Rausschmiss aus der öffentlichen Sitzung des PUA III im Landtag NRW

Landtagsgebäude NRW. Bild: Bildarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen

 

An der gestrigen Sitzung des parlamentarischen Untersuchungs­aus­schusses (PUA) zur Causa Amed A. wollte ich als Pressevertreter teilnehmen. Das verhinderte der Ausschuss­vor­sitzende. Der mich vor Beginn der Sitzung aufforderte, den Raum zu verlassen. Mit einer Begründung, die sich später als unzutreffend erwies.

Der Landtag NRW, so liest man auf seiner Webseite, „kontrolliert die Arbeit von Landesregierung und Landesverwaltung. Als schärfstes Schwert der Kontrolle gelten die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse.“

Der Sachverhalt

Dem Sachwalter dieses schärfsten Schwerts im PUA III (Kleve) im Landtag NRW, dem Ausschuss­vorsitzen­den Dr. Jörg Geerlings, ging gestern wohl etwas der Kompass verloren: Denn er schmiss mich als Pressevertreter vor Beginn der öffentlichen Ausschusssitzung im PUA III kurzerhand raus [a].

Begründung Nr. 1: Ich sei bei meiner Zeugenanhörung am 14. Januar 2020 (sic!) nicht formell entlassen worden. Das stünde so auch im Protokoll. Was ich nicht bestätigen kann: Weder in der Eingangsbelehrung, noch aus der Verabschiedung ergibt sich ein solcher rechtlicher Hinweis. Leider hatte ich das Protokoll nicht dabei.

Antwort Nr. 2 auf meine Frage nach der Rechtsgrundlage: „StPo!“ und „PUA-Gesetz!„. Auch dort und im StPO-Kommentar fand ich nichts, was so richtig zum Sachverhalt passt. In §248 StPO steht, dass sich die vernommenen Zeugen und Sachverständigen nur mit Genehmigung oder auf Anweisung des Vorsitzenden von der Gerichtsstelle entfernen“ dürfen. Da hätte ich aber lange im Landtag NRW zubringen müssen …

Antwort Nr. 3 auf meine Frage, ob es denn einen Beweisbeschluss gibt für meine geplante erneute Zeugeneinvernahme: „Nein!“

Antwort Nr. 4 auf meinen Einwand, dass ohnehin nur noch eine öffentliche Sitzung in dieser Wahlperiode terminiert ist: … unverständliches Gemurmel.

Das Ganze war aufgezogen als persönliches Gespräch an meinem Sitzplatz in der Pressebank. Das ersparte dem Vorsitzenden die Mühen einer Aufnahme ins Protokoll. Und lässt Anwesende mit der Spekulation zurück, dass die Brückner schon einen Grund geliefert haben wird, der einen Rausschmiss rechtfertigt.

Die Lernerfahrungen

Sollten Sie jemals als Zeuge in einem solchen Ausschuss geladen sein …

Heben Sie sich am Ende der Veranstaltung die Freude darüber, dass es vorbei ist, noch ein paar Minuten auf und verlangen Sie eine deutliche Erklärung zur Entlassung. Oder Begründung, warum nicht. Wenn Sie dann Wochen später ein Protokoll zur Gegenzeichnung erhalten: Achten Sie darauf, ob dieser Punkt korrekt protokolliert ist.

Vorsicht bei Sachkompetenz und deren Einsatz gegen herrschende Regierungsmehrheiten

Die Ehre der Einladung zu einer Anhörung vor zwei Jahren verdankte ich der Kooperation mit einem Team der Redaktion von Monitor im Jahr 2019. Die waren an der Causa Amed A. dran – ein junger Syrer, der wegen einer Petitesse in polizeilichen Gewahrsam gekommen und auf Grundlage eines Haftbefehls eines Schwarzafrikaners hinter Gittern gelandet war: Das war Mitte Juli 2018. Danach kümmerte sich kein Mensch mehr um ihn: Weil der unrechtmäßig gegen ihn verwendete Haftbefehl des Schwarzafrikaners Amedy G. die Vollstreckung vorsah und daher keine richterliche Überprüfung mehr nötig war. Im September 2018 brannte es in seiner Zelle; an den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen starb Amed A. einige Tage später [Mehr zum Fall Amed A. in A]. Der Brand war EIN Aspekt des Falles, mit dem sich Monitor anfangs beschäftigt hatte und auf Ungereimtheiten gestoßen war.

Zum zweiten Aspekt kam ich ins Spiel: Anfangs zur Frage, wie es geschehen kann, dass mehrere Polizeibeamte die beiden völlig unterschiedlichen Personen (angeblich) miteinander „verwechselten“. Später wurde diese Erklärung ersetzt, weil Innenminister Reul im Landtag den „Kreuztreffer“ ins Spiel brachte: Ein bedauerlicher Fehler im eingesetzten IT-System ViVA, der Übereinstimmungen zwischen Personen nahelegt, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt [Der Fehler ist bis heute nicht korrigiert! – mehr dazu in B] Simple Vergleiche auf übereinstimmende (digitalisierte) Fingerabdrücke nimmt das System auch nicht vor [auch das anscheinend bis heute! – mehr dazu in C]

Und ich hatte doch glatt die Chuzpe, Nachweise in den Daten zu finden, die das offizielle Narrativ nicht stützten – um es harmlos zu formulieren. Was Monitor auch berichtete. Da musste der Ausschuss schon mal nachfragen!

