Joe Chialo: „Subkulturen sind wichtig für den Fortschritt“

Joe Chialo. Bild: https://www.joechialo.de

 

Joe Chialo im Interview über die soziale Frage, Diversität, Klischees und Klimapolitik. Der Musikmanager Chialo ist neben Friedrich Merz, Peter Neumann und Dorothee Bär Teil des sechsköpfigen CDU-Zukunftsteams von Kanzlerkandidat Armin Laschet.

„Es geht am Ende immer um die soziale Frage“, resümiert der humorvolle Rheinländer Chialo, der einen sehr ungewöhnlichen Lebensweg vorzuweisen hat, am Ende des Krass & Konkret Interviews nachdenklich. Der einundfünfzigjährige, heute global tätige Musikmanager Joe Chialo stammt aus einer Diplomatenfamilie und besuchte ein katholisches Ordensinternat, er absolvierte danach aber eine sehr bodenständige Handwerksausbildung zum CNC-Fräser.

Im Anschluss begann er ein Studium der Staatswirtschaft, brach es aber ab, um eine Musikkarriere als Sänger zu starten mit einem Vertrag bei Sony. 2009 gründete er in Kollaboration mit dem Major Label Universal Airforce1 Records und spezialisierte sich auf afrikanische Musik-Acts. 2019 war er für die ARD in der Jury des Eurovision Song Contest (ESC), bei Universal ist er hochrangiger Senior Vice President A&R für Mitteleuropa und Afrika und betreut u.a. die afrikanische Pop-Ikone Vanessa Mdee, den Ibero-Star Alvaro Soler, Santiano, Newcomer-Entdeckung Ben Zucker, Kino-Star Matthias Schweighöfer und die Kelly Family.

Der Ex-Grüne trat 2015 in die CDU ein und ist jetzt nicht nur der Kultur-Experte in Laschets Zukunftsteam, sondern auch Direktkandidat für den Bundestag im Berliner Bezirk Spandau, welcher einst als gutbürgerlicher Stino-Bezirk mit „soliden“ Alt-Berlinern galt, in den letzten Jahren aber zum sozial schwachen Problem-Kiez wurde. An diesem Freitag warb er auf dem Reeperbahn-Festival auf dem Kiez von St. Pauli für seine „Initiative Hauptstadt Berlin“, die Chancengleichheit für jede*n einfordert, gleich welcher sozialen Herkunft.

„Bei Chancengerechtigkeit gibt es noch Luft nach oben“

Deutschland wurde durch Bundeskanzlerin Merkel in eine diverse Gesellschaft geführt, was wohl der größte Verdienst ihrer Kanzlerschaft ist. Aber hat man darüber nicht vergessen, auch die Daseinsvorsorge und auch die soziale Frage auf einen modernen Stand zu bringen und niemanden in der Gesellschaft zurückzulassen? Das führt zu Verunsicherung und real begründeten Existenzängsten bei vielen, auch bei Menschen, die „divers“ sind … Menschenrechte sind doch immer auch soziale Rechte für Teilhabe?

Joe Chialo: Natürlich kann man alles besser machen. Aber wir müssen doch auch einmal auf die Fakten schauen: Deutschland hat eines der leistungsfähigsten Sozialsysteme der Welt. Unsere Krankenversicherung und Gesundheitsversorgung, unsere Arbeitslosenversicherung, unsere Rentenversicherung und auch die Rettungsleinen in Form von Hartz IV und der Grundsicherung für Rentner setzen Maßstäbe. Und unsere Kurzarbeitermodelle haben sich in der Krise als ein großer Stabilitätsfaktor erwiesen, um den uns viele beneiden.

In puncto Daseinsvorsorge sehe ich Deutschland ganz klar in der Weltspitze. Allerdings will ich damit nicht die Existenzängste kleinreden. Die Corona- und die Klima-Krise stellen uns vor große Herausforderungen, die wir nur gemeinsam lösen können. Ein Schlüssel ist dabei für mich Chancengerechtigkeit für alle Menschen – egal, wie sie heißen, woher sie kommen, wie sie aussehen, woran sie glauben oder wen sie lieben. Und da gibt es durchaus noch Luft nach oben.

Gegen das Leistungsprinzip ist zwar grundsätzlich nichts zu sagen, obwohl man sich ja auch nicht totarbeiten sollte, wie jeder lebensfrohe Rheinländer weiß … Aber leben wir überhaupt in einer Leistungsgesellschaft und nicht vielmehr in einer Herkunftsgesellschaft, in der Bedingungen eine viel größere Rolle spielen als Potentiale? Was wären Ihre Ideen, um mehr Chancengleichheit zu schaffen, damit auch Kinder aus ärmeren Familien überhaupt etwas leisten können?

Joe Chialo: Das ist ein wunder Punkt in unserer Gesellschaft. Chancengerechtigkeit fängt für mich im Kindergarten an. Wir müssen dafür sorgen, dass die Startpositionen, wenn es in die Schule geht, nicht mehr so weit auseinanderliegen. Sprache ist da ein wichtiges Thema. In der Schule müssen wir mehr auf digitale Formen der Bildung setzen, die ausdrücklich allen Kindern und Jugendlichen Zugang zu hochwertiger Bildung gewährt. Ich setze mich zum Beispiel für eine bundeseinheitliche Bildungsplattform ein, über die gemeinsame und individuelle Bildungsinhalte der Länder vermittelt werden. Das sollte auch mit bundeseinheitlichen Mindeststandards einhergehen. Am meisten ärgert mich, dass wir im Jahr 2 der Corona-Krise hierüber überhaupt noch diskutieren müssen.

„Viele gute Ideen sind an den Rändern der Gesellschaft entstanden“

Wie sind Sie denn eigentlich zur CDU gekommen? Sie kommen doch aus der Musikindustrie, dort ist man eher linksliberal, was immer das heißen mag …

Joe Chialo: Mit dieser Einteilung kann auch ich wenig anfangen. Für mich sind die Werte entscheidend, die ein Mensch oder eine Partei vertritt. Und da fühle ich mich der CDU am nächsten. Vielleicht hat auch meine rheinisch-katholische Erziehung ihren Anteil daran. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahrzehnten mit dem Klimawandel, der Digitalisierung und der Globalisierung die größten Herausforderungen der Menschheitsgeschichte vor uns haben. Was dann zu tun ist, steht in keinem Wahlprogramm. Dafür braucht man einen stabilen Kompass. Für die nun notwendigen Veränderungen braucht man die Bereitschaft, ja die Begeisterung der Menschen. Und zwar möglichst vieler Menschen. Denn ohne eine Mehrheit für den CO2-Ausstieg wird es einen solchen Ausstieg auch nicht geben. Und deshalb möchte ich überzeugen, statt verbieten, möchte Brücken bauen, statt ideologische Mauern zu errichten. In meinen Augen ein weiterer Punkt für die CDU.

In einem TV-Beitrag begegneten Sie in Ihrem Wahlkreis einem Sympathisanten der Anarchistischen Pogo-Partei (APPD) und reagierten gar nicht so negativ, obwohl das der Gegenpol zur CDU sein dürfte. Kommen positive Impulse für die Gesellschaft nicht immer auch von den Rändern der Gesellschaft – Nazis ausgenommen -, die schon Rio Reiser großartig in „Im Süden“ besang? Haben die großen Parteien die Subkulturen etwas aus den Augen verloren? Ist dort nicht viel Kreativität und Potential, um Dinge auch mal anders zu sehen? Das ist der historische Gebrauchswert der Kultur, das Bruttosozialprodukt ist ja nicht alles im Leben …

Joe Chialo: Viele gute Ideen, die heutzutage Common Sense sind, sind an den vermeintlichen Rändern entstanden – ob Suffragetten, Atomkraftgegner oder Klimaaktivisten. Am Ende haben sie es aber alle bis in die Mitte der Gesellschaft geschafft. Dabei liegt es ja in der Natur der Sache bei einer Subkultur, dass sie sich unter dem Radar der Mehrheiten bewegt. Gute Ideen diffundieren dann vom Rand in die Gesellschaft und in die Parteien. Das ist der demokratische Prozess. Und genau das zeigt, wie wichtig Subkulturen für den Fortschritt sind. Man braucht Menschen, die andere Verknüpfungen herstellen, um Innovationen zu erreichen. Die Kultur spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie ist nämlich nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern auch die gesellschaftliche Avantgarde. Die Anerkennung queerer Kultur, berufstätige Frauen und große Diversität – das alles hat die Kultur- und Kreativwirtschaft doch enorm vorangetrieben.

