Kevin ist nicht mehr allein zu Hause

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Homeoffice das Zaubermittel?

In den sechziger Jahren galt Heimarbeit als eine prekäre Beschäftigung. Man, vor allem Frauen,  verdiente sich ein paar Mark dazu. In der Regel mit stumpfsinniger Akkordarbeit wie Eintüten, Nähen oder ähnlichem.

In Zeiten der Pandemie kommt die Heimarbeit, heute moderner als Homeoffice gepriesen, zu neuen Ehren. Sieht man von den durchaus guten Gründen der Gesundheitsprävention ab, überrascht, wie sehr diese gar nicht so neue Form der Lohnarbeit bei Gewerkschaften, progressiven Parteien oder in der Zivilgesellschaft als neues Allheilmittel für unterschiedlichste Ziele gelobt wird.

Schon ist die Mobilitätswende zum Greifen nah. Die neue Flexibilität, die gewonnene Zeit, keine Pendlerei, mehr Autonomie, die Liste der vorgeblichen Vorteile erscheint endlos.

Da erscheint es nur konsequent, dass ein Recht auf Homeoffice inzwischen Gegenstand der politischen Debatten ist. Bisher konnte sich die Sozialdemokratie zwar nicht mit ihren Gesetzesvorschlägen durchsetzen, doch  scheint  dies eher eine Frage der Zeit zu sein.

Dabei gelte es doch, ein paar kritische Fragen zu stellen. Die Frage des Arbeitsortes hat eine lange Geschichte in der Epoche des Kapitalismus. Die brutale Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert, die das Proletariat in großen Metropolen in engen, unhygienischen Behausungen eben dieser Metropolen zusammenpferchte, damit der Weg in die Fabriken kurz und die Arbeitszeit lange sein konnte, zeugt davon. Ebenso die Ansätze verschiedener sozialer und ökologischer Reformbewegungen, die  arbeiten, wohnen und leben zusammenzuführen wollten. Die Flucht aufs Land, zurück in die Natur, fand dabei genauso ihre Anhänger, wie die modernen Open-Space-Räume im Silicon Valley heutzutage.

Zumeist wurde in den Debatten und Tendenzen allerdings die wichtigste Frage verdrängt: Wer bestimmt, was und wie gearbeitet wird? Der emanzipatorische Ansatz der sich durchaus hinter den verschiedenen Arbeitsmodellen verbarg, wurde aber selten wie in Kooperativen oder Genossenschaften zum tragenden Moment. Obwohl er für die lohnabhängig Beschäftigten der am Ende wichtigste Aspekt ist.

In der ersten Welle des Covid-19-Virus schnellte die Beschäftigung im Homeoffice auf 27%, aktuell werden nur 14% in der zweiten Welle von den Unternehmen nach Hause zum Arbeiten geschickt. Tech-Konzerne wie Zoom, Team Viewer oder Microsoft haben mit virtuellen Konferenzen einen Extraprofit erwirtschaftet. Für die Unternehmen war und ist es oft nur ein „Notausgang für Helden“.

Weniger wird über die Entgrenzung von Arbeit und freier Zeit, der Besetzung des privaten Raums und Kontrolle der Beschäftigten gesprochen. Nicht wenige Beschäftigte erleben diese neue Welt nicht als Erleichterung, sondern als zusätzliche Belastung. Nicht nur weil sie neue technische Anwendungen lernen müssen, sondern auch, weil die Trennung zwischen Arbeit und Privatem undeutlich wird, der Rückzug oft  abgeschnitten ist. Natürlich wird zusätzlich vorausgesetzt, dass ein Büroraum zu Hause zur Verfügung steht, mit den entsprechenden technischen Mitteln wie PC, Drucker und Telefon.

Die Vereinsamung und Entfremdung wird als Kollateralschaden nun mal so hingenommen. Das Gespräch mit den Kolleg*innen, die Organisierung von gewerkschaftlicher Gegenmacht, der Konflikt im direkten Gespräch mit dem Chef, all das bleibt außen vor, verliert sich im virtuellen Raum. Dass man Sozialverhalten, ein nicht zu vernachlässigender Aspekt im Produktionsprozess, nicht unbedingt in Zoom-Konferenzen lernt und übt, macht sich so langsam als Erkenntnis nicht nur bei den Schülern breit.

Hinzu kommt die Geschlechterdimension. Stillschweigend wurde und wird vorausgesetzt, dass die Kombinationen aus Homeoffice, Home-Schooling und Shutdowns am Ende eine Angelegenheit der Frauen ist. Alles unter irgendeinen Hut zu bringen, ist immer noch vorrangig ihr  Job. Der Backlash kommt nicht durch die Hintertür. Er steht in der Küche und spielt im Wohnzimmer. Kevin ist nicht mehr alleine zu Hause.

Spaltung auf dem Arbeitsmarkt

Auf dem Arbeitsmarkt findet derweil schleichend eine doppelte Spaltung statt. Diejenigen, die im „Privileg“ des Home-Office ihre Arbeitskraft erhalten können, stehen jenen gegenüber, für die diese Alternative nicht mal virtuell existiert. Der Kellner kann nicht in der eigenen Wohnung bedienen, die Musikerin kein Live-Konzert veranstalten, die Schauspieler*in nicht im eigenen Theater spielen. Die Briefzusteller*innen, die LKW Fahrer*innen rollen weiter auf der Straße, ob sie es besser haben, sei dahingestellt. Auf jeden Fall tragen sie ein größeres Risiko.

Eine politische Linke, die lediglich das Recht auf Home-Office gesetzlich sichern will, springt daher zu kurz. Sie verdrängt die Probleme, die sich in und nach der Pandemie in ihrer Dramatik auftürmen werden. Denn die erste Frage wird, wenn man sich auf diesen Punkt begrenzt, nicht sein, welche Arbeitsbedingungen wollen wir. Sondern vielmehr, welche Arbeitsplätze gibt es und  wer bezahlt die Rechnung der Krise.

Wer eignet sich die durch die digitale Revolution entstehende zusätzliche Produktivität an?

Dabei liegen die zukünftigen Konflikte offen auf dem Tisch. Die digitale Revolution wird klassische Branchen und Arbeitsplätze vernichten. Gewerkschaftliche Organisation, politische Gegenmacht im Zeitalter der disruptiven Veränderungen benötigen neue Instrumente und inhaltlich Definitionen.

Wenn klar ist, dass der technologische Fortschritt menschliche Arbeitskraft ersetzt, ist das an sich kein Nachteil. Zumal auch eindimensionale Tätigkeiten durch Roboter, Künstliche Intelligenz, neue Distribution wegfallen. Der entscheidende Kampf wird um die Frage gehen, wer sich die zusätzliche Produktivität aneignet. Dies betrifft auch und vor allem die zukünftigen  Arbeitszeiten. Wer verhindern möchte, dass es eine technisch-intelligente Mittelklasse mit zwar gutem Gehalt auf der einen Seite, aber mit vielen Überstunden und Überbelastungen gibt, während Millionen auf der anderen Seite keinen Arbeitsplatz mehr finden können, wird genau an diese Sollbruchstelle kommen.

In dieser potentiellen industriellen Reservearmee liegt gesellschaftspolitischer Sprengstoff. Das könnte schnell zu rechter Radikalisierung führen. Dabei ist über die Klimafrage noch gar nicht gesprochen. Altmodisch könnte man vom bevorstehenden Klassenkampf sprechen. Das Problem der Linken besteht jedoch darin, dass sich ihre Klassen nicht formieren. Und sich in der Pandemie im Stich gelassen fühlen.

Es führt kein Königsweg aus dieser Krise. Schon deshalb gilt es bei (Heils)Versprechungen vorsichtig zu sein. Das Homeoffice kann begrenzt Vorteile bringen, die Infektionen in der jetzigen Phase reduzieren. Die grundlegenden gesellschaftlichen Herausforderungen löst es definitiv nicht.

Wer in der Krise wirklich lernen will, kommt nicht umhin wesentliche Fragen der Klassen-und Machtverhältnisse zu formulieren:

Wie halten wir es mit der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums? Wie verteilen wir die notwendige Lohnarbeit und zu welchen Konditionen? Welche Ressourcen und Instrumente benötigen wir für den dringend erforderlichen sozial-ökologischen Reformprozess im Kontext der Klimakrise? Das sind nicht alle, aber die zentralen Herausforderungen.

Jene bürgerlich- progressiven Milieus, die meinen mit einer Lasch(et)en schwarz-grünen Regierungsoption würde man das schon hinbekommen, täuschen sich. Dafür sind die offenen Fragen zu groß. Mit Brecht möge man ihnen zurufen, „hoffentlich haben sie einen Koch dabei“ .

 

Bertolt Brecht: Fragen eines lesenden Arbeiters

Wer baute das siebentorige Theben?

In den Büchern stehen die Namen von Königen.

Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?

Und das mehrmals zerstörte Babylon

Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern

Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?

Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war

Die Maurer? Das große Rom

Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen

Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz

Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis

Brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang

Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte Indien.

Er allein?

Cäsar schlug die Gallier.

Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?

Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte

Untergegangen war. Weinte sonst niemand?

Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer

Siegte außer ihm?

Jede Seite ein Sieg.

Wer kochte den Siegesschmaus?

Alle zehn Jahre ein großer Mann.

Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte.

So viele Fragen.

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