Esther Bejarano

Bild: jwh/CC BY-SA-3.0

Nach ihrem Tod wurde die Auschwitz-Überlebende gerühmt, aber etwas fehlte symptomatisch in den deutschen Medienberichten: Sie war keine Zionistin war und kritisierte Israels Politik gegenüber den Palästinensern.

Folgendes Ständchen erbrachte ich Esther Bejarano vor rund eineinhalb Jahren zu ihrem 95. Geburtstag.

* * *

„Lied für den Frieden“ (Schir la’schalom) ist ein 1969 komponierter Friedenssong, der durch die Sängerin Miri Aloni berühmt wurde. Er betrauerte die Gefallenen, beklagte ihre Unwiederbringlichkeit und beschwor empahtisch den Frieden, das unnachgiebige Streben nach ihm.

Er wurde in Israel höchst konrovers rezipiert: Den einen galt er als demoralisierend, die Trauer um die Gefallenen besudelnd, den anderen als Träger der Hoffnung auf Frieden. Auch bei der Friedensdemonstration am 4.11.1995, an deren Ende Yitzhak Rabin ermordet wurde, sang ihn Miri Aloni. Das blutbefleckte Blatt mit dem Songtext wurde in Rabins Jackettasche gefunden.

Alonis Vortrag bestach durch eine außerordentliche Stimmgewalt. Der Song stellte merkliche gesangliche Anforderungen an die Performerin. Man muss gleichwohl die Darbietung des Songs durch Esther Bejarano erlebt haben, um einer ganz anderen Dimension menschlicher Tiefe zu begegnen. Esther hat nicht die Stimmgewalt Alonis, aber da steht sie, die bald Fünfundneunzugjährige, und ruft mit aller ihr verbliebenen Kraft den Frieden an, fleht eindringlich um ihn, insistiert mit großer hoffender Verve auf seine Ankunft. Und man traut seinen Augen und Ohren nicht: Der Song, seine Botschaft und diese kleine große Frau mit dem unausrottbaren Glauben an den Menschen und dessen Fähigkeit, eine andere, bessere, menschenwürdigere Welt zu erschaffen – wie ist das nur möglich bei der horrenden Lebensgeschichte von Esther Bejarano, der Auschwitz-Überlebenden?

Es heißt, ehemals geschlagene Kinder könnten sich zu Eltern entwickeln, die ihre Kinder selbst schlagen, oder aber zu Eltern, die ihre Hand nie gegen Kinder zu erheben vermögen. Es war und ist noch immer nicht selbstverständlich, daß eine Shoah-Überlebende das Land, das als historisches Refugium für verfolgte Juden apostrophiert wurde, kritisch zu betrachten begann, als sich herausstellte, dass die ehemals Geschlagenen sich zu Schlagenden gewandelt haben.

Welch menschlicher Größe bedarf es, die moralische Konsequenz aus der eigenen Leiderfahrung gezogen zu haben und den Kampf um eine Welt anzutreten, die menschengemachtes Leid zu überwinden und menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen trachtet. Esther Bejarano hat diese Konsequenz gezogen und um ihre emanziptiven Postulate mit höchster Emphase und unentwegter Gesinnungsfestigkeit vor Publikum auftretend, redend und singend gekämpft. Im Jüdischen pflegt man zum Geburtrstag ein langes Leben – „bis hundertundzwanzig“ – zu wünschen. Ja, bis hundertundzwanzig möge sie uns erhalten bleiben, die wunderbare Esther Bejarano, so, genau so, wie sie ist.

* * *

Hundertzwanzig Jahre hat sie dann nicht gelebt. Am 10. Juli 2021 starb Esther Bejarano 96jährig in Hamburg. Die deutschen Medien verbreiteten sogleich die Nachricht davon und bald erschienen auch Nekrologe und Gedenktexte über die in Deutschland sehr bekannte Frau. Ihr tragisches Leben wurde thematisiert, das Leben der Auschwitz-Überlebenden, die nach dem Krieg in Palästina einwanderte, dort heiratete, aber bereits 1960 Israel verließ, um mit ihrem Mann, Nissim Bejarano, in Hamburg ansäßig zu werden.

Gerühmt wurde ihr öffentliches Engagement für das Gedenken der Shoah, ihre Aktivitäten in den Schulen und ihr musikalische Karriere, vor allem ihre frappierende Zusammenarbeit mit der deutsch-türkisch-italienischen Rapgruppe „Microphone Mafia“. Man wusste, daß sie mit Kulturgrößen wie Rolf Becker und Konstantin Wecker affiliiert bzw. befreundet war, also musste sie auch links sein. Ihr Protest gegen den Krieg und die Propagierung des Friedens wurden (teilweise) angesprochen und visuell dokumentiert.

Und doch fehlte etwas in all diesen Medienberichten: Kein Wort darüber, dass die jüdische Shoah-Überlebende Esther Bejarano keine Zionistin war und Israels Politik gegenüber den Palästinensern über Jahrzehnte kritisierte und aufs schärfste verurteilte. Kein Wort darüber, dass sie das hebräische „Lied für den Frieden“ als das sang, was es seinerzeit in Israel zur Hymne der friedensbewegten Linken und zum Gegenstand des Abscheus von Rechten werden ließ. Kein Wort darüber, dass sie ihre Solidarität mit den Palästinensern nicht abstrakt meinte, sondern ihre Empörung darüber, dass die ehemals Geschlagenen zu Schlagenden mutiert waren, mit großer Verve artikulierte.

Aber das ist auch nicht zu verwundern. So eine Esther Bejarano konnte die neudeutsche Befindlichkeit nicht gebrauchen: Auschwitz-Überlebende? – Ja, sicher. Eine Auschwitz-Überlebende, die in Deutschland lebt und „mit Deutschen kann“? – Erst recht. Aber Jüdin, die keine Zionistin ist, und nicht von ungefähr aus Israel auswanderte? – Da wird’s schwierig. Und eine jüdische Nichtzionistin, die an Israels verbrecherischer Politik Kritik übt? – Um Himmels willen, bloß nicht! Man hat Esther Bejarano so betrauert, wie es im heutigen Deutschland möglich ist: deutschbefindlich respektvoll und verehrend, aber eben ihr Andenken um das bringend, was ein wesentlicher Teil ihrer Humanität war. Dagegen konnte selbst diese große Frau nicht ankämpfen.

Ähnliche Beiträge:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert