Tiervermenschung in der Musik

Garten Eden von Lucas Cranach. Bild: gemeinfrei

 

Die Darstellung von Tieren in der Musik ist mehrschichtig. Sie bedient sich zum einen der Nachahmung von Körperlichkeit und Stimmen der Tiere, muss sich aber zum anderen auf deren abstrakte Symbolisierung beschränken.

 

Richard Wagners „Götterdämmerung“ endet mit einer bemerkenswerten Initiative Brünnhildes: Wissend geworden, befiehlt sie die Errichtung eines Scheiterhaufens am Rheinufer, in dessen loderndem Feuer nicht nur der tote Siegfried verbrannt werden soll, sondern sie selbst besteigt zuletzt ihr Pferd Grane und springt „mit einem Satz“ in die Flammen. Das Tier wird mit in den Tod gerissen.

In der Bühnenanweisung heißt es zuvor: „Brünnhilde gewahrt ihr Roß, welches zwei junge Männer hereinführen. Sie ist ihm entgegengesprungen, faßt es und entzäumt es schnell; dann neigt sie sich traulich zu ihm.“ Sie singt: „Grane, mein Roß! / Sei mir gegrüßt! / Weißt du auch, mein Freund, / wohin ich dich führe? / Im Feuer leuchtend, liegt dort dein Herr, / Siegfried, mein seliger Held. / Dem Freunde zu folgen, wieherst du freudig? / Lockt dich zu ihm die lachende Lohe? / Fühl‘ meine Brust auch, wie sie entbrennt; / helles Feuer das Herz mir erfaßt, / ihn zu umschlingen, umschlossen von ihm, / in mächtigster Minne vermählt ihm zu sein! / Heiajoho! Grane! / Grüß‘ deinen Herren! / Siegfried! Siegfried! Sieh! / Selig grüßt dich dein Weib!“

Brünnhilde liebt das Tier, „traulich“ neigt sie sich zu ihm, „Freund“ ist es ihr. Sie spricht zu ihm, stellt eine Vermutung an über sein „freudiges“ Gewieher, über seine Hingezogenheit zum im Feuer verkohlenden toten Siegfried, bietet dem Ross gar ihre Brust zum Fühlen an. Ihre Beziehung zu Grane übersteigt ohne Zweifel die Konvention des gängigen Verhältnisses von Mensch und Tier. Aber obgleich sie es entzäumt, mithin ihm ein Stück Freiheit von zivilisatorischer Bürde gewährt, führt sie es auch in den Tod.

Sie will sterben, weil Siegfried tot ist, und sie nimmt das Tier mit in den Tod. Warum eigentlich? Vermeintlich, weil das Tier es so will (es wiehert freudig, „dem Freunde zu folgen“; die „lachende Lohe“ lockt es zu ihm), aber woher weiß sie das? Sie weiß es nicht. Es ist nichts anderes als Brünnhildes Projektion, die da als Granes Wille ausgegeben wird. Um es zum Gefährten zu machen, wird das Tier vermenscht, aber die Vermenschung findet bereits unter Bedingungen statt, in denen das Tier unterworfen worden ist – die Vermenschung des Tieres ist, so besehen, eine pseudo-versöhnliche Rationalisierung des zwischen Mensch und Tier vorwaltenden Macht- und Herrschaftsverhältnisses.

Der biblische Mythos

Das ist natürlich keine Erfindung Wagners. Schon im biblischen Mythos weist Gott den Menschen an, sich die Erde untertan zu machen. Nicht von ungefähr ist es da wie selbstverständlich, dass die Tierwelt mitvernichtet wird, als Gott sich daran macht, das sündige Menschengeschlecht durch eine Sintflut nahezu vollständig auszurotten; die Tiere, die sich ja nichts haben zuschulden kommen lassen, werden offenbar als Anhängsel des Menschen begriffen – das Menschenschicksal wird zu ihrem. So im biblischen Mythos und so auch in der realen Zivilisationsgeschichte: Tiere sind Natur, und also solche sind sie a priori menschlicher Naturbeherrschung unterworfen, auf der Zivilisation bzw. Kultur zwangsläufig basiert.

Während aber im Unterwerfungs-Postulat Gottes die Dichotomie Mensch-Tier klar artikuliert ist, ist das Verhältnis des Menschen zum Tier seinem Wesen nach ambivalent: Tiere sind zum einen Objekte menschlicher Aggression und Gewalt (sie werden gejagt, geschlachtet, misshandelt und dienen als Matrix einer Schmäh- und Fluchnomenklatur); zum anderen werden sie aber geliebt und – als Haustiere – versorgt (sie gelten als des Menschen „bester Freund“, sind Teil der existenziellen Reiter-und-Pferd-Symbiose, gehören mithin „mit zur Familie“). Brünnhilde schenkt Siegfried Grane, das Pferd, als Beweis ihrer Liebe. Das ehrt das Tier, degradiert es aber zugleich zum verdinglichten Mittel menschlicher Beziehungen. Auch als geehrtes hat es letztlich keinen Bestand für sich selbst – nicht an sich existiert das Tier in der menschlichen Wahrnehmung, sondern stets nur für anderes.

Saint-Saëns und Haydn

Das bestimmt auch die Repräsentation des Tieres in künstlerischen Darstellungen, in musikalischen zumal. Da sich Musik (zumindest als absolute) jeglicher Begrifflichkeit entzieht, ist sie in der Darstellung von Tieren darauf angewiesen, entweder das Wesen des Tieres musikalisch zu erfassen oder seine Körperlichkeit und Bewegung durch die des Instruments, das es darstellt, zu imitieren bzw. die Tiergeräusche nachzuahmen.

Für die Darstellung des Tieres als solches muss daher absolute Musik sich in eine programmatische verwandeln. Das ist aber nicht nur eine Frage der Vermittlung (und des adäquaten Mediums), sondern durchaus auch ein Problem der ideologisch vermittelten Wahrnehmung. Wenn etwa in Camille Saint-Saëns‘ „Karneval der Tiere“ der Elefant dargestellt werden soll, wird begreiflicherweise der Kontrabass zum Instrument seiner Repräsentation auserkoren: seine Größe und sein Gewicht korrespondieren mit denen des Rüsseltieres (der Klang übrigens nicht); es wirkte komisch, bediente man sich stattdessen der Flöte oder der Oboe – die Tuba käme da eher infrage.

Aber warum wählt Saint-Saëns eine Melodie im 3/4-Takt zur „Vertonung“ des Elephanten? Weil er offenbar tanzt. Elefanten tanzen aber nicht, es sei denn in Zirkusaufführungen. Als was sie da aber aufgeführt werden, ist gerade nicht der Elefant als Naturwesen, sondern als das zum Vergnügen des Menschen dressierte (und oft genug geschundene) Tier.

Noch eindeutiger zeigt sich dieses Grundverhältnis in Joseph Haydns „Schöpfung“. Als nämlich am sechsten Schöpfungstag Rinderherden thematisiert werden, sieht der Komponist vom äußeren Erscheinungsbild des individuellen Tieres ab (welches, ähnlich wie beim Elefanten, ein großes Instrument und tiefe Töne erfordern würde) und lässt ein Flöten-Andante im 6/8-Takt erklingen. Wie kann das sein? Nun, Haydn ist es nicht darum zu tun, die Tiere „naturalistisch“ darzustellen bzw. ihre individuelle Erscheinung zu imitieren, sondern die von ihm bei der Vorstellung der Rinderherden eingesetzte Flöte bläst „ein idyllisches Hirtenlied“. Die Tiere erscheinen also schon im Schöpfungsakt als das, in was sie sich eigentlich erst nach der Vertreibung aus dem Paradies verwandeln werden, nämlich Haustiere.

