Orbanisierung Österreichs

Bild: Wikiolo/CC BY-SA-4.0

Die Wahl des neuen ORF-Generaldirektors stellt eine Zäsur dar. Mit dem ÖVP-Günstling Roland Weißmann wird nun das größte Medienunternehmen Österreichs von einem Mann übernommen, der die freie Meinungsäußerung streng dem Diktat des Marktes unterwerfen wird.

Nachdem die Wahl gewonnen war, deren Ergebnis dank des lächerlichen Übergewichts der ÖVP im Stiftungsrat von insgesamt 16 Stimmen gegenüber der lediglich fünf Stimmen der zweitgrößten Fraktion der Sozialdemokraten immer schon fest stand,  sprach der designierte ORF-Generaldirektor Weißmann davon, dass er das Ergebnis mit „Respekt und Demut“ annehme. Ein typisches Beispiel für übelsten ÖVP-Sprech, denn diese Partei nimmt ihre Siege immer mit „Demut“ entgegen.

Weil Demut bekanntlich das Ergebnis einer Demütigung ist, möchte sich das Publikum nicht genau ausmalen, worin diese für Weißmann bestand. Sicherlich wird das Aushalten von Demütigungen nötig sein, um in der „türkisen Bewegung“ Karriere zu machen. Nur, wer gedemütigt wurde, sinnt seinerseits auf Demütigung. Davor zittern nun die Belegschaft des ORF und die sonstige kritische Medienöffentlichkeit, die als gemäßigt links gilt. Niemand bezweifelt, dass der Orbanisierung Österreichs mit der Ernennung Roland Weißmanns nun Vorschub geleistet wurde.

Medienalptraum in Rot-Weiß-Rot

Das Land ist winzig und es gibt kaum Medienunternehmen. Die sind bis auf mikroskopische Ausnahmen alle Knall-Bumm-Peng-Boulevard. Wer somit als Journalist sein Leben nicht im Revolverblatt fristen wollte und will, musste eben schauen, beim ORF unterzukommen. Dabei ist diesem das Tittytainement alles andere als fremd. Die Fernsehunterhaltungsschiene des österreichischen Rundfunks ist berüchtigt und eher mit den deutschen Privaten zu vergleichen.

Die ORF-Unterhaltung besteht aus Schmonzetten mit dem Frauenbild des späten 19.Jahrhunderts, sozialdarwinistischen Castingshows, ans Licht gezerrten gesellschaftlich Depravierten, die sich zum Hohn der Moderatoren um Kopf und Kragen reden, und überhaupt allem, was das verdorbene Herz begehrt. Daneben gibt es aber noch Refugien echter journalistischer Arbeit, sowohl im ungewöhnlich hochstehenden Radioprogramm, in Nischen des TVs und im digitalen „Print“, weil ORF-online zu einer der am meisten gelesenen Informationsseiten des österreichischen Teils des Internets wurde.

Hier treiben die Orchideen solche Blüten, dass sonntagmorgens lange Essays über die Existenzphilosophie auf ORF.at veröffentlich werden, zu der einer der überqualifizierten Redakteure abkommandiert wurde. Diese Feigenblätter alpinen Geisteslebens sind nun wohl in Gefahr.

Nachdem zwar die „Familie“ der österreichischen Volkspartei durch jüngste Skandale geschrumpft wurde, gibt es in der ÖVP-Fraktion im ORF-Stiftungsrat einen mächtigen „Freundeskreis“. Niemand kann der ÖVP vorwerfen, sie würde mittels Namensgebung versuchen, ihre Intentionen zu verschleiern. Roland Weißmann nahm brav an den Sitzungen des türkisen Freundeskreises teil. Ausgelernt hat der Schüler Weißmann offenbar noch nicht, denn seine Auftritte wirken immer erschreckend hölzern, als hätte er die Masche des medialen Orbanismus noch nicht ganz intus.

In einem ersten Schritt sagt nämlich der geschulte Orbanist seinem Gegenüber immer genau das, was dieser hören will, um in einem zweiten Schritt zu erklären, warum dies unmöglich ist. À la: „Wir Ungarn lieben alle Menschen und wollen allen helfen“ – dann kommt die Kehre – „aber wir halten uns auch an die Gesetze und schützen unser Land.“ Das heißt, wer nicht „legal“ Asyl beantragt (was de facto unmöglich ist), muss eben ertrinken.

Weißmann hingegen wirkt in Interviews wie ein verärgerter Hirsch im Scheinwerferkegel. „Was, nanu, eine kritische Frage?“ ist auf seinem Gesicht zu lesen und dann wiederholt er einfach nur das, was er zuvor gesagt hat. Dieser Beton-Ansatz wird entweder demnächst korrigiert werden, oder aber der ÖVP-Freundeskreis ist sich seiner Sache so sicher, dass er der Medienelite des Landes signalisiert: „Schaut, wir setzen Euch so einen vor – Ätschibätsch, ihr könnt nichts machen!“

Wie wird man ORF-Generaldirektor?

An die „Unabhängigkeit“ von Roland Weißmann glaubt niemand in Österreich. Selbst die tendenziell Kanzler Kurz noch freundlich gesinnten, konservativen Zeitungen halten die Wahl dieses ORF-Generals für ein Powerplay. Die Kunst des Roland Weißmann besteht darin, sich im Freundeskreis zu „besprechen“, aber keine „Absprachen zu treffen“. Genau, denn letztere ließen sich ja mit Unabhängigkeit nur schwer in Verbindung bringen, deshalb spricht man nur, ohne abzusprechen. Die Subtilität dieser Unterscheidung wäre einer Verlautbarung der KPdSU würdig gewesen.

Wenn es nun allerdings nur um rein informative Gespräche ginge, wäre wiederum die Frage, warum diese ausgerechnet nur mit dem „Freundeskreis“ einer bestimmten Couleur geführt werden. Bei der Frage im ORF-Studio, ob er denn auch mit anderen Parteien reden würde, senkt sich Weißmanns Blick beschämt zum Boden. Hier muss jemand noch dringend den Kurs „Lügen in der Öffentlichkeit“ besuchen, der von den meisten Parteiakademien des Landes angeboten wird.

Das ganze System einer Bestellung des ORF-Generals ist so suspekt, dass es Gegenstand (einer hochkomplexen) Daily-Soap sein könnte. Es gibt einen Stiftungsrat, der wird eigentlich nicht, aber dann doch auch von Parteien besetzt, von den Ländern, von Unabhängigen (?) und von den Betriebsräten, die als gelernte Österreicher immer genau so stimmen, wie die Mehrheit stimmt, denn deppart ist man ja nicht. Zusätzlich zum General werden dann die einzelnen Unternehmensteile mit vier Direktorenposten besetzt.

Die im Bund mitregierenden Grünen, die ihrem großen, türkisen Koalitionspartner pudelbrav folgten und Weißmann wählten, taten dies mit dem klassischen Doppelargument aller Hasenfüße. Es sei a) ohnehin nicht zu verhindern gewesen und b) man habe Schlimmeres verhindern können. Schlimmeres werden die tapferen Grünen verhindern, weil sie eben bei zwei der vier Direktorenposten mitentscheiden würden.

Davon weiß Weißmann auf Nachfrage allerdings nichts. Das Publikum darf sich nun wiederum fragen, ob in den getäfelten Hinterzimmern der „Freundeskreise“ nun doch Absprachen beim Sprechen getroffen werden, oder ob die ÖVP ihrem kleinen grünen Koalitionspartner nicht einmal mehr die kläglichen Schutzbehauptungen durchgehen lässt.

Ideologiebefreiter Kampf für die Stakeholder

Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit ist ganz offensichtlich nicht Weißmanns Ding. Ihm geht es vielmehr um die „Stakeholder“ des ORF, in dem er ein Unternehmen sieht, das vornehmlich nach seinen Bilanzsummen bewertet wird. Das alte Spiel konservativer und neoliberaler Kräfte wird hier erkennbar. Die andere Seite hat eine „Ideologie“, man selbst achtet nur auf die angeblich ideologiefreien Wirtschaftszahlen. Dass nichts ideologischer sein könnte, als einen staatlichen Nachrichtensender wie ein Industrieunternehmen zu führen, fällt dabei unter den Tisch. Zu lange und zu intensiv wurde diese Sichtweise promotet, als dass sie der Öffentlichkeit noch als eine schwerwiegende politische Entscheidung aufgehen würde.

