Russland und die USA stellen die EU an den Spielrand

Treffen Putin-Biden in Genf im Juni. Bild: Kreml

Politiker wie der EU-Außenbeauftragte Borrell oder Journalisten jammern, sehen nur die Schuld bei Putin, als ob die USA an einem starken und geeinten Europa interessiert wären.

Die EU wurde von Wladimir Putin und Joe Biden ausgebootet. Die beiden Großmächte verhandeln lieber direkt miteinander als unter Einbeziehung der EU. Putin hat sich mit seinem Gesprächsangebot über die russischen Sicherheitsgarantien an die USA, die Nato und die OSZE gewandt, geflissentlich die EU übergehend, die auch in der Frage des Verhältnisses zu Russland in sich zerstritten ist.

Biden ergriff die Chance, eine Verständigung mit Russland ist für ihn wichtig, weil er wie bereits seine Vorgänger die USA geopolitisch auf den Hauptkonkurrenten China und den asiatisch-pazifischen Raum ausrichten will, was mit einem Rückzug aus Europa und dem Mittleren Osten verbunden ist. Xi Jinping zelebrierte unterdessen die gute Kooperation zwischen Russland und China. Die Nato ist für Biden leichter zu steuern, sie soll sich ebenfalls stärker Richtung China orientieren, obgleich sie eigentlich transatlantisch auf die Konfrontation mit Russland angelegt ist. Das hat vor allem Großbritannien bereits eingeleitet, andere Nato-Staaten wie Deutschland ziehen noch zögerlich mit, das aber auch schon dienstwillig eine Fregatte schickte, um im südchinesischen Raum angeblich die Freiheit der Schifffahrt zu verteidigen.

Sichtlich bemüht halten Putin und Biden in ihrem 50-minütigen Gespräch am Mittwoch ihre Drohungen aufrecht, um dahinter vorsichtige Schritte der Verständigung zu beginnen. Biden wiederholte die Drohung mit weitreichenden Sanktionen, sollte Russland gegen die Ukraine vorgehen, Putin  soll gesagt haben, das würde ein großer Fehlersein, der zum Abbruch der Beziehungen führen könne. Der Berater des russischen Präsidenten, Juri Uschakow, lobte das Gespräch als „konkret und substantiell“, „offen und detailliert“ sowie „im Allgemeinen konstruktiv“. Nach ihm sei Russland auch bereit, Überlegungen der amerikanischen Seite und anderer Staaten zu berücksichtigen.  Aber es müsse die Sicherheit Russlands gewährleistet sein, Russland handele hier so, wie das auch die USA machen würden, wenn Angriffswaffen in die Nähe verlegt werden. Man wolle aber konkrete Ergebnisse, die Gespräche sollten nicht in Geschwätz ausarten.

Von amerikanischer Seiteheißt es ebenfalls, das Gespräch sei „ernsthaft und substantiell“ gewesen. Biden habe erklärt, es liege an Russland, ob die USA den diplomatischen Weg einschlagen oder mit weiteren Sanktionen, mehr Truppen an der Ostflanke der Nato und militärische Hilfe für die Ukraine den Weg der Abschreckung  gehen. Biden betonte aber, man werde in die Ukraine keine Offensivwaffen verlegen, worauf Putin gesagt haben soll, das sei ein wichtiger Punkt der vorgeschlagenen Sicherheitsgarantien.

„Nichts wird über uns entschieden, ohne dass wir dabei sind“

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, den Russland schon einmal bei einem Besuch abblitzen ließ, kommt natürlich unter Druck und sagte gegenüber der Welt am Mittwoch, bevor das Biden-Putin-Gespräch stattfand: „Es geht auch um die Frage: Wie kann sich die EU einbringen in die Gespräche zwischen Washington und Moskau über die Entschärfung der Lage in der Ukraine und die von Moskau geforderten Sicherheitsgarantien? Wir wollen und dürfen keine unbeteiligten Zuschauer sein, über deren Köpfe hinweg entschieden wird. Das sieht auch US-Außenminister Antony Blinken so, das hat er mir am 23. Dezember noch bei einem Telefongespräch bestätigt.“

Man kann davon ausgehen, dass die EU bei einer möglichen Lösung des Ukraine-Konflikts einbezogen wird, allerdings steht die EU bei den bilateralen Gesprächen vor der Tür. Ein netter Versuch ist es, glauben zu machen, es sei nur Russlands Interesse, über die künftige Sicherheitsarchitektur alleine mit den USA zu verhandeln: „Wer über die künftige Sicherheitsarchitektur in Europa verhandeln will, muss natürlich auch mit den Europäern sprechen. Europäische Sicherheit ist unsere Sicherheit. Da geht es um uns. Darüber können nicht einfach zwei Staaten, also Amerika und Russland, oder die Nato und Russland verhandeln – auch wenn Moskau sich das so vorstellt.“

Es stellt sich aber eben nicht nur Russland so vor, sondern die USA ziehen mit – und Biden scheint auch weitaus williger zu sein, zu einem Ergebnis mit Moskau zu kommen, das auch die geäußerten Sicherheitsinteressen zumindest ein Stück weit berücksichtigt, was gegen die Interessen der Ukraine, aber auch gegen diejenigen von anderen europäischen Staaten gehen kann, die auf weitere Ausgrenzung von Russland und Aufrüstung setzen. Die EU hätte viele Jahre Möglichkeiten gehabt, eine eigenständige Politik gegenüber Russland und den USA zu entwickeln, hat dies aber versäumt und lieber weiter eskaliert, auch wegen unterschiedlicher, kaum zu vereinbarenden  Interessen der Mitgliedsstaaten, etwa zwischen dem Alten und dem Neuen Europa der George W. Bush-Jahre, wegen des Drucks aus den USA auf den Nato-Beitritt von Georgien und der Ukraine und einer ebenso realen wie ideologischen Abhängigkeit von Washington und der Nato.

