Wie kann man mit Faktenchecks „lügen“?

Bild: Mika Baumeister/Unsplash.com

Der Faktenchecker eines deutschen Magazins bat um ein Interview, das dann wegen befürchtetem Reputationsverlust nicht veröffentlicht wurde. Hier kann man es nachlesen.

 

Der Faktenchecker eines größeren deutsches Magazins fragte nach Erscheinen des Buchs „Medienanalyse“ beim Westend-Verlag und schließlich der Autorin Sabine Schiffer an, um ein Interview zu Faktenchecks zu erhalten. Der Redakteur verkündete gleich, dass er das Buch nicht gelesen habe und auch grundsätzlich Zweifel habe, dass man einer Person wie Sabine Schiffer eine Plattform bieten solle – schließlich hätte sie vor langer Zeit einmal mit Ken Jebsen Kontakt gehabt und ihm Interviews gegeben. Genau dies führte er dann auch an, um die Veröffentlichung des Interviews – nach Fertigstellung und sechs weiteren Wochen – schließlich abzusagen; er befürchte „Reputationsverlust“ für sich und sein Magazin.

Natürlich stellt sich für uns die Frage, wie man als Journalist seine Arbeit machen will, wenn man nur mit „aufgeklärt-rationalen“ Menschen spricht; mal abgesehen von der Frage, wer das definiert, und was man macht, wenn sich jemand im Laufe der Zeit in problematische Richtungen entwickelt. Was eigentlich Aufklärung im kritischen Sinne ist, lässt sich in der Film-Doku „Alles in Eins, außer der 0.“ über den CCC-Gründer Wau Holland nochmal nachempfinden.

Euch stellen wir nun die Frage, um welches Magazin es sich handelt? Wer richtig tippt, erhält ein Exemplar des im Westend-Verlag erschienen Buches „Medienanalyse“. Emails an: info at medienverantwortung.de


Stand 12.08.: 80 Prozent der eingehenden Tipps verweisen auf den Spiegel. Soviel sei bis hierhin verraten, nein, der war es nicht. Aber Sie sind auf dem richtigen Weg, wenn Sie an ein gedrucktes Magazin denken.


Und hier – der Transparenz wegen – das nicht veröffentlichte Interview. Vielleicht lag es ja auch einfach am Inhalt.

Wie kann man mit Faktenchecks „lügen“? Haben Sie Beispiele dafür?

Sabine Schiffer: Mit jeder Darstellung kann man lügen, indem wichtige Fakten fehlen. Das passiert ständig, ist kaum zu vermeiden und selten böse Absicht, aber es gibt natürlich auch gezieltes Weglassen. Der Effekt ist nicht unerheblich, wenn beispielsweise die russischen Kriegsmanöver ohne Hinweis auf das NATO-Manöver Defender 2021 berichtet werden. Ein gutes Beispiel liefert bereits der Correctiv-Faktencheck auf der Website Correctiv.org. Dort heißt es: „Wir setzen uns ein gegen Desinformation im Netz…“ Das ist löblich und richtig, allerdings suggeriert so eine Verkürzung, dass Falschmeldungen eine Spezifik des Internets seien.

Dieser Vorwurf wirkt etwas weit hergeholt. Die meisten Faktenchecks finden sich nun mal online und können sich auch auf TV-Berichte (z.B. Uebermedien) oder gedruckte Artikel (z.B. Bildblog) beziehen.

Sabine Schiffer: Da haben Sie konkret sicher recht, wenn das auch gar nicht als Vorwurf gemeint war. Eher beobachte ich eine Tendenz, auch in der Wissenschaft, sich einem solchen Reflex hinzugeben. Da besteht die Gefahr, etwa bei der Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz, auf der Suche nach Zusammenhängen zwischen Verschwörungstheorien, Medienskeptizismus und Social Web-Nutzung zu übersehen, dass Verschwörungsglauben nicht auf Social Media projiziert werden darf, was der jahrhundertealte antisemitische Verschwörungsdiskurs belegt.

Bei Medien beobachte ich tatsächlich nicht selten einen mehrstufigen Prozess: Die Öffentlich-Rechtlichen verweisen auf den Boulevard, letztere aufs Internet – um sich jeweils selbst als Hort der Wahrheit zu gerieren. Ist etwas plakativ ausgedrückt, aber exemplarisch sei dies an der Äußerung des SWR-Intendanten Kai Gniffke zur Auslobung des Hans-Bausch Medienpreises für digitale Ethik erläutert: Er möchte auch im Internet eine „wertegetriebene“ digitale Öffentlichkeit fördern. Das ist gut und wichtig, aber gerade Gniffke zeichnet für die nicht wenigen Fehlleistungen in der Ukraine-Berichterstattung 2014 in der Tagesschau verantwortlich, die der ARD-Programmbeirat schließlich anmahnte.

Auch Faktenchecks sollten Ihrer Ansicht nach überprüft werden. Wie kann ein Nachrichtenkonsument das leisten?

Sabine Schiffer: Alle Menschen sind ja irgendwo Nachrichtenkonsumenten, weshalb ich für ein Schulfach Medienbildung werbe, in dem systematisch die Kompetenzen vermittelt werden, die man zum Erwerb von Media Literacy braucht. Die sogenannte Kunst-des-zwischen-den-Zeilen-Lesens ist eine Fähigkeit, die man wie Lesen und Schreiben lernen und in den Alltag integrieren kann, hinzu kommen noch ein paar technische Kniffe. Wobei ein erster Hinweis auf eine Ungenauigkeit ein Anlass sein kann, um dem genauer nachzugehen. Als Demokratie sind wir ja auf die Reflexion von Meinungsbildung angewiesen.

