Ist eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften verfassungsrechtlich zulässig?

Bild: DoD/CC BY-2.0

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sieht in der Lockerung der Maßnahmen für Geimpfte eine „Wiederherstellung des verfassungsgemäßen Zustands“, aber werden dann nicht Menschen, die durch Priorisierung oder Impfstoffknappheit nicht geimpft werden konnten, diskriminiert?

 

Die Diskussion, ob gegen Covid-19 Geimpfte Grundrechtseinschränkungen aufgehoben werden sollen, müssen oder können, die für die Nicht-Geimpften weiterhin gelten, rumort seit einiger Zeit (Spanien legt ein „Register“ für Impfverweigerer an). Verbunden ist damit die ebenfalls schon länger herumspukende Frage nach der Einführung eines (digitalen) Impfpasses, der für Geimpfte Türen öffnen soll, die Nicht-Geimpften verschlossen bleiben (Der digitale Impfausweis kommt). So könnten Geimpfte, sofern sie gesichert niemanden anstecken können, in den Urlaub fahren, Restaurants, Kultur- oder Sportveranstaltungen, Frisöre, Bordelle oder was auch immer besuchen.

 

„Es ist keine Diskriminierung, wenn man Grundrechtseinschränkungen aufhebt“, sagt die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram von den Grünen. Sie verweist dabei auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags (WD). Das sagt auf die Frage nach den „verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen von geimpften gegenüber ungeimpften Personen“, dass „es sich bei der Aufhebung von Maßnahmen gegenüber geimpften Personen lediglich um eine Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Zustandes handelt“. Bayram lehnt deswegen „auch die Begriffe ‚Sonderrechte‘ und ‚Privilegien‘ ausdrücklich ab“.

Der WD argumentiert aus der Sicht der Geimpften und der Frage, ob Einschränkungen gegenüber Geimpften zulässig wären.  Die seien nur gerechtfertigt, wenn von Geimpften keine Ansteckungsgefahr mehr ausgehe, was derzeit noch nicht der Fall ist. Aber es gibt noch eine weitere Gruppe, von der womöglich keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, worauf der WD gar nicht eingeht, nämlich die Menschen, die bereits ein Infektion hinter sich  und Antikörper ausgebildet haben. Dazu kommen natürlich auch Nicht-Geimpfte, von denen keine Gefahr ausgeht, die das aber nicht durch eine Impfung, sondern nur aktuell durch einen Schnelltest belegen können.

Wenn es das Kriterium sein sollte, denjenigen größere Freiheiten zu gewähren, von denen keine Ansteckungsgefahr ausgeht, dürften nicht nur Geimpfte darunter zählen. Überdies wären Geimpfte möglicherweise auch eine Gruppe der „Nichtstörer“, die nach dem Infektionsschutzgesetz wie „Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider“ von Schutzmaßnahmen betroffen sein können.

Mit Priorisierung und Impfstoffknappheit werden ungeimpfte Impfwillige diskriminiert, wenn Geimpfte Privilegien erhalten

Solange nicht alle, die geimpft werden wollen, eine Impfung erhalten können, stellt eine Privilegierung derjenigen, die aufgrund von Priorisierungsregeln schon geimpft wurden, eine Diskriminierung oder Ungleichbehandlung dar. Der WD vergisst in seiner Argumentation, dass der Staat nicht jede Personengruppe gleich behandeln muss und deswegen einen Ermessensspielraum hat, dass im Grundgesetz Art. 2 das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ garantiert wird. Aufgrund einer Priorisierung oder einer Knappheit des Impfstoffs nicht geimpft zu werden, verletzt Art. 2, zumal wenn damit noch Einschränkungen im Unterschied zu den Geimpften einhergehen. Damit könnte verhindert werden, die Grundrechte ausüben zu können, die Geimpften zugestanden werden.

Der WD argumentiert im Wesentlichen pragmatisch damit, dass durch eine Gewährung der Grundrechte für Geimpfte die Ungeimpften die Einschränkungen nicht mehr akzeptieren würden. Das würde tatsächlich bei vielen derjenigen der Fall sein, die eine Impfung wollen, diese aber nicht erhalten können. Eine Gleichbehandlung wäre eigentlich nur möglich, wenn nicht nur Geimpfte, sondern alle Personen, die mit einem Schnelltest nachweisen können, dass sie nicht infiziert und ansteckend sind, die größeren Freiheitsrechte beanspruchen können. Solchen Argumenten würde aber nach dem WD „kein großes Gewicht zukommen“, ohne dies näher zu begründen.

Weil der Impfstatus nicht unter die im Grundgesetz ausgeführte Diskriminierung fällt – „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ -, soll es denn auch keine Diskriminierung sein, nicht geimpft worden zu sein, wenn man dies will. Eine Priorisierung selektiert besonders gefährdete Personengruppen, deswegen können die nicht privilegierten aber nicht automatisch deswegen noch einmal benachteiligt werden.

Der WD sagt zwar, dass „hohe Anforderungen“ bei einer Differenzierung der Freiheitsrechte gestellt werden müssten, aber bevorzugt die Gewährung der Sonderrechte für Geimpfte, vor allem im Privatbereich, wo keine „durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“ auftreten würden. Aber genau hier würde eine Diskriminierung stattfinden, wenn nicht auch diejenigen zugelassen werden, die bei einem Schnelltest negativ sind. Auch sie könnten auf eine „Wiederherstellung des verfassungsgemäßen Zustands“ pochen, wenn auch nur für den Moment.

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