Christian Böttger: „DB und EVG versuchen mit allen Mitteln, den Aufstieg der GDL zu verhindern“

Bild: TeaMeister/CC BY-2.0

Der führende deutsche Bahn-Experte Professor Christian Böttger (HTW Berlin) nimmt im krass & konkret-Interview die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) und ihren Streik gegen überzogene Kritik in Schutz.

Professor Dr. Christian Böttger gilt als Jahren als der Experte in Deutschland für das Verkehrswesen und die Bahn. Er lehrt an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft neben diesen Sujets auch Industrial Marketing.

Die Forderungen der GDL sind keineswegs besonders hoch“

Die EVG, die Konkurrenz-Gewerkschaft der GDL, behauptet, es gehe im aktuellen Streik gar nicht um Tarifforderungen, sondern nur um einen Machtkampf. Ist der Streik deshalb unberechtigt? Geht es nicht in gesellschaftlichen Verteilungskämpfen immer um Macht?

Christian Böttger: In erster Linie ist es ein „regulärer“ Tarifkonflikt nach Auslaufen des alten Tarifvertrages. Aber vor dem Hintergrund des Tarifeinheitsgesetzes hat dieser Arbeitskampf eine besondere Bedeutung: Mit dem Tarifeinheitsgesetz wollten Politik und DGB-Gewerkschaften den Einfluss kleiner Gewerkschaften beschneiden, das hat im Fall der DB AG nicht funktioniert. Aufgrund der handwerklichen Schwächen des Gesetzes führen jetzt die EVG und die GDL einen noch härteren Kampf um Macht und Einfluss.

Auch kam am Donnerstag der etwas kuriose Vorwurf der EVG, es gehe um einen „politischen Arbeitskampf“. Ist aber nicht die Bahn an sich ein Politikum? Und auch zehn Euro mehr oder weniger für einen Arbeitnehmer können sehr politisch sein …

Christian Böttger: In der Tat sind die Forderungen der GDL keineswegs besonders hoch oder würden die DB AG unangemessen belasten. Die politische Dimension ergibt sich für die DB AG und die EVG. Nach der Bundestagswahl stehen Reformen bei der Bahn an. Das DB Management möchte solche Reformen verhindern, die EVG ist in dem Kampf gegen Reformen ein wichtiger Verbündeter und wird entsprechend gehätschelt. Wenn die DB AG jetzt mit der GDL einen für die Mitarbeiter günstigeren Tarifvertrag abschließt, wird die EVG weiter geschwächt und die reformfreudige GDL, wäre gestärkt. Deshalb will die DB AG der GDL nicht entgegenkommen.

Viele EVG-Funktionäre wechseln im lukrative Managementpositionen“

Wird hier indirekt durch die EVG und den DGB versucht, das Streikrecht zu untergraben?

Christian Böttger: Einerseits ist Deutschland in den letzten Jahrzehnten mit den Einheitsgewerkschaften, vor allem in der Industrie, gut gefahren. Spartengewerkschaften für Ärzte, Piloten oder Fluglotsen mit großer Streikmacht können für ihre Berufsgruppe ggf. unangemessen hohe Gehälter durchsetzen. Dies ist die Begründung für das Tarifeinheitsgesetz, das ja einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstellt. Die GDL ist aber inzwischen keine Sparten-Gewerkschaft mehr, sondern vertritt in etlichen der großen operativen DB-Gesellschaften die Mehrheit der Beschäftigten. Ich sehe nicht, daß das Streikrecht untergraben wird, aber DB AG und EVG versuchen mit allen Mitteln, den Aufstieg der GDL zu stoppen.

Wie bewerten Sie denn generell die Stellung der EVG? Die GDL wirft ihr große Nähe zum DB-Management vor …

Christian Böttger: In der Tat pflegt die EVG ein sehr gutes Verhältnis zum DB–Management. Viele EVG-Funktionäre wechseln im lukrative Managementpositionen. Die EVG unterstützt in politischen Debatten weitgehend die Positionen des DB Managements und hat gute Drähte in die Politik. In den aktuellen Debatten zu Reformen im DB Konzern steht die EVG fest an der Seite des DB Managements. Insofern ist der Vorwurf der GDL gut nachvollziehbar.

In der Krise hat kein Unternehmen solche Kürzungen bei den Mitarbeitern verlangt“

Die Äußerungen von GDL-Chef Weselsky zum Streikbeginn wirkten ja sehr klassenkämpferisch, das Mitglieder-Votum von 95% war sehr eindeutig. Wie ist Ihrer Meinung nach diese Wut entstanden?

