Verschwörungstheorie wird für Rechtsextreme zum Ausweis, „jenseits der Gesellschaft“ zu sein

Ellen Kositza. Bild: Scrennshot von YouTube-Video

Im Kampf um die Köpfe nutzen die Rechtsextremen und Völkischen, die sich als neue Avantgarde verstehen, das negative Label zur Selbststilisierung. Das sollte nachdenklich machen.

 

Jemanden als Verschwörungstheoretiker zu bezeichnen, ist spätestens seit 9/11 zum Instrument geworden, diesen als Teilnehmer am Diskurs zu diskreditieren. Das ist schon deshalb seltsam, weil nach 9/11 die Skepsis am verbreiteten Narrativ einer Verschwörung von Osama bin Laden und seiner einst mit US-Unterstützung geschaffenen islamistischen Organisation ansetzte. So standen sich eigentlich schon damals zwei Verschwörungstheorien gegenüber. Überdies ist Verschwörung im amerikanischen Recht eine geläufige Anklage, wenn es um Absprachen zu Verbrechen und Terroranschlägen geht.

 

Mittlerweile hat sich eine ganze staatlich geförderte Industrie mitsamt medialer Faktenchecks und akademischer Forschung herausgebildet, um Verschwörungstheorien zusammen mit Fake News und Desinformation durch feindliche Mächte oder Organisationen zu kennzeichnen und zu identifizieren. In der Regel wird hier nicht wirklich aufgeklärt, sondern es werden einseitig die oft tatsächlich paranoiden und verrückten Hirngespinste von geheimen Machenschaften irgendwelcher bösen Kräfte, die oft genug in Filmen und Büchern der Massenkultur vorbereitet wurden, zusammen mit skeptischen und systemkritischen Ansätzen dekonstruiert. Vermieden wird dabei systematisch eie Selbstreflexion, weil die Bösen oder Dummen schon immer ausgemacht sind. Heute wäre wahrscheinlich auch der Marxismus oder der Verblendungszusammenhang der Kritischen Theorie eine Verschwörungstheorie. Dazu müsste man auch den Marktliberalismus der „unsichtbaren Hand“ rechnen, der angeblich alles zum Guten macht. Aber der ist eigentlich eher als Religion einzustufen.

 

Wer von Verschwörungstheorien oder -erzählungen spricht, unterstellt oft selbst Verschwörungen von Populisten, Demagogen oder staatlichen Instanzen, die Geschehnisse gezielt anders darstellen, als sie wirklich sind. Dabei gerät dann die behauptete Wirklichkeit gerne zu einer Kette von Zufällen, als ob es nicht laufend auch Absprachen, Verbindungen, Interessen und gezielter Desinformation bzw. Halbwahrheiten von Regierungen, Parteien, Wirtschaftsverbänden und anderen gesellschaftlichen Organisationen gebe.

Ausgerechnet die eingerichteten oder geförderten Organisationen zur Verteidigung der angeblichen Wahrheit und zur Bekämpfung der Desinformation sehen einerseits nur gefährdete Gehirne, die geschützt werden müssen, und verführerische Machenschaften, die verschwörerisch destabilisieren wollen. Da passt zusammen, was zusammengehört. Aufklärung und Skepsis werden dabei gestutzt, was wenig verwunderlich ist, wenn man meint, auf der Seite der Wahrheit zu stehen. Philosophisch beginnt die Suche nach Wahrheit aber bei der Skepsis und dem Hinterfragen der herrschenden Meinung.  Das scheint man heute vergessen zu haben oder verdrängen zu wollen.

Nun gibt es freilich Verschwörungsannahmen. Man braucht kaum darüber streiten, ob der von WEF-Gründer Klaus Schwab ausgerufene Great Reset eine Verschwörung ist. Eine Verschwörung sollte sich in den Regel hinter verschlossenen Türen abspielen, der Great Reset wurde öffentlich im Rahmen des Weltwirtschaftsforums im Jahr der Pandemie verkündet und besteht letztlich aus Gedanken, wie man den Reichtum der Reichen und den Kapitalismus mit einem post-pandemischen Wirtschaftsaufbau sichern kann, der zu einem nachhaltigeren und etwas faireren System führt, um den zu erwartenden Crash zu vermeiden. Schwab hat mit Thierry Malleret zudem das Buch „COVID-19: Der Große Umbruch“ veröffentlicht und setzt darauf, dass die Reichen und Mächtigen, die zum WEF-Netzwerk gehören, die Ideen aufgreifen. Eine Verschwörung wäre denn auch, wenn die Zunahme an „extremer Armut, von Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten“ in der letzten Zeit den UN-Generalsekretär dazu brachte, einen Neuen Sozialvertrag zu fordern.

Die große „Umvolkung“ oder der Bevölkerungsaustausch ist hingegen eine typische Verschwörungstheorie, die im rechten und völkischen Spektrum Anklang findet und behauptet, dass Einwanderung gezielt von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, Regierungen und globalen Eliten betrieben wird, um die heimischen Bevölkerungen zur Minderheit zu machen oder zum Verschwinden zu bringen. Ich schau alle paar Monate mal in Sezession.de von Götz Kubitschek und seiner Frau Ellen Kositza („promovierte Philosophin und dreifache Mutter“), den angeblich maßgeblichen Intellektuellen der Identitären,  und stolperte über den Beitrag von Kositza über Verschwörungstheorien.