Dabei ist längst eindeutig bewiesen, dass wirtschaftliche Abwägungen einen direkten Einfluss auf Programm und Berichterstattung haben. Das private Trash-Fernsehen fand seine Formen nicht, weil die Macher einen üblen Humor haben. Es ist einfach billig, Menschen in einen Container zu sperren und sie beim Streiten zu filmen. (In der ORF-Version von „Big Brother“ mussten die Insassen übrigens auch noch einer Erwerbsarbeit nachgehen und taxifahren.)

Der ORF hat einen weiten Weg zurückgelegt, seit den Zeiten eines Axel Corti, der noch die feste Überzeugung zu vermittelt versuchte, dass die Glotze sowieso immer lügt, bis hin zum heutigen Infotainment, in dem die ORF-Ansager Könige des Twitter sind und so herrlich gegen „die da oben“ poltern. Diese kritische und immer noch hochalimentierte „Gegenöffentlichkeit“ reflektiert schließlich alles, außer sich selbst. Nur, selbst dies ist der „türkisen Bewegung“ ein Dorn im Auge, die sich Widerworte gerne verbieten möchte und schaut, dass alle bei der Messagecontrol mithelfen.

Digital ist besser

Was wird der neue ORF-General nun bringen? Zunächst behält sich Weißmann das Recht vor, die Chefredaktionen zu besetzen. Wohlgemerkt sind Redakteure und Chefredakteure nicht weisungsgebunden, aber sie wissen auch, wem sie ihren Job im Berufsfeld mit der höchsten Arbeitslosenquote in Österreich zu verdanken haben.

Mehr noch: 600 der knapp 3000 ORF-Mitarbeiter gehen in den nächsten Jahren in Pension. Ohne großes Getöse kann deshalb der Betrieb gewandelt werden, indem er mit den eigenen Leuten besetzt wird. Eine Änderung die sich somit organisch vollzieht. Neue Kräfte müssen her und welcher General würde Gefolgsleute wählen, die gänzlich andere Sichtweisen vertreten?

Weißmanns erklärtes Ziel ist die Digitalisierung des ORF. Mit ihr kann elegant das wirtschaftliche Ziel personeller Optimierung verbunden werden. Online, Radio und Fernsehen werden einen gemeinsamen „Newsroom“ bekommen. Die Optimierungseffekte werden sich nicht nur monetär ergeben, es können sogleich die kritischen Stimmen etwas ausgedünnt werden.

Ein weiteres Argument spielt der türkisen Bewegung hierbei in die Karten. Kritiklust und Widerspruch gelten als „alt“. Vor wenigen Tagen starb, nach kurzer und schwerer Krankheit, der Wiener Musikjournalist Martin Blumenau. Ihm mag eine gewisse, typisch männliche Selbstherrlichkeit zu Eigen gewesen sein, dennoch durfte der von ihm mitgegründete ORF-Spartensender FM4 als eine Besonderheit gelten. Das Radioprogramm war nicht nur an eher ungewöhnlichen Musikströmungen interessiert, es verband stets Popkultur mit Popkritik und Gegenwartsdiagnose.

Eine Generation an reflexions- und diskussionslustigen Journalisten und Hörern wurde durch FM4 herangezogen. Problem: Alle wurden miteinander über die Jahre älter und blieben ohne echte Nachfolge, weil viele kritische Junge in die sozialen Medien gewechselt sind. Dem nun im Alter von 61 Jahren verstorbenen Blumenau wird wenigstens das Erlebnis der Abwicklung „seines“ Senders FM4 erspart bleiben. Der neue Generaldirektor Weißmann kündigte nämlich bereits an, dass FM4 wieder „jünger“ werden müsse. Vielleicht wird es deshalb mit der Hit-Abspielmaschine Ö3 fusioniert. Aber selbst bei verbleibender Eigenständigkeit wird es sicherlich keine stundenlangen Diskussionsrunden über Stuart Hall mehr geben.

Die Stromlinienförmigkeit und das Achten auf „erfolgreiche“ Formate mag einen wirtschaftlichen Sinn ergeben, eine freie und plurale Medienöffentlichkeit unterstützen diese sicherlich nicht. Die bräuchte viele verschiedene Redaktionen, viele verschieden Stimmen und eben einen Diskurs. Aus wirtschaftlicher Sicht hingegen reicht eine „Familie“ oder ein „Freundeskreis“ von einander gut bekannten Menschen, die sich gegenseitig besprechen, aber selbstverständlich niemals absprechen.

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