Christian Böttger: Herr Weselsky formuliert in der Tat sehr scharf, um seine Mitglieder (und die, die es noch nicht sind) zu mobilisieren. Ich denke schon, dass es in der Belegschaft im klassischen Kerngeschäft der Bahn eine gewisse Unzufriedenheit gibt. Nach meiner Beobachtung gibt es Frustrationen, weil die Bahn insgesamt nicht gut funktioniert, viele Mitarbeiter lasten dies dem Management an.

Weselsky sprach von 3500 DB-Managern, die sich selbst Boni gestattet hätten. Stimmen diese Feststellungen? Hat die EVG diesen Boni wirklich zugestimmt?

Christian Böttger: Die EVG hat früh in der Corona-Krise vorzeitig einem neuen Tarifvertrag mit Nullrunde zugestimmt, den das DB-Management gegenüber dem Bund als Einsparbeitrag berichten konnte. Im weiteren Verlauf der Krise wurden von keinem Unternehmen solche Kürzungen bei den Mitarbeitern verlangt. Deshalb ist die Situation entstanden, dass in fast allen Branchen die Löhne erhöht wurden und die Bahn-Pensionäre Rentenerhöhungen erhalten. Nur die DB-Mitarbeiter sind schlechter gestellt. Die GDL nutzt argumentativ aus, dass die EVG schlecht und nicht im Interesse der Mitarbeiter verhandelt hat.

Die GDL-Darstellung zu den Boni ist etwas verkürzt, aber nicht falsch: Die Manager haben teilweise einen Rechtsanspruch auf ihre Boni, die Genehmigung in den Aufsichtsräten – mit Zustimmung der EVG-Vertreter – war zumindest teilweise alternativlos. Allerdings ist dieses Thema der EVG und dem DB-Management offenbar sehr peinlich – ein Teil der Boni hätte wohl gestoppt werden können. Auf jeden Fall ist das Ergebnis verheerend für die EVG, die einerseits dafür geworben hat, dass die Mitarbeiter den Gürtel enger schnallen müssten, andererseits aber die Boni genehmigt. Erst als die GDL das Thema öffentlich gemacht hat, hat die EVG versucht, einige Boni zu stoppen. Fairerweise muss man sagen, dass ein Teil der Führungskräfte auf ihre Boni verzichtet haben.

War nicht aber schon das Tarifeinheitsgesetz der Bundesregierung, welches vom DGB forciert wurde, der Anfang der Spaltung der DB-Belegschaft?

Christian Böttger: Ich glaube, dass es schon vor dem Gesetz unterschiedliche Strömungen innerhalb der Belegschaft gab. Von dem Tarifeinheitsgesetz erhofften sich DGB und EVG, dass die lästige Konkurrenz verschwindet. Bei der DB AG hat das nicht funktioniert, sondern hat zu einer beispiellosen und unerfreulichen Polarisierung geführt. Das DB Management hat daran einen Anteil, weil es sich klar auf die Seite der EVG stellt.

Der DB-Konzern verkauft auch Autopolitur und betreibt Skilifte“

Aber was halten Sie denn von der Unternehmensentwicklung der DB generell?

Christian Böttger: Die DB AG hat massive Probleme im Kerngeschäft: Die Pünktlichkeit im Netz sinkt seit Jahren, der Güterverkehr steckt unverändert in der Krise, trotz neuer Fahrzeuge bleibt der Fernverkehr unzuverlässig, zugleich steigt der Overhead massiv an. Der DB-Konzern hat sich in den letzten Jahren auf neue, bahnferne Geschäfte konzentriert. Dabei ist Arriva, der Bus- und Bahnverkehr außerhalb Deutschlands, finanziell ein Desaster, die Schienengüterverkehrsbeteiligungen außerhalb Mitteleuropas haben ebenfalls Milliardenverluste generiert. Seit einiger Jahren läuft immerhin die internationale Spedition Schenker ganz gut – wenn auch schlechter als die Wettbewerber. Derzeit konzentriert sich die Bahn auf Venture-Kapitalbeteiligungen, z.B. für Drohnen und Drohnenflughäfen.

Der Konzern verkauft aber auch Autopolitur, baut LKWs und betreibt Skilifte. Die Hälfte des Umsatzes hat nichts mit Eisenbahn in Deutschland zu tun, damit verschieben sich die Interessen im Konzern. Im Vorstand sitzt kein einziger Ingenieur mehr, nur einer der Vorstände hat jemals operativ im Bahngeschäft gearbeitet. Der Eigentümer hat in den letzten Jahren keine klaren Vorgaben gemacht, was er von der Bahn erwartet, entsprechend erratisch ist auch der Aufsichtsrat besetzt.

