Philip Wallach: „Es besteht ein Mangel an Vertrauen in die politische Führung“

Bild: Tyler Merbler/CC BY-2.0

Philip Wallach vom konservativen US-Thinktank American Enterprise Institute (AEI) in Washington über den Terror der QAnon-Rechten, das Versagen der Eliten und die Zukunft von Donald Trump.

Dr. Philip Wallach  ist der Justiz- und Innenpolitik-Experte des US-think tanks AEI (American Enterprise Institute) in Washington, DC. Sein Spezialgebiet in der Forschung ist die „separation of powers“ . Er beriet Institutionen der US-Regierung und war zudem tätig für den konservativ-libertären think-tank Rstreet  und die liberale Brookings Institution. Sein letztes Buch ist: „To the Edge: Legality, Legitimacy, and the Responses to the 2008 Financial Crisis“.

 

Das AEI  galt vor allem unter den US-Präsidenten Nixon, Reagan und George W. Bush („I´m admire AEI a lot!“) als Denkfabrik des Weißen Hauses und beriet sowohl Obamas Außenministerin Clinton als auch die Regierung Trump. Mehrere Minister und Mitglieder der kriegstreiberischen „NeoCon“-Regierung W. Bush gehörten AEI an, darunter Ex-Vizepräsident Dick Cheney, Richard Perle, Paul Wolfowitz (später Weltbank-Präsident) und John Bolton, der spätere Sicherheitsberater von Präsident Trump. Weitere bekannte Vertreter des AEI waren oder sind Milton Friedman, Gerald Ford, Billy Kristol (Weekly Standard Mag), Ayyan Hirsi Ali, Yuval Levin, Bill Schneider (CNN), Lee Raymond (Ex-CEO ExxonMobil), Bushs Redenschreiber David Frum, Newt Gingrich, John McCain, Joe Lieberman, HIV-Forscher Roger Bate, Fred Kagan, Gary Schmitt sowie Jungle World-Autor Matthias Küntzel.

Das AEI gilt zwar eher als Republikaner-nah, gilt aber mittlerweile konservativen Republikanern und anti-jüdischen Verschwörungstheoretikern als zu „diversity“-liberal, unchristlich, „jüdisch-freimaurerisch“, keynesianistisch, feministisch und minderheitenorientiert. In US-Milizenforen kursieren Mordaufrufe gegen AEI-Mitglieder jüdischer Herkunft. Dutzende prominente AEI-VertreterInnen sprachen sich 2016 in Wahlempfehlungen etwa in der New York Times gegen Trump und für Hillary Clinton als Präsidentin aus.

„Es war todernst“

Was ist Ihre Einschätzung der Ereignisse auf dem Capitol Hill?

Philip Wallach: Mittwoch war ein hässlicher Tag in der Geschichte Amerikas. Die Szenen von Chaos und Terror aus dem Kapitol werden uns noch lange verfolgen, und mindestens ein Polizist wurde getötet. Viele der Randalierer schienen zu glauben, dass dies alles Spaß und Spiel war, aber es war todernst.

Einige Vertreter der Reps, darunter Mitch McConnell, waren bis Mittwoch „tiefe Freunde“ des Präsidenten. Aber innerhalb weniger Stunden sind sie seine Feinde? Das ist ein bisschen kurios zu beobachten …

Philip Wallach: Die republikanischen Abgeordneten waren während seiner Amtszeit tief über Trump gespalten. Obwohl er zweifellos hart daran gearbeitet hat, Trumps Republikaner zu vereinen, wurde Senator McConnell in Wirklichkeit nie für einen engen Verbündeten des Präsidenten gehalten, und die Tatsache, dass er nach der Abstimmung im Electoral College im Dezember entscheidend mit Trump gebrochen hat, war nicht überraschend. Seine Äußerungen am Mittwoch, also, was er vor dem Einbruch der Randalierer in das Kapitol gesagt hatte, waren ja bereits eine vernichtende Anklage gegen Trump und deuteten darauf hin, dass Trump für viele Republikaner keine Chancen mehr haben wird. Gleichzeitig aber behält Trump eindeutig die leidenschaftliche Unterstützung, den „passionate support“, einiger Mitglieder der Partei. Es wird also eine noch größere Herausforderung sein, die Republikanische Partei an diesem Punkt zusammenzuhalten.

QAnon-Vertreter und Nazis waren Teil des „Geschehens“ … Solche Bilder haben die USA seit KKK in den 60ern nicht mehr gesehen. Antisemitische Vorfälle nehmen zu, seit Trump Präsident ist, sagt die ADL. Ist QAnon keine echte Gefahr für die USA und die Welt? „Q“ ist doch wie eine dunkle Religion wie Daesh, oder nicht?

Philip Wallach: Zwar haben rechtsextreme antisemitische Elemente in den letzten vier Jahren an Dynamik gewonnen, aber sie sind immer noch extrem klein und marginal. Ihre Hauptstärke liegt in den sozialen Medien, und wir sollten ihren Zwecken nicht dienen, indem wir ihre Bedeutung übertreiben. Obwohl einige dieser Elemente für die Ereignisse am Mittwoch vor Ort waren, schienen sie nicht die treibende Kraft zu sein. Vielmehr schienen die meisten Teilnehmer nur wütende Trump-Anhänger zu sein, die über die Wahl verärgert waren.

In der Zwischenzeit sollten wir aber nicht vergessen, dass Präsident Trump sich stark auf seinen Schwiegersohn Jared Kushner verlassen hat, um für den Frieden im Nahen Osten zu arbeiten, und ein positives Erbe für Israel zu hinterlassen scheint.

„Es schafft sicherlich kein Vertrauen in die Handlungsbereitschaft unserer politischen Führung“

Das sehen manche anders. Aber was denken Sie über die Arbeit der Hill Police, der DC Police, des FBI, des Secret Service und der National Guard in dieser Woche, nicht gerade ein Ruhmesblatt?

Philip Wallach: Es gab eindeutig katastrophale Fehlentscheidungen, die den Sturm des Kapitols ermöglichten. Anscheinend wurden Angebote zur Stärkung der Capitol Police abgelehnt, was angesichts des geringen Widerstands, den die Polizisten letztendlich leisteten, schockierend ist. Die Führer des Kongresses haben bereits den Leiter der Organisation und andere entlassen, „fired“, und werden eine umfassende Untersuchung einleiten. Aber es schafft sicherlich kein Vertrauen in die Handlungsbereitschaft unserer politischen Führung.

Aber nicht nur viele US-Amerikaner sind wütend, weil die Polizei im ganzen Land die BlackLivesMatter-Demonstranten im Sommer gestoppt hatte, aber nicht die Nazis jetzt im DC!?

Philip Wallach: Ich würde eher annehmen, die überwiegende Mehrheit der Amerikaner möchte nur, dass alle Arten von Gewalt und Bedrohungen der öffentlichen Ordnung gestoppt werden, unabhängig davon, was die Leute in den sozialen Medien sagen und was dort laut kursiert.

Andere US-Amerikaner sind ja wütend, weil sie glauben, dass das große Washington sie und ihre wirtschaftlichen Ängste seit Jahren und Jahrzehnten vergessen hat. Einige von ihnen stimmten für Trump, weil sie dachten, er sei ein wirtschaftlicher Messias. Verstehen die anderen Politiker ihre täglichen Probleme nicht? Armut ist in den USA doch ein echtes Problem?

Philip Wallach: Es besteht ein ernsthafter Mangel an Vertrauen in die politische Führung des Landes, und es gibt viele berechtigte Bedenken hinsichtlich des Zerfalls der amerikanischen communities, der eine schreckliche Drogenepidemie und ein Gefühl der sozialen Isolation für Millionen ausgelöst hat. Natürlich hat die COVID-19-Pandemie diese Probleme nur noch verschlimmert. Dies sind jedoch nicht genau die Probleme der Armut.

Der amerikanische Sozialstaat ist enorm gewachsen und wurde schon ausgebaut, um in diesem Jahr eine Pandemiehilfe zu leisten. Eine stärkere Umverteilung des Wohlstands könnte helfen – aber im vergangenen Jahr wurde damit schon begonnen. Und dennoch haben wir die sozialen Unruhen von 2020 und diesen schrecklichen Start ins Jahr 2021 erlebt. Und natürlich hatte Trump vier Jahre im Amt, um diese Bedenken auszuräumen, aber er scheint sie größtenteils verstärkt zu haben.

„Präsident Trump ist jetzt isolierter als jeder seiner Vorgänger je zuvor es war“

Die letzte Amtsenthebungskampagne war ja ein nice try, mehr aber nicht … Werden wir einen neuen Impeachment-Prozess sehen? Und was ist mit Artikel 25, den Vize Pence aktivieren könnte?

Philip Wallach: Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass Pence daran interessiert ist, Präsident Trump mit dem 25. Zusatzartikel der Verfassung durch Kabinettsmehrheit zu entfernen, insbesondere jetzt, wo der Präsident eine viel zurückhaltendere Rede gehalten hat. Viele Demokraten haben eine neue Amtsenthebung gefordert, aber es ist derzeit sehr unklar, ob sich viele Republikaner ihnen anschließen werden und ob ihr Vorstoß in den verbleibenden Tagen vor der Amtseinführung von President-elect Biden am 20. Januar Fortschritte machen wird.

Präsident Trump sagte ja oft, die Antifa sei Terrorismus, aber nicht die Antifa brachte explosives Material in Rohrbomben auf den Hill. Das FBI hat in diesem Milieu nicht operiert, um diese WP-Terroristen zu neutralisieren?

Philip Wallach: Dies scheint mir nicht fair zu sein – zum Glück haben die Strafverfolgungsbehörden am Mittwoch Bomben und Molotow-Cocktails entdeckt, bevor sie verwendet wurden, und natürlich sind die Leute, die sie hinbrachten, jetzt im Gefängnis. Und leider haben Antifa-Angriffe im vergangenen Sommer im ganzen Land großen Schaden angerichtet, und die Täter wurden nur selten vor Gericht gestellt. Es ist einfach falsch zu implizieren, dass das FBI nicht daran interessiert ist, den rechten Terror zu stoppen. Sie und das Department of Homeland Security investieren ziemlich stark in diese Priorität.

Hat der Präsident die Checks & Balances vor allem von Exekutive und Legislative zerstört?

Philip Wallach: Ganz klar nicht – Präsident Trump ist jetzt isolierter, als es jeder seiner Vorgänger je zuvor war. Der Kongress widersetzte sich der Gewalt und arbeitete bewundernswert bis in die Nacht hinein, um seine Arbeit zu beenden und Biden zum Gewinner der Wahl der Wahlmänner-Versammlung zu erklären. Niemand von irgendeiner politischen Verantwortung glaubte, dass Trumps Versuche, die Wahl zu stürzen, erfolgreich sein könnten. Wenn überhaupt, werden wir möglicherweise durch die Reaktion auf diesen Horror-Tag vom Mittwoch eine stärkere Kontrolle gerade durch die demokratischen Institutionen der Checks and Balances sehen. Unsere Verfassung hat viel ernstere Krisen erlebt und überstanden als diese – und diese heute wird sie auch ganz sicher überstehen.

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