Nur ein paar Atombomben

Ostermarsch in Berlin Kreuzberg. Screenshot aus YouTube-Video

 

 

Tausende Menschen haben sich bei den traditionellen Ostermärschen für einen „Frieden ohne Waffen“ in der Ukraine eingesetzt. Die öffentliche Meinung aber prägen andere, so zum Beispiel der FDP-Politiker Alexander Lambsdorff, der die Teilnehmer der Ostermärsche als 5. Kolonne Putins bezeichnet.

Wie wenig man interessiert ist an einer Verhandlungslösung, die ja den Krieg verkürzen könnte, hatte neulich schon EU-Chefdiplomat Josep Borell in markigen Worten verdeutlicht: „Der Krieg wird auf dem Schlachtfeld gewonnen.“

Selbst an die Front ziehen, mögen Lambsdorff und Borell aber wohl lieber nicht. „Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg“, sagte Erich Maria Remarque 1963, „bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind – besonders die, die nicht hineingehen müssen.“

Mit einer besonderen österlichen Friedensbotschaft wandte sich vor einigen Tagen Sergej Sumlenny an die Öffentlichkeit. Der ehemalige Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew wirbt für den „sichersten Weg, Frieden zu garantieren“:

Was kann man dazu noch sagen? Vor gut 70 Jahren hat Günther Anders in Bezug auf die atomare Bedrohung vor der Apokalypseblindheit der Menschen gewarnt. „Gemessen an dem Quantum Angst, das uns ziemte, das wir eigentlich aufzubringen hätten, sind wir einfach Analphabeten der Angst“, schrieb er in seinem Werk „Die Antiquiertheit des Menschen“. Der Grund dafür sei, dass die Fähigkeit des Menschen, sich das Ausmaß der Zerstörung vorzustellen und also für sich begreifbar zu machen, weit hinter seinen technischen Fähigkeiten zurückbleibe, eine solch allumfassende Zerstörung herbeizuführen.

Interessant ist, dass in Bezug auf Klimawandel und Pandemie die mediale Berichterstattung der letzten Jahre eine solche Apokalypseblindheit verhindert hat. Es gab unzählige Beiträge, die versucht haben, die Bedrohungslage vorstellbar zu machen mit dem Ziel, dass sich das Handeln der Menschen im Sinne einer „Heuristik der Furcht“ (Hans Jonas) an der schlimmstmöglichen Prognose orientiert. Wie auch immer man ein solches Vorgehen bewertet (und es gab ja auch berechtigte Kritik daran), es bleibt rätselhaft, weshalb dieselbe von Angst geprägte Gesellschaft sich nun ausgerechnet von der realistischen Möglichkeit eines atomaren Weltkrieges nicht einschüchtern lassen will.

Das Team ‚Vorsicht‘ jedenfalls gehört der Vergangenheit an. Es gibt niemanden mehr, der „I want you to panic“ ruft. Und an einer Verhandlungslösung scheinen die politischen Entscheidungsträger weder in Russland noch im Westen interessiert zu sein. Einig sind sie sich nur in einem Punkt: Der Krieg wird auf dem Schlachtfeld gewonnen, und zwar auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung.

Vor diesem Hintergrund wirken die Ostermärsche tatsächlich ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Und trotzdem – man muss an die Zukunft glauben, sagt Remarque, an eine bessere Zukunft. „Die Welt will Frieden, trotz gewisser Politiker.“

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8 Kommentare

  1. Was ‚die Welt‘ will, ist leider nicht entscheidend. Sumlenny ist leider nicht der einzige mit massenmörderischen Wahnvorstellungen. Wer auch nur ein wenig Ahnung von militärischen Dingen hat weiss, dass zumindest Russland und die usa wenn atomar angegriffen nicht von einem Gegenschlag abgehalten werden können. Wahrscheinlich sind seine Fantasien – übrigens bemerkenswert, dass man Tweet solchen Inhalts unbeanstandet absetzen kann – die Kompensation für gefühlte Ohnmacht.

    Die Ukraine hat nicht den Hauch einer Siegeschance. Da helfen auch Waffenlieferungsversuche nichts. Ein Grossteil wird schon vor dem Einsatz vernichtet, der Rest kann bald aus Mangel an Treibstoff und Munition nicht mehr zum Einsatz kommen. Das ukrainische Militär ist eine riesige Sitting duck, den Angriffen weitgehend schutzlos ausgeliefert. Die einzig rationale Möglichkeit ist zu kapitulieren. Alles andere führt nur zu weiteren grauenhaften Verlusten.

  2. Nicht wenige Ukrainer scheinen jetzt aufgrund eines hier zu Lande eigentlich überkommenen Ehrbegriffs, der in Osteuropa jedoch noch sehr lebendig zu sein scheint, Mut mit Dummheit und Vernunft/Realismus mit Feigheit zu verwechseln und dies wird ihnen von der Propaganda unserer Mainstreammedien ja auch nahegelegt, sie werden dafür als „Helden“ dargestellt, die für ihren mutigen Kampf jetzt vor allem eines bräuchten: Waffen, die die Taschen westlicher Rüstungsaktionäre füllen!
    So bezeichnet Vize-Ministerpräsidentin Irina Wereschtschuk Russlands Atomwaffen als leere Drohgebärde, von der sich „das ukrainische Volk“ nicht einschüchtern lasse (https://www.srf.ch/news/international/russlands-angriffskrieg-wereschtschuk-wir-lassen-uns-nicht-einschuechtern). Ihre Landsfrau Mariana Sadovska, eine Sängerin und Komponistin, die seit 2002 in Köln lebt, wird noch etwas deutlicher: „Wir können doch nicht so einen Verbrecher wie Putin davonkommen lassen, nur weil er mit der Atombombe droht. […] Wenn die Welt untergeht, weil wir der Ukraine helfen, dann soll es halt so sein!“ Für Patrick Bahners, Feuilletonkorrespondent der FAZ, sprach sie damit „in unserem eigenen Interesse“ (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ukrainerin-im-kanzleramt-weltuntergang-nicht-ausgeschlossen-17919075.html) Auch viele Deutsche scheinen mittlerweile vergessen zu haben, dass eine frühere Generation mit „Sieg-Heil“-Rufen und Forderungen nach dem „totalen Krieg“ ins Verderben gerannt ist, und dies mit zur Entwicklung der Atombombe und zu den Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki geführt hat. Die amerikanischen Strategen haben mit ihren nicht zuletzt auf Spieltheorie gegründeten, völkerrechtswidrigen Angriffskriegen der vergangenen Jahrzehnte hunderte Millionen Menschenleben auf dem Gewissen, der Atomkrieg blieb den Überlebenden aber bisher erspart. Aber wie sagte Albert Einstein: „Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber der IV. Weltkrieg wird mit Stöcken und Steinen ausgetragen.“ (https://beruhmte-zitate.de/zitate/1997991-albert-einstein-ich-weiss-nicht-mit-welchen-waffen-der-dritte-welt/)

    „Interessant ist, dass in Bezug auf Klimawandel und Pandemie die mediale Berichterstattung der letzten Jahre eine solche Apokalypseblindheit verhindert hat.“ Diesem Satz kann ich allerdings nicht zustimmen. Pandemie und Klimawandel werden lediglich ausgenutzt als Legitimation zur Umsetzung autoritärer Massnahmen, nicht zur Förderung der Gesundheit von Mensch und Natur. Der Umgang der Medien mit Corona und Klima einerseits, und Krieg und Militarisierung anderseits, sind lediglich zwei Seiten derselben Medaille, hin zu Autoritarismus und Totalitarismus nach dem Vorbild China. Siehe auch: https://internationalepolitik.de/de/lahme-dame-demokratie

  3. Apokalypseblindheit in Bezug auf Atomkrieg auf der einen und Corona- Klima- und sonstige linksgrüne Hysterien auf der anderen Seite, sind die Seiten derselben Medaille. Die linksgrünen Politiker sind voller Destruktivität, die von Freud Todestrieb genannt wurde, was ich erst jetzt infolge der gesellschaftlichen Hysterien richtig verstehe. Jeder Selbstmordgefährdete befindet sich in einem Zwiespalt, soll ich oder soll ich nicht. Irrationale Seuchenangst und Umwelthysterien richten sich gegen den unbewussten Suizidimpuls, nach dem Motto hoffentlich wird es nicht wahr, andererseits setzt die Forderung, einen Atomkrieg für eine gute Sache zu riskieren, den Todeswunsch unter einer Rechtfertigung frei! Man kann so auch verstehen, dass es so viele Leute gibt, die sich den fatalen Worten und Taten unserer Horrordemagogen anschließen. Es geht nicht mehr um bürgerliche Ideale, sondern um Emotions. Da das Berufsleben wenig Geld und keine Erfolgserlebnisse bietet, auch in der Familie Frust, Unsicherheit und Ohnmacht herrschen, bleiben nur noch Hysterie und Aggressivität, um dem Leben einen Sinn zu geben. Letztlich steht dahinter eben die Wut der Verzweifelten, die alles zerstören möchten, vor allem sich selbst.

  4. Mal nicht vergessen werden sollte, dass ein Gutteil der heutigen funktionalen Elite die – im Wortsinne – Enkel der unter Hitler ins Bürgertum Aufgestiegenen sind.

    Die Renazifizierung der Fünfzigerjahre hat diese alten Nazis darüber hinaus zu Vorgesetzten und Mentoren der auf dem langen Marsch durch die Institutionen Befindlichen gemacht.

    Und nun scheint der Endsieg gegen den slawischen Untermenschen wieder in greifbare Nähe gerückt. Da opfert man gerne wieder ein paar Ukrainer.

    Die sind auch sowieso so unwoke dass sie sich gerne zum Heilen unserer narzisstischen Wunden aufhelden dürfen.