Wie können Faktenchecks Lücken von Sachverhalten aufdecken, bei denen nicht alle Fakten vorliegen?

Sabine Schiffer: Hier hilft Transparenz, dass man genau das mitteilt. Wir alle neigen ja dazu, vom berichteten Teil auf das große Ganze zu schließen. Genau dem könnte man vorbauen, indem man von journalistischer Seite immer klar macht, wie weit man gekommen ist und was noch unklar blieb. Heute+ hat das mal vorgemacht, dass auch das Zugeben von erkannten Lücken und Unwissen ein Mehrwert sein kann. Und das Coronavirus-Update von NDRinfo räumt ja mit einer Hypothese auf, die im Journalismus weite Verbreitung fand, nämlich dass man dem Publikum nichts zu Komplexes und noch nicht gänzlich Geklärtes zumuten könne.

Sie loben den Faktenchecker der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“, Ekkehard Sieker. Was macht der besser als Kollegen in Nachrichtenredaktionen?

Sabine Schiffer: Das sieht man am Produkt, wobei die Anstalt erstens ja noch eine satirische Dramaturgie hat und zweitens Sieker nicht der einzige Faktenchecker ist bzw. war, denn Ende 2020 lief sein Vertrag aus. Ich empfehle da gerne das Interview von Jörg Wagner mit dem Redakteur der Sendung, Dietrich Krauß, in dem dieser anmerkt, wie er selbst immer wieder von den Rechercheergebnissen des eigenen Hauses verblüfft ist – weil Dinge zutage treten, die er nicht erwartet habe. Er wirbt für eine tabufreie Recherche und macht gleichzeitig klar, dass ein Faktencheck immer nur den bis dato ermittelbaren Faktenstand abbilden kann – ganz im wissenschaftlichen Sinne.

Sieker arbeitet ebenfalls für den Krimi-Autor Wolfgang Schorlau, der in einem Buch über die NSU-Terrorserie eine Verschwörungstheorie von staatlichen Killern ausbreitet. Wie passt das zusammen?

Sabine Schiffer: Die Dengler-Krimis von Wolfgang Schorlau zeichnen sich ja durch die Mischung von Fiktion und realen, gut recherchierten Fakten aus; das ist bei dem über das Oktoberfestattentat, die Afghanistan-Veteranen oder den Rohwedder-Mord nicht anders, als bei denen zu Griechenland und der Geldpolitik – an dessen Recherche Ekkehard Sieker maßgeblich beteiligt war – oder den NSU. Ich habe mich bei jedem Buch immer gefragt, was sind die Fakten und wo spinnt der Autor – und lag an manchen Stellen daneben. Die Faktenchecks am Buchende klären dann ja auf, wie auch der forensische Anhang über den Todeszeitpunkt von Mundlos und Böhnhardt. Ich nehme an, dass Schorlau nicht von ungefähr als Sachverständiger im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg eingeladen war. Und in der NSU-Sache gibt es ja noch einige Fakten unter Verschluss.

Woran erkennt man eigentlich einen guten Faktencheck?

Sabine Schiffer: An den Fakten, die nach der Prüfung der Gegenthese übrig bleiben, und – ganz wichtig – deren seriöse Einordnung; also das Gegenteil von Nachrichtenjournalismus, wo die komplexeren Zusammenhänge ja oft fehlen. Dazu gehört aber vor allem die Relevanz der Themen, was die schwierigste Kategorie sein dürfte, man kann ja auch schön an dem wirklich Brisanten vorbei recherchieren. Für die Nachvollziehbarkeit sind das Offenlegen der Quellen und evtl. auch Recherchewege nötig.

Wie schwer es ist, tendenziöse Begriffe zu vermeiden, zeige ich im Buch Medienanalyse auf; da besteht gegenüber den Faktencheckern ein vielleicht unrealistisch hoher Anspruch. Aber, wenn es klappt, die eigenen Frames – also die uns prägenden, im Laufe des Lebens erworbenen Erwartungsraster, die wiederum unsere Wahrnehmung vorstrukturieren – zu erkennen und auch das Unerwartete zu entdecken und auszuleuchten, dann könnte es gelingen, sich an Überraschungen in der eigenen Recherche zu erfreuen.

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3 Kommentare

  1. Ich sehe ein „Problem“ bei Faktenchecken. Es wird „wieder“ vorgekautes vorgesetzt. Was ich eventuell überlesen habe ist, hat der Konsument selbst Fragen die er geklärt haben möchte. Dialektisches denken hilft auf Fragen zu kommen die substanziell sind. Moralische plärre soll nur verschleiern.
    Das die Anstalt satirisch ist liegt daran das die Wirklichkeit so ist, schauen sie hier: https://publikumskonferenz.de/blog/
    Das schöne ist bei Google die Übersetzung oder andere Übersetzungen https://www.deepl.com/de/translator.
    So braucht es in der Schule kein Fach dafür, es muss immer wieder zu einzelnen Fragen darüber diskutiert werden ob es wahr sein kann. Das zählt auch für jeden selbst, wenn er was „verkaufen“ will.
    Auch gibt es gute Bücher „Propaganda“ von Bernays oder „Die öffentliche Meinung“ Lippmann oder Le Bon
    Ich denke das Faktencheck benutzt wird um noch perfider zu Lügen.
    Leider kann ich mir das Buch nicht erlauben, das Interview ist jedenfalls erfrischend. danke

  2. Ich mag pingelig erscheinen, trotzdem sei mir die Frage erlaubt:
    Sind die unübersehbaren grammatischen Fehler im vorstehenden Kommentar ausschließlich Tippfehler oder sind sie dazu gedacht, die Aufmerksamkeit des Lesers anzuregen?

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