Selenskyj: Warum die Ukraine nicht mit Afghanistan zu vergleichen ist

Bild: president.gov.ua

Die Ukraine habe ganz alleine gegen den bösen Widersacher gekämpft. Der Konflikt mit den „Volksrepubliken“ verschärft sich, die werfen Kiew „Terrorangriffe“ auf zivile Infrastruktur und der OSZE Wegschauen vor.

Eine Meldung kursiert in der Ukraine, dass US-Präsident Joe Biden beim Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskji gesagt habe, die Ukraine gehöre in die Nato, das sei aber nicht seine alleinige Entscheidung. Das würde bedeuten, dass die USA weiterhin aktiv die Osterweiterung der Nato betreiben würden, während manche europäischen Nato-Staaten davon nicht so begeistert sind.

In der gemeinsamen Erklärung war davon aber nicht die Rede. Dort heißt es, die US-Regierung unterstütze „das Recht der Ukraine, über seinen eigenen außenpolitischen Kurs auch im Hinblick auf die Bestrebungen der Ukraine, sich der Nato anzuschließen, ohne Einfluss von außen zu entscheiden“. Dafür gibt es nochmals 60 Millionen US-Dollar Sicherheitsunterstützung zur „Verteidigung gegen die russische Aggression“, darunter Anti-Panzer-Raketen des Typs Javelin.

In einem CNN-Interview sagte Selenskji am 12. September auf die Frage, ob er nach dem Truppenabzug aus Afghanistan Angst habe, dass die USA auch Ukraine im Stich lassen, man könne die Ukraine nicht mit Afghanistan vergleichen. Das war ihm offenbar ganz wichtig.

2014 sei die Ukraine ganz alleine dagestanden, behauptete er, obgleich der Westen und vornehmlich die USA Unterstützer der orangenen Revolution und dann der Maidan-Bewegung waren und Mittreiber für einen Beitritt der Ukraine zur EU und Nato waren. Der Westen hat, obgleich Frankreich und Deutschland eine friedliche Machtübergabe ausgehandelt hatte, nach dem Putsch der Maidan-Bewegung vor allem auf Druck der USA die neue, rechtslastige Regierung anerkannt. Man hatte auch nichts dagegen, dass die neue Regierung die Proteste in der Ostukraine durch Ausrufung einer Antiterror-Operation militärisch zu unterdrücken suchte und damit den Konflikt gefährlich auflud und die Krise mit Russland verstärkte. Dazu kam auch gleich Forderungen etwa von Vitali Klitschko, den 2010 bis 2042 verlängerten Vertrag mit Russland über den seit dem 18. Jahrhundert bestehenden Stützpunkt Sewastopol auf der Krim für die Schwarzmeerflotte zu beenden.

So stellte Selenski die Situation der Ukraine im Unterschied zu Afghanistan dar: „2014, die Partner in den USA und der EU mögen uns entschuldigen, kamen wir an, wo wir ankamen. Es gab eine russische Eskalation. Unsere Gebiete waren besetzt. Niemand stand Hand in Hand mit uns. Es gab nur die militärische Ausrüstung, die wir zu dieser Zeit zur Verfügung hatten. Es gab keine anderen Truppen, nur die Bürger der Ukraine.“ Es gab eine „Welle an Freiwilligen, an freiwilligen Bataillonen, die Menschen kamen in einer Bürgeraktion zusammen, um ihr eigenes Land zu schützen.“ Dass die Truppen und Milizen nach der Abspaltung der Krim erst einmal gegen die eigenen Bürger in der Ostukraine vorgingen, die prorussisch waren und gegen den Umsturz in Kiew Antimaidan-Proteste organisierten, erwähnt Selenskyi nicht. Üm an die damals unübersichtliche Lage zu erinnern, siehe Ukraine droht, schnell in einen bewaffneten Konflikt zu steuern, Die ukrainische „Antiterror-Operation“ gerät ins Stocken  oder Was ist los in der Ostukraine?