  5. Ich denke, man darf nicht vergessen, dass die Generation Baerbock keinerlei Kriegserfahrung hat. Mein Vater hat mir, bin 70 mittlerweile, Krieg in fürchterlichen Szenen beschrieben und mich mit zu Filmen über die Befreiung von Auschwitz genommen. Sehen heute die Fernsehbilder aus Syrien, dem Yemen, der Ukraine usw. nicht alle ähnlich aus? Gibt es nicht sehr realistische Kriegs-Videospiele für Armchair-Warrior ? Nur es fehlt immer das, was die reale Situation ausmacht: der Geruch von Feuer, der Gestank, das Jammern der Verwundeten und das Detonieren von Bomben, die Hilflosigkeit, die Enge der Ruinen … .
    Ich will diese bestürzend naive Grünen-Politik nicht verharmlosen sondern vielmehr daran erinnern, dass die Grünen aus der Friedensbewegung hervorkamen und leider heute zu einer Amateurtruppe von Yuppies und karrieregeilen Opportunisten geworden sind, denen jede Erfahrung fehlt.
    Die Friedensbewegung mit den Ostermärschen als Putins fünfte Kolonne anzuprangern ist nicht nur dämlich sondern auch eine ziemliche Gesinnungssauerei, wie man sie von der FDP schon gewohnt ist.

  6. zur Diffamierung der Friedensbewegung:
    Sollte sich nicht in unserem Staat, der Stolz auf seine Gewaltenteilung ist, nicht ein Staatsanwalt finden, der zumindest den Anfangsverdacht einer Volksverhetzung feststellt? Dieser aus einer kriminellen Familie stammenden Herr hat wohl alle Freiheiten oder einen bestimmten §.
    zur Generation Baerbock, spez. Annalena
    über soviel Kaltschnäuzigkeit bleibt einem die Spucke weg. Diese undiplomatischen Schnellschüsse auf der einen Seite und Anbiederung auf der anderen sind möglicher Weise ein Ausdruck eines übersteigerten Geltungsbedürfnis oder/und einer Überforderung. Eventuell könnte ihr Ziehvater, R. Bütikofer, nähere Auskünfte geben 🙂

  7. Fehlende Liebe!

    Es ist nicht ein von Freud erdachter „Todestrieb“, sondern fehlende Liebe. Wilhelm Reich prägte den Begriff der emotionalen Pest.

    Durch die sich permanent verstärkende Konkurrenz im kriselnden Kapitalismus, wird das Gefühl „Liebe“ zunehmend als störend empfunden. Liebe macht verletzlich und angreifbar, das ist unzweckmäßig in einer Ellenbogengesellschaft.

    Da waren die Erkenntnisse der 68-er schon weiter:
    MAKE LOVE NOT WAR!
    Und wer das jetzt beim Lesen albern findet sollte erkennen, wie sehr auch bei ihm selbst das Sein das Bewusstsein prägt!

  8. Die Friedensbewegung befindet sich in der Tat in einem Dilemma, da sie für Kriege in dieser Dimension bisher noch keine allgemein anerkannten Strategien entwickelt hat. Dies kann man ihr auch nicht vorwerfen, wenn – wie seit dem Kalten Krieg – immer politisch der Rüstungshaushalt besser ausgestattet wurde als diplomatische/ zivilgesellschaftliche Mechanismen. Massnahmen des zivilen Ungehorsams bespielsweise würden voraussetzen, dass die ukrainische Bevölkerung und ihre Politiker eine Besetzung einschliesslich der zu erwartenden massiven Repression bereit sind zu ertragen. Die Erfahrungen in Ungarn und der Tschechoslowakei geben allerdings Anlass zur Skepsis am Erfolg. Ferner müssen die Befürchtungen der westlichen Nachbarn der Ukraine auch mitbetrachtet werden. Aber schauen wir doch einmal auf uns selbst: Wie viele sind bereit ein Öl-/Gasboykott und die entsprechenden Konsequenzen umfassend mitzutragen? Anfang März waren 55% der Befragten dazu bereit (https://www.welt.de/politik/deutschland/article237465241/ZDF-Politbarometer-Mehrheit-der-Deutschen-fuer-Importstopp-von-Gas-und-Oel-aus-Russland.html) – was ist daraus geworden? In der gleichen Umfrage fand aber auch eine Mehrheit die Lieferung von Waffen o.K., aber nicht von schweren Waffen (63%). Aktuell sprechen sich jedoch 51% auch für die Lieferung schwerer Waffen aus – überwältigend sähe anders aus. Scholz sieht sich jedoch derzeit massiven politischen Anfeindungen ausgesetzt, obwohl er doch bei schweren Waffen nicht gerade eine Minderheitenposition vertritt. (https://www.zeit.de/news/2022-04/19/umfrage-knappe-mehrheit-fuer-schwere-waffen-fuer-ukraine?)

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