Palästina-Begriff als Antisemitismus

Bild:hosny_salah/Pixabay.com

Der hessische Antisemitismusbeauftragte hat Strafanzeige wegen der Verwendung des Begriffs Palästina gestellt, dass dieser antisemitisch sein soll, darauf wären selbst in Israel nur wenige gekommen.

In der Ankündigung einer für Ende Oktober 2020 geplanten Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Palästina-Begriff hieß es:

„‚From the River to the Sea – Palestine will be free‘. Diese Losung wurde in Frankfurt am Main während einer Demonstration verschiedener Organisationen von den Demonstranten gebrüllt. Frankfurts Stadtkämmerer und hessischer Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker (CDU) stellte daraufhin Strafanzeige, weil diese Losung zum Wortschatz von Antisemiten und Israelhassern gehört.

Der Begriff ‚Palästina‘ ist fester Bestandteil auch im deutschen Sprachraum. In der Regel im Kontext der Beschreibung einer geographischen Region, öfter als ‚historisches Palästina‘. Allerdings ist einer überwältigenden Mehrheit der Menschen in Deutschland und anderen Ländern Europas nicht bewusst, welchen antisemitischen Assoziationen der Begriff entstammt. Der heute weit verbreitete Israel-bezogene Antisemitismus ist unmittelbar mit diesem Begriff verbunden und hat seine Wurzeln lange vor der Gründung des Staates Israel.“

Die Konferenz hat nicht stattgefunden, was insofern bedauerlich ist, als man zu gern wüsste, welchen antisemitischen Assoziationen der Begriff Palästina entstamme. Was vielleicht einer überwältigenden Mehrheit der Menschen in Deutschland und Europa nicht bewusst zu sein scheint, ist, dass die Juden Israels statt Palästina den Begriff Eretz Israel (das Land Israel) benutzen.

Es gibt keinen Grund für arabische Nichtjuden, diesen bewusst ideologisch eingesetzten jüdisch-zionistischen Begriff zu verwenden. Zum einen, weil sich ja in diesem Nomenklaturstreit der seinem Wesen nach territoriale Konflikt zwischen Juden und Palästinensern niederschlägt, welcher als solcher gar nichts mit Antisemitismus per se zu tun hat. Zionisten meinten, als ein Volk ohne Land ein Land ohne Volk kolonisieren zu dürfen, was eine Lüge war: In diesem Land lebte bereits ein anderes Kollektiv, auf dessen Rücken späterhin der zionistische Staat gegründet wurde. Das historische Unrecht, das dabei begangen wurde, ist bis heute ungesühnt. Warum sollten die Opfer dieser Staatsgründung und der sie tragenden Ideologie die Anmaßung des Begriffs „Eretz Israel“ akzeptieren? Sie insistieren mit vollem Recht auf „Palästina“.

Zum anderen betreibt Israel seit über 50 Jahren ein brutales völkerrechtswidriges Okkupationsregime im Westjordanland, das allerdings auf der gleichen ideologischen Basis, die dem Begriff „Ertz Israel“ zugrunde liegt, „Yehuda“ und „Schomron“ (Judäa und Samaria) genannt wird. Die dabei perpetuierte Berufung auf die Bibel ist Teil der Ideologie der nationalreligiösen Siedler (und de facto aller israelischen Regierungen seit 1967), die das besetzte Land für unverhandelbar erachten, weil es von Gott dem „auserwählten Volk“ gegeben worden sei. Und von einem solchen auf religiösen Mythen basierenden Ideologem sollten sich im 21. Jahrhundert die Palästinenser (und aufgeklärte Menschen wo auch immer) beeindrucken lassen?

Nun hat sich Frankfurts Stadtkämmerer und hessischer Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker nicht entblödet, sich wegen der Parole „From the River to the Sea – Palestine will be free“ zu echauffieren, mithin Strafanzeige wegen Antisemitismus und Israelhass zu stellen. Die erregten Rufe von Demonstranten in Frankfurt haben ihn aus der Fassung gebracht. Gleichmütiger scheint er damit umzugehen, dass in Israel schon seit Jahrzehnten ein Bevölkerungstransfer von Arabern propagiert wird und reale Praktiken eines solchen Transfers im Westjordanland betrieben werden.

Was es heißen mag, dass „Palästina frei werde“ ist nicht ausgemacht (denkbar wäre etwa das Ziel eines binationalen States, also die Befreiung von der oppressiven Herrschaft des zionistischen Staates); unzweideutig ist hingegen, was in Israel mit der Zielsetzung verschiedener Regierungen, Galiläa bzw. den Negev zu „judaisieren“, gemeint ist. Die ohnmächtigen Rufe in Frankfurt verblassen gegenüber den materiell gestützten, handlungsintensiven Apartheidbestrebungen des zionistischen Staates. Was die Rufe in Frankfurt mit Antisemitismus zu tun haben sollen, wüßte man gern. Über den offen artikulierten Rassismus der israelischen Regierung gegenüber Arabern (vom gängigen Alltagsrassismus ganz zu schweigen) ließe sich hingegen eine Menge sagen.

Dass der dem Nahostkonflikt geschuldete gegenseitige Hass von zionistischen Juden und Palästinensern eher zu- als abnimmt, kann nicht in Abrede gestellt werden. Das zeitigt zwangsläufig auch viel propagandistische Rhetorik, hohle Kampfparolen und ideologische Hetzpolemik. Dass aber der Begriff „Palästina“ für antisemitisch erachtet werden könnte, das hätten sich selbst in Israel ganz wenige einfallen lassen. Dazu bedurfte es schon des überhitzten befindlichkeitsgetriebenen Gehirns eines deutschen Israelfreundes und offenbar auch ausgepichten Palästinenserverächters.

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2 Kommentare

  1. Es scheint, der Verfasser hat nicht ganz mitbekommen, dass nicht der Begriff „Palästina“
    als antisemitisch gedeutet wurde, sondern die Drohung, dass dieses Palästina frei sein werde. Von Juden. Krass und konkret.

    Zu hoch für die Zucker- und Zimmermanns??

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