Selenski verklärt weiter: „Selbst in acht Jahren schaffte es Russland nicht, die Macht zu übernehmen. Russland, das ist nicht die Taliban-Armee, es ist eine der mächtigsten Armeen der Welt. Wir verteidigten unsere Staatlichkeit. Das ist der Grund, warum wir so unabhängig als irgend möglich von jedem anderen Land sind.“

Die Ukraine müsse wie Israel ein Militärstaat werden

Der Vorsitzende des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats (NSDC), Oleksiy Danilov, sagte in einem Interview mit Radio Svoboda: „Unsere Streitkräfte sind in der Lage, das Territorium der Regionen Donezk und Lugansk zu säubern. Wir können für das Territorium der Krim kämpfen. Aber wir müssen uns gegenwärtig halten, dass wir es nicht zulassen können, das in solchen militärischen Missionen Zehntausende oder Hunderttausende sterben. Wir haben eben ein Verständnis, wo die Grenze ist. Aber das bedeutet nicht, dass wir dies nicht machen, wenn es erforderlich ist.“ Man habe für die Ostukraine und die Krim 5 Szenarien entwickelt. Erst einmal halte man sich an das erste, nämlich die Wiedergewinnung der Territorien durch politische und diplomatische Mittel: „Dann wird man sehen, was geschieht.“ Das soll man wohl als Drohung verstehen, ob innenpolitisch ausgerichtet oder gegen Russland oder den Westen bleibt offen.

Auf die militärische Aufrüstung setzte auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Um sich auf sich verlassen zu können, müsse die Ukraine „lernen, wie Israel ein handlungsfähiger Militärstaat zu werden“, sagte er. Die Ukraine glaube den Versprechungen des Westens nicht mehr, man habe „bittere Lektionen“ lernen müssen. Russland suche die Ukraine zudem einzuschließen. Man habe nicht genug in den Grenzschutz investiert, weswegen man jetzt subversive Gruppen und Migranten aus Belarus nicht abwehren könne. Die Gleichsetzung von subversiven Kräften und Migranten ist beachtenswert.

Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Generalleutnant Valery Zaluzhny, erklärt, die Zahl der russischen Truppen an der Grenze habe sich seit Mai nicht verändert. Damals wurde Kriegsgefahr beschworen, weil  100.000 oder mehr russische Truppen hierher verlegt worden seien. Es sei zwar nicht schlimmer geworden, aber mit der offen angekündigten russisch-belarussischen Militärübung Zapad 2021 seien mehr taktische Gruppen an die Grenze verlegt worden. Man beobachte alle und bereite sich darauf vor, angemessen zu reagieren. Man erwarte Provokationen, weil „der Feind jeden Vorwand mit allen Mitteln nutzt, um seinen Einfluss zu demonstrieren“.

Das Verteidigungsministerium behauptet, dass Russland die Kampfstärke der „Volksrepubliken“ erhöhe. Es würden Pioniereinheiten verlegt und Scharfschützen eingesetzt, um ukrainische Soldaten oder Überwachungskameras zu treffen oder Vergeltungsbeschuss zu provozieren.

Es wird immer nur zurückgeschossen …

Noch besteht ein Waffenstillstand zwischen Kiew und den „Volksrepubliken“, aber er wird von beiden Seiten immer wieder gebrochen, vermehrt in den letzten Tagen. Nach der OSZE gab es übers Wochenende mehr als 400 Waffenstillstandsverletzungen, die Woche zuvor waren es 210. Nach dem neuesten Bericht vom 14. September  gab es in 24 Stunden fast 200 Waffenstillstandsverletzungen. Beide Seiten haben ein Interesse, den Konflikt zu eskalieren und eine friedliche Lösung zu verhindern, wie es das Minsk Abkommen vorgesehen hatte. In den letzten Tagen sind mehrere ukrainische Soldaten getötet und verletzt worden. Es werden viele Waffenstillstandsverletzungen durch Mörser, Granatwerfer und Maschinengewehre aufgezählt, auf die die ukrainischen Truppen durch Beschuss reagieren würden.

Umgekehrt werfen die „Volksrepubliken“ der Ukraine Waffenstillstandsverletzungen vor. Vor wenigen Tagen hat DPR-Chef Denis Pushilin die Mobilisierung aller Streitkräfte und Behörden angesichts der „ukrainischen Aggression“ angeordnet, um der zivilen Bevölkerung zu helfen und die Schäden durch den Beschuss seitens der Ukraine zu beseitigen. Zudem würden Angriffe durch Beschuss der ukrainischen Stellungen erwidert. Vorgeworfen wird Kiew, gezielt Infrastruktur anzugreifen. So seien vergangene Woche Bergwerke, Stromleitungen, Gaspipelines beschädigt worden. Am Wochenende sei ein Öldepot in einem Bezirk von Donezk angegriffen und ein Tank in Brand gesetzt worden.

