Renaissance des Kabinetts

Nach Jahrzehnten unterirdischer Wertschätzung beobachte ich in der jüngeren Vergangenheit zu meiner großen Freude den Beginn einer zwar noch zaghaften, aber unübersehbaren Renaissance des Kabinett, jener zarten Leichtweinspezies, die im Grunde immer eine angestammte Domäne der kühleren deutschen Weinbaugebiete gewesen ist. In angesagten Berliner Weinbars und schicken Restaurants hat der „Kabi“ längst sein verstaubtes Image abgelegt und wird sowohl zum Aperitif als auch als Begleiter ganz unterschiedlicher Gerichte gereicht. Selbst zur Erfrischung nach einem mehrgängigen Menü macht er eine exzellente Figur.

Ein Prachtexemplar dieser zum Glück – zumindest vorübergehend – nicht mehr vom Aussterben bedrohten Spezies ist Jahr für Jahr der Graacher Domprobst Riesling Kabinett vom Weingut Willi Schäfer aus Graach an der Mosel. Ich kenne diesen Wein seit vielen Jahren, doch der 2019er, den ich hier gerade im Glase habe, raubt mir für einen Moment fast den Atem.

Vibrierende Frische und Vitalität entströmen dem Glas: zu Noten von Pfirsichen, reifen Äpfeln, frischen Aprikosen und Limettenschalen gesellen sich zarte weiße Blütendüfte, Minze und ein Hauch Schlagsahne. Am Gaumen ist tänzelnde Leichtigkeit angesagt! Hier begegnen sich Gegensätze auf wundervoll versöhnliche Weise. Rassige Säure und Mineralität treffen auf Fruchtfülle, Traubensüße und einen niedrigen Alkoholgehalt. Dieser Kabi- nett verströmt so viel Freude und Lebenslust, wie die ersten Sonnenstrahlen an einem Morgen im Frühling.

Die Trauben wachsen in der Lage Domprobst direkt hinter der Ortschaft Graach an der Mosel. Es handelt sich um einen extrem steilen Weinberg mit stark verwittertem Schieferboden. Anders als in den benachbarten Wehlener und Bernkasteler Lagen ist der Boden hier deutlich tiefgründiger und verfügt über eine bessere Wasserversorgung – nicht unwichtig in Zeiten der Klimaerwärmung mit oft längeren Trockenperioden.

Christoph und Andrea Schaefer können mit ihren Geschöpfen aus dem Jahrgang 2019 hochzufrieden sein. Im Nachhinein stellte es sich als eine überaus kluge Entscheidung heraus, bereits am 25. September, also deutlich früher als üblich, mit der Lese zu beginnen. Dadurch gelang es, auch in diesem überdurchschnittlich warmen Jahr wunderschön gesunde, knackig frische und nicht allzu zuckerreiche Trauben für faszinierende Kabinettweine zu ernten – zum exzellenten Domprobt gesellt sich der superbe Kabinett aus der Nachbarlage Himmelreich.

Ich mag diese fruchtsüßen Kabinett-Weine, wenn sie jung ist. Dann begeistern mich ihre Frische und vibrierende Lebendigkeit. Aber erst nach ein paar Jahren Flaschenreife beginne ich, sie zu lieben. Dann haben sie an aromatischer Komplexität zugelegt und präsentieren sich am Gaumen weniger stürmisch, ihre Säure ist besser integriert, alles wirkt ruhiger, runder und harmonischer.

Dann lassen sie sich auch schön mit den unterschiedlichsten Gerichten kombinieren, nicht nur zu Saucen mit süßer Sahne oder scharfem Curry, sondern nahezu universell, ja selbst zu kräftigen Fleischgerichten machen sie eine gute Figur. Ein paar Flaschen vom 2019er Graacher Domprobst sollten im Handel derzeit noch verfügbar sein, doch schon ganz bald wartet der 2020er auf erste Bewunderer.

 

Wein: Graacher Domprobst Riesling Kabinett 2019 vom Weingut Willi Schäfer, Graach/Mosel

http://www.weingut-willi-schaefer.de/

 

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