Der Junikrieg von 1967 und seine Folgen

iIsraelische Siedlungen bei Za’atara im Westjordanland. Bild: Ralf Roletschek/GfDL 1.2

 

Welche Folgen zeitigte der Junikrieg oder Sechstagekrieg von 1967, bei dem Israel siegreich hervorging und seither eine über 50 Jahre währende Okkupation der palästinensischen Gebiete betreibt? Welche Strukturen haben sich dabei etabliert und verfestigt?

Der Sieg im Junikrieg von 1967 bewirkte eine gravierende (wenn auch als solche damals kaum vorhersehbare) Wende im israelischen Selbstverständnis. Die im Laufe dieses Krieges besetzten Gebiete verwandelten sich für Israel nach und nach – endgültig paradoxerweise erst nach dem Abflauen des in der Folge des Sieges von 1967 ausgebrochenen, mit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 dann zum Stillstand gelangten Triumphalismus – von einer als temporäres politisches Faustpfand begriffenen (Kriegs-)Errungenschaft in ein Objekt ideologisch begründeter Begierde.

Von größter Bedeutung war hierbei, dass die ideologische Komponente dieser Verwandlung alsbald in eine religiöse Fundierung der neuen militärisch-politischen Wirklichkeit umschlug, die Folgen des militärischen Gewaltaktes mithin eine theologische Legitimation erfuhren. Die Eroberung der Gebiete (vor allem des Westjordanlandes) wurde nunmehr als Zeichen des Beginns der jahrtausendelang ersehnten messianischen Erlösung des jüdischen Volkes ausgelegt, als endlich erfolgte Rückkehr des Volkes in das gelobte Land, die Heimat seiner Urväter. Die Tatsache, dass dabei handfeste wirtschaftliche Interessen (vor allem an der Ausbeutung billiger palästinensischer Arbeitskraft) mit eine gewichtige Rolle spielten, sollte keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass die religiöse Begründung der Eroberung nicht nur (objektiv gesehen) als ideologische Rechtfertigung der ausgeübten Repression fungierte, sondern in der Tat von einem tiefen (subjektiven) Glauben getragen wurde. Dieser freilich sollte schon bald zum Ideologem im Dienste einer von Staats wegen betriebenen Politik ausarten.

Okkupation und Friedenbewegung

Ab Mitte der 1970er Jahre setzte in Israel ein Prozess allmählich zunehmender Polarisierung hinsichtlich der Einstellung zur Okkupation ein. Gegenüber einem religiösen, in seinen extremen Flügeln von aktionistischem Fanatismus getragenen Fundamentalismus entstand der erste (zunächst freilich winzige) Kern dessen, was sich späterhin zur israelischen Friedensbewegung entwickeln sollte.

Allerdings handelte es sich hier nicht um ein symmetrisches Kräftefeld. Nicht übersehen werden sollte, dass die jüdische Besiedlung der besetzten Gebiete, welche in den Zeiten der ab 1977 herrschenden Likud-Regierung ihren Höhepunkt erreichte – unter Einsatz gewaltiger wirtschaftlicher Ressourcen und mit planmäßig durchgeführter Expansion –, ihren Anfang noch unter der zuvor regierenden Arbeitspartei genommen hatte. Die Besatzungspolitik wurde von allen israelischen Regierungen unter ökonomischen Aspekten und sogenannten Sicherheitsgesichtspunkten (wenn auch mit unterschiedlichen ideologischen Vorzeichen) betrieben. Dass dabei zuweilen gerade die religiösen Siedler – und nicht nur von rechter Seite – als die den gängigen zionistischen Mythen gemäßen „echten Idealisten“ und „eigentlichen Pioniere“ der israelischen Gesellschaft gepriesen wurden, diente nicht nur der Selbstbestätigung der sich als wahre Zionisten rühmenden Träger der objektiv praktizierten Repression, sondern auch als eine Art Beruhigungs-, wenn nicht gar Betäubungsmittel für jene, die die Okkupation ohne pathoserfüllte ideologische Vision fortführen wollten.