Die OSZE bestätigte, durch eine Drohne an einem Tank Brandspuren, zwei Metallplatten, die  vermutlich ein Loch abdecken, und andere Spuren gesichtet zu haben. Die Ursache könne nicht ermittelt werden. Eine Sicherheitskraft habe berichtet, es habe am 11. 9. Explosionen in der Gegend gegeben. Das spricht nicht für größeren Aufklärungswillen. Die DPR behauptet, dass ukrainische Vertreter im Rahmen der Joint Control and Coordination Commission (JCCC) eingeladen worden seien, den Ort und andere Schäden durch Beschuss an der Infrastruktur zu besichtigen, was aber abgelehnt worden sei.

Schaden am Öltank. Bild: DPR-Video

Scharfe Kritik kommt aus der DPR. Dort wird von einem „Terrorangriff“ mit zwei mit Sprengstoff beladenen Drohnen gesprochen. Eine Drohne habe um 7:30 einen Sprengkörper abgeworfen, der 50 Meter von einem Öltank entfernt auf den Boden fiel. Um 12:30 habe dann eine zweite Drohne einen Sprengkörper auf das Dach eines Öltanks abgeworfen, der das Öl in Brand setzte. Teile der Drohne seien auf dem Öltank gefunden worden, was durch ein Video belegt werden soll. Nur aufgrund des schnellen Eingreifens der Feuerwehr habe verhindert werden können, dass der Brand auf andere Öltanks und einen Güterzug mit brennbaren Flüssigkeiten übergreift. Auf dem Öldepot sollen über mehr als 5000 Tonnen Öl vorhanden gewesen sein, der in Brand gesetzt Öltank habe 1300 Tonnen Öl enthalten. Dadurch hätte eine Explosion verursacht werden können, die alles im Umkreis von einigen Kilometern zerstört hätte, also auch Schulen und Kirchen, Verwaltungsgebäude und Wohngebäude. Die Methode, mit Drohnen Sprengkörper abzuwerfen, sei typisch für Terrororganisationen wie den Islamischen Staat. Auch der Zeitpunkt, der 11.9., würde für Terrorabsichten der ukrainischen Regierung sprechen.

Der Angriff sei eine logische Fortsetzung der Zerstörung von Infrastruktur durch die ukrainische Armee. So seien in den letzten zwei Wochen fünf elektrische Anlagen zerstört worden, zwei hätten Kohlebergwerke versorgt. Wenn der Strom nicht schnell wieder hergestellt hätte werden können, hätte der Ausfall der Belüftung und der Wasserpumpen dazu führen können, dass Stollen aufgrund von Methankonzentration oder Überschwemmung einbrechen, was in den dicht bevölkerten Gebieten von Donezk Menschen gefährden kann. Der Beschuss ziviler Infrastruktur sei ein Kriegsverbrechen.

Man habe die OSZE aufgefordert, Beobachter zu schicken. Das sei aufgrund von Sicherheitsbedenken abgelehnt worden. Das sei typisch, in der letzten Zeit hätten die OSZE-Beobachter fast keine der schweren Waffenstillstandsverletzungen seitens der Ukraine aufgenommen. So seien die Schäden durch Beschuss an Wohngebäuden in mehreren Städten und Dörfern nicht in die Berichte aufgenommen worden, auch nicht der Abwurf eines Sprengsatzes 50 Meter entfernt von OSZE- und UN-Beobachter am 10. August in Kominternovo.

Die Behauptungen beider Seiten muss man auch als Propaganda sehen, aber in diesem Fall spricht einiges dafür, dass die ukrainische Seite, wer immer das gewesen sein mag, einen Anschlag mit Drohnen auf die Infrastruktur der DPR ausgeführt hat, um diese zu schwächen, womit aber auch wie beim Beschuss von Wohngebäuden das Risiko in Kauf genommen wird, auch das Leben von Zivilisten zu gefährden. Wie weit die OSZE-Mission unparteiisch ist, ist schwierig zu beurteilen. Sie zählt Angriffe auf, sagt aber normalerweise nicht, wer für sie verantwortlich ist.

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