Der Deutschlandfunk beendet Berichterstattung aus Moskau

Screenshot von der DLF-Webseite

Gegenrede: Selbstgerechtigkeit und/oder Feigheit?

 

 

Die ARD hatte – im Gegensatz zu anderen europäischen Medienhäusern – ihre Berichterstattung aus Moskau eingestellt, nachdem die russische Regierung Falschmeldungen und sogar bestimmte Wörter wie „Krieg“ (für ihre Ukraine-„Spezialoperation“) unter Strafe gestellt hat. Diese Entscheidung wurde rückgängig gemacht, die Journalisten sollen wieder nach Moskau. Der Deutschlandfunk allerdings will seinen Korrespondenten weiterhin aus Warschau über die Russische Föderation berichten lassen. Die Begründung lieferte am Samstag die DLF-Chefredakteurin Birgit Wentzien in einem Kommentar, in dem sie sich von den Grundsätzen des Journalismus verabschiedet.

Ohne Zweifel ist die Welt gefährlicher geworden. Ich selbst berichte seit Mitte der achtziger Jahre aus verschiedenen südamerikanischen Ländern und habe noch Militärdiktaturen à la Pinochet kennenlernen dürfen. Dazu kommen Guerilla, Drogenbarone, organisiertes Verbrechen und Straßenkriminalität, die es in Europa so (noch) nicht gibt. Ich habe für ARD und DLF jahrzehntelang gearbeitet, kenne den Laden also von innen.

Frau Wentzien meint, dass „Journalisten nicht aus einem Krieg berichten (können), der keiner sein soll. Solange Dlf-Korrespondenten in Russland in ihrer Berichterstattung nicht ohne Gefahr sagen könnten, was ist, könnten sie in dem Land nicht frei und fair arbeiten.“

Nein. Journalisten müssen von überall her berichten und sich in ihrer Arbeit an die Bedingungen (Sprachregelungen, Bekleidungsvorschriften etc.) anpassen. In der Schweiz mag alles wohlerzogen zugehen, aber so bequem haben wir Auslandskorrespondenten es im Allgemeinen nicht. Das gilt auch für Ärzte, Diplomaten und Polizisten. Die Welt ist leider nicht so, wie sie sein sollte, und trotzdem muss die Arbeit gemacht werden. Journalisten haben ein höheres Berufsrisiko als Postbeamte, und wenn sie das nicht aushalten, sollten sie sich einen anderen Job suchen. Das Berufsrisiko eines deutschen Korrespondenten in Moskau ist verglichen mit dem eines russischen Oppositionellen relativ gering. Aber die Anwesenheit von ausländischen Journalisten bietet Letzteren einen gewissen Schutz. Der DLF will diesen nicht gewähren.

Ja, in Russland sollten sich die Kollegen an die verordneten Sprachregelungen halten. Aber niemand hindert sie daran, Dinge zu beschreiben, die vor ihren Augen passieren, etwa dass Panzer rollen, Bomben geworfen und Särge getragen werden. Hält der DLF seine Hörer für so dumm, dass sie das nicht begreifen, wenn sie das Geschehen sehen und hören? Oder wie es ein spanisches Sprichwort sagt: Wenn etwas watschelt wie eine Ente, quakt wie eine Ente und aussieht wie eine Ente, ist es aller Wahrscheinlichkeit nach eine Ente.

Es war einmal eine oberste Regel der Journalisten, immer die andere Meinung zu hören. Auch die einer Militärdiktatur, eines autoritären Staates oder der russischen Medien. Wir haben Möglichkeiten, uns gegen berufsbedingte Gefahren zu schützen, etwa Journalisten-Pools zu bilden, Fragen überlegt zu formulieren, Reisen umsichtig zu planen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sich die Leitungen von DLF und ARD um die Sicherheit ihrer freiberuflichen Mitarbeiter, die mit Mini-Budgets in Guerilla-Gebieten oder Diktaturen unterwegs waren, nur ansatzweise so gesorgt hätten wie jetzt um ihre Festangestellten. Uns Freelancern wurden für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen keine Finanzmittel zur Verfügung gestellt; wir mussten unsere eigenen Risk Manager sein und uns irgendwie in gefährlichen Situationen durchboxen.

Nun lehnt sich die DLF-Chefredakteurin auf ihrem bequemen Bürostuhl zurück und lässt ihre Korrespondenten nicht nach Moskau zurück. Aus welchen Quellen holt sich der Sender in Zukunft sein Material? Von der Nato, von CNN, von Radio Free Europe?

Den Öffentlich-Rechtlichen stehen jedes Jahr 8 Milliarden Euro zur Verfügung. Gerade in Kriegs- und Krisenzeiten, in denen alle Beteiligten lügen, könnten finanzstarke Medienbetriebe mit eigener Hardware Informationen besorgen. Drohnen könnten Militärbewegungen dokumentieren, Satellitenaufnahmen kann man kaufen. Müsst ihr denn alles für Eure Altersversorgung ausgeben?

