Gerechter, grüner, digitaler: Portugal hat die EU-Ratspräsidentschaft übernommen

Parlament in Lissabon. Bild: Ralf Streck

Der Blickwinkel wird sich nach Deutschland stark ändern, doch dem erfolgreichen Krisenmanager António Costa kann auch sein Ziel abgenommen werden, dass er Europa sozialer machen will.

Portugal hat den Fado, nicht weil das Land nun zum Jahreswechsel turnusgemäß für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, sondern das Land hat Staatstrauer angesetzt, weil der bedeutsame Fado-Sänger Carlos do Carmo im Alter von 81 Jahren verstorben ist. Doch die Schwermut könnte den portugiesischen Regierungschef António Costa angesichts der großen Herausforderungen noch übermannen, vor denen der Regierungschef des kleinen und armen Landes am südwestlichen Rand Europas steht.

„Es ist eine Ehre und eine enorme Verantwortung für Portugal, den Staffelstab von Deutschland und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu übernehmen“, twitterte der Sozialist und fasste in einem Satz die Zielsetzung zusammen. „Zeit zum Handeln: für eine gerechte, grüne und digitale Erholung.“  Zwar ist Portugal durch ein vernünftiges Handeln seiner Bevölkerung, gepaart mit einer vernünftigen Politik durch fast alle politischen Lager, vergleichsweise gut durch die erste und zweite Welle der Corona-Krise gekommen, trotz allem wurde auch das arme Land und seine Bevölkerung schwer ökonomisch und sozial getroffen.

Deshalb ist für Costa klar, dass die Corona-Krise ganz oben auf seiner Agenda stehen muss. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es keine Wiederherstellung des Binnenmarktes geben wird, solange auf EU-Ebene keine umfassende Immunisierung erreicht wird“, erklärte Costa im Interview kurz vor der Übergabe des Staffelstabs. Er spricht von einem „gemeinsamen Wettlauf“, damit alle in Europa gemeinsam über die Ziellinie laufen und eine wirtschaftliche Erholung erreichen kann.

Die „Geringonça-Regierung“

Wenn Costa erklärt, dass er Europa nicht nur digitaler, sondern auch sozialer machen will, dann handelt es sich nicht um die üblichen Sprechblasen, die man von Politikern gewohnt ist. Er hat in mehr als fünf Jahren an der Regierung gezeigt, dass für ihn „Sozialpolitik fundamental ist“, um den „Menschen Vertrauen zu geben“.

Als Costa, gestützt von zwei linksradikalen Parteien, die Regierung von den Konservativen übernahm, befand sich das Land unter dem EU-Rettungsschirm und war über Austeritätsprogramme in die Misere gedrückt. Gedrängt vom Linksblock (BE) und den Kommunisten (PCP) kündigte Costa den Austeritätskurs auf, allerdings nicht mit einem harten Schnitt, sondern behutsam.

Er wollte keine harte Konfrontation mit Brüssel und Deutschland, die das kleine Land nicht hätte gewinnen können. Die „Geringonça-Regierung“, also die unbegreifliche Regierung, bei der sich drei Partner zusammengerauft haben, die sich über Jahrzehnte spinnefeind waren, zeigte sich auf vielen Ebenen sehr erfolgreich. Es wurden massiv Arbeitsplätze geschaffen, Löhne und Renten erhöht, gestrichene Sozialleistungen zurückgegeben und neue geschaffen. Dabei wurde das einst enorme Haushaltsdefizit langsam zunächst in einen Primärüberschuss und dann 2019 in einen Haushaltsüberschuss verwandelt. Sozialpolitik ist für Costa auch ein Mittel, um auch die in Portugal aufstrebenden Rechtsradikalen zu bekämpfen.

Er will das Vertrauen in das europäische Sozialmodell stärken und auf einem Sozialgipfel konkrete Maßnahmen angesichts einer um sich greifenden Misere beschließen. Einsetzen will er dafür den sogenannten „Wiederaufbaufonds“ im Umfang von 750 Milliarden, aus dem Portugal mit 26 Milliarden Euro bedacht werden soll, der größere Teil als Zuschuss, nur der kleinere als neue Kredite. Mit Costa haben die schwächeren Länder einen Fürsprecher beim Einsatz der Mittel.

Auch Bildung ist Sozialpolitik

Seine Regierung hatte im eigenen Land schon erfolgreich diverse Maßnahmen umgesetzt, die Costa nun auch als Zielvorgaben für die EU formuliert. Niemanden in der Krise zurückzulassen, Bildung und digitalen Wandel voranzutreiben und entscheidende Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, sind für ihn besonders wichtig. Und eine demokratische Digitalisierung kann es zudem nur durch über verbesserte Bildungssysteme geben. Dass das heutzutage auch Sozialpolitik ist, hat der Sozialist begriffen. Zwar hat Portugal inzwischen nur noch wenige Analphabeten, doch auf digitaler Ebene gibt es sie dort genauso in Massen wie in der gesamten EU.

Glasfaser bis in die hinteresten Ecken, wie hier in Mirando do Douro. Bild: Ralf Streck

Und die gilt es für den Sozialisten abzubauen. Zwar können sich viele EU-Bürger – müssen es bisweilen sogar schon oft – über Apps und Onlineportale mit Behörden in Verbindung setzen, aber vergessen wurde dabei mitunter, dass es in diesem Europa noch immer viele Familien gibt, in deren Wohnung kein Computer steht oder er zu diesem Zweck nicht vernünftig bedient werden kann. Allerdings kann Portugal auch bei der Digitalisierung schon auf einige Erfolge zurückblicken. Bis in entlegenste Gebiete hat das Land schnelle Internetverbindungen gelegt. Vor drei Jahren wurde Portugal zum „Glasfaser-König“. Für mehr als 86% der Haushalte standen dort Glasfaseranschlüsse bereit, in Deutschland waren es nur 7%.  Doch was die Zahl der digitalen Analphabeten angeht, auch dabei steht auch dieses Land noch vor einer großen Herausforderung.

Bau von großem Pumpspeicherkraftwerk in Nordportugal. Bild: Ralf Streck

Beim Eintreten gegen den Klimawandel bläst Portugal nicht nur heiße Luft in Konferenzsäle, sondern steht mit Taten vorbildlich da. Der Ausbau erneuerbarer Energien schreitet voran. In regenreichen Jahren schafft das Land es, das über keine Atomkraftwerke verfügt, bisweilen schon 70 % des Stroms über erneuerbare Energien zu erzeugen. Von Januar bis November 2020 waren es fast 60 %.

Das Land hat auch beim Ausstieg aus der besonders schädlichen Kohle im vergangenen Jahr den Turbo zugeschaltet. Statt 2030 steigt Portugal 2021 aus der Kohle aus. Der portugiesische Energieversorger Energias de Portugal (EDP) will das Kohlekraftwerk Sines mit einer Kapazität von 1.192 Megawatt im Januar abschalten, das noch vor drei Jahren 18 % des Stroms produzierte und zu den größten CO2‑ Emittenten des Landes gehört.

Aber auch geopolitisch will Portugal punkten und zum Beispiel die Beziehungen zu Indien ausbauen. Europa brauche Partner, wenn es geopolitisch bedeutsam sein wolle. Hier steht als Herausforderung ein Handelsabkommen auf der Tagesordnung, über das die EU mit dem asiatischen Riesen verhandelt. Im Blick hat Portugal stets China, das seine Einflusszone auf der Welt immer weiter ausdehnt, besonders auch auf dem afrikanischen Kontinent. Hier will Portugal seine Beziehungen zu den ehemaligen Kolonien wie Angola und Mosambik nutzen, um die EU in Afrika besser in Stellung zu bringen. Costa will auch einen in Europa weitgehend unbekannten Konflikt in Mosambik auf die europäische Tagesordnung setzen. Im Norden des Landes befinden sich nach Angaben der UNO schon mehr als 500.000 Menschen auf der Flucht vor der Gewalt islamistischer Extremisten.

Costa weiß, dass er es als Chef eines kleinen Landes auf dem geopolitischen Parkett schwieriger hat, als das große und wirtschaftlich starke Deutschland und Merkel. Allerdings ist es für ihn mit dem Abgang von Donald Trump leichter geworden, die transatlantischen Beziehungen wieder zu stärken. Natürlich kommt Portugal am Brexit nicht vorbei, aber er ist nicht mit der Herkulesaufgabe eines harten Ausstiegs konfrontiert. Auch dabei dürften sein Verhandlungsgeschick und seine guten und freundlichen Verbindungen ins Königreich dazu beitragen, die Ausgestaltung des in letzter Minute noch erreichten Handelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU positiv zu beeinflussen.

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