USA: Politische Blasenbildung von Bundesstaaten bis in die Stadtviertel

Rot: Republikaner, Blau: Demokraten. Segregation in NewYork-Newark-JerseyCity. Bild: Ryan Enos and Jacob Brown

Wissenschaftler zeigen auf, dass Anhänger der Demokraten und der Republikaner sich an ihren Wohnorten kaum noch begegnen. Die politische Homogenisierung ist hoch, was die Zerrissenheit zementiert

 

Die USA sind ein tief gespaltenes Land. Das zeigt sich bin hinein in Entscheidungen, wo Demokraten und Republikaner wohnen. Hinter der ideologischen Gespaltenheit steckt auch das überkommene Zweiparteiensystem, das ein Auseinanderdriften der politischen Orientierung in schwarz und weiß, gut und böse, wir und die begünstigt und am Leben erhält, weil die Grauzonen verschwinden und Wagenburgen übrig bleiben. Ein Denken übrigens, das nun auch in den Nato-Ländern vermehrt einzieht, wo man den öffentlichen Diskurs von Informationswaffen (weaponized information) bedroht sieht und meint die wehrlosen Köpfe der Bürger vor Desinformation, Beeinflussungskampagnen oder „Informationswäsche“ schützen zu müssen, und es keine Diskussion, sondern nur noch Positionierungen als Freund oder Feind gibt.

 

Eine in Nature veröffentlichte Studie von  Jacob R. Brown und Ryan D. Enos hat nun deutlich gemacht, wie segregiert die USA als Land geworden sind. Nicht nur häufen sich republikanische Wähler im ländlichen Amerika sowie in den südlichen und mittleren Bundesstaaten und demokratische in den Städten und im Nordosten und an der Westküste. Die Trennungen lassen sich auch auf der Ebene der Landkreise und der Städte – und sogar innerhalb der Städte wiederfinden. Überall sieht man Blasen, in denen fast nur Republikaner oder Demokraten wohnen. Die politische Gesinnung scheint sich geografisch in Zonen der Lebenswelt niederzuschlagen, wie man es sonst nur zwischen befeindeten Volksgruppen oder Religionsgemeinschaften kennt. Trotz oder gerade vielleicht wegen des grenzüberschreitenden Internet findet zunehmend eine Balkanisierung oder Homogenisierung statt. Man treibt sich virtuelle und vielleicht touristisch und geschäftlich auf der ganzen Welt herum, lebt jedoch strikt unter ideologisch-politisch Seinesgleichen und vermeidet den Kontakt mit Andersdenkenden.

 

Das reicht viel tiefer als Cancel Culture. Denn im Alltagsleben sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein demokratischer Wähler einem Anhänger der Republikaner begegnet. Und es ist wenig verwunderlich, dass nach den Wissenschaftlern diese Segregation im letzten Jahrzehnt unter kräftiger Mitwirkung von Donald Trumps Anhängern und den demokratischen Wählern weiter zugenommen hat.

 

Die Harvard-Wissenschaftler haben mit der Hilfe von öffentlich zugänglichen Informationen wie demografischen Daten, Wählerregistrierung oder Teilnahme an den Primaries der Parteien für die 180 Millionen registrierten Wähler abgeschätzt, wo demokratische und republikanische Wähler leben. Bei der Registrierung geben die Amerikaner in 30 Bundesstaaten und DC nicht nur ihre Adresse an, sondern auch, welcher Partei sie anhängen. Ob sie die wirklich wählen, ist eine andere Frage, aber dass das überhaupt abgefragt wird, ist schon seltsam. Es gibt natürlich Amerikaner, die sich nicht als Demokraten oder Republikaner eintragen. Die Wissenschaftler versuchten dennoch, sie einer der beiden Parteien zuzuordnen, je nachdem wo sie an den Primaries teilgenommen. Wer sich für eine andere Partei eingetragen hat, wurde je nachdem, wie rechts oder links sie ist, den Demokraten oder Republikanern zugeschlagen.

Bei den einzelnen Menschen wurde geschaut, welche tausend Personen mit welcher Parteipräferenz in ihrer nächsten Umgebung leben. Teilweise fanden sie eine extreme Isolation. Beispielsweise für 10 Prozent Demokraten in hochverdichteten Städten, die mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent nur ihresgleichen in der Nachbarschaft treffen werden. Bei den Republikanern in ländlichen Gebieten sei das ähnlich. Selbst wenn Demokraten und Republikaner im selben Stadtviertel wohnen, findet sich eine parteipolitische Segregation. Mit einer Umfrage wurde die Zuordnung zumindest mit einer Trefferquote von 77 Prozent bestätigt.

Bild: Ryan Enos and Jacob Brown

Die Wissenschaftler sagen, dass die parteipolitische Isolation oder Homogenisierung wichtige Folgen habe. So werde die Parteizugehörigkeit in den USA als soziale Identität ähnlich wie ethnische oder religiöse Zugehörigkeit betrachtet. Das habe Auswirkungen auf Einstellungen und Verhaltensweisen, die über die Politik hinausreichen, aber verstärke vermutlich den ideologischen Extremismus. Schon kleine räumliche Verdichtungen könnten zu extremen Spaltungen führen.

 

Es sei aber irrig anzunehmen, dass die Menschen ihre Wohnorte nach Parteizugehörigkeit aussuchen würden, die Aufspaltung erfolge etwa nach Bildung oder Schicht und damit auch nach Einkommen. Weiße mit Hochschulabschluss neigen etwa zu den Demokraten, wenige Gebildete zu den Republikanern. Schwarze wählen eher Demokraten und sind auch segregiert. Aber auch der Lebensstil kann entscheidend sein. Wer das Stadtleben schätzt, ist eher Demokrat, wer große Häuser und  das Landleben schätzt, ist eher Republikaner. Demokraten in Städten finden sich eher in Wohnungen, Republikaner eher in Einfamilienhäusern. Für einen Median-Demokraten beträgt die Wahrscheinlichkeit, in ihrer Wohnumgebung einem Republikaner zu begegnen etwa 30 Prozent, umgekehrt sind es etwa 36 Prozent. 10 Prozent der Demokraten leben in einer Umgebung, wo sie praktisch keinem Republikaner begegnen. Und eine Mehrheit der Demokraten und Republikaner weisen einen Isolationsgrad von über 60 Prozent auf, was in Stadtvierteln als hoch gilt, wenn es etwa um die Segregation von Weißen und Schwarzen geht.  Karten von Städten, auf denen sich sehen lässt, wie die Segregation durchschlägt, finden sich auf der Website von Ryan Enos.

„Ich lebe in Harvard Square und glaube, dass wir als in einem hochverdichteten Stadtteil lebende Demokraten der Überzeugung sind, dass wir umgeben sind von Verschiedenheit. Das sind wir in gewisser Weise auch“, sagt Ryan Enos. „Aber wir leben in wirklich homogenen politischen Stadtvierteln, und es ist wichtig, darüber nachzudenken, welche Folgen diese für unsere Weltsicht hat.

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