Borrell versucht sogar ein wenig zu drohen, bleibt aber eine Ausführung schuldig, was denn Europa im Falle einer Ausgrenzung machen würde, weswegen das eine Luftnummer ist: „Genau das will Moskau: Zwei Akteure, die ihre Einflusssphären untereinander aufteilen. Russland will über die europäische Sicherheitsarchitektur verhandeln, ohne die Europäische Union einzubeziehen – das ist absurd. Wir werden das nicht akzeptieren. Nichts wird über uns entschieden, ohne dass wir dabei sind.“ Erst einmal hat Joe Biden sich vor dem Gespräch mit Putin und nach diesem Anfang Dezembermit einigen europäischen Staaten noch verständigt. Auch diese Geste ist jetzt hinfällig geworden.

Borrell versucht, rote Linien zu ziehen, die aber wohl auch den Interessen der USA zuwiderlaufen: „Die Forderungen nach Sicherheitsgarantien und ein Ende der Erweiterung von EU und Nato im Osten ist eine rein russische Agenda mit völlig unannehmbaren Bedingungen, vor allem mit Blick auf die Ukraine.“ Er spricht davon, dass  es auch um den „den Umgang mit Regimekritikern wie Alexej Nawalny und vielen anderen“ gehen müsse, vergisst aber dabei, dass der Umgang mit westlichen Regimekritikern wie Julian Assange oder Edward Snowden dann ebenfalls auf den Tisch müsste, geschweige denn der Umgang Spaniens mit katalanischen Politikern.

„Großmachttypisches Vorgehen“

Die Haltung, die Missachtung der EU nur Russland in die Schuhe zu schieben, pflegen auch Journalisten. Da soll wohl das transatlantische Weltbild keine Sprünge erhalten. So heißt es in der SZ von Josef Kelnberger darüber, dass die EU bei den amerikanisch-russischen Gesprächen außen vorbleibt, Russland schüre mit dem Truppenaufmarsch die Angst vor einer Invasion und wolle „dem Westen nun in Verhandlungen Zugeständnisse abpressen“. Das suggeriert, der Westen sei nur reaktiv und würde etwa mit den Sanktionen und der Aufrüstung in Osteuropa keine Interessen durchsetzen („abpressen“) wollen.  Möglicherweise ist Borrell ja auch eine Fehlbesetzung. Und außen vor bleibt die EU eben auch in Washington, aber davon spricht man eben nicht so gern.

Im Kommentar stellt Alexandra Föderl-Schmid, die sich „wie im Kalten Krieg“ wähnt, Putin als Gewinner dar, weil er es geschafft habe mit dem Truppenaufmarsch und „entsprechender Kampfrhetorik und Drohgebärden“ Aufmerksamkeit und Gesprächstermine zu erhalten, nur halt nicht mit der EU. Erinnern sollte man dann doch angesichts solcher wiederholter Behauptungen, dass das erste Gespräch Putin-Biden in Genf bereits im Juni vor jedem Truppenaufmarsch stattgefunden hat und dass nicht Truppen, sondern Bidens Bemerkung, Putin sei ein Killer, am Anfang des begonnenen Dialogs stand.  Immerhin erklärt sie, es komme einer „Brüskierung“ gleich, den EU-Repräsentanten nicht einzubeziehen, aber dann kriegt auch sie die Kurve, dass wieder alleine Russland anzulasten, wenn Borrell wimmernd klagt, dass über die EU hinweg verhandelt wird, Biden wurde nur hineingezogen: „Aber genau das passiert – oder soll passieren, wenn es nach Putin geht. Der US-Präsident ist ihm schon zu weit entgegengekommen, indem er sich auf ein Gespräch unter Ausschluss der Europäer einließ.“

Zuletzt kommt sie aber dann doch auf den Kernpunkt, dass Putin und Biden die EU außen vorlassen, Biden mache es wie Putin, das Mitspracherecht der Europäer einfach zu ignorieren: „Dieses großmachttypische Vorgehen von Putin und Biden zeigt, dass die EU noch immer nicht genügend Gewicht hat, um als geopolitische Macht wahrgenommen zu werden.“ Man könnte überlegen, dass die EU sich nicht rechtzeitig von den USA und der Nato insoweit gelöst hat, einen eigenständigen europäischen Kurs unter Einbeziehung Russlands zu entwickeln, schließlich war lange genug bekannt, dass die USA die Interessen der EU-Mitgliedsstaaten gegeneinander ausspielt, um eben eine Annäherung an Russland zu verhindern. Das hätte Anfang 2000 geschehen können, Washington stieg dann aus dem ABM-Vertrag aus, um das Raketenabwehrsystem in osteuropäischen Ländern provokativ zu errichten.

Was fällt der SZ-Journalistin ein? „Wollen die Europäer nicht zum Spielball rivalisierender Großmächte werden, müssen sie ihre Interessen robuster verteidigen.“ Man hätte ja auch sagen können: intelligenter, einheitlicher oder kreativer. Aber da ist man oder frau  in den Schablonen des Kalten Kriegs gefangen.

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