Der DB-Sprecher sprach in einem Pressestatement gar wörtlich davon, die GDL „schadet dem Klimaschutz“. Solche Äußerungen passen zwar PR-mäßig in die Zeit, wirken aber sehr übertrieben und grotesk … Geht es in dieser Auseinandersetzung dort gar nicht mehr um richtige Argumente?

Christian Böttger: Bei jedem Streik geht es darum, den Tarifpartner unter Druck zu setzen. Nimmt man die DB-Aussage ernst, müsste man dem gesamten öffentlichen Verkehrssektor, vielleicht auch dem Gesundheitsbetrieb, Streiks grundsätzlich verbieten. Damit würde man die Logik der Tarifautonomie zerstören. Natürlich ist so ein Streik nachteilig für das Klima, aber die DB AG steht gleichermaßen in der Verantwortung. Der Konzern ist derzeit nicht kompromisswillig und hofft, die GDL durch öffentlichen Druck in die Knie zwingen zu können.

Die Konzern-Bürokratie muss dringend verschlankt werden“

Sie gelten ja als der Bahn- und Verkehrs-Experte in Deutschland … Was wären denn Ihre Vorschläge, um eine Bahn zu schaffen, die bei den Kunden wieder beliebter wird, deren Tickets sich alle leisten können und bei der die Beschäftigten gerne arbeiten?

Christian Böttger: Am Anfang muss meines Erachtens eine klare Zielvorgabe der Politik stehen, was von der Bahn erwartet wird. Dann muss ein kompetenter Aufsichtsrat zur Umsetzung dieser Vorgaben eingesetzt werden. Wenn die Bahn zur Verkehrswende beitragen soll, braucht sie mehr Geld vom Bund zum Infrastrukturausbau. Zugleich brauchen wir dringend einen Plan, wie die erforderlichen Ressourcen, vor allem Ingenieure, bereitgestellt werden können.

Die DB AG sollte sich meines Erachtens auf die Eisenbahn in Deutschland konzentrieren. Bahnferne Aktivitäten sollten verkauft werden. Die Konzernbürokratie muss dringend verschlankt werden, Doppelstrukturen sind abzuschaffen, viele Tochterfirmen, die heute Serviceleistungen für andere Konzernfirmen erbringen und teurer als der Markt sind, sollten in den Konzern reintegriert werden. Grundsätzlich sollten Entscheidungen dezentralisiert werden. Auch die Trennung von Netz und Transportgesellschaften wäre aus meiner Sicht richtig. Die Trennung ist aber kein Allheilmittel, sondern ein Baustein unter vielen.

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3 Kommentare

  1. Unser Streikrecht ist schwach genug. Jede erste Instanz der Arbeitsgerichte konnte bisher Streiks verbieten und hat sie verboten. Der Artikel 9 GG muss deutlicher und schäfer
    f ü r und nicht gegen das Streikrecht gefasst werden.
    Ich danke Herrn Weselsky für seinen Mut, der GDL und allen ihren Mitgliedern für diesen Streik. Im Bahnvorstand tummeln sich viele Versager. Als ich jünger war, hatte die Deutsche Bundesbahn vier Vorstandsmitglieder und fuhr, wie es im Fahrplan stand und nicht irgendwann.
    Vielen, vielen Dank, GDL.
    Willi Mittelstädt, Geesttwiere 1, 22111 Hamburg-Billstedt

    1. Ich war gerne und mit Leib und Seele TF. Jedoch der Technik und Planungswahnsinn der letzten 20Jahren haben mich so krankgemacht, das mein Familienleben darunter sehr gelitten haben. Gesundheitlich kann ich und mittlerweile will ich den Beruf nicht mehr machen. Ich arbeite jetzt in der Werkstatt in meinem ursprüglich erlernten Beruf bei der DB. Oh wunder wenn ich Feierabend habe kann ich die Arbeit Arbeit sein lassen. Nun mache ich mir keine Gedanken mehr warum funktioniert dieses und jenes nicht, was gewisse Nieten in Nadelstreifen an scheinen scheiß egal ist. Die bekommen den Frust der Kunden im Postdammer Glaspalast Feiertags und Sonntags nicht mit!!!!
      Auch wenn ich in der EVG find ich es auch nicht immer richtig der Vorstand macht genauso das die GDL nicht alles falsch macht. Die Kollegen sollen ruhig Streiken dürfen !!!

  2. Auch ich bin der Meinung von Herrn Böttger und frage mich schon lange wo die soziale Komponente unserer Marktwirtschaft geblieben ist??? Die Beschränkung unserer Grundrechte wird immer offensichtlicher. Ich unterstütze voll und ganz die Forderungen und Stellungsnahmen der GDL und ihrer Mitglieder, den Mut muss jeder anerkennen!
    Ich wünsche Durchhaltevermögen ?

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