Schweinehaltung: Artgerecht in den Tod?

Die Gefahr kommt aus dem Wald: Wildschweine tragen die Afrikanische Schweinpest von Osten über die polnische Grenze nach Deutschland ein. Trotz aller Schutzzonen und Zäune ist die Seuche in Hausschweinbeständen angekommen. | Foto Paul Henri Degrande / Pixabay

Die Afrikanische Schweinepest (ASP) ist in deutschen Schweinehaltungen angekommen. In einem größeren Biobetrieb und ein paar kleinen, privaten Schweinehaltungen mit wenigen Tieren ist die Seuche ausgebrochen, woraufhin sämtliche Schweine dort „gekeult“ wurden.

Vor allem für die Bäuerinnen und Bauern, die ihre Schweine artgerecht im Freien halten, wo sie wühlen und sich suhlen können, stellt sich jetzt die Frage: Was mache ich mit meinen Tieren, wenn die Seuche näherkommt?

Gefährdete Haustiere

Kathrin Ollendorf und Holger Linde vom Hutewaldhof züchten eine vom Aussterben bedrohte alte Haustierrasse: das Angler-Sattelschwein. Die robusten Tiere eignen sich besonders für die extensive Haltung im Freien. Auf dem Hutewaldhof leben die Schweine das ganze Jahr über im Freien. Nur wenn die Sauen ferkeln, kommen sie vorübergehend in einen Stall, den sie nach wenigen Tagen mit ihrem Nachwuchs wieder verlassen. Sonst leben die Tiere in Gruppen auf den Äckern, wo sie ihr Futter zum Teil selber ernten können. Zum Schutz gegen Regen und Kälte gibt es kleine, isolierte und mit Stroh eingestreute Hütten. Und im Herbst dürfen die Schweine in einen eingezäunten, zwei Hektar großen Wald, um dort Eicheln, Bucheckern, Pilze und Kräuter zu suchen.

Nun ist der Weiler Riskau bei Dannenberg im Wendland weit von der polnischen Grenze und den umzäunten Kernzonen der Schweinepestausbrüche in Deutschland entfernt, dennoch haben sich die beiden vom Hutewaldhof schon vor längerer Zeit auf den Weg gemacht, um mit dem zuständigen Veterinäramt zu diskutieren, was mit ihren Schweinen im Fall der Fälle geschieht. Derzeit leben auf dem Hutewaldhof vier ins Herdbuch der Angler-Sattelschweine eingetragene, also für die Zucht zugelassene Sauen. Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen führt die Angler-Sattelschweine als extrem gefährdet auf der Roten-Liste und gibt den gesamten Bestand mit 96 weiblichen und 28 männlichen Tieren an.[1] Wenn da wegen der Afrikanischen Schweinepest sechs Sauen fehlen, ist das schon ein gravierender Einschnitt in den Genpool. Wenn mehrere Betriebe betroffen wären, könnte die Schweinepest die ganze Rasse aussterben lassen. Und schon die vier Zuchtsauen vom Hutewaldhof könnten den Genpool in Gefahr bringen, denn sie gehören zur ersten von sieben Zuchtlinien, und diese Linie A zählt zurzeit nur sechs Tiere. Bricht eine Zuchtlinie zusammen, wird die genetische Varianz zu klein für die Erhaltungszucht.

Gutes Leben ganzjährig im Freien: Eine Sau der gefährdeten Haustierrasse Angler-Sattelschwein mit Ferkeln auf dem Hutewaldhof im Wendland. | Foto: Florian Schwinn

Ausnahme Genpool

Was also tun, um nicht die Schweinerasse und den eigenen kleinen Betrieb zu gefährden? Es gibt in der Schweinepestverordnung den „§ 8 Ausnahmen“. Darin steht: „Die zuständige Behörde kann bei einem Ausbruch der Schweinepest oder der Afrikanischen Schweinepest in einer Untersuchungseinrichtung, einem Zoo, einem Wildpark oder einer vergleichbaren Einrichtung, in denen Schweine zu wissenschaftlichen Zwecken, zur Arterhaltung oder zur Erhaltung seltener Rassen gehalten werden, Ausnahmen von § 4 (…) genehmigen.“ In § 4 wiederum steht, was ohne Ausnahme zu tun ist: „die Tötung und unschädliche Beseitigung aller Schweine des Verdachtsbetriebs.“ Nach langen, kooperativen Diskussionen mit dem Veterinäramt, einigen ergänzenden Umbauten, weiteren Sicherheitsmaßnahmen und ausführlichen Nachweisen des Zuchtverbandes, hält die Agrarökologin Kathrin Ollendorf jetzt eine vielseitige Ausnahmegenehmigung in der Hand, die ihren Schweinen bescheinigt, eine UTR zu sein, eine „Unersetzbare tiergenetische Ressource“. Gilt allerdings nur für die Zuchtsauen, nicht für deren Nachwuchs.