„Klischees führen in die Irre. Und doch liegt ein Funken Wahrheit darin“

 Was halten Sie eigentlich von typisch deutschen Sekundärtugenden? Ist der menschliche Charakter nicht vielfältiger? Italien hat bewiesen, dass man auch mit anderen Tugenden wie Fantasie und Improvisationstalent nicht nur die WM und den ESC gewinnen kann … Und in südlichen Ländern, die man in Deutschland gerne als chaotisch oder anarchisch betrachtet, wie Italien, Portugal, Israel, Griechenland, hat man Corona auch sehr gut gehändelt, in Portugal ist fast jeder geimpft?

Joe Chialo: Klischees führen meist in die Irre. Und doch liegt oft auch ein Funken Wahrheit darin. Ich finde die sogenannten „deutschen Sekundärtugenden“ wie Fleiß, Pünktlichkeit und Genauigkeit großartig. Allerdings bin ich mir sicher, dass Nichtdeutsche sie ebenso besitzen und zu schätzen wissen. Abgesehen davon sind sie als Begründung für das Nord-Süd-Gefälle in Europa eher unbrauchbar.

Denn hier geht es eher um historische Entwicklungen, um gewachsene Systeme, um grundsätzliche Fragen der Haushalts- und Wirtschaftspolitik. Wenn es einzig nach den Corona-Erfolgen ginge, dann müssten wir China mit seiner Totalüberwachung und Neuseeland mit seiner kompletten Abschottung zum Vorbild nehmen. Das will ich nicht, und diese Argumentation führt auch zu nichts. Als leidenschaftlicher Europäer bin ich der festen Überzeugung, dass sich die Schere innerhalb der EU nur gemeinschaftlich schließen lässt. Ich befürworte daher eine engere europäische Zusammenarbeit in allen politischen Feldern einschließlich der Wirtschafts-, Fiskal- und Sicherheitspolitik.

Muss der einst fortschrittliche Westen sich nicht ganz neu aufstellen, um in der Welt noch mithalten und auch weiter ein Leuchtturm der Freiheit sein zu können? In Afghanistan wurden die Werte des Westens verraten … Von welcher Welt träumen Sie? Und muss die CDU sich dafür nicht weiter modernisieren?

Joe Chialo: Trotz der allgemeinen Lesart, habe ich einen anderen Blick auf den Afghanistan-Einsatz. Die Nato-Verbündeten haben in den 20 Jahren ihrer Präsenz nicht nur dafür gesorgt, dass Afghanistan kein sicherer Rückzugsort für Terroristen mehr ist. Sie haben auch großen Teilen einer ganzen Generation ermöglicht, in relativer Freiheit und Sicherheit aufzuwachsen. Es gibt Anzeichen in Form von Demonstrationen und örtlichem Aufbegehren dafür, dass sich dieses Rad nicht so einfach zurückdrehen lässt, wie es sich die Taliban vielleicht vorgestellt haben. Der Einsatz ist schlussendlich gescheitert, er war in meinen Augen aber alles andere als sinnlos. Umso bitterer war das Versagen der Nato beim Rückzug. Ich träume wie so viele andere von einer gerechten und friedlichen Welt. Die CDU muss sich wie alle Parteien permanent modernisieren.

„Wir müssen kreative Freiberufler und Soloselbständige besser absichern“

 Kurioserweise kommen heute eher aus dem linksliberalen Milieu Anzeichen einer Verbotskultur. Ulf Poschardt hat dieses pseudolinke „Spießer-Milieu“ und dessen Doppelmoral in der Welt mehrmals treffend beschrieben. Sind die sogenannten Linksliberalen, die eigentlich gar keine Gutmenschen sind, und manche Grünen heute die neuen Spießer?

Joe Chialo: Mit persönlichen Diffamierungen lösen wir kein einziges Problem. Bei den Zielen – zum Beispiel im Klimaschutz – liegen wir ja gar nicht weit auseinander. In den Strategien zur Erreichung dieser Ziele zeigen sich aber die Unterschiede sehr wohl. Wir glauben, dass wir einen wirklichen Wandel nur mit den Menschen und mit der Wirtschaft schaffen. Ohne ein breites Bündnis und eine internationale Klima-Koalition sind wir machtlos. Verbote dürfen aber dabei nur das letzte Mittel sein. Ich bin optimistisch, dass uns das auch anders gelingt. Mit innovativen Technologien und Einsicht zur Änderung des eigenen Verhaltens.

Im Zukunftsteam von Armin Laschet sind Sie ja der Experte für Kultur. Was konkret sind denn aber Ihre Ideen?

Joe Chialo: Ich habe erst vor wenigen Tagen gemeinsam mit Armin Laschet und Monika Grütters einen 5-Punkte Plan zur Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft vorgestellt. Mein Hauptanliegen dabei war, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Kultur zu unterstreichen, und eine Lanze für die Künstlerinnen und Künstler zu brechen. Denn sie sind das Herz unseres Kulturbetriebs. Deshalb müssen wir Künstler, Kreative und kulturnahe Freiberufler und Soloselbständige besser absichern. Wir müssen ihnen durch ein zeitgemäßes Urheberrecht auch die Möglichkeit geben, in einer digitalen Content-Ökonomie von ihrer Arbeit leben zu können.

Wir sollten endlich verstehen, dass Pop- und Clubkultur von der Musik bis zum Gaming keine Kultur zweiter Klasse ist, sondern genauso viel Respekt und Unterstützung im Krisenfall verdient wie andere Kulturbereiche. Dieses Verständnis sollte sich in der Förderung, mehr aber noch in der Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen widerspiegeln. Dass zum Beispiel kulturnahe Liveclubs im Baurecht noch immer wie Bordelle und Wettbüros behandelt werden, dürfen wir nicht länger akzeptieren.

„Was am Ende zählt, ist das, was auf der Straße gesprochen wird“

 Viele Menschen haben aber auch das Vertrauen in die Politik verloren. Ist die Politik denn nicht viel zu elitär geworden, Beispiel Gender-Sprache?

Joe Chialo: Das tolle an der Sprache ist, dass sie eine der demokratischsten Kommunikationsformen ist, die es gibt. Es gab schon immer diverse Gruppen, die versucht haben, die Sprache in die eine oder andere Richtung zu biegen. Was am Ende aber zählt, ist das, was auf der Straße gesprochen wird. Viele haben dazu eine Meinung, der tatsächliche Wirkungsspielraum ist doch aber sehr begrenzt. Deshalb ist die Diskussion ums Gendern auch kein Aufreger für mich. Abgesehen davon könnte die Politik aber natürlich besser kommunizieren, indem sie zum Beispiel auch die emotionale Seite der großen Themen besser einbezieht. Ich habe aktuell das Gefühl, dass insgesamt das gegenseitige Misstrauen wächst, nicht nur gegenüber der Politik. Die Wissenschaft oder auch die Wirtschaft sind davon genauso betroffen. Und hier sollten wir uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen, woher das kommt. Miteinander zu reden, ist auf jeden Fall ein guter Start dafür.

Vor allem ärmere Menschen gehen kaum noch wählen, wie viele Studien belegen. Bei allen anderen großen Diskussionen – geht es nicht letztlich immer um die soziale Frage?

Joe Chialo: Es geht am Ende immer um die soziale Frage, weil es immer um die Menschen geht. Ich will, dass alle Menschen in Deutschland – heutige und zukünftige Generationen – in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können. Um das „Wie“ stehen wir mit den anderen demokratischen Parteien im Wettbewerb. Ich kann nur jeden und jede bitten, wählen zu gehen und damit das eigene Schicksal und das unseres Landes mit zu beeinflussen. Jede Stimme für eine demokratische Partei ist eine gute Stimme. Und jede Stimme für die CDU trägt dazu bei, unsere großen Ziele in Gemeinschaft und Solidarität von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Autofahrern und Radfahrern, Deutschland und seinen europäischen Partnern zu erreichen.

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