Gleichwohl war es vor allem die im rechten politischen Lager vertretene (mithin religiös begründete, aber auch unter nichtreligiösen Aspekten propagierte) Ideologie eines Groß-Israel, die die fortwährende Besetzung über Jahre hinweg politisch am Leben erhielt und die zu ihrer Aufrechterhaltung notwendigen Mittel legitimierte. Lange Zeit gab es denn auch innerhalb des größten Teils der israelischen Gesellschaft keinen ernsthaften Diskurs über die Zukunft der besetzten Gebiete und die Rolle der Siedlungsbewegung, welche die Landnahme aktiv betrieb.

Kriege und Polarisierung

Ein gravierender Riss im israelischen Konsens, der über Jahrzehnte von einer „Alle-Welt-ist-gegen-uns“-Mentalität geprägt war, wurde während der vehement geführten öffentlichen Debatte um den Libanonkrieg von 1982 deutlich. Spätestens seit der legendären „Demonstration der 400 000“ nach dem von Libanesen im stillen Einvernehmen mit dem israelischen Militär vollführten Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila wurde klar, dass die israelische Öffentlichkeit nicht mehr gewillt war, alle Beschlüsse und Aktionen der Regierung und des Militärs blindlings abzusegnen., und dass dieser anfangs allgemein befürwortete Krieg eine nicht mehr zu übersehende Polarisierung der politischen Lager bewirkt hatte.

Ein erster Kulminationspunkt dieses durch das Hineingeraten in den „libanesischen Sumpf“ beschleunigten Prozesses manifestierte sich dann Ender der 1980er Jahre in der hitzigen innerisraelischen Debatte um die erste Intifada, jene Erhebung der palästinensischen Bevölkerung gegen das israelische Okkupationsregime, die dem David-Goliath-Mythos der israelischen Selbsteinschätzung endgültig den Todesstoß versetzte.

Ein weiterer gewichtiger Faktor bei der Aufweichung des traditionell hermetischen Konsensverhaltens ergab sich sodann als Auswirkung des zweiten Golfkrieges im Jahre 1991. Diente der Feldzug gegen Saddam Hussein auch einem objektiven israelischen Interesse – der Zerschlagung der damals potentiell größten militärischen Bedrohung Israels im gesamten nah- und mittelöstlichen Raum –, so trat doch zutage, dass die Ohnmachtssituation der Bevölkerung angesichts der Raketenangriffe auf israelische Städte keinesfalls einheitliche („nationale“) Reaktionen der erforderlichen Ausdauer und des notwendigen Durchhaltevermögens zeitigte. Obwohl dann eine ernsthafte Debatte über das Geschehene nicht stattfand, die teilweise hysterische (in sich aber wiederum bemerkenswert „normale“) psycho-kollektive Reaktion auf die Bedrohung vielmehr sehr bald nach Beendigung des Krieges gründlichst verdrängt wurde, hatten doch diese merkwürdigen Wochen kollektiver ziviler Machtlosigkeit deutlich gemacht, dass der Konsens auch im Hinblick auf diese Art der Erprobung nationaler Standhaftigkeit angezweifelt werden durfte.

Der Oslo-Prozeß

Auf dieser (hier nur lapidar skizzierten) Grundlage gradueller Verschiebung innerhalb der Matrix der ehemals vermeintlich homogenen mentalen Wahrnehmung gesamtnationaler politischer Abläufe lassen sich auch Grundhaltungen bezüglich des seinerzeit ab 1992 forciert betriebenen Friedensprozesses beurteilen. Und auch hierbei können Muster elementaren Widerspruchs – oder zumindest doch uneindeutiger Ausrichtung – ausgemacht werden.

