Ukraine will den ersten für Gräueltaten in Butscha verantwortlichen russischen Soldaten identifiziert haben

Ein Weißrusse soll für die Ermordung dieser Zivilisten in Butscha mitverantwortlich sein, behaupten investigative Journalisten, auf die sich die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft stützt.

Bei der Identifizierung hat eine ukrainische investigative Journalistengruppe mitgeholfen, die wahrscheinlich geschlampt hat, was die Generalstaatsanwaltschaft bislang nicht zu stören scheint.

 

Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft will schnell arbeiten, um die russischen Kriegsverbrechen während des Kriegs zu verfolgen und Schuldige zu identifizieren. Generalstaatsanwältin Irina Venediktova versprach gestern erneut, „jeden Kriegsverbrecher zu finden und zu bestrafen“. Straflosigkeit dürfe es in der heutigen Welt nicht geben, sagte sie bei der Vorstellung der Ermittlungsergebnisse in Irpen, wo 290 Leichen gefunden wurden. Vorgeworfen wird den russischen Soldaten nun auch, Frauen und Männer und Kinder vergewaltigt zu haben, so Pramila Patten, UN-Berichterstatterin für sexuelle Gewalt. Ansonsten ist man vor allem mit der Jagd nach Kollaborateuren beschäftigt. Ebenso schnell will das zuständige Ermittlungskomitee der Russischen Föderation sein, das natürlich nicht russische, sondern ukrainische Kriegsverbrechen verfolgt.

Putin hat in einem Telefongespräch mit Macron kritisiert, so die Kreml-Darstellung, „dass die EU-Mitgliedsstaaten die von ukrainischen Streitkräften begangenen Verbrechen und das massive Bombardement auf Dörfer und Städte im Donbass, das friedliche Zivilisten tötet“. Vorbild will man aber auch nicht sein, Verbrechen der eigenen Truppen zu verfolgen, da das die Moral und die angeblich niedrige Kampfbereitschaft noch einmal senken könnte. Das gilt natürlich auch für die ukrainische Seite. Spiegelverkehrt einseitig ist auch die Auflistung der getöteten Gegner und vernichteten Waffensysteme, die eigenen werden verheimlicht.

Auf Facebook berichtete die Generalstaatsanwaltschaft, man habe mit Sergei Kolotsei den ersten Verdächtigen identifiziert, der in Butscha des Mordes und der Folter an Zivilisten beschuldigt werden. Er habe der Nationalgarde angehört und mit weiteren russischen Soldaten am 18. März mindestens vier Zivilisten erschossen, die in Butscha aufgereiht am Straßenrand neben Baumaterialien gefunden wurden. Sie sollen dort bis Anfang April gelegen haben, als die russischen Truppen abgezogen waren. Ob sie wirklich dort getötet wurden, ist ungeklärt. Es war eines der bekanntesten Bilder von den Gräueln, die in den Medien zirkulierten. Die Toten sollen Folterspuren aufweisen und mit Händen auf den Rücken gefesselt gefunden worden sein, so die Pressemitteilung. Allerdings sieht man auf dem Foto nur einen Mann, dessen Hände auf dem Rücken gefesselt waren, seltsamerweise trägt er noch – wie einige andere in Butscha Getöteten – eine weiße Armbinde, was eher darauf hinweisen dürfte, dass er sich zumindest als prorussisch zeigte.

Am 29. März soll er einen weiteren Mann gezwungen haben, „subversive Aktivitäten gegen die russische Armee zu gestehen“. Er habe den Mann mit dem Kolben eines Maschinengewehrs auf Arme und Beine geschlagen, ihn zudem gezwungen, an einer Leiche zu riechen, und in der Nähe seines Ohrs geschossen haben, um eine Hinrichtung vorzutäuschen.

