sie sich nicht gefährdet durch eine schwere Erkrankung oder Tod sehen oder dass sie Angst vor möglichen Folgen einer Impfung haben. Immerhin sagen 74 Prozent ähnlich wie Kimmich oder Wagenknecht, die neuen Impfstoffe seien nicht ausreichend erprobt, 63 Prozent zweifeln an der Sicherheit, 53 Prozent haben auch Angst vor Langzeitschäden.

Seit dem Sommer dümpelt die Impfquote vor sich hin. Mittlerweile sind fast 60 Millionen Deutsche oder mindestens 67 Prozent der Gesamtbevölkerung „vollständig“ geimpft, noch vollständiger mit Booster-Impfung versehen sind erst 2,5 Millionen. Bei den Über-60-Jährigen sind 85 Prozent „vollständig“ geimpft, obgleich die Altersgruppe der über 80-Jährigen weiterhin, geimpft oder ungeimpft, das höchste Risiko für eine Krankenhauseinweisung haben. Der schmale Anstieg der Impfrate verdankt sich wohl eher denjenigen, die noch eine zweite Impfung erhalten.

USA: Impfgegner vor allem auf dem Land, mit nierigerem Einkommen und konservativer Ideologie

In den USA sind nur 58 Prozent der Gesamtbevölkerung „vollständig“ geimpft, 70 Prozent der über 18-Jährigen und 85 Prozent der über 80-Jährigen. 22 Millionen oder 11,5 Prozent haben bereits eine Booster-Impfung. 30 Prozent der über 18-Jährigen sind mithin noch nicht geimpft. Aber 46 Millionen wurden insgesamt auch positiv getestet. Dazu kommt die Anzahl derjenigen, die infiziert, aber nicht getestet wurden.

Gerade wurde eine landesweite Umfrage in den Scientific Reports von Nature veröffentlicht. Allerdings ist die Umfrage bereits im April durchgeführt worden, als noch erst etwas mehr als 30 Prozent vollständig geimpft waren, aber in den USA hat die Impfkampagne auch früher als in Deutschland begonnen und geht schon seit Frühjahr nur noch schleppend voran, auch weil diejenigen mit einer ersten Impfung zögern, sich eine zweite geben zu lassen. Schon damals sagte die Hälfte der Impfgegner, ihre Entscheidung stehe fest und könne durch nichts und niemanden verändert werden. Die andere Hälfte wollte lieber noch abwarten, um zu sehen, welche Folgen die Impfung hat.

Die Impfgegner sind vor allem auf dem Land zu finden. 21 Prozent wollten sich hier nicht impfen lassen. Gefragt wurde auch in vier Großstädten. In Dallas, wo der republikanische texanische Gouverneur sich gegen Impfzwang und andere Maßnahmen sperrt, waren es auch 19 Prozent, hingegen nur 11 Prozent in Chicago und Los Angelesen und 10 Prozent in New York. Impfgegner sind nach dieser Umfrage Menschen mit geringerem Einkommen, mit konservativer Ideologie und mit keinem Heimarbeitsplatz. Ein Viertel der Befragten glaubte nicht, dass eine Corona-Erkrankungen gefährlicher als die Impfung ist.

Politisierung der Impfung – auch in der Wissenschaft

Die Autoren sehen in der Politisierung der Impfung einen wesentlichen Grund, warum Menschen mit konservativer bzw. republikanischer Gesinnung nicht nur oft die Impfung ablehnen, sondern auch andere Maßnahmen wie Masken. Weil die Pandemie als nicht so gefährlich gesehen wird oder Skepsis gegenüber der Regierung vorherrscht, werden Maßnahmen zum Schutz vor Corona als Verletzung der Autonomie betrachtet oder das Risiko der Impfung übersteigert. Es gibt also einen wahrscheinlich in vielen Ländern eine Bevölkerungsschicht, die sich nicht impfen lassen will, weil sie die Gefährlichkeit der Corona-Pandemie überzeichnet sieht, die Maßnahmen ablehnt oder Angst vor den Folgen der Impfung hat.

Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass mit dem relativ hohen Anteil der Impfgegner eine Herdenimmunität nicht erreichbar sein wird, und sie fordern Interventionen, um sie dennoch zur Impfung zu bewegen. Das macht schon klar, dass es nicht um neutrale Forschung geht, sondern um eine interessierte. Die Forsa-Umfrage bzw. deren Auswertung macht hingegen klar, dass die Ausübung von Druck, wozu auch Überredung gehört, nicht zum Ziel führen dürfte. Angeblich zögern viele aufgrund der neuen Impfstoffe, weswegen die Einführung klassischer Impfstoffe, beispielsweise Totimpfstoffe, die Hürde überwinden könnte. Aber das könnte auch ein rationalisierendes Scheinargument für eine Verweigerung sein, die irgendwie auf Souveränität und Misstrauen gegenüber staatlichen Vorgaben setzt.

Impfgegner in Russland, wo es eigentlich klassische Impfstoffe gibt

Russland war ein Pionier bei der Impfstoffentwicklung, zumindest wurde dort der erste Impfstoff im August 2020 zugelassen, jetzt ist es in Europa mit der Ukraine am stärksten von Covid-19 betroffen. Täglich werden Höchststände bei der Inzidenz und den Todesfällen gemeldet. Sputnik V ist ein in Russland entwickelter Vektor-Impfstoff, der auch aus politischen Gründen beschleunigt eine Notzulassung erhielt, um anderen Staaten vorneweg zu sein. Aber die eigenen Bürger zogen nicht wirklich mit und hatten Bedenken. Die Impfkampagnen der Regierung fruchteten bislang wenig, auch eine Lotterie für die Geimpften brachte keine großen Erfolge. Kommentatoren führen dies auf ein Misstrauen gegenüber den Behörden zurück, da die Entwicklung und Zulassung des Impfstoffs als politisch motiviert und als Propaganda gewertet wurde.

