Weltweit größtes Experiment zur Verkürzung der Arbeitszeit in Island mit verblüffendem Erfolg

Bild: u_h0yvbj97/Pixabay.com

 Wird nun die Tür zur Arbeitszeitverkürzung in Europa geöffnet?

 

Auf Druck der Gewerkschaften und zivilgesellschaftlicher Gruppen hatten der Stadtrat von Reykjavík und die isländische Regierung 2015 das weltweit größte Experiment zur Arbeitszeitverkürzung gestartet. Vier Jahre lang haben 2.500 Beschäftigte aus über 100 Unternehmen statt 40 im Schnitt nur 35 oder 36 Stunden in der Woche gearbeitet und das bei vollem Lohn.

Die nun vorliegende Studie zeigt, dass der Versuch einer Arbeitszeitverkürzung im Öffentlichen Dienst ein überwältigender Erfolg war und dass der Öffentliche Sektor ein Vorreiter bei kürzeren Arbeitswochen sein kann.

Der Versuch war so erfolgreich, dass nun generell die Arbeitszeitregelungen in Island geändert wurden, jetzt haben 86 Prozent der dortigen Beschäftigten eine Arbeitszeitverkürzung oder die Möglichkeit dazu bekommen.

Das isländische Beispiel kann dazu dienen, eine gute Vorlage für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern zu geben oder den dortigen Bemühungen kräftigen Aufwind zu verschaffen.

In die Wege geleitet wurden die Versuche zur Arbeitszeitverkürzung von der Stadt Reykjavík und der isländischen Regierung, die wissenschaftliche Begleitung übernahmen der britische Thinktank Autonomy und die isländische Gesellschaft für nachhaltige Demokratie.

An dem Experiment, das von 2015 bis 2019 in Island durchgeführt wurde, nahmen insgesamt über 2.500 Beschäftigte teil. Die Wochenarbeitszeit wurde bei den meisten von 40 Wochenstunden auf 35 oder 36 Stunden reduziert. Neben den klassischen „Nine-to-five-Jobs“ (Arbeitsplätze mit der Regelarbeitszeit von 9 bis 17.00 Uhr) wurden auch die Menschen in den Schichtdiensten in das Projekt integriert. Die Arbeitszeitverkürzung wurde nicht nur in Büros, sondern auch in Kindergärten, sozialen Einrichtungen, Krankenhäusern und Servicezentren der Stadtverwaltung durchgeführt. Die Regierung und die Stadtverwaltung mussten auch keine zusätzlichen Gelder aufbringen, da der Versuch kostenneutral war.

Von den Voraussetzungen her war der Versuch in Island gar nicht mal so optimal. Das Land galt als Paradebeispiel für lange Arbeitszeiten, mit all den bekannten Auswirkungen wie Burnout und wenig Zeit für Freizeitaktivitäten oder die Familie. In einer Statistik der OECD gehörte Island noch 2018 zu den 10 Ländern, in denen die Beschäftigten am längsten arbeiten.

Ergebnisse des Experiments

Die isländische Non-Profit-Organisation Alda (Association for Democracy and Sustainability) hat nun gemeinsam mit dem britischen Thinkthank Autonomy das Experiment ausgewertet und die Ergebnisse vorgestellt. Selbst die Forscher sind von den Ergebnissen begeistert, sie meinen sogar, dass „die isländische Reise zur kürzeren Arbeitswoche uns zeigt, dass es nicht nur möglich ist, in der heutigen Zeit weniger zu arbeiten, sondern dass auch ein progressiver Wandel machbar ist“.

Die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn führte in Island dazu, dass

  •     es eine verbesserte Work-Life-Balance (ausgewogene Gleichheit von Beruf und Privatleben) gab, sich das Wohlbefinden der Beschäftigten dramatisch verbesserte und auch das gesamte Gesundheitssystem entlastete.
  •     die Beschäftigten glücklicher, gesünder und produktiver waren und sich das Ganze wirtschaftlich rechnete.
  •     die Produktivität und Leistungserbringung der Teilnehmer des Versuchs bei verkürzter Arbeitszeit und gleichbleibender Bezahlung stabil blieb oder sich sogar erhöht hatte.
  •     die Arbeiten effizienter und konzentrierter ausgeführt wurden.
  •     es weniger Stress und ein geringeres Risiko für Burnout gab und psychische Störungen und lange Krankenstände sich verringerten.
  •     dort mehr Arbeitsplätze entstanden und auch die Arbeitszeit langfristig betrachtet reduziert wurde.
  •     durch optimierte Arbeitsabläufe und effizienter genutzte Arbeitszeiten neue Strategien entstanden, um in besserer Kooperation die Arbeit zu bewältigen.
  •     auch das Privatleben positiv von der verringerten Arbeitszeit beeinflusst wurde.
  •     den Studienteilnehmern mehr Zeit für private Verpflichtungen blieb, für sich selbst und ihre Familien. Sie fühlten sich glücklicher, hatten mehr Zeit für Erholung, Familie, Haushalt, Hobbys, freiwilliges Engagement oder Sport.
  •  und sogar die Unternehmen sich mit dem Modell anfreunden konnten. Das zeigte sich auch darin, dass Dienstverträge mit den isländischen Gewerkschaften neu ausgehandelt wurden.

Aufwind für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern

Immer mehr Länder werden offener für das Testen und Experimentieren mit kürzeren Arbeitszeiten. Spanien kündigte vor kurzem einen landesweiten Versuch, ähnlich wie in Island, mit einer 4-Tage-Woche an. Bis zu 6.000 Beschäftigte werden über einen Zeitraum von drei Jahren daran teilnehmen. In einigen Unternehmen soll jetzt schon direkt auf eine kürzere Arbeitswoche umgestellt werden.

Betriebe in Neuseeland und Ost-Tirol haben ihre erfolgreichen Versuche öffentlich gemacht. Selbst im überfleißigen Japan werden Unternehmen neuerdings aufgerufen, eine 4-Tage-Woche anzudenken. Auch Irland sympathisiert mit einer sechsmonatigen Testphase. In dieser Zeit soll die Umsetzbarkeit einer generellen 4-Tage-Woche überprüft werden.

In Österreich, wo es seit 46 Jahren keine Arbeitszeitverkürzung mehr gegeben hat, will die SPÖ auf den Zug der 4-Tage-Woche aufspringen, wenn auch nur aus Sorge, dass sich sonst die Arbeitslosigkeit und der Fachkräftemangel verschärfen.

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich als Einstieg in eine Umorganisation der gesellschaftlichen Arbeit

Die Ergebnisse des Versuchs in Island bestätigen auch wieder, dass es sich bei der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich um den Einstieg in eine Umorganisation der gesellschaftlichen Arbeit handelt – mit weitreichenden Folgen für die Organisation der sozialen und stofflichen Reproduktion der Gesellschaften.

Ein solches Projekt möchte sich die Ergebnisse der Produktivitätssteigerung der Arbeit nicht durch zusätzlichen Konsum, sondern in Form von mehr frei verfügbarer Zeit aneignen. Es verbindet damit die Beseitigung von Arbeitslosigkeit und der begleitenden Armut, sowie der aus beidem folgende derzeitige Desorientierung und Ohnmacht der Beschäftigten.

Eine Verkürzung der Arbeitszeit sollte vielmehr an das Eigentumsmonopol der Unternehmerseite kratzen, das auch Voraussetzung für die Konkurrenz der Beschäftigten untereinander und für die unbegrenzte Verfügung über deren Arbeitszeit und Mehrarbeit ist.

Notwendig wäre zunächst ein neuer Standard eines Normalarbeitsverhältnisses mit einem 7,5-Stundentag und einer 30-Stundenwoche bei einer 4-Tage-Woche.

Wie die Geschichte zeigt, kann man so etwas nur dann durchsetzen, wenn das Wirtschaftssystem von einer gut organisierten Arbeiterbewegung grundsätzlich in Frage gestellt wird.

Das isländische Beispiel kann eine gute Vorlage für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern geben oder den dortigen Bemühungen kräftigen Aufwind verschaffen.

Der Artikel von Laurenz Nurk ist zuerst auf Gewerkschaftsforum.de erschienen.

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Ein Kommentar

  1. Erstaunlich das der Artikel im „Gewerkschaftsforum.de“ erschienen ist. Meiner Meinung nach ist es ein Tiefschlag für die Gewerkschaften. Auch und gerade in Deutschland.
    Das allerbeste ist allerdings die Darstellung, es ging endlich mal nicht um Geld, es wurde der Mensch dargestellt und wie sein Wohlbefinden sich verbessert hat. Sicher hat es bei denen, die Publikumsverkehr arbeiten, auch Auswirkung für die Kunden.
    Gerade kann in Deutschland, bei dem Virus, gesehen werden wie das soziale mit Füßen getreten wird.
    Wobei ich denke ,wenn du mit „Freude“ oder entspannter zur Arbeit gehst die Leistung um 5 Stunden sinkt. Alleine die Meckereien, von denen ich denke das sie wegfallen.
    Obwohl ich Rentner bin war es eine Freude den Artikel zu lesen.

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