Soweit die Anschuldigungen, die allerdings nicht belegt wurden. Hilfe zur Identifizierung hat die Journalistengruppe Slidstvo.info  geleitet. Sie wurde 2014 als investigatives Projekt zur Aufklärung von Kriminalität und Korruption gegründet und hat mittlerweile offensichtliche eine ähnliche Funktion wie Bellingcat.  So gibt man beispielsweise Kurse für Staatsanwälte, wie man russische Soldaten in sozialen Netzwerken wie Vkontakte, Telegram oder Instagram sucht und identifiziert oder wie man Kriegsverbrecher und ihren Aufenthaltsort anhand von Fotos erkennt.

Generalstaatsanwaltschaft und Slidstvo hatten einige Tage zuvor angeblich 10 russische Soldaten der 64. Brigade identifiziert, die beschuldigt werden, Zivilisten als Geiseln genommen, sie gefesselt, geschlagen und mit Mord bedroht zu haben, um Informationen, über ukrainische Truppen und Einheiten der Territorialverteidigung zu erhalten. Putin ehrte ausgerechnet diese Brigade wegen ihres Heroismus und ihrer Tapferkeit, die man im Westen Schlächter von Butscha nennt, und verlegte sie in den Donbass. Im Westen wird von manchen gemutmaßt, Putin wolle, dass sie im Kampf vernichtet werden, damit sie nicht mehr über begangene Kriegsverbrechen aussagen können.

Und so wollen die investigativen Journalisten im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft den Weißrussen anhand eines Videos offenbar einer Überwachungskamera in einer belarussischen Post, das sein Gesicht zeigt, und anderen Daten erkannt haben, wie sie schreiben. In der Post soll er mit anderen Soldaten die von ihnen geplünderten Gegenstände nach Russland geschickt haben, Kolocey auch einen Kofferraumdeckel. Der Weißrusse soll sich mit Kampfkunst beschäftigt haben und irgendwann nach Moskau gezogen sein.

Slidvsto verweist auf „Quellen“  in Strafverfolgungsbehörden, nach denen Kolocey in der Nationalgarde ist, mit der er in die Ukraine einmarschiert war: „Er befehligte eine der Einheiten der russischen Besatzer, die in Bucha einen Völkermord verübten. Einige Zivilisten wurden gefangen genommen und gefoltert, andere auf offener Straße erschossen.“ Es gebe Zeugen für den Mord, einer soll sogar ein Video davon gemacht haben, wie einer der Soldaten seine Hand mit der Waffe hebt und dann ein Schuss zu hören sei.

Das kann man alles glauben oder auch nicht. Der Beweis basiert vor allem darauf, dass das Gesicht des Mannes auf dem Video dem von Kolocey auf einem Foto gleicht. Die sind ähnlich, aber das reicht für eine Identifizierung nicht aus, die gerichtsfest sein soll. Die Generalstaatsanwaltschaft scheint sich sicher zu sein und geht davon aus, dass er auch an anderen Verbrechen beteiligt sein könnte. Wer ihn erkennen und Beweise für seine Beteiligung an anderen Gräueltaten hat, solle diese auf der Website  https://warcrimes.gov.ua/ einreichen. Man werde ihn auf die internationale Fahnungsliste setzen.

Möglicherweise war dies aber kein geglückter Einstieg in die strafrechtliche Ermittlung von russischen Soldaten, die für die Gräueltaten verantwortlich gemacht werden sollen. Der verdächtigte Kolocey hat sich inzwischen gemeldet und die Beschuldigung gegen ihn als Verleumdung bezeichnet. Auf Instagram schrieb er, es sei ihm etwas Unmögliches passiert, nämlich dass ukrainische Journalisten behaupten, er habe etwas mit den Vorkommnissen in Butscha zu tun:

„Ich möchte meinerseits all denen, die jetzt versuchen, diese Informationen gegen mich und meine Familie zu verwenden, sagen, dass ich damit nichts zu tun habe … Ich habe die Republik Belarus seit über 2 Jahren nicht mehr verlassen! Sie haben mich zu einem Kriegsverbrecher gemacht, obwohl ich nichts mit den Streitkräften zu tun habe, da ich nicht einmal in der Armee gedient habe!!!! Was den Kofferraumdeckel betrifft, den ich verschickt habe, so habe ich ihn tatsächlich von der belarussischen Post nach Russland an einen Fremden geschickt! Dies ist eine Abdeckung meines Autos, dessen Verkaufsanzeige noch vor den Ereignissen in Butscha veröffentlicht wurde!!!“