Dieses Papier musste sich der Betrieb mühevoll erarbeiten. Durch zusätzliche Zäune und Hygienemaßnahmen und vor allem durch einen restriktiven Zutritt für die Besucher. „Wir zeigen den Leuten ja auch gerne unsere Schweine“, sagt Kathrin Ollendorf, „das gehört zu unserem Konzept.“ Der Hutewaldhof erhält keine EU-Agrarzuschüsse, weil das Agroforstsystem und die wechselnden Futteranbauten für die extensive Schweinehaltung in keine EU-Verordnung passen. Um so mehr ist der Betrieb auf seine Kunden angewiesen, die für das gute Fleisch und die Wurstwaren tiefer in die Tasche greifen. Auch ein Sternekoch stand bereits auf der Kundenliste, der für das Schweinefleisch aus Riskau die berühmten Iberico, die Eichelschweine aus Spanien, von der Karte genommen hat. Kunden, die den Betrieb besuchen, um die Schweine zu sehen, passen aber überhaupt nicht zu den Hygienerichtlinien, die allen, die mit den Schweinen zu tun haben, vorschreiben, Schuhe und Kleidung beim Betreten des Betriebs zu wechseln. Deshalb sind Besuche nur im Ausnahmefall möglich und es muss Buch geführt werden über jeden Betriebsfremden, der das Gelände betritt. Corona-geübte Restaurantbetreiber kennen das, landwirtschaftliche Betriebe eher nicht.

Die Bereiche der Schweine waren schon zuvor mit doppelten Zäunen und Elektrodraht gesichert. Ohne das wird Schweinehaltung im Freien in Deutschland nicht genehmigt. Jetzt musste auch noch das restliche Hofgelände umzäunt und das Hoftor abschließbar werden, auf dem Land eine eher verstörende Maßnahme. „Eine große Diskussion war das vorgeschriebene Schadnager-Monitoring“, sagt Kathrin Ollendorf. Wie soll man bei Freilandhaltung Ratten und Mäuse fernhalten? Da passt die Verordnung nicht zur Realität. Das haben die Veterinäre dann auch bemerkt, denn wo die Schweine frei herumlaufen hält sich freiwillig keine Maus mehr auf. Wenn die Schweine einen Acker neu besiedeln, um sich dort ihr Futter zu suchen, ist nach kurzer Zeit jedes Mäusenest ausgegraben und jede Maus verspeist.

Ebenfalls Bedingung für den UTR-Status ist, dass der Hutewaldhof an einem ASP-Früherkennungsprogramm teilnimmt. Das bedeutet, dass zweimal im Jahr der Tierarzt kommt und bei einer großen Zahl der Schweine Fieber misst. Bei jedem Besuch kontrolliert der Tierarzt auch noch einmal sämtliche anderen Bedingungen, die der Hof erfüllen muss. Den Tierarzt und seine Kontrollarbeit muss der Betrieb bezahlen. Der Vorteil, den der Hutewaldhof davon hat, ist ein neuer Status: ASP-frei! Der Status als schweinepestfreier Betrieb bringt im Seuchenfall den Vorteil, dass die Tiere dann noch bewegt werden dürfen – „verbracht“ heißt das im Amtsdeutsch. Wenn das Veterinäramt die „Aufstallung“ verhängt, was bislang in allen Seuchengebieten der Fall war, dann müssen die Tiere in einen Stall gefahren werden, denn vor Ort gibt es keinen. Wenn es aber gleichzeitig ein Verbot gibt, die Tiere vom Hof zu fahren, könnten die Hutewaldhöfer nur warten, bis ihnen sämtliche Schweine, weil nicht „aufgestallt“, getötet werden. „Das möchte ich auf keinen Fall erleben“, sagt Kathrin Ollendorf.

