„Keine Atempause – Geschichte wird gemacht – es geht voran“

Bild: Piqsels.com

Drei programmatische Elemente für ein progressives Bündnis zur Bundestagswahl.

Das Dilemma der Ungewissheit hält uns nach wie vor im Bann. Weder die Politik noch die Wissenschaft wissen zum jetzigen Zeitpunkt, ob, wann und wie der Covid-19-Virus überwunden, besiegt, eingedämmt werden kann. Wir fahren auf Sicht – alle. Wobei sich schleichend die Erkenntnis mehr und mehr durchsetzt, dass auch mit einem Impfstoff die Probleme nicht auf einen Schlag gelöst werden, denn das Problem liegt nicht nur an dieser Pandemie, sondern an der zerstörten Umwelt und dem Umgang mit den Naturverhältnissen.

Dennoch gibt es Erkenntnisse und Veränderungen, die an den bisherigen versteinerten Verhältnisse gerüttelt haben. Sie drohen nicht einzustürzen, aber Risse zeigen sich und nicht erst seit der Pandemie.  Diese Veränderungen machen vielleicht noch keine übergroßen Hoffnungen und wir wissen auch noch nicht, ob sie die Pandemie überleben. Sie  zeigen jedoch:  Es gibt sie – die Alternativen. Auf zynische Weise hat die Pandemie möglich gemacht, was vorher undenkbar schien:

Die „Schwarze Null“ ist zum jetzigen Zeitpunkt  gefallen.  Der Lockdown hat dem Klima eine Atempause erlaubt.  Es ist wie durch ein Wunder genügend Geld vorhanden, um Unternehmen zu retten, Arbeitsplätze zumindest mittelfristig zu schützen und sogar von einem Grünen New Deal für Europa zu träumen. Arbeit wird anders organisiert. Sie geht auch im Home-Office nicht aus, die Produktion und Distribution der Waren funktioniert irgendwie.

Das alles geschieht natürlich nicht aus reiner Menschenliebe. Es geht um das Überleben des Kapitalismus. Wer aber die Illusion hat, dass die neoliberalen Ideologen einlenken, täuscht sich. Nach der Krise werden die Messer gewetzt, erste Forderungen nach Lohnsenkung, Verlängerung der Arbeitszeiten, restriktiver Einwanderungspraxis schwirren schon durch die Medien.

Die von den progressiven Bewegungen und aufgeklärten Parteimitgliedern der progressiven Parteien geforderten radikalen Reformen sind gleichwohl präsent. Sie waren es schon vor der Pandemie. Die Widersprüche der europäischen und der deutschen Gesellschaft sind greifbar. Die solidarischen und humanen Unterstützungen der Flüchtlinge 2015, die Bewegungen gegen die Klima Krise wie „Fridays for Future“, Arbeitskämpfe gegen die Internet-Oligopole, Mietendeckel- und Enteignungsinitiativen, Rekommunalisierungsforderungen der öffentlicher Daseinsvorsorge. In Anlehnung an die Proteste der Spontis in den 70er und 80er Jahren könnte man festhalten: „Unter dem Pflaster liegt der Stein“.

Eine andere Mehrheit ist möglich

Die Bundestagswahl 2021 wird die Weichen stellen, in welche Richtung die Gesellschaft sich bewegt.  Es mag verwegen klingen. Aber angesichts der Diskussionen in den Parteien, der Bewegungen, der Gewerkschaften, den Verbänden und einem Teil der Zivilgesellschaft ist eine andere Mehrheit möglich.

Dabei geht es nicht um eine mathematische Addition von Grün-Rot-Rot, die irgendwie eine parlamentarische Mehrheit ergibt. Die Bundestagswahlen 2009 und 2013 dokumentieren, dass rechnerische Mehrheiten noch keine Koalitionen sind. Es braucht einen übergreifenden, in der Gesellschaft verankerten, radikalen sozial-ökologischen Reformansatz, auf den sich die drei progressiven Parteien verständigen könnten. So wäre   eine kulturelle Hegemonie vorstellbar. Dabei geht es um die substantielle Veränderung der Gesellschaft, Ökonomie und Kultur.