Das ukrainische Online-Magazin Strana berichtete sogar darüber und verwies auf das belarussische  oppositionelle Online-Magazin Zerkalo, das in Belarus blockiert wird und das auch die Identifizierung weitergegeben hatte. Dort hat man sich weiter damit beschäftigt und schreibt: „Nach der Veröffentlichung auf unserer Website haben sich viele Bekannte von Sergey bei uns gemeldet und uns die Details mitgeteilt. Es scheint, dass er nichts mit den Ereignissen in Butscha zu tun hat und die ukrainischen Ermittlungen möglicherweise einen Fehler bei der Identifizierung gemacht haben.“

Offenbar war Kolocey, der sich tatsächlich mit Kampfsport beschäftigt,  tatsächlich in diesem Kurierdienst in seiner Heimatstadt Mazyr und verschickte dort seinen Kofferraumdeckel an einen Käufer in Russland, während russische Soldaten möglicherweise Geplündertes nach Russland versendeten. Auf dem Video sei er tatsächlich zu erkennen. Aber er habe nach Bekannten, Freunden, Nachbarn und Verwandten sei ganzes Leben in der Stadt verbracht, sei auch während des Kriegs dort gewesen, habe weder in der belarussichen noch in der russischen Armee gedient, sei auch nicht in der russischen Nationalgarde und arbeite seit fünf Jahren als Ingenieur in der Mozyr-Ölraffinerie.

Zerkalo ist vermutlich zu trauen, was bedeuten würde, dass ukrainische Generalstaatsanwaltschaft  in ihrem Eifer, schnell Ermittlungserfolge präsentieren zu können, statt auf forensische Beweismittelsicherung zu sehr auf die investigativen Journalisten gesetzt hat, die mal schnell, wie das auch gerne Bellingcat macht, Funde im Internet kombiniert, um Beweise zu konstruieren, die vielleicht plausibel aussehen, aber in die Irre führen können. Möglicherweise trübt das aus ukrainischer Sicht verständliche Bemühen, ausschließlich russische Verdächtige für alles Schlimme in Butscha zu finden, auch die Ermittlungen. Es könnten nicht nur russische Soldaten Kriegsverbrechen begangen haben, sondern auch Angehörige der Milizen, die nach dem Abzug der Russen die Stadt „säuberten“, worauf die Toten mit den weißen Armbinden hinweisen könnten. Im Krieg fallen die Hemmungen, in der Regel auf beiden Seiten.

Ähnliche Beiträge:

7 Kommentare

  1. Ist das ein Scherz, der 1. April ist doch schon lange vorbei? Da gibt jemand ein Paket auf und wird zum Mörder erklärt? Sieht das Recht in der Ukraine so aus?

  2. Heute kam auch eine Meldung, dass Russen nicht nur Frauen vergewaltigt haben, sondern auch Männer und Kinder. Sie hätten auch Kühlschränke aus der Ukraine nach Hause mitgenommen, wahrscheinlich auch Fotoapparate, teure Autos, Schmuck und Devisen, Porzellan und Designerjeans…
    Und jetzt hat man einen abscheulichen Mörder gefunden, der alles böse angerichtet hat. Wahrlich ein heruntergekommenes Volk ohne Kultur, diese Russen! Wenn man an all die Musikwerke und die Schriftsteller, an die Kultur überhaupt denkt- kommt sie doch ausschliesslich aus der Ukraine, wie die Klitschkos.

  3. Weissrussen? Die gibt es doch gar nicht, es müsste dann ja auch ein Land geben, dass Weissrussland heißt! Wo soll denn das sein?

    Reine Fake-News.

  4. Hauptsache man kann Erfolge von der Front in die Heimat vermelden….
    diese müssen ja nicht stimmen, nur zu Hause geglaubt werden.

    So sind sie, unsere „guten“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert