Putins Schachzug blamiert Vorhersagen der US-Geheimdienste und der US-Regierung

Putin hält auch Abstand zum Sicherheitsrat, dessen Treffen wie auch immer manipuliert übertragen wurde. Im Anschluss unterschreibt er das Dekret zur Anerkennung der Unabhängigkeit der „Volksrepubliken“. Bild: Kreml

 

Nach einer Übertragung der Sitzung des Sicherheitsrates unterzeichnet der russische Präsident ein Dekret, mit dem die Unabhängigkeit der separatistischen „Volksrepubliken“ im Donbass anerkennt wird: eine riskante Entscheidung

Was gestern in Russland geschehen ist, lässt einmal wieder die amerikanischen Geheimdienste blamiert dastehen. Obgleich die von den Kommunisten eingebrachte Resolution, die beiden „Volksrepubliken“ Donezk (DNR) und Lugansk (LNR) anzuerkennen, von der Duma am 15, Februar mit großer Mehrheit angenommen, aber vom Kreml erst einmal nur zur Kenntnis genommen wurde, schon längst bekannt war, schwafelten US-Regierung, US-Geheimdienste und die mit ihnen verbundenen Medien als Lautsprecher sowie die Experten weiterhin von einer Offensive, die jederzeit stattfinden könne, es wurden Termine genannt und auch gesagt, Putin habe sich schon zu dieser entschieden, es würde zu False-Flag-Aktionen kommen.

Natürlich kann man davon ausgehen, dass die Entscheidung in der Duma ein Plan des Kreml war, um im Pokerspiel um die Ukraine und die eigenen Sicherheitsinteressen einen Trumpf in der Hand zu halten. Die Bitte der Führer der „Volksrepubliken“, dass Russland deren Unabhängigkeit anerkennen soll, war Teil der Inszenierung. Mit einer Anerkennung der „Volksrepubliken“ als unabhängige Staaten legt Russland das Minsker Abkommen ad acta, wo seit Jahren keine Fortschritte erzielt wurden und was auch von der ukrainischen Regierung offen abgelehnt wird, und versucht, den Konflikt in der Ukraine zu einem gefrorenen zu machen, so dass ein Beitritt zur Nato verhindert würde, wenn nicht die Ukraine, gedeckt durch den Westen, militärisch in die „Volksrepubliken“ einmarschieren würde, was Selenskij schon einmal andeutete.

Und natürlich kündigt er damit an, dass Russland den Menschen der „Volksrepubliken“ bei einer Offensive zur Hilfe kommen würde, auch mit Waffen, vielleicht auch mit Truppen. Die Unterstützung wurde auch ganz formell mit der Unterzeichnung eines Vertrags „über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung“ mit DRN und LRN dokumentiert. Putin versuchte in einer etwas umständlichen Geschichtslektion das Verhältnis von Russland und der Ukraine darzulegen. Die Ukraine, wie sie heute ist, sei ein Produkt des Kommunismus, Lenin ihr Architekt. Jetzt stehe das Land unter fremder Kontrolle. Die Nato wolle Russland eindämmen, die Ukraine einen Krieg, er schütze das Leben von vier Millionen Menschen, die dem Risiko eines Völkermords ausgesetzt seien. Wieder ist von einem drohenden Völkermord die Rede.

Einsame Entscheidungen? Putin bei der Unterzeichnung des Dekrets. Kreml

Natürlich ist die Anerkennung eine Provokation, aber sie würde die Drohungen des Westens ins Leere laufen lassen, die nur bei einem militärischen Angriff Sanktionen in Aussicht stellten. Eine Anerkennung ist auch noch keine Annexion, wodurch sich Moskau alle Möglichkeiten offen hält. Dass dieser Schritt wahrscheinlich schon länger geplant wurde, könnte auch die Truppenkonzentration an der Grenze erklärlich machen, die primär nicht einer Offensive, sondern einer Abschreckung dienen sollen.

Noch provozierender ist jedoch, dass die unterzeichneten Abkommen auch vorsehen, dass Russland Truppen für „friedenserhaltende Funktionen“ in die Ukraine schicken könnte. Das ist eine alte Strategie, die etwa auch in Ossetien und Abchasien verwendet wurde.

Womöglich hat man in Moskau aber auch die Sorge, dass hinter der Warnung vor einer russischen Offensive die Ukraine legitimiert durch eine False-Flag-Aktion versuchen könnte, den Donbass militärisch von den Separatisten wieder zurückzuholen. Das wäre eigentlich ein Bürgerkrieg, auch wenn die Separatisten natürlich von Russland unterstützt wurden und werden. Dass bereits 950.000 Bewohner der „Volksrepubliken“ einen russischen Pass beantragt und über 600.000 einen solchen bereits erhalten, kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass in einem Großteil der verbliebenen Bevölkerung, die weder in die Ukraine noch nach Russland geflüchtet sind, keine antirussische Haltung vorliegt, um es vorsichtig auszudrücken.

In Gesprächen mit Macron und Scholz hatte Putin seine Entscheidung schon angekündigt. Sie äußerten Enttäuschung über die Entscheidung und verurteilten sie, aber sagten zu, weiter im Gespräch zu bleiben. Scholz forderte Putin angeblich „zur sofortigen Deeskalation und zum Rückzug der zusammengezogenen Kräfte von der Grenze zur Ukraine auf“. Wichtig sei die Einhaltung des Waffenstillstands in der Ostukraine.

Der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell machte große Töne, sicherheitshalber ohne konkret zu werden: „Die Anerkennung der beiden Separatistengebiete in der Ukraine ist ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht, die territoriale Integrität der Ukraine und die Vereinbarungen von Minsk. Die EU und ihre Partner werden in Solidarität mit der Ukraine mit Einigkeit, Entschlossenheit und Entschiedenheit reagieren.“ Zuvor hatte er mit Maßnahmen gedroht, sollte Moskau die „Volksrepubliken“ anerkennen.

Mit seinem Zug hat Putin, obgleich man ihn hätte kommen sehen können, offenbar den Westen überrascht, der nun beraten muss, wie man darauf reagieren kann. Der ukrainische Außenminister Kuleba, der schon zuvor immer mal wieder zur Verhängung neuer Sanktionen aufgerufen hat, fordert diese jetzt wieder. Auch Polen, Großbritannien oder Poroschenko fordern Sanktionen. Aber Russland hat eben keine militärische Offensive eingeleitet, sondern nur eine diplomatische. Werden jetzt die angeblich beschlossenen Sanktionen eingesetzt, dann hätte man nicht nur die Öffentlichkeit betrogen, sondern hätte auch nichts mehr in der Hand, sollte es tatsächlich zu einem Angriff auf die Ukraine kommen.

In Donezk und Lugansk wird angeblich die Anerkennung der Unabhängigkeit gefeiert. Offenbar sind es nur wenige, die daran teilnehmen. Bild: https://lug-info.com

In den USA scheint man tatsächlich überrascht worden zu sein. Aber das streitet Jen Psaki, der Pressesprecher des Weißen Hauses, selbstverständlich ab und kündigte spezielle Sanktionen an: „Wir haben mit einem solchen Schritt Russlands gerechnet und sind bereit, sofort zu reagieren. Präsident Biden wird in Kürze eine Exekutivanordnung erlassen, die neue Investitionen, Handel und Finanzierungen von US-Personen in, aus oder in den sogenannten DNR- und LNR-Regionen der Ukraine verbieten wird. Diese Anordnung wird auch die Befugnis beinhalten, Sanktionen gegen jede Person zu verhängen, die in diesen Gebieten der Ukraine tätig ist. Das Außen- und das Finanzministerium werden in Kürze weitere Einzelheiten bekannt geben. Außerdem werden wir in Kürze weitere Maßnahmen im Zusammenhang mit der heutigen eklatanten Verletzung der internationalen Verpflichtungen Russlands ankündigen.“

Ansonsten bleiben US-Geheimdienste und -Medien bei ihren Geschichten. Washington Post und CNN weisen auf einen Brief hin, den die US-Regierung an die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet geschrieben hat. Danach würde in Russland eine Liste geführt, in der Ukrainer aufgeführt werden, die nach einer Invasion getötet oder inhaftiert werden sollen: „Diese Aktionen, zu denen bei früheren russischen Operationen gezielte Tötungen, Entführungen/zwangsweises Verschwindenlassen, ungerechtfertigte Inhaftierungen und die Anwendung von Folter gehörten, würden sich wahrscheinlich gegen diejenigen richten, die sich dem russischen Vorgehen widersetzen, darunter russische und belarussische Dissidenten im ukrainischen Exil, Journalisten und Anti-Korruptions-Aktivisten sowie gefährdete Bevölkerungsgruppen wie religiöse und ethnische Minderheiten und LGBTQI+ Personen.“ Belege dafür gibt es nicht, wie CNN immerhin sagt.

Die Süddeutsche Zeitung, die mit Stefan Kornelius und seinem Team, einen besonders antirussischen und pro-Nato-Kurs fährt, sieht in dem Schachzug Putins weiterhin einen Kriegsplan: „Putin stimmt Russland auf Krieg ein“, was allerdings nicht weiter ausgeführt wird. Der Spiegel sieht eine „Vorstufe zur Annexion“. Für den Kreml ist das vermutlich ein Versuch, einen Nato-Beitritt der Ukraine auf lange Sicht zu verhindern, ohne einen Krieg führen zu müssen. Ob das gelingt, ist eine andere Frage.

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