Nawalny-Proteste: Für Russland viele Teilnehmer

 

Bild: Meduza

Aber der Showdown ist ausgeblieben, auch wenn eine Rekordzahl von Festnahmen gemacht wurden. Die EU will die Situation ausnutzen, um weitere Sanktionen zu verhängen.

Nach MBH Media, einer von dem in Großbritannien lebenden Milliardär Chodorowski, sollen an den landesweiten Protesten zur Freilassung von Nawalny mindestens 110.000 Menschen teilgenommen haben. In Moskau sollen es 20.000 gewesen sein, die Polizei spricht von 4000. Es wird also irgendwie dazwischen liegen.

Die Versammlungen waren nicht angemeldet, eine bewusste Strategie, um das Einschreiten der Polizei zu provozieren und zu dokumentieren. Die ist in der Tat mitunter hart eingeschritten, es gab über 3000 Festnahmen. In der Regel werden Geldstrafen wegen der Begehung einer Ordnungswidrigkeit verhängt und die Festgenommen wieder freigelassen, aber es wurden auch einige Strafverfahren wegen Rowdytum, Gewalt gegen Polizisten und Zerstörung von Eigentum eingeleitet. Wenn man sich dieses Foto ansieht, kam dies auch tatsächlich vor.

Zwar gehen Ordnungskräfte auch in EU-Staaten gegen unangemeldete Versammlungen, zumal in Corona-Zeiten mit strengen Auflagen, vor. Aber in der EU scheint man entschlossen zu sein, die Festnahme Nawalnys bei der Landung in Russland und das Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten für weitere Sanktionen zu instrumentalisieren. Das hatte bereits eine Resolution des EU-Parlaments gefordert – und dabei auch gleich ein Ende von Nord Stream 2. Und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte das Vorgehen der russischen Sicherheitsbehörden und kündigte schon mal an, am Montag mit den Außenminister die „nächsten Schritte“ zu diskutieren. Das alles macht doch auch den Eindruck eines koordinierten Vorgehens.

Auch wenn es wahrscheinlich nicht über 100.000 Teilnehmer waren, sondern mehrere zehntausend, so waren es landesweit dennoch die größten Proteste seit Jahren – und auch eine Rekordzahl an Ingewahrsamnahmen, fast 1200 alleine in Moskau (Fotoserie von den Protesten). Aber im Vergleich zu den großen Protesten in Weißrussland konnten die Nawalny-Anhänger doch nur eine relativ bescheidene Menge landesweit mobilisieren. Das dürfte dem Kreml keine Angst machen, wie das von gerne von westlicher Seite kommentiert wurde, wo Nawalny als der gefährlichste Gegner Putins bezeichnet wird.

Das Oppositionsmedium Meduza zeigt allerdings auch auf, dass nicht alle Teilnehmer unbedingt Unterstützer von Nawalny sind, sondern sich allgemein gegen die gesellschaftliche Verfassung wenden oder irgendwie Veränderungen wünschen:

Ein Meduza-Korrespondent fragt ein Mädchen mit grünen Augenbrauen (sie sagt, sie ist 17, sieht aber jünger aus), warum sie hier ist. „Ich weiß es nicht genau, aber es ist definitiv unmöglich, zu Hause zu bleiben“, antwortet sie. Dann erklärt sie, dass sie Nawalny nicht so sehr unterstützt hat, sondern weil sie „über alles empört ist“. „Es ist beängstigend und seit  sehr langer Zeit ist es beängstigend“, fährt das Mädchen fort und entfernt sich ängstlich von den vorbeikommenden Polizisten. „Aber wenn du nur Angst hast, wird sich nichts ändern.“

In Moskau wird skandiert: „Russland ohne Putin!“, „Freiheit für Nawalny!“, „Rücktritt der Bande!“, „Wir sind das Gesetz!“ oder „Putin – verschwinde!“ Das erinnert an „Wir sind das Volk“ und den Unmut über eine bleiernde Gesellschaft, die seit über 20 Jahren von Putin regiert wird, ohne dass ein Ende abzusehen ist.

Schön auch die Beobachtung von einem Meduza-Korrespondenten:

Die Leute kommen aus den Läden und Cafés auf dem Boulevard und starren erstaunt auf die schreiende Menge und die Polizei. Ein gut gekleidetes Paar fragt den Bereitschaftspolizisten höflich: „Was ist der beste Weg, um hier abzureisen?“ Er antwortet so etwas wie „Du solltest das Land besser ganz verlassen.“

Leonid Volkov vom Nawalny-Team kündigte in einer Live-Berichterstattung  über die Ereignisse  für nächstes Wochenende neue Massenproteste an.  Man habe dabei nicht auf den Wetterbericht geachtet, weil man sich nicht nach dem Wetter richte. Es könne auch schwierig werden, weil erst einmal viele regionale Koordinatoren festgenommen worden seien. Man muss allerdings feststellen, der gewünschte Showdown hat nicht stattgefunden. Das nächste Mal werden wahrscheinlich auch weniger Menschen teilnehmen. Möglicherweise werden die Proteste stärker, sollte Nawalny wirklich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Das hat man aber bislang vermieden.

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