Denn obgleich durch die mit den Palästinensern getroffenen Vereinbarungen von Oslo objektiv reale Möglichkeiten für eine grundlegende Veränderung der Beziehungen zwischen beiden Nationalkollektiven im Sinne einer friedvollen Koexistenz entstanden waren, war zugleich noch ganz und gar nicht ausgemacht, inwieweit die konsequente Umsetzung dieser Möglichkeiten nicht bloß Lippenbekenntnis bleiben würde. Entsprechend war auch nicht ganz klar, inwieweit sich die neuen Realitäten letzten Endes nicht lediglich als eine mit friedlichen Mitteln gehandhabte Perpetuierung der Okkupation erweisen würden.

Darüber hinaus bedeutete gerade der von den Massenmedien plastisch vermittelte Verkehr israelischer Politiker mit ehemals als „Nazis“ tabuisierten Gesprächs- und Friedenspartnern wie PLO-Chef Yassir Arafat den Einsturz traditioneller Mythen vom „ewigen Feind“ für die einen, den endgültigen Beweis für die Abirrung vom rechten zionistischen Weg – wenn nicht gar für den „Verrat am jüdischen Volk“ – für die anderen. Zudem muss festgehalten werden, dass das, was für die Palästinenser insgesamt die Eröffnung einer (wenngleich zunächst undurchsichtigen) neuen Chance verhieß, für die allermeisten Siedler im besetzten Westjordanland den Zusammenbruch einer Welt (und sei es einer lediglich mythisch begründeten) bedeutete.

Die Sackgasse

So besehen war die damals proklamierte Friedensbereitschaft des größten Teils der israelischen Bevölkerung bei aller Kriegsmüdigkeitsrhetorik und trotz der pathoserfüllten Visionen vom heraufdämmernden „neuen Nahen Osten“ mitnichten auf die Probe gestellt worden. Und sie ist letztlich bis zum heutigen Tage theoretisch geblieben. Nicht nur ist inzwischen der Oslo-Prozess zusammen-, die zweite Intifada aus- und die palästinensische Kollektiveinheit im Bürgerkrieg auseinandergebrochen, sondern auch innerhalb der israelischen Gesellschaft haben sich die politischen Koordinaten in einer Weise verschoben, dass sich die historische Nemesis der Okkupationsgeschichte Israel nunmehr endgültig ereilt zu haben scheint.

Denn wenn der Oslo-Prozess etwas gezeitigt hat, so ist es die Gewissheit, daß ohne einen Rückzug aus den besetzten Gebieten, eine Räumung der Siedlungen, eine Lösung der Jerusalem-Frage im Sinne eines Zwei-Staaten-Friedensbeschlusses und eine politisch ausgehandelte Regelung des Rückkehrrechts der Palästinenser schlechterdings keine friedliche Beendigung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu erwarten steht. Da nun aber davon ausgegangen werden kann, dass zwar die überwiegende Mehrheit der Siedler – die aus wirtschaftlichen Gründen dem Siedlungswerk beigetretenen zumal – sich der Realität eines israelischen Rückzugs nicht allzu standhaft, ein harter Kern ideologisch fanatisierter Hardliner und religiös überspannter Fundamentalisten hingegen mit umso größerer Vehemenz widersetzen wird, mithin in Betracht gezogen werden muss, daß sich der Abbau der Siedlungen weder friedvoll noch gewaltfrei vollziehen lassen wird, dann steht Schlimmstes im Hinblick auf die Reaktionen aller an diesem traumatischen Ereignis auf israelischer Seite Beteiligten zu erwarten.

Werden radikale Siedler zur blutigen Gewalt gegen israelische Soldaten bereit sein? Werden Soldaten dem Befehl zu einer notwendig gewordenen Gewaltanwendung, gar einem Schießbefehl gegen Räumungsverweigerer, gehorchen? Werden die meisten Israelis dem Gedanken eines vom Staat unternommenen massiven Gewaltvollzugs von „Juden gegen Juden“ überhaupt standhalten können?