Es gibt drei übergreifende Reformansätze, die zusammen zu denken wären. Sie könnten in ihrer Dimension ein maßgeblicher Teil einer Transformationsstrategie sein.

Zukunft der Arbeitswelt und Arbeitszeitverkürzung

Die erste Herausforderung dreht sich um die Zukunft der Arbeitswelt in ihrer universellen Ausprägung, sozialen, ökologischen und kulturellen Vermittlung und Bedeutung. Mit einem Home-Office ist es nicht getan. Zumal auch hier Nachteile und Gefahren lauern. Mangelnde Organisationsmöglichkeiten der Lohnabhängigen, fehlende soziale Kontakte in den Betrieben, uferlose Arbeits-und Verfügungsmöglichkeiten sind schon in der Krise erkennbar geworden.

Die Digitalisierung wird statt zum Segen zum Fluch, wenn die Arbeitswelt so bleibt, wie sie ist. Die großen Industrien der fossilen Energieunternehmen, der Automobilindustrie und des Maschinenbaus werden radikal verändert. Wer meint, das ginge in den alten Verhältnissen, irrt. Wer glaubt, allein technologisch neue Berufsbilder würden den Wandel sichern, täuscht sich.

Wir brauchen eine radikale Arbeitszeitverkürzung der Lohnarbeit und zugleich einen erweiterten Begriff der bisherigen gesellschaftlichen Arbeit und Reproduktion und der damit verbundenen geschlechtlichen Arbeitsteilung. Die Fetischisierung der Lohnarbeit und ihrer industriellen Produktionsweise verhindert bisher die notwendigen kulturellen Transformationen. Viele Menschen spüren das. Sie erleben in der Pandemie -und das ist ein zwar ungewollter, aber erkennbarere Effekt-, dass es auch anders gegen könnte. Dass die freien Tätigkeiten, die schöpferischen und kreativen, die solidarischen Formen der Arbeit, ob in der Familie, Beziehungen, dem Verein, der Initiative, dem Ehrenamt usw. eine Bedeutung gewinnen, in der die Selbstzufriedenheit wachsen kann.

Die „alte Welt“ des ungehemmten quantitativen Wachstumes stößt nicht nur an die Grenzen der Naturressourcen. Es entsteht zeitgleich ein gesellschaftliches Bedürfnis nach einer neuen gleichwertigen Vielfalt der Arbeit und der freien Zeit.  In einer solchen Reform schlummert eine ungeheure Veränderungskraft. Sie würde eine Arbeitsteilung aufheben, die  schon vielen unbehaglich geworden ist.  Die strikte Trennung zwischen der bezahlten, meist männlichen Lohnarbeit, und der unbezahlten, meist weiblichen Heim- und Sorgearbeit, wirkt zunehmend anachronistisch.

Eine Teilung, die auf einer Produktions- und Lebensweise beruht, deren Versprechungen nicht (mehr) funktionieren. Einer Teilung, die verdrängt , was uns wichtiger sein sollte als die bloße Erwerbsarbeit: Beziehungs-, Bildungs- und Kulturarbeit, aber auch  Muße und Achtsamkeit.

Arbeitszeitverkürzung ist deshalb nicht bloß eine wirtschaftliche, auch nicht nur eine soziale Frage. Sie ist eine Demokratiefrage, in der es um die Beteiligung aller an den Entscheidungen über zukünftige Reformen geht. Für diese Beteiligung brauchen Menschen Zeitressourcen.

Mit einem Projekt der radikalen Arbeitszeitverkürzung können Gewerkschaften, Sozialverbände, Ökologische und Soziale Bewegungen gemeinsam mit den progressiven Kräften in den Parteien einen Horizont öffnen.

Renaissance des gesellschaftlichen und Solidarischen Eigentums

Die zweite übergreifende und unabdingbare Reformaufgabe besteht in der Renaissance des gesellschaftlichen und solidarischen Eigentums. Dazu gibt es bereits Ansätze und Kämpfe, seien es die um Re-Kommunalisierung der Energieversorgung oder der Mieten und Wohnungen. Was ist damit gemeint?

