„Wir sind die letzte Generation, die die Katastrophe des unumkehrbaren Klimazusammenbruchs noch aufhalten kann“

Pressekonferenz der Hungerstreikenden

Das Angebot der KanzlerkandidatInnen, privat, einzeln und nach der Wahl mit ihnen zu sprechen, mussten sie ablehnen. Nach 18 Tagen Hungerstreik und heranrückender Wahl spitzt sich die Lage für die AktivistInnen und die Politiker zu.

Seit dem 30. August befinden sich 6 junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren in einem Camp in der Nähe des Reichstagsgebäudes in einem Hungerstreik, begleitet von weiteren Aktivisten sowie Ärzten und Psychologen. Seit Montag haben sie aufgehört, Kalorien durch einen Vitaminsaft zu sich zu nehmen. Ein Aktivist musste vorübergehend ins Krankenhaus, macht aber nun weiter mit. Die dramatische Aktion nennt sich „Hungerstreik der letzten Generation“, die jungen Menschen setzen ihre Gesundheit oder womöglich sogar ihr Leben ein, um vor der Bundestagswahl darauf aufmerksam zu machen, dass ihre Generation die letzte ist, die noch „die Katastrophe des unumkehrbaren Klimazusammenbruchs aufhalten kann“.

Am Tag 18 schreibt Henning Veske, einer der Hungerstreikenden: „Körperlich einfach weiterer Gewichtsverlust. Einige Hungerstreikende gerade mit Schmerzen. Gleichzeitig die Notwendigkeit nach zivilem Widerstand, um das Recht auf Leben zu schützen.“

Die Politiker sollen gezwungen werden, sich der Dringlichkeit zu stellen. Die jungen Menschen sehen sich von der Politik missachtet, selbst die Grünen würden eine unzureichende Klimapolitik  betreiben: „Der Generationenvertrag ist gebrochen. Die Verantwortlichen lassen uns im Stich. Sie bringen uns um.“

Mit ihrer verzweifelten und spektakulären Aktion wollen die Aktivisten die drei Kanzlerkandidaten dazu bringen, sich in einer öffentlichen Diskussion mit ihnen dem Thema zu stellen und „über den Mord an der jungen Generation“ zu sprechen. Sie sollen sich verpflichten, sofort nach der Wahl einen einen „Bürger*innenrat“ einzuberufen, um „Sofortmaßnahmen gegen die Klimakrise, unter anderem eine 100% regenerative Landwirtschaft“, zu besprechen.

Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet sind wie ihre Parteien durch die Aktion unter Druck geraten und müssen darauf reagieren. In einem gemeinsamen Brief versuchten sie, sich wegzuducken, in dem sie vorschlugen, „einzeln, persönlich und nicht öffentlich“ und das auch noch „nach der Wahl“ mit ihnen zu sprechen. Als Bedingung setzten sie, die Protestaktion in dieser Form zu beenden. Darauf konnten die Hungerstreikenden, die die Wahl als „Schicksalswahl“ bezeichnen, natürlich nicht eingehen, um nicht ihr Anliegen zu verraten. Es sei ein Versuch, das Thema Klimakrise und Zukunft aus dem Wahlkampf herauszuhalten, und es sei schockierend, so hieß es auf der Pressekonferenz, dass die Politiker bei allen Differenzen darin einig zu sein scheinen, dass die Zukunft der Jugend nicht so wichtig ist.

Es war eine schlechte Geste der Kanzlerkandidaten, nicht einzeln auf das Anliegen zu antworten, sondern sich hinter die demonstrierte Gemeinsamkeit zu verstecken. Nun ist natürlich die Frage, ob sich Politiker, die Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler werden, von einer Gruppe erpressen lassen sollen („Unser Leben liegt in euren Händen!“), die irgendein politisches Ansinnen hat. Da es aber tatsächlich um ein äußerst wichtiges, wahrscheinlich auch entscheidendes Thema der nächsten Legislatur geht, wäre Baerbock, Scholz oder Laschet kein Zacken aus der Krone gebrochen, wenn sie sich auch einmal einer solchen öffentlichen Diskussion gestellt hätten, schließlich sind sie dauernd unterwegs und tauchen in vielen Sendungen auf, in denen sie sich auch Fragen von Bürgern stellen. Es wäre zumindest eine Geste gegenüber den jungen Deutschen gewesen, die Sorge um ihr Leben, das der künftigen Generationen und letztlich der Menschheit haben und sich nicht den Vorwurf machen wollen, dass sie der Klimaerwärmung tatenlos zugesehen haben.

Gerade kam in einer Umfrage unter jungen Menschen in zehn Ländern heraus, dass die Mehrzahl Angst vor der Klimaerwärmung hat und sich von den Regierungen übergangen sieht. Die jungen Menschen wissen, dass sie von der Klimaerwärmung, sollte sie weiter voranschreiten, direkter und schlimmer betroffen sein werden als die Politiker, die jetzt an der Macht sind, und die Mehrzahl der Wähler, die schon älter sind und die Klimaerwärmung verdrängen oder nicht ernst genug nehmen.

Bürgerrat Klima

Die Hungerstreikenden fordern über ein Gespräch hinaus einen „Bürger*innenrat“, um notwendige Schritte einzuleiten. Es gab zwar schon einen solchen von Scientists for Future geforderten und von einem Bündnis organisierten „Bürgerrat Klima“, der vor kurzem seine Ergebnisse in Form eines „finalen Bürgergutachtens“ vorlegte, wie die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht werden können. 160 zufällig ausgeloste Teilnehmer legten unter Beratung (und Steuerung?) von Experten (Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Klima- und Gesellschaftswissenschaften) und einem Beirat mit Vertretern von Unternehmen, Verbänden und NGOs. Die Bürger sollen selbständig Empfehlungen erarbeiten, wie unabhängig dies geschieht, ist aber die Frage.

„Das  1,5-Grad-Ziel hat oberste Priorität“, ist die erste und wichtigste Empfehlung. Die übrigen sind eher allgemein, z.B.:  „Für  die  Klimawende müssen alle Verantwortung übernehmen und zu Veränderung bereit sein.“ Es werden konkrete Maßnahmen aufgezählt, die Zeitperspektiven sind längerfristig („Die gesamte Energieversorgung Deutschlands soll bis 2035 zu 70% und bis 2040 zu 90% aus erneuerbaren Energien gedeckt werden“). Vor allem aber sind die Empfehlungen, auch wenn sie einigen Politikern übergeben wurden, völlig unverbindlich, Sofortmaßnahmen sind nicht vorgesehen.

Dass das nicht im Sinne der Hungerstreikenden ist, liegt auf der Hand. Dass sie ihre Hoffnungen auf einen Bürgerrat zur Klimapolitik jenseits des Bundestags setzen, impliziert bereits eine Skepsis gegenüber der auch von vielen Lobbyisten geprägten  (Partei)Politik, die wesentlich im Wahlzyklus gefangen ist. Zwar kann man eine zufällige, einigermaßen repräsentative Auswahl an Bürgern treffen, aber man kann vermuten, dass es für die Ergebnisse der Besprechungen u.a. sehr darauf ankommt, welche Experten diese dann beraten – und ob, wenn der Bürgerrat verbindliche Entscheidungen setzen könnte, sich dann hier nicht auch Lobbyisten hinter die Bürger klemmen würden.

Ähnliche Beiträge:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert