Nawalny: Eine Unterhose als Politikum

Lyubov Sobol vor der Wohnung von „Killer“ Kudrjawzew

Viel spricht dafür, dass Nawalnys Mediencoup, das Gespräch mit einem seiner angeblichen Mörder, authentisch ist, aber dass dieser nur seine Kleidung untersuchen sollte, aber nichts mit der Vergiftung zu  tun hatte

Der Nawalny-Fall, der schon wie Magnitski, MH17, Giftgasangriffe in Syrien oder Skripal auf höchster politischer Ebene verhandelt und instrumentaliisiert wird, bleibt wohl eine never ending story. Nawalny und sein Team sind, wer auch immer den Giftanschlag ausgeführt hat, im Zugzwang, die mediale Aufmerksamkeit als Momentum auszunutzen. Das ist auch der Hintergrund des gut inszenierten Coups mit dem Telefongespräch mit einem der „Killer“, die von Bellingcat identifiziert wurden.

Das geschah in Koordination mit Bellingcat und unter Mitwirkung eines Teamleiters von Bellingcat, offenbart aber eher die Schwächen der Beweisführung. Dort brüstet man sich mit dem Anruf, der aufgrund ihrer Ermittlungen möglich geworden sei, und sieht sich auch noch durch Wladimir Putin bestätigt, der erklärte, dass Nawalny vom Geheimdienst beobachtet worden sei, was allerdings schon länger, nicht zuletzt durch Nawalny selbst, bekannt war. Putin fügte hinzu, dass man, wenn man Nawalny töten wollte, dies auch getan hätte. Nunja, bei allen Geheimdiensten gehen Dinge daneben.

Der „Killer“, der kaum etwas weiß

Monate nach seinem Zusammenbruch in dem Flugzeug nach Tomsk hatte Nawalny, wie er mit einem Video  zu belegen sucht, mit Konstantin Kudrjawzew,  angeblich einem der Männer aus der FSB-Eliteeinheit für chemische Kampfstoffe, gesprochen, die ihn zu vergiften versuchten und die Bellingcat und The Insider nach Indizien identifiziert haben wollen. Er hatte angeblich, kurz bevor der auch vom Spiegel und CNN verbreitete Bellingcat-Bericht veröffentlicht wurde, bei diesem angerufen und sich als Mitarbeiter des Leiters des Nationalen Sicherheitsrats ausgegeben (Das Nowitschok soll in der Unterhose gewesen sein).

Es gab auch zuvor Kontaktversuche von Bellingcat und Nawalny mit Mitgliedern des FSB-Teams. Man sollte meinen, diese und der Geheimdienst seien so gewarnt gewesen. Am Montag um 7 Uhr morgens gingen in einer koordinierten Aktion die Nawalny-Vertraute Lyubov Sobol und eine CNN-Reporterin zu Wohnungen von Teammitgliedern. Der Anruf bei Kudrjawzew dürfte so überraschend nicht gewesen sein, sowieso ist  aber fragwürdig, warum ein Mitglied eines Eliteteams sich während einer ungesicherten Verbindung aushören ließ und nicht sicherheitshalber zurückrief, zumal die Vergiftung bereits am 20. August passiert war und die FSB-Agenten, sollten sie einen Vergiftungsversuch durchgeführt haben, wohl schon längst über die Gründe des Scheiterns befragt worden wären.

Kudrjawzew weiß, wie sich aus dem Gespräch ergibt, das authentisch zu sein scheint, offenbar sehr wenig über die Vergiftung, Nawalny muss ihm vieles erst einmal suggerieren. So brachte er immer wieder Tomsk und Omsk durcheinander. Es scheint so zu sein, dass Kudrjawzew, der wie ein untergeordneter Beamter wirkt,  wahrscheinlich im Auftrag des FSB am 25. August nach Omsk gereist war, um Nawalnys dort verbliebene Kleidung auf mögliche Flecken zu prüfen und zu reinigen. Ob welche gefunden wurden, interessierte Nawalny dann schon nicht mehr. An der Vergiftung beteiligt war Kudrjawzew nicht, zumindest nicht nach dem Gespräch, auch wenn Nawalny das ganze Gespräch unter die Behauptung stellt, er habe mit seinem Mörder gesprochen: „Ich habe meinen Mörder angerufen und er hat gestanden.“ Nikita Gerassimow hat eine schöne Analyse.

 

Wie jetzt als Bekräftigung das Nawalny-Team herausgefunden haben will, soll Kudrjawzew eine Wohnung auf demselben Stock wie die seine am 28. Oktober mit Bargeld gekauft haben: „Zwei Monate, nachdem er an dem Mordversuch beteiligt war. Sie zahlen gutes Geld für schmutzige Arbeit“, so Nawalny in einem Tweet. Man fragt sich, warum der russische Geheimdienst oder wer auch immer einen Mitarbeiter dafür belohnt, dass der Plan nicht gelungen ist und zu einem ernsthaften Konflikt zwischen Deutschland und Russland geführt hat. Oder sollte gerade dies die Absicht gewesen sein?

 

Abgestimmt mit der Veröffentlichung des Gesprächs am Montag war Nawalnys Mitarbeiterin Lyubov Sobol, eine Anwältin, zur Wohnung von Kudrjawzew gegangen und begehrte Einlass. „Viele Stunden“ habe sie dort verbracht, schreibt Nawalny , bis schließlich dessen Schwiegermutter aus der 40 Quadratmeter großen Nachbarwohnung kam, die Kudrjawzew vor kurzem für 7,5 Millionen Rubel (83.000 Euro) gekauft haben soll. Die soll Sobol dann (gewaltsam?) beiseitegeschoben haben, um in die Wohnung zu gelangen, aber das ist der strittige Punkt.

Am Montag war Sobol bereits verhört worden, am Freitag wurde sie unter der Anklage festgenommen, dass sie Hausfriedenbruch begangen habe. Polizisten drangen in ihre Wohnung ein und beschlagnahmten alle Geräte und das Handy ihrer Tochter. Für Nawalny belegt die „hysterische Reaktion“ der Behörden deren Schuld: „Man drückt die Klingel eines Killers und sie zertrümmern die Haustür und nehmen einen mit zum Verhör.“ Allerdings gibt es auch die Version, dass Sobol mit anderen versucht haben soll, sich mit der Androhung von Gewalt Zutritt zu der Wohnung der Schwiegermutter Galina Subbotina zu verschaffen. Sobol wurde wieder entlassen, ihr Kamerateam blieb weiter in Haft. Welchen Erkenntnisgewinn Sobol und Nawalny sich von dem Besuch der Wohnung versprachen, abgesehen davon, Aufmerksamkeit zu finden, steht in den Sternen.

Nach der Wasserflasche kommt Nawalnys Unterhose ins Spiel

Der Sinn des Gesprächs mit Kudrjawzew bestand vermutlich darin, die neuerdings von Nawalny präferierte Methode der Vergiftung herauszustellen – nämlich durch den Auftrag von Nowitschok auf eine seiner Unterhosen, die er anzog, bevor er das Hotel in Tomsk verließ. Möglicherweise war das Nowitschok in Pulverform und würde dann nicht so schnell in die Haut eindringen, so die wohl dahinterliegende Hypothese. Wie bei den Skripals ist schließlich weiterhin ein Rätsel, warum das angebliche verwendete Nervengift erst einige Zeit später wirkte, während es eigentlich sehr schnell tötet. Angeblich handele es sich um ein neues Nowitschok bei Navalny, was aber die stundenlange Verzögerung bei den Skripals nicht erklärt.

Der FSB-Chemiker war auch nach dieser Erzählung nicht direkt am Anschlag beteiligt, sondern sollte angeblich Rückstände an der Kleidung Nawalnys, die ihm und Kollegen die Transportpolizei übergeben hat,  untersuchen, weswegen er am 25. August das erste Mal nach Omsk flog. Seltsam sei gewesen, dass alle Kleidungsstücke nass gewesen seien, meinte er, aber er wisse darüber nichts Genaueres: „Ich weiß nicht einmal, was dort gemacht wurde.“ Eine oder zwei Wochen später wurde die Kleidung, allen voran die Unterhose, noch einmal von ihm und seinem Kollegen untersucht. Gut möglich, dass der Geheimdienst herauskriegen wollte, um welche Gift es sich handeln könnte, und man nur vermutete, dass es auf die Unterhose aufgetragen worden war. Sie sollten jedenfalls die inneren Nähte der Unterhose untersuchen.

Nawalnys Kleidung in seinem Gepäck soll nach Berlin gebracht worden sein

Auffällig ist, dass bei dem Gespräch im Dunklen blieb, wie und wann die Unterhose oder weitere Kleidungsstücke und vor allem, ob nur eine oder mehrere Unterhosen oder andere Kleidungsstücke kontaminiert wurden. All das wusste Nawalnys Gesprächspartner nicht. In Omsk blieben wohl nur die Kleidungsstücke zurück, die Nawalny am Leib trug.

Seine Sprecherin Kyra Yarmish, die mit im Flugzeug saß, schrieb am 20. August, dass Nawalnys Frau Juli sein Reisegepäck mitgenommen habe, weil sie vermeiden wollte, dass es beschlagnahmt wurde. Sie flog zusammen mit Maria Pevchikh (Pewtschich) in dem deutschen Rettungsflugzeug nach Berlin. Dabei kommt dann auch  noch die Wasserflasche ins Spiel, die Pewtschich mit Teamkollegen bei einer Durchsuchung des Hotelzimmers gefunden haben will. Das wurde mit einem Video belegt, mit dem die These vertreten wurde, dass die Vergiftung durch eine Wasserflasche geschah. Das kam allerdings bei den deutschen Behörden nicht an und wurde daher schnell wieder fallengelassen. Jetzt soll es also eine Unterhose gewesen sein, die Kudrjawzew möglicherweise zusammen mit der Restkleidung zweimal gereinigt haben soll.

Auch hier kann man fragen, warum, denn die bei Einlieferung ins Krankenhaus getragene Kleidung wurde Nawalny nicht zurückgegeben. Kudrjawzew sagte, er habe keine Idee, wo sie geblieben ist. Was den Rest der Kleidung im Reisegepäck angeht, so muss man davon ausgehen, dass nichts weiter mit Nowitschok kontaminiert worden war – vermutlich hat das Bundeswehrlabor das auch untersucht. Zwar erklärte die Bundesregierung aufgrund einer AfD-Anfrage, Nowitschok sei nicht nur in den Körperproben gefunden worden, aber lüftete das Geheimnis – Kleidung? Wasserflasche? Etwas anderes? – aus welchen Gründen auch immer nicht (Fall Nawalny: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor“ . Da erstaunlicherweise sowieso nur Nawalny vergiftet wurde, sollte nur eine Unterhose Nowitschok abgekriegt haben. Nur wie wussten die FSB-Agenten, welche Unterhose Nawalny anziehen würde?

Viel „Logik“, aber kaum Beweise

Selbst bei Bellingcat geht man nur bedingt mit den Eskapaden des Nawalny-Teams einher, auch wenn die Medienaufmerksamkeit gesucht wird. Man ist verbunden, auch weil man mit ähnlichen Mitteln arbeitet. Das russische Oppositionsmedium Meduza hat mit Hristo Grozev von Bellingcat, der auf dem Video sichtlich erfreut über das Gespräch war, an dem er teilnahm, über die offenen Fragen gesprochen. Grozev hatte das Bellingcat-Team geleitet, das das angebliche Eliteteam aufdeckte und dessen Mitglieder identifizierte. Deutsche Medien scheinen hingegen nicht interessiert zu sein, Nachfragen zu stellen, sondern alles, was den Verdacht auf Russland bestätigt, weiterzugeben, vielleicht noch mit „angeblich“ versehen.

Grozev räumt gegenüber Meduza ein, dass der FSB von den Recherchen von Bellingcat und auch von Nawalnys Anrufen wusste, da sein erster Anruf eine halbe Stunde vor dem Anruf bei Kudryavtsev geschah. Schon ein paar Tage vor der Veröffentlichung seien einige ihrer Informanten verschwunden oder gefeuert worden. Es hätten sich alle auf Provokationen vorbereiten müssen, nur Kudryavtsev habe dies nicht gemacht. Ein Grund könnte eben sein, dass er an dem Giftanschlag gar nicht beteiligt war – aber das hätte den inszenierten Mediencoup zunichte gemacht.

Er räumt ein, man habe noch keinen Beweis dafür, wie die Vergiftung passiert ist: Alles sei Logik, also Spekulation. Am wahrscheinlichsten sei, dass die Vergiftung in der Nacht vor der Abfahrt geschehen sei. Wenn eine Unterhose im Zimmer oder bei der Reinigung vergiftet wurde, dann müsste sie Nawalny am Morgen angezogen haben. Die Frage wäre, woher die Täter wussten, welche Unterhose Nawalny anziehen würde. Vielleicht hätten sie auch mehrere vergiftet, aber dann wären sie wohl im Gepäck gewesen, das seine Frau nach Deutschland brachte. Damit hätte man den Behörden und der Bundesregierung einen Beweis geliefert, auf den diese wohl kaum verzichtet hätte. Andererseits bleibt auch dunkel, ob die angeblich im Hotelzimmer gefundene und kontaminierte Wasserflasche nur Produkt einer Inszenierung war oder ob man die nach Deutschland ohne Sicherheitsvorkehrungen und mit Zerstörung forensischer Nachweise geschmuggelte Flasche aus irgendwelchen Gründen lieber nicht verwenden wollte.

Grozev spekuliert auf die Frage, wie dann das Nowitschok auf die Flasche, die Meduza ins Spiel bringt, gekommen sein soll, dass Nawalnys Hände beim Anziehen der Hose eine „minimale“ Menge aufgenommen haben könnten, die er dann auf der Flasche hinterlassen hat. Damit scheint er den Fund der kontaminierten Wasserflasche als Tatsache anzuerkennen, die bislang nur das Nawalny-Team behauptet. Sehr minimal muss die Menge gewesen sein, weil sonst Nawalny  gleich, wie bei Nowitschok üblich, Vergiftungssymptome hätte zeigen müssen. Er zieht sich aus der Affäre damit, dass Russland keine Informationen weitergibt, aber auch die deutschen Geheimdienste nicht. Insgesamt behauptet Grozev trotz all der offenen Punkte, es sei bewiesen, dass Kudryavtsev Vergiftungsspuren beseitigt habe, was zumindest aufgrund des Wortlauts des Gesprächs nicht der Fall ist.

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