Das sind die Bilder, die die Besucher des Hutewaldhofes in Zukunft wohl nicht mehr sehen dürfen: Kathrin Ollendorf mit ihren Angler-Sattelschweinen. | Foto: Florian Schwinn

Leiden fürs Schweinesystem

Also was jetzt: vorsorglich einen Stall bauen oder pachten? Obwohl man doch überzeugt ist, dass die Sau raus muss, und ihre Ferkel mit ihr. Der Stall für die Tiere vom Hutewaldhof müsste deutlich überdimensioniert sein, weil die Tiere ja das Leben im Stall gar nicht kennen. Und das Gefühl, eingepfercht zu werden, führt nicht nur bei Menschen zu Aggressionen. Also müsste ein großer und entsprechend teurer Stall gepachtet werden. „Das wollen wir aber nicht,“ sagt Kathrin Ollendorf, „denn wir sind ja von unserer Haltungsform im Freiland überzeugt und wollen nun nicht noch eine zweite Haltungsform finanzieren. Längerfristig können wir uns das auch gar nicht leisten.“

Aus der offiziellen Risikoabschätzung des Friedrich-Löffler-Instituts FLI, des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit, entnimmt Kathrin Ollendorf den eigentlichen Grund für all die Seuchenschutzmaßnahmen wie die Aufstallungspflicht. Dort heißt es: „In einer Studie, die einen ASP-Eintrag in dänische Hausschweinebestände simulierte, wurden direkte Kosten von 12 Millionen Euro und Verluste durch Exportverbote von 349 Millionen Euro errechnet.“ In Dänemark werden, gemessen an der menschlichen Bevölkerung, noch mehr Schweine gehalten als in Deutschland. Das Prinzip ist dabei das gleiche: Wir importieren Futter, zum Beispiel Soja aus abgebranntem Regenwald, und exportieren Schweinfleisch, zum Beispiel nach China. „Deutschland leidet schon jetzt nach dem bisher ausschließlichen Eintrag der ASP in die Wildschweinpopulation unter deutlichen Exportverlusten“, schreibt das FLI: „Ein Eintrag in einen Hausschweinebestand würde die wirtschaftlichen Verluste noch vergrößern. Darüber hinaus könnten sich Probleme im Zusammenhang mit der Annahme von schlachtreifen Schweinen durch Schlachthöfe weiter verschärfen und zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Gewährleistung des Tierschutzes führen.“[2]

Nun denn, der Eintrag in Hausschweinebestände ist inzwischen geschehen. Was die Risikobewertung verschärft, allerdings nur in finanzieller Hinsicht. Es geht mal wieder nicht um die Tiere, auch nur mittelbar um die Seuche. Es geht ums Geld. Den Hausschweinen, die weit genug weg sind von der polnischen Grenze, von wo die Seuche kommt, kann das einstweilen egal sein. Nicht aber den Höfen, die sich artgerechter Tierhaltung verschrieben haben. Sie dürfen sich jetzt schon mal darum kümmern, ihren Tieren das gute Leben zu versauen. Oder auch nicht. „Wenn wir jetzt den teuren Stall pachten, finanzieren wir ein Haltungssystem, was wir nicht wollen“, sagt Kathrin Ollendorf, „und das nur, um die konventionellen Schweinehalter vor wirtschaftlichen Verlusten zu schützen.“ Soll heißen: Wenn die Schweinebetriebe, die ihre Hybridschweine in engen Ställen turbomästen, Angst, vor allem finanzielle Angst, vor der Afrikanischen Schweinepest haben, dann sollten sie es sein, die den Betrieben, die ihre Tiere artgerecht im Freiland halten, die Seuchen-Aufstallung finanzieren.

Wir Fleischesserinnen und -esser können einstweilen die Betriebe unterstützen, die die alten Rassen halten und ihre Schweine wühlen und suhlen lassen. Das ist viel teurer, als das Schweinefleisch von der Billigtheke – aber es ist Schweinefleisch, das diesen Namen noch oder wieder verdient! Und die Tiere hatten ein gutes Leben.

 


[1] Die Überblickdaten stammen von 2018.

[2] Die Risikoabschätzung des FLI datiert vom 19.04.21

 

Hutewaldhof: https://hutewaldhof.de

Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen: https://www.g-e-h.de

Risikoeinschätzung des Friedrich-Löffler-Instituts zur Afrikanischen Schweinepest: https://www.openagrar.de/servlets/MCRFileNodeServlet/openagrar_derivate_00036860/FLI-Risikoeinschaetzung_ASP_2021-04-19-bf.pdf

Schweinepest-Verordnung: https://www.buzer.de/gesetz/7039/index.htm

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