Zu einem Solidarischen Eigentum gehören die Gesundheitsfürsorge, die öffentliche Mobilität, das Grundrecht auf Wohnen, das Recht auf Energieversorgung, die kulturelle und soziale Teilhabe, das Recht auf umfassende Bildung. Würde dieses Solidarische Eigentum zu geringen Kosten oder gratis zur Verfügung gestellt, führte dies zu nachhaltigem sozialem, ökologischem und kulturellem Mehrwert.

Denn auch das hat die Pandemie gezeigt: Ohne solidarisches Eigentum kommt die Versorgung schnell an ihre Grenzen. Von Profit getriebene Privatisierungen der vergangenen Jahrzehnte haben eben nicht zu höherer Effektivität geführt. Sie hat die Kapitalbesitzer reich gemacht, indem sie die Bedürfnisse vernachlässigte und Konsumenten de facto aussperrte. Dabei ist bei der Renaissance allerdings Sorge dafür zu tragen, dass Eigentumsformen demokratisch in Kooperativen, Genossenschaften, Kommunen etc. geschaffen werden. Die Beteiligung von Interessen der Beschäftigten, der Verbraucher und Naturschutzverbände und der Kulturschaffenden wäre zu institutionalisieren.

In einer demokratischen Gesellschaft, in der diese Güter verfügbar, weil vergesellschaftlicht sind, würde der sinnlose Wachstumsfetischismus überflüssig. An Stelle der vorgeblichen Black-Box des Marktes treten reale Menschen und ihre Bedürfnisse. Der gewünschte Nebeneffekt ist, dass die stoffliche Produktion die Ressourcen der Natur schonen könnte.

Neuer Gesellschaftsvertrag

Das dritte Projekt bestünde darin, dass diese Politik einen universalistischen Ansatz verkörpert. Schon daher muss Zugang zur sozialen Infrastruktur  allen offen stehen, die hier leben. Eine soziale Infrastruktur, die ergänzt wird, indem jeder und jedem zumindest ein repressionsfreies Grundeinkommen zusteht. Eine Infrastruktur, die damit die Gleichheit aller auf die Freiheit jedes Einzelnen gründen kann. Darüber hinaus muss aber auch klar sein, dass dieser universale Ansatz einer Transformation nicht nur im reichen globalen Norden entschieden werden kann.

Bleibt die Frage „Wer soll das bezahlen – wer hat so viel Geld?“

Aber auch hier gäbe es Ansätze und Lösungen. Umverteilung der Ressourcen und damit soziale Gerechtigkeit sind Voraussetzungen für einen „neuen Gesellschaftsvertrag“. Nach 40 Jahren neoliberaler Umverteilung von unten nach oben sollte man eher von einer Rückverteilung sprechen. Dazu gehört eine progressive Einkommenssteuer, die alle Einkünfte aus Kapitalerträgen berücksichtigt. Eine Vermögens-und Erbschaftssteuer, die ihren Namen verdienen und zugleich arbeitendes Betriebsvermögen schonen. Eine Körperschaftssteuer, die Einnahmen garantiert und nicht weg definiert. Auf europäischer Ebene erfordert das Klimaprogramm, dass endlich eine Digitalsteuer für die Internet-Oligopole einheitlich durchgesetzt wird, dass Börsenderivate und Anleihen Spekulation besteuert werden.

Bei diesen Reformaufgaben wird es mit Sicherheit zu Klassenkämpfen kommen. Schon jetzt rüsten Neoliberale, die keineswegs so tot sind, wie manche meinen, und Konservative zum Gefecht.

Eine politische Linke und eine linke Zivilgesellschaft mit ihre Bewegungen werden dann eine Chance haben, wenn es gelingt, übergreifende Projekte, wie hier beschrieben, zu gemeinsamen Themen zu machen. Es geht um diese Unterschiede. Sind diese glasklar erkennbar, politisch zugespitzt in der Auseinandersetzung, ist diese Bundestagswahl noch nicht gelaufen. Auch wenn die Mainstream-Medienlandschaft das glauben machen will.

Geschichte wird gemacht.

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