Den Umgangston in diesem Ausschuss muss man abkönnen …

Was mir die nächste Lernerfahrung einbrachte: Man muss einen rauen Ton abkönnen, wenn man mit diesem Ausschuss zu tun hat. Ich wusste nicht, dass wochenlange (von niemandem bezahlte) Auswertungstätigkeit dadurch vergütet wird, dass man von Vertretern mehrerer Fraktionen im Ausschuss angeherrscht, (versuchsweise) eingeschüchtert und sehr schräg angeredet wird.

Wobei man solche Zeichen schlechter Laune schon verstehen muss: Da fragt ein Fraktionsobmann die Journalistin, woher sie Informationen bzw. Unterlagen hat. Die hat dann glatt die Stirn, sich auf §53 StPO zu berufen. Was praktisch bedeutete, dass ich dazu keine Auskunft gab. Das war – Sie werden das nachvollziehen können – schon ein dreister Fall von Respektlosigkeit!

Als nächstes versucht man’s mit Bullying: Klassifizierte sachliche Erklärungen von mir als „Behauptungen“, veranstaltet wiederholt einen vielstimmigen Tumult und beschrieb ein dem Ausschuss von mir vorgelegtes Auswertungsdokument als Abdruck von Verschwörungstheorien„.

Gleiche Rechte – aber nicht für alle

Lernerfahrung Nr. 4 betraf genau dieses mitgebrachte Dokument, 73 Seiten, für jedes Ausschussmitglied ein Exemplar, mit dem Titel: „Untersuchungen digitaler Spuren … Unterlagen zur Anhörung vor dem PUA …“

Ob man das dem LKA vorlegen und dort eine Bewertung einholen dürfe, fragte der Ausschuss­vor­sitzende nach geraumer Zeit. Ich stimmte zu unter der Voraussetzung, dass ich diese Bewertung ebenfalls erhalte und mich bei Bedarf dazu äußern kann. „Vielleicht„, meinte der Vorsitzende … Was später nicht geschah.

Stattdessen wurde – Monate später – diese Bewertung des LKA durchgestochen an kooperative Medienschaffende, die daraus die Schlagzeile machten Gutachten [des LKA und des LZPD] zerpflückt Expertin und das gleich „scheibchenweise„.

Nach Vorlage dieses „Gutachtens“ der beiden (tief in die Causa Amed A. verstrickten) Behörden, nahm die Diffamierungskampagne weiter Fahrt auf: Da wurde in einer Pressemitteilung des Sprechers der CDU-Fraktion Meinung gemacht mit „Verschwörungstheorien„, „Hypothesen“ oder „Theorien„, mir offensichtlich fehlende und mangelnde Fachkenntnis“ nachgesagt und an anderer Stelle eine Widerlegung meiner Hypthesen postuliert.

Wenn Sie der Presse was zukommen lassen wollen: Beschweren Sie sich beim Ausschuss

Die Zeit für die anschließende Beschwerde an den Ausschussvorsitzenden hätte ich mir sparen können, jedenfalls erhielt ich keine direkte Antwort. Dafür erzielte ich einen Punkt „über Bande“. Denn wenige Tage später berichtete der dpa-Newskanal, dass dort mein Schreiben vorliegt. Was zumindest zur Folge hatte, dass einige meiner Argumente auf diesem Weg in die Öffentlichkeit kamen.

Überspringen wir die nächsten eineinhalb Jahre, in denen sich nichts Wesentliches tat.

Gutachten schon zwei Tage VOR der Anhörung des Sachverständigen in der Presse

Erst jetzt, wenige Monate vor der Landtagswahl in NRW, kam noch einmal Bewegung in die Sache: Denn der vom Ausschuss beauftragte Gutachter sollte sein Gutachten vorstellen. Aus dem ersten Termin im Jana´uar 2022 wurde nichts, der zweite war auf den 8.2. angesetzt.

Doch schon zuvor wollte ganz offensichtlich jemand auf Nummer Sicher gehen: Denn bereits am 6.2. erschien ein Artikel im Kölner Stadtanzeiger (KStA), von dem – dank Bezahlschranke – nur die Kernbotschaft sichtbar war: Ein Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Behörden im Fall des unschuldig eingesperrten Syrers Amad A, …, keine Fehler gemacht haben. Neues Gutachten … entlastet Polizei und Justiz endgültig, triumphierte Stunden später der Obmann der CDU via Twitter.
Und am 7.2. wusste dann auch dpa-Newskanal,der von vielen Online-Zeitungen verbreitet wird: Neues Gutachten entlastet Polizei.

Erst einen Tag später kam der Gutachter im Ausschuss dann selbst zu Wort. Er wiederholte, so berichteten es Anwesende, die Kernaussage, die schon am 6.2. im KStA zitiert war: Es konnten keine nachträglichen Manipulationen an dem relevanten Datenbestand oder eine Löschung von Daten festgestellt werden. Sie berichteten weiter, dass er auf eine dieszügliche Frage erklärte, dass ihm die Originaldaten (aus der Causa Amed A.) NICHT VORGELEGEN hätten.
Wie man keine nachträglichen Manipulationen feststellt und keine Löschungen von Daten“, wenn man die Ausgangsdaten gar nicht kennt: Das ist der neueste Zugang auf der ohnehin schon langen Liste von logisch wundersamen Behauptungen, mit der das „schärfste Schwert der parlamenarischen Kontrolle“ im Landtag NRW mit der Wahrnehmung der Realität kämpft.

[Meine Anmerkungen zu den Ergebnissen dieses Gutachters und dem eigentlichen Skandal, der ins Innenministerium führt, in diesem Artikel.]

Fußnote

[a]   Über das wahre Motiv des Herrn Dr. Geerlings kann ich nur spekulieren. Faktum 1 ist, dass einige CDU-Ausschussmitglieder agitiert wurden, als sie mich erblickten. Das gibt es bei denen anscheinend öfter …
Faktum 2 ist, dass ein Team des WDR-Fernsehens da war. Faktum 3 ist, dass ich doch ohnehin nicht das Recht gehabt hätte, unaufgefordert auch nur ein Wort während der Ausschusssitzung zu sagen. Warum war es also nötig, mich gleich ganz rauszuwerfen? Verhindert wurde damit allenfalls ein Statement vor der Kamera des WDR. Denn ich setzte mich ins Auto und fuhr die dreieinhalb Stunden zurück nach Hause.

Beiträge zum Thema

  1. A) Zum Fall Amed A.

[A1]   Wenn Daten töten (1): Fall Amad A.: Die fatalen Folgen einer Schwarzfahrt, 28.02.2021

[A2]   Wenn Daten töten: Fall Amad A. (2): Festnahme mit Haftbefehl eines anderen, 02.03.2021

[A3]   Wenn Daten töten: Fall Amad A. (3): LKA und LZPD geben Rätsel auf, 08.03.2021

  1. B) Zum Kreuztreffer-Fehler

[B1]   Vom Kreuztreffer getroffen, 30.01.2020

[B2]   Kreuztreffer in ViVA lieferten irreführende Ergebnisse, 20.06.2020

  1. C) Zum Identitätsnachweis durch Fingerabdrücke und die D-Nummer

[C1]   Fall Amad A.: ViVA machte aus ZWEI Menschen mit unterschiedlichen Fingerabdrucksätzen EINEN, 02.02.2021

[C2]   Was unternimmt IM Reul, um zu verhindern, dass ViVA auch in Zukunft nicht identische Menschen zusammenführt?, 05.02.2021.

Der Artikel von Annette Brückner ist zuerst auf ihrem Blog Police IT erschienen. Anndette Brückner beschäftigt sich seit Jahren kritisch mit polizeilichen IT-Systemen. Sie war mitverantwortlich für die Konzeption und Entwicklung von POLYGON, einer informationstechnischen Plattform für die Sachbearbeitung, Analyse und Auswertung von komplexen Verfahren, und hat als Designerin von Anwendungen Einblicke in das Projektmanagement von polizeilichen IT-Systemen gewonnen.

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2 Kommentare

  1. Wenn in Deutschland Schwarze in einer Polizeizelle sterben, ist stets alles mit rechten Dingen zugegangen. Das ist per definitionem so und kann daher auch nicht widerlegt werden…

    Zum Fremdschämen.

    1. Amed A. war noch nicht einmal ein „Schwarzer“. Dazu wurde er erst durch Verschmelzung seines Datensatzes mit dem des tatsächlich schwarzhäutigen Amedy G. „gemacht“. Gegen den lagen Vollstreckungshaftbefehle vor.
      Die Feststellung der Urheber dieser „Verschmelzung“, offiziell Datensatzzusammenführung genannt, war die Kardinalfrage im Auftrag des Ausschusses an den Gutachter. Der hat dazu ausweichend geantwortet. Die Originaldaten wurden – sagte auch er – gelöscht, lagen ihm jedenfalls nicht vor. Und die (noch vorhandene) Kopie des Protokolls der Änderungen an den (Original)Daten, in dem die Datensatzzusammenführung verzeichnet sein müsste, weist – es gibt schon Zufälle ! – ausgerechnet an den fünf in Frage kommenden Tage eine gähnende Lücke auf. Das scheint der Gutachter aber nicht bemerkt zu haben …
      Annette Brückner

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