Haydn bedient sich, so besehen, selbst bei der Schöpfung der Tiergattung eines zivilisatorischen, mithin menschlichen Funktionsdenkens über Tiere. Dass dabei eine ländliche Idylle vorgestellt wird, entspricht durchaus der biblischen Kernaussage: Die gerade erschaffenen Tiere sind bereits im Genesis-Buch den Menschen (zum Nutzen) zugedacht; als landwirtschaftliche Haustiere existieren sie auf dem Land, unter der Obhut von Hirten; und weil die von Gott erschaffene Welt (zumindest bis zur Sintflut) als harmonische gedacht werden soll, ist die Idylle-auf-dem-Land nur konsequent.

Das gilt freilich nur für die zivilisationsgeschichtlich zu solchen gewordenen Haustieren. Bei den Wildtieren, etwa dem Löwen, dem Tiger oder dem Hirsch (aber auch bei den Insekten und Würmern) verwendet Haydn klangmalerische Mittel, um den Tieren qua Tieren gerecht zu werden, sie also nicht von vornherein (wie bei den Rindern) einer kulturell geprägten symbolischen Ordnung zu unterwerfen.

Zu fragen ist freilich, ob dies überhaupt möglich ist. Das Problem besteht ja darin, dass es für den Menschen keine wirklich unberührte Natur geben kann, denn berührt ist die Natur bereits, wenn sie mit Namen, mithin mit Klassifikations- und Ordnungskategorien bekleidet wird. Schon darin kündet sich die (durch Beherrschung bewerkstelligte) Entfernung des Menschen als zivilisiert-soziales Gattungswesen von der Natur, wobei das Herrschaftsmoment sich nicht zuletzt darin erweist, dass die Gattungsdifferenz hierarchisiert wird. So besehen, ist die Wildheit von Löwe, Tiger und Hirsch bei Haydn zwangsläufig eine kulturell transformierte: Was als „wild“ dabei konnotiert wird, ist weniger das Tier als Darstellungsobjekt, sondern vor allem der Einsatz der Ausdrucksmittel bei seiner symbolischen Repräsentation.

Dessen ist sich Haydn sehr wohl bewusst: Nicht von ungefähr gab er der Ouvertüre seiner „Schöpfung“ den Titel „Die Vorstellung des Chaos“ und nicht schlicht „Das Chaos“. Denn wie hätte man sich eine Vermittlung des schlechthin Ungeordneten, mithin dem ästhetischen Prinzip der Materialanordnung von Grund auf Entgegengesetzten, vorzustellen – in einem Werk, das sich dem klassischen Ideal der Musikkomposition verpflichtet weiß, zumal?

Haydns Lösung ist bemerkenswert. Als Chaos wird nicht das dargestellt, was der musikalischen Form und der ihr zugrunde liegenden Tonsprache entbehrt, sondern eine Entstellung und Verschleierung dessen, was sich sehr wohl der musikalischen Konvention verschwistert weiß und sich alsbald als eine bereits im Ungeordneten angelegte Fundamentalordnung entpuppt: Kraft einer kunstvollen Verdeckung des tonalen Zentrums in einem durch und durch tonal ausgerichteten Musikstück, durch die hinhaltende Verzögerung der konventionell erwarteten Kadenz zur Grundtonart, entsteht das Gefühl einer sinnlich erfahrenen Unbestimmtheit, die sich für Haydns musikalisch gebildeten Zeitgenossen als chaotisch ausnehmen musste, womit denn das berühmte C-Dur der Lichtschöpfung Gottes – als endlich hergestellte musikalische Ordnung – den musikpsychischen Stellenwert einer „Erlösung“ vom Ungeordneten durch Ordnung erhält.

Das Darstellungsprinzip

Dasselbe Prinzip lässt sich, wie gesagt, in der Tierauffassung des Haydenschen Oratoriums nachweisen. Dabei muss allerdings in Betracht gezogen werden, dass das Formprinzip, dem sich ein Haydn verpflichtet weiß, ohnehin noch streng klassisch ist, mithin sich Kunst als ein radikal von ihren Darstellungsgegenständen Geschiedenes vorstellt. Dies ändert sich nicht ganz, aber doch merklich in der Romantik. Denn nicht nur stellt diese (zumindest im französischen und deutschen Kulturraum) die durch außermusikalische Faktoren mitbestimmte Programmmusik der absoluten Musik als ideologische Herausforderung zur Seite, sondern sie bedient sich gerade in diesem relativ neuen Bereich der Musik gesteigert des Nachahmungsparadigmas.

Bekannt ist die Anekdote, derzufolge Richard Strauß Gustav Mahler beim prachtvollen Anblick der Alpen gesagt haben soll, er habe diese bereits komponiert. Der Straußschen Alpen-Sinfonie unterliegt ein Programm, das die musikalische Komposition bestimmt, vor allem aber beim Hörer durch imitierend-suggestive Musiksprache das erlebende Gefühl von Alpen-Anwesenheit generieren soll. Noch deutlicher manifestiert sich dies bei der Darstellung des Stromverlaufs der „Moldau“ in Bedřich Smetanas populärer Tondichtung.

Bei musikalischen Tierdarstellungen ist der Anreiz der Nachahmung noch größer, weil sie als gleichsam menschennahe Lebewesen für den Menschen leichter kodierbar erscheinen. Nicht von ungefähr zeitigten Walt Disneys Tiervermenschung einen phänomenalen Welterfolg. Und in der Tat sind die musikalischen Kodierungen der Tiere in Prokofieffs „Peter und der Wolf“ von einer suggestiven Akkuratesse: Dem holprigen Fagott-Gang des Großvaters und der kindlich-freudigen Streichermelodie Peters sind die Tiere mit überzeugender Instrumentenzuschreibung zugesellt – „der Vogel“ kann nur die Flöte, „die Ente“ nur die Oboe, „die Katze“ nur die Klarinette sein; entsprechend angepasst sind auch die nachahmungsbeseelten Leitmotive der Tiere. Lediglich das Hornmotiv des Wolfes ist nicht als plastische Darstellung des Tieres gemeint, sondern als das, was es in der Erzählung verkörpert: die lauernde Gefahr. Es ließe sich eine andere Musik für „den Wolf“ denken – dann etwa, wenn man ihn sich als ein liebenswürdiges Geschöpf vorstellt.

Ein ähnlicher Zugang findet sich in Saint-Saëns‘ „Karneval“: Das Iahen des Esels ist geigerisch glänzend imitiert, so auch der Klarinetten-Ruf des Kuckucks oder das aufgewühlte Gezwitscher im Vogelhaus. Hingegen wird zwar das Brüllen des Löwen nachgeahmt, aber sein Motiv ist primär durch den majestätischen Marsch der tierischen Royalität bestimmt, wie denn auch das berühmt gewordene Cellostück des Schwans oder die betörende Musik der Fische im Aquarium eher durch Atmosphärisches bzw. Symbolisches geprägt ist.

Das Entzücken, das diese Tierdarstellungen auslösen, gründet in der auf die Tiere projizierten Vorstellungen-von-Tieren, mithin in deren Vermenschung. Ob sich darin die zivilisatorische Unterwerfung der Tiere oder etwa die Sehnsucht nach Versöhnung mit ihnen abbildet, soll hier nicht entschieden werden. Und doch, in ihren (von zivilisatorischer Beherrschung mitgeprägten) musikalischen Darstellungen ist zumindest der Hauch einer unbewussten Sehnsucht angelegt – die Schönheit „ihrer“ Musik singt auch noch in der Repräsentation des für den Menschen Bedrohlichen das Hohelied einer archaischen, kulturell verschütteten Tierwürde, in der sich das Menschentier in lichten Momenten wiederzuerkennen vermag.

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