Frau Wentzien schreibt: „Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist.“ Eine Farce ist, wenn man von vorneherein auf Recherche verzichtet und nicht an Ort und Stelle recherchiert. Keine Regierung dieser Welt „garantiert die Information über die Tatsachen“, auch nicht die deutsche. Gewiss, die Situation in Moskau ist gefährlicher geworden, man muss aufpassen, was man sagt. Das gehört zum Alltagsgeschäft des Journalisten.

Das Studio Moskau war und ist ein üppig ausgestattetes Studio. Was habt Ihr eigentlich mit dem ganzen Geld gemacht? Ist es an Euch komplett vorbeigegangen, als Putin und seine Generäle mobilgemacht haben? Tausende Soldaten und Kriegsgerät in Bewegung zu setzen erfordert Vorbereitung, politische wie logistische. Der Kreml klagt seit 2014 über die Tausenden von Nazis oder irregulären Truppen getöteten Russisch-Stämmigen im Donbass. Offensichtlich haben die deutschen Korrespondenten nicht erkannt, dass daraus ein Grund für einen militärischen Konflikt (früher „Kriegsgrund“ genannt) entstehen kann. Oder haben sie bewusst oder auf Anweisung die Augen verschlossen? Nein, wahrscheinlich ist diese Unterlassung auf mangelnde Professionalität zurückzuführen. Aber ein bisschen mehr Selbstkritik wäre angebracht als das selbstgerechte und sich selbst bemitleidende Gegreine der DLF-Chefredakteurin.

Keine Angst: die Milliarden Rundfunkgebühren werden trotz Eures Versagens weiter fließen. Dafür sorgen die Verwaltungsgerichte, die ohne die geringste Qualitätskontrolle Euch und der Bundesregierung weiterhin den Rücken freihalten. Eines schaffen sie allerdings nicht: dass man Euch Respekt zollt.

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3 Kommentare

  1. Dass in Russland das Wort Krieg unter Strafe gestellt wäre, ist eins der jetzt üblichen DLF-Märchen, weshalb ich den Sender seit einiger Zeit nicht mehr konsumiere. „Das russische Wort für Krieg lautet „Война“ und die russische Militäroperation wird „Специальная военная операция“ genannt, was wörtlich übersetzt „Spezielle Kriegsoperation“ bedeutet. Das Wort „Krieg“ ist in der russischen Formulierung also enthalten und daher keineswegs verboten.“ (sagt T. Röper, was ich auch nicht besser sagen könnte)
    Wer sich zum Thema genauer informieren will, sollte den Anti/Spiegel lesen, hier speziell den Artikel:
    xxx/www.anti-spiegel.ru/2022/wegen-vieler-leserfragen-was-in-russland-im-kampf-gegen-fake-news-unter-strafe-gestellt-wurde/
    Dass Fakenews unter Strafe gestellt gehören, sollte doch Konsens sein.

  2. Aus meiner Sicht haben wir heute die schlechtesten Journalisten und inkompetentesten Politiker ever. Wir werden durch die Haltungsjournalisten nicht nur ausserordentlich schlecht informiert. Dieser Rudeljournalismus, bei dem alle sich gegenseitig bestärken, sorgt auch dafür, dass die dazugehörigen Politiker in die Ämter gespült werden.

    Ganz vorne in den Schützengräben des Meinungskriegs die Kameraden vom Deutschlandfunk, die jegliche Neutralität, Professionalität, Kompetenz oder schlichte Neugier vermissen lassen. Alles was nicht ins Narrativ passt, wird schlicht vergessen, wobei Feigheit und Selbstgerechtigkeit sehr hilfreich sind.

    Wer wissen will, wie Propagandajournalismus funktioniert, braucht sich nur das Interview anzuhören, dass Christoph Heinemann mit Andrej Hunko anlässlich seines Venezuela-Besuchs geführt hat. Unterirdisch.

    Aber jetzt haben sie wohl zu Recht den Verdacht, dass ihre Propaganda ihnen auf die Füsse fallen könnte. Mir ist es eh egal. Ich hör die nicht mehr. Das Internet hat viel mehr zu bieten.

  3. Ach der DLF, dieses Adenauer-Dampfradio aus Köln am Rhein, mit seinem garvitätisch vor sich selbst hergetragenen Anspruch auf „Qualitätsjournalismus“, sich selbst damit bisweilen etikettierend – wie peinlich. Denen ist immer anzumerken, dass ihnen die Schmach von Stalingrad noch in den alten-kalten Knochen zu stecken scheint. Und natürlich: Bei den real existiernden Rundfunkstrukturen muss fast zwangsläufig so etwas wie Herold-Journalismus herauskommen. Der deutsche, politisch-mediale Komplex transatlantischer Bauart ist ein Bollwerk gegen jegliche gesellschaftliche Progression. Darüber täuscht auch nicht der/die eine anständige JournalistIn oder das eine oder andere ganz manierliche Spartenmagazin dort hinweg.

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