Nicht von ungefähr ist in diesem Zusammenhang oft von milchemet achim, einem drohenden israelischen Bürgerkrieg die Rede. Und man mache sich nichts vor: Der von Ariel Sharon vollzogene Abzug aus dem Gazastreifen kann nicht als Präzedenzfall für eine künftige Räumung des Westjordanlandes angesehen werden – es handelt sich um ein Unternehmen ganz anderer materieller, religiös-ideologischer und sozial-psychischer Dimensionen. Das weiß jeder in Israel.

Wenn nun aber die (politische) Angst vor einer Beendigung der Okkupation so gravierend ist, dass man bereit ist, sie auf unbestimmt lange Zeit fortzusetzen bzw. von ihrer Aufhebung endgültig abzusehen, dann sieht sich Israel vor einem strukturellen Moment gestellt, das nichts mehr mit ideologischen Pendelbewegungen zu tun hat: Das, was in Israel bereits seit Jahren als die „tickende demographische Zeitbombe“ apostrophiert und debattiert wird, bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass bei fortgesetzter Okkupation, mithin dem sozial-ökonomischen Einbezug von Millionen von Palästinenern unter die israelische Staatshoheit, sich objektiv eine binationale Struktur herausbildet, die in absehbarer Zeit Juden zur Minorität im eigenen Land werden lassen wird.

Diese Möglichkeit wird inzwischen nicht nur von randständigen Apokalyptikern angesprochen, sondern ist bereits in Proklamationen hochrangiger israelischer Politiker zum Thema erhoben worden. Nimmt man nun beides – die Angst vor Beendigung der Okkupation und ihre schicksalträchtige Fortsetzung –, dann ermisst man erst, vor welcher historischer Weggabelung sich Israel gestellt sieht. Es ist wie die Wahl zwischen Skylla und Charybdis, mithin eine strukturbedingte Bedrohung des gesamten zionistischen Projekts. Erst heute beginnt man zu begreifen, dass man im Jahre 1967 einen Apfel in den Mund genommen hat und man weder fähig war, ihn zu verschlingen, noch, ihn auszuspeien, und nun droht man an ihm zu ersticken.

* * *

Dieser Text ist schon über zehn Jahre alt. Zum einen zeugt die Tatsache, dass er heute noch weitgehend in seiner Orginalfassung wieder veröffentlicht werden kann, davon, wie sehr die politische Situation des israelisch-palästinensischen Konflikts stagniert und seine Grundstrukturen sich kaum verändert haben. Zum anderen muss aber ergänzt werden, dass die Jahre der Regierung Netanjahus eine „Neuerung“ erbracht haben: Der Konflikt bzw. der Versuch, ihn erneut anzugehen, steht nicht mehr auf der Tagesordnung der israelischen Politik; die Okkupation ist kein Thema mehr, sie wird auch kaum noch als solche benannt.

Der Apartheidstaat ist entsprechend schon manifest geworden. Der größte Teil der israelischen Bevölkerung hat sich damit abgefunden; das Postulat Netanjahus, demzufolge der Konlikt nicht gelöst, sondern lediglich verwaltet werden muß, ist von der Bevölkerung verinnerlicht worden. In der Ära Trumps gab es dafür auch Unterstützung seitens der US-Geopolitik. Joe Biden will vielleicht etwas bewegen, aber es ist kaum davon auszugehen, dass ihm unter dem gegenwärtigen Minsterpräsidenten Israels, Naftali Bennet, und seinen Ministern Gideon Sa’ar und Avigdor Lieberman, allesamt rechte Hardliner, etwas gelingen werde. Nicht von ungefähr hat Bennett jüngst vor seinem ersten Besuch bei Biden deklariert, dass es keinen palästinensischen Staat geben werde. Auch Biden wird kaum den hierfür erforderlichen Druck auf Israel ausüben. Und auch in dieser Hinsicht hat der hier vorgelegte Text von vor zehn Jahren seine Aktualität gewahrt. Die israelische Friedensbewegung hat sich übrigens vor rund zwanzig Jahren in einen Winterschlaf begeben, aus dem sie nicht mehr erwacht ist.

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