Bislang sind nach offiziellen Zahlen erst 48 Prozent zweimal geimpft, andere Zählungen gehen von einer  deutlich niedrigeren Impfquote aus: Gogov.ru berichtet am 7. November, es seien von 33 Prozent zweimal geimpft, Our World in Data nennt 34 Prozent, Reuters 37 Prozent. Bei den Todeszahlen scheinen die russischen Behörden hingegen zu untertreiben. Offiziell heißt es, bis 7. 11. habe es seit Ausbruch der Pandemie 246.814 Tote gegeben, was einer Mortalitätsrate von 2,81 Prozent entspricht. Gezählt werden dabei Todesfälle, die primär durch Covid-19 verursacht wurden. Rostat, die russische Statistikbehörde, kam Ende Oktober auf 460.000 Covid-Tote, also deutlich mehr als die damals offizielle Zahl von  236.000. Die Übersterblichkeit liegt bei über 700.000 im Vergleich zum selben Zeitraum ein Jahr zuvor.

Das Problem mit den Zahlen stärkt bei einem Teil der Bevölkerung das Vertrauen nicht gerade in die Regierung, fast die Hälfte der Bevölkerung, 48 Prozent, sagt aber, die Dinge würden in Russland gut laufen – und im Oktober waren 67 Prozent der Russen mit Putin zufrieden.

Nach einer Umfrage des unabhängigen Levada-Instituts Ende Oktober sagen immer noch 50 Prozent der Russen, sie hätten keine Angst sich anzustecken. Angesichts der vierten Welle 5 Prozent weniger als im August. Zeitweise wollten sich 60 Prozent nicht impfen lassen, im August gab es noch 52 Prozent Impfgegner, jetzt sagen dies 45 Prozent. 61 Prozent sagen, der Virus sei als biologische Waffe künstlich hergestellt worden.

Dmitri Medwedew, stellvertretender Chef des Sicherheitsrats, schreibt in einem Artikel, Impfgegner würden vor allem der Meinung sein, „dass Impfstoffe gegen das Coronavirus neu und bisher wenig verstanden sind, beschleunigt hergestellt wurden und eine Reihe von Nebenwirkungen haben. Und die Hauptsache, die vielen Angst macht: Nach Impfungen bestehe immer noch die Gefahr zu erkranken.“ Das scheint allgemein und länderübergreifend die Stimmung der Impfgegner darzustellen. Dabei kann man aber erkennen, dass die Bedenken gegen die „neuen“ Impfstoffe vorgeschoben sind.

Sputnik V und Sputnik Lite sind Vektorimpfstoffe, die das S-Protein-Gen mit einemunschädlich gemachten Adenovirus in die Zellen bringen. Der EpiVacCorona-Impfstoff ist ein Proteinimpfstoff, der Teile des S-Proteins des Coronavirus (Peptide) verwendet, und der KoviVac-Impfstoff ist ganz klassisch ein inaktiviertes Virus, also ein Totimpfstoff. Die Russen sind also gar nicht damit konfrontiert, sich für oder gegen einen mRNA-Impfstoff entscheiden zu müssen und können sich zwischen Impfstoffen entscheiden, die mit bewährten Methoden arbeiten.

Medwedew schreibt, dass bereits Ende des 18. Jahrhunderts in Russland eine Zwangsimpfung gegen Pocken verordnet wurde und dass es bis zum Ende der Sowjetunion auch weiterhin eine Impflicht gegen Pocken, Polio, Malaria, Typhus oder TBC gab. Dann aber sei eine impffeindliche Propganda aufgekommen: „Sie wurde und wird auf der Grundlage widersprüchlicher und unzuverlässiger Fakten durchgeführt und grenzt in einigen Fällen an vorsätzliche illegale Handlungen, die eine eindeutige Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen. Das ist der Grund, warum unser Land bei der Impfung auf solche Hindernisse stößt. Wenn wir keine Mittel und Wege finden, die Menschen von ihrer Verantwortungslosigkeit, ja sogar von ihrem asozialen Verhalten zu überzeugen, werden wir noch schwierigere Zeiten erleben.“

Auch die russische Regierung weiß nicht, wie sie die Menschen von der Impfung überzeugen soll, das machen jetzt die Inzidenz- und Mortalitätszahlen der vierten Welle zumindest ein wenig. Der vom 30. Oktober bis 7. November per Präsidialdekret verordnete Zwangsurlaub hat keine Entspannung gebracht. Eine Impfquote von 80 Prozent soll erreicht werden, um eine Herdenimmunität zu haben. Das Ende der Pandemie hänge mit der Impfrate zusammen, erklärte die Vize-Premierministerin Tatyana Golikova. Auch wenn in anderen Ländern und auch in Russland sich die Impfdurchbrüche vermehren und Booster-Impfungen propagiert werden, ist davon noch nicht wirklich die Rede. Man verweist allerdings darauf, dass die mRNA-Impfstoffe schnell an Wirksamkeit verlieren und empfiehlt etwa Sputnik light als Booster-Impfung.

Natürlich wird versichert, dass die Impfung vor schweren Erkrankungen schützt. Gesundheitsminister Michail Muraschko will die Menschen mit Angst und Versprechen locken: Der Anteil der Geimpften unter den schwer erkrankten Corona-Patienten in Russland liege unter 0,03 Prozent, die allermeisten Patienten in Krankenhäusern seien ungeimpft. Das kann auch wieder nach hinten losgehen.

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