Ohne jede Begründung erklärt die promovierte Philosophin, die auch die neue Rechtschreibung ablehnt: „Daß wir tatsächlich kontrolliert, digitalisiert, genmanipuliert und transhumanistisch überholt werden, darf in meinen Augen als Tatsache gelten.“ Sie kann das mal so dahinsagen, weil sie als selbsternannte Sprecherin einer rechtsnationalen, völkischen oder identitären Bewegung Teil der alternativen Avantgarde ist: „Wir Leute ‚jenseits der Gesellschaft‘ sind doch deshalb die selbsternannte Wahrnehmungselite, weil wir nicht dazugehören.“

Kositza hat Recht, viele systemkritische Verschwörungsgläubige bilden thematische Cluster aus: „Wer z.B. die Klimawandelpolitik anzweifelt, steht auch der Gender-, der „Antifaschismus“- und Einwanderungsideologie kritisch gegenüber. Genauso verhält es sich bei Kritik an Schulmedizin, Geldsystem, BRD-GmbH, der offiziösen 9/11-Version, Gen- und Nanotechnologie und Depopulationsplänen. Gemeinsam ist beiden Clustern, daß sie exakt entlang der von uns beschriebenen Bruchlinie ‚Vertrauen oder Mißtrauen in die Massenmedien‘ gebildet werden.“ Ob die beiden Cluster unterschiedlich sind, muss offen bleiben. Wichtig scheint das Misstrauen in die Massenmedien zu sein. Nicht unverständlich, wenn frau in einem alternativen Medium schreibt, das um Anerkennung und um Geld ringt. Und auch deswegen, weil wir fast alles, was wir über die Welt erfahren, aus Medien erfahren.

Bei aller hippen Elitenkritik ist frau doch gerne Elite, etwas Besonderes, ganz vorne gewissermaßen im Abseits dabei, aber mit Blick darauf, Herrschaftselite zu werden, was dann wohl mit dem Verlust der „sehr sensibel“ eingestellten Antennen einherginge, mit denen „wir seismographisch das Erdbeben als erste mitkriegen und seinen Verlauf protokollieren“. Man ist zwar als Sensibelchen nicht gefeit vor Paranoia und Irrtümern, aber wer ganz vorne neue Wege betritt, gerät auch halt mal auf den Holzweg, während die anderen dummen Schafe nur die ausgetretenen Wege mit Scheuklappen abtraben und von den Erdbeben, auf die auch QAnon und andere Adventisten warten.

 

Die sich selbst narzisstisch zugeschriebene Vorreiterrolle als aufmerksame Elite jenseits der Gesellschaft hat mich ins Stocken gebracht. Wer will für sich so etwas schon sehr unbescheiden in Anspruch nehmen? Kositza macht es zwar nicht, auf Sezession.de ist es auch nicht zu finden, beansprucht wird aber, nicht reißerisch und populistisch Bedrohungsszenarien zu verbreiten, sondern diese genauer „herauszuarbeiten“ und sich an „vorsichtiges Nachdenken und Für-möglich-Halten“ zu orientieren. Genau das aber bleibt eine Leerstelle, die nicht mal andeutungsweise gefüllt wird.

Letztlich werden von ihr nicht nur Verschwörungstheorien vertreten – alles, was neu ist (digitalisiert, genmanipuliert und transhumanistisch), ist verdächtig -, das scheint auch als Rezept zu gelten, rückwärts gewandete Avantgarde spielen zu können. Man schürt Angst, ist skeptisch, hält am Vergangenen fest, igelt sich im vermeintlichen Volk ein, eine komische Avantgarde. Natürlich hat sie recht, andere der Verschwörungstheorie zu bezichtigen, sei eine „Schmähvokabel“ geworden, aber dann kommt auch gleich der Schwenk: „mit der sich trefflich wissenschaftsprahlen läßt. Wissenschaftsprahlerei ist die neue Tugendprahlerei.“ Die promovierte Philosophin wischt nebenbei auch mal schnell den Verweis auf Wissenschaft weg. Damit will sie wohl nichts zu tun haben.

Aus der rechtsextremistischen Sicht wird hingegen das Wort „Verschwörungstheorie“ vereinnahmt, da ist man sicher, nicht Mainstream, sondern „jenseits der Gesellschaft“ zu sein: „‚Verschwörungstheoretiker‘ sind die neuen ‚Rechtsextremisten‘.“ Es geht also darum, das Negativlabel für sich provokativ zu nutzen, schließlich sind Verschwörungstheoretiker subversiv und legen „den Finger in die klaffende Lücke“. Im alternativen Mainstream wird halt auch der Misstrauische kultiviert, das Dagegen und Abseitige zum Kult, da fragt man nicht viel nach, Hauptsache man wird verfolgt. Und es scheint auf das „persönliche Vertrauen“ anzukommen, nicht auf die Kraft von Argumenten und Fakten, sondern auf die Blase, in der man steckt.

Und nebenbei: Verschwörungstheorien sind, egal wer sie erzählt, einfach die schöneren Geschichten: konsistent, einfach, mit richtigen Schuldigen und einer Wahrheit, die an den Tag kommt. Davon kann man in der Grauzone des richtigen Lebens oft nur träumen. Dazu siehe auch das Gespräch von mir im Digitalen Salon des ZKM mit Nicola Gess über Halbwahrheiten und den Fiktionscheck.

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