Katalanischer Exilpräsident Puigdemont erneut festgenommen

Carles Puigdemont. Screenshot von Youtube-Video vom 10. 19.

Nach einer Nacht in Gewahrsam wurde er bereits wieder ohne Auflagen freigelassen, da sich Italien durch die Tricks der spanischen Justiz nicht an der Nase herumführen lässt.

Es war erneut nur ein kurzer Traum der spanischen Justiz, um nun über den Umweg Italien endlich Carles Puigdemont ausgeliefert zu bekommen. Er war am späten Donnerstag bei der Ankunft auf dem Flughafen von Alghero in Sardinien festgenommen worden.  Er war von der Regierung Sardiniens eingeladen worden und wollte an einem Treffen unabhängiger Kommunalpolitiker der Insel teilzunehmen.

In der Nacht hatte der Puigdemont-Anwalt Gonzalo Boye per Twitter den Vorfall bestätigt. „Präsident Puigdemont wurde bei seiner Ankunft in Sardinien verhaftet, wo er als Europaabgeordneter unterwegs war.“ Er fügte an: „Diese Festnahme erfolgt auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls vom 14. Oktober 2019, der von Rechts wegen – gemäß der Satzung des EuGH – ausgesetzt ist.“ Puigdemont ist nach Sardinien gereist, um an einem Treffen unabhängiger Kommunalpolitiker teilzunehmen. Auf einer Pressekonferenz hat Boye derweil am Freitag erklärt, dass man europäische Gerichte „betrogen“ habe. Er hatte erwartet, dass die italienischen Richter die Situation „korrigieren“ werden.  Man sei nicht aufgeregt und werde die entsprechenden Eilanträge stellen, hat Boye erklärt.

Wie immer wusste der ausgezeichnete Jurist, von was er spricht. Boye hat gegen Spanien auf internationaler Ebene bisher praktisch alle Schlachten für seine katalanischen Klienten gewonnen und ist deshalb selbst in das Fadenkreuz der spanischen Justiz gerückt. Tatsächlich war der Europäische Haftbefehl gegen Puigdemont ausgesetzt. Und das war auch Spanien bekannt, obwohl der zuständige Richter Pablo Llarena zwischenzeitlich etwas anderes behauptet und seinen Haftbefehl nach Italien geschickt hatte. Das Vorgehen gehört in die Kategorie, dass Spanien mit allen Tricks versucht, Puigdemont und seine Mitstreiter in die Finger zu bekommen.

Dabei schreckt Richter Llarena erneut nicht vor einem zweifelhaften oder rechtswidrigen Vorgehen zurück. Denn sogar die Anwältin des spanischen Staates hatte in einer Einwendung an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuG) auf Tatbestände im Streit um die Immunität und die Auslieferungsgesuche hingewiesen. Sonsoles Centeno Huerta verwies auf eine Vorabentscheidung über den Umgang mit den Europaparlamentariern, die der Richter des Obersten Gerichtshof Pablo Llarena beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) beantragt hatte. Diese Vorabentscheidung habe zur „Wirkung, dass das Verfahren, in dem sie beantragt wird, ausgesetzt wird“. Das „betrifft auch die Europäischen Haftbefehle“ schrieb die Anwältin des spanischen Staates unmissverständlich. Wegen der beantragten Vorabentscheidung durch Llarena, „kann kein Justizorgan der Europäischen Union diese vollstrecken, solange der Gerichtshof nicht über diese Frage entschieden hat“, fügte sie an.

Weiter wird darum gestritten, ob Puigdemont und seine Parlamentskollegen Clara Ponsatí und Toni Comín Immunität genießen

Das EU-Parlament hatte sie ihnen zunächst abgesprochen. Danach gab der EuGH sie ihnen zurück, doch der ihm nachgeordnete Gerichtshof der Europäischen Union (EuG) wies sie wieder mit der Begründung ab, dass Puigdemont, Ponsatí und Comín nicht hätten belegen können, dass ihnen eine Festnahme in der EU drohe.  Diesen Nachweis haben Spanien und Italien nun mit der absurden Festnahme aber erbracht, weshalb die Verteidiger sich erneut an den Gerichtshof wenden werden. Da der EuGH bisher noch keine definitive Entscheidung getroffen hat, sind sogar konservative Medien in Spanien davon ausgegangen, dass dieser ihnen nun die Immunität wieder zugestehen könnte.

Das sollte der EuGH oder der EuG jetzt dringend tun, damit Klarheit besteht und sich Europaparlamentarier bei ihre Arbeit nicht ständig mit solchen Vorgängen beschäftigen müssen. Klar ist inzwischen, dass auch dieser erneute Versuch, Puigdemont habhaft zu werden, wieder ein Rohrkrepierer wurde. Zunächst hatte die Verteidigung es durchgesetzt, dass eine ausführliche Befragung von Puigdemont durch den Richter auf Samstag vertagt wurde, damit der sich auch mit der Materie befassen kann. Ein kurzer Blick in die Unterlagen der Verteidiger haben dem offensichtlich genügt, um den spanischen Trick zu durchschauen. Der Richter fragte den Exilpräsidenten in einer kurzen Video-Befragung schließlich nur, ob er vorhabe, die Insel zu verlassen. Er ordnete daraufhin an, ihn noch am Freitag zu entlassen, was auch bereits geschehen ist. Er kann ohne Auflagen die Insel verlassen und muss nur am 4. Oktober zur Befragung vor Ort sein.

Man muss, angesichts früherer Vorgänge in Deutschland oder in Belgien, kein Wahrsager sein, um vorhersagen zu können, dass sich die trickreichen Justiz in Spanien erneut eine blutige Nase holen wird.

Warum Spanien solche Tricks und Umwege versucht, ist klar. Deutschland und Belgien hatten sich bekanntlich geweigert, Puigdemont wegen absurder Anschuldigungen einer „Rebellion“ oder „Aufstand“ im Rahmen des Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017 auszuliefern. Spanien konnte den Einsatz von Gewalt, die für eine solche Verurteilung nötig wäre, keinerlei Beweise liefern. Die Verzweiflung bei Llarena ist offenbar so groß, weshalb er für sein Ziel, Puigdemont auf eine spanische Anklagebank zu setzten, sogar bereit ist, das Vertrauen in die spanische Justiz auf internationaler Ebene weiter in Dreck zu ziehen.

Dass Belgien die katalanischen Exilanten nicht an Spanien ausliefern wird, ist inzwischen auch Llarena klar. Die belgische Justiz hat Spanien und dessen Gerichtshof rechtskräftig massiv vor das Schienbein getreten. Eine Vorentscheidung über die Nicht-Auslieferung von Puigdemont, Ponsatí und Comín ist gefallen. Wie Krass & Konkret berichtete, hat das Land definitiv die Auslieferung des katalanischen Ex-Kultusministers Lluis Puig verworfen.

Die Begründung machte klar, dass Spanien längst alle Hoffnungen in Belgien aufgeben musste. Denn die belgischen Richter hatten klargestellt, dass der Oberste Gerichtshof in Madrid und damit Pablo Llarena nicht für die Katalanen zuständig ist. Verletzt wurden damit nämlich zentrale Rechtsgrundsätze in einer Demokratie. Weder wurden die Mitstreiter in Spanien vor den „gesetzlichen Richter” in Katalonien gestellt und mit dem Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wurde ihnen sogar die Berufungsinstanz entzogen. Damit seien „Grundrechte verletzt” worden. Die belgischen Richter bezweifelten sogar, dass Katalanen wie Puig ein faires Verfahren in Spanien zu erwarten hätten. Deshalb zielte der Antrag von Llarena auf die Vorabentscheidung am EuGH darauf ab, Belgien das Recht absprechen zu lassen, über die Auslieferungen überhaupt entscheiden zu können.

„Die Amnestie ist der einzige Weg”

Gespannt darf man darauf sein, ob die spanische Regierung noch versuchen wird, durch Druck das absehbare Ergebnis in Italien zu verändern. Auf europäischer Ebene rührt der sozialdemokratische EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schon mächtig die Propagandatrommel. Der ehemalige Außenminister des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez und dessen Sozialdemokraten versuchen erneut, Verbindungen zwischen Russland und der Puigdemont-Regierung herbeifabulieren.

Macht die spanische Regierung nun Druck auf Italien, dann ist der Versuch, Puigdemont ausgeliefert zu bekommen, kein Torpedo aus Teilen der Justiz. Das ist zunächst zu vermuten, da sie von Rechten und Ultrakonservativen dominiert wird, die am Sturz der sozialdemokratischen Regierung arbeiten. Lehnt sich Sánchez in der Auslieferungsfrage aber weit aus dem Fenster, kann er den begonnenen Dialog mit den Katalanen wieder an den Nagel hängen, in dem er ohnehin über die wichtigen Fragen nicht einmal sprechen will. Dann kann er aber auch seinen neuen Haushalt an den Nagel hängen, für den er die Stimmen der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) braucht. Damit wäre seine Regierung am Ende. Klar ist aber, dass an irgendeiner Stelle jetzt ein Kopf rollen muss, wenn Sánchez etwas Glaubwürdigkeit retten will. Entweder hat Llarena auch die Regierung betrogen oder die Anwältin des Staates höchste europäische Gerichtshöfe.

Geschwächt ist über den Vorgang auch die ERC, denn das ist die einzige Formation im katalanischen Unabhängigkeitslager, die noch auf den Dialog setzt, den die Puigdemont Partei „Gemeinsam für Katalonien“ und die linksradikale CUP ablehnen. Das ERC-Modell würde mit einer Auslieferung des über die Lagergrenzen hinweg beliebten Puigdemont endgültig an die Wand fahren und zerschellen. Deshalb hatte der katalanische Präsident und ERC-Führer Pere Aragonès per Twitter „energisch die Verfolgung und die Repression“ verurteilt. Er solidarisierte sich mit Puigdemont und forderte ein Ende der Repression. „Die Amnestie ist der einzige Weg”, schrieb er. Allerdings will Sánchez auch darüber nicht sprechen lassen. Aragonès hatte am Freitag eilig sein Kabinett zu einer Krisensitzung zusammengerufen und nach der Sitzung die sofortige Freilassung gefordert.

Das spanische Vorgehen ist ohnehin absurd, da derweil die früheren Mitstreiter von Puigdemont, die sich nicht ins Exil begeben hatten, von Spanien begnadigt werden mussten. Sie hatten nach der absurden Verurteilungen von bis zu 13 Jahren wegen eines angeblichen Aufstands  mehr als drei Jahre in Gefängnissen verbracht. Von der UN-Arbeitsgruppe für willkürlich Inhaftierungen, über das US-Außenministerium, bis zum Europarat wurde von Spanien die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert. Mit der Watsche aus dem Europarat wurde der Druck für Spanien so groß, dass Sánchez „Begnadigungen“ aussprach. Real war das aber nur der Erlass eines Teils der Reststrafe, die auch nur zur Bewährung ausgesetzt wurde, also weiter wie ein Damoklesschwert über den Betroffenen schwebt. Die dürfen sich nicht einmal zu Wahlen aufstellen lassen.

Die versuchte Festnahme wird dafür sorgen, dass die zerstrittenen katalanischen Unabhängigkeitsparteien wieder näher zusammenrücken, die auf unterschiedlichen Wegen versuchen, ihre Ziele umzusetzen. Was die große Demonstration am Nationalfeiertag (Diada) und dem „Dialog“ mit der spanischen Regierung nicht geschafft hat, auf der etwa 400.000 Menschen für die Unabhängigkeit von Spanien und die Einheit der Bewegung demonstriert haben, könnten nun die Versuche schaffen, die Auslieferung von Puigdemont zu erreichen.

Die neue Festnahme sorgt für massive Empörung sorgt. Der erste Protest fand schon in den Morgenstunden in Barcelona statt, um die sofortige Freilassung von Puigdemont zu fordern. Viele Menschen versammeln hatten sich nach dem Aufruf des großen zivilgesellschaftlichen „Katalanischen Nationalkongress“ (ANC) vor dem italienische Konsulat in Barcelona versammelt. „Puigdemont ist unser Präsident“, hatten die Demonstranten dabei immer wieder gerufen.  Proteste fanden auch auf Sardinien und vor italienischen Vertretungen in verschiedenen europäischen Städten. Zu einer ersten Großdemonstration soll es am Sonntag in Barcelona kommen.

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