Österreich: „Islam-Landkarte“ – Hetze im Gewand der Wissenschaft?

Islam-Landkarte der Dokumentationsstelle Politischer Islam der österreichischen Regierung, ein „Projekt der Universität Wien, Institut für islamisch-theologische Studien, Islamische Religionspädagogik“.

Die von der österreichischen Bundesregierung initiierte „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ hat eine Karte vorgestellt, in der islamische und islamistische Einrichtungen verzeichnet sind. Die Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) will darin dezidiert keine pauschale Vorverurteilung sehen. Die Bundesregierung und ihr Umfeld zeigen zunehmend eine latent demokratiefeindliche Gesinnung, die wohl einer gewissen Verzweiflung geschuldet ist.

 

Straßenszene in Wien am Tag drei nach der Veröffentlichung der „Islam-Landkarte“. Vor einer Schule redet eine Frau aufgeregt auf einen Mann ein, der türkischer Herkunft zu sein scheint. Er hat eine Abwehrhaltung eingenommen und schaut betroffen zu Boden. Die Frau  tippt mit ihrer Hand auf ein Bündel Formulare. Dies sei „Wissenschaft“ und dazu geeignet, den Menschen zu helfen. Es würde keine individuelle Beurteilung der Kinder vorgenommen werden, sondern Statistiken erstellt werden, die nachher allen in der Bevölkerung zu Gute kämen. Der Mann schüttelt den Kopf, seine Kinder sollen bitte nicht erfasst werden.

Auf Nachfrage erweist sich, dass diese Evaluation nichts mit der berüchtigten Islam-Landkarte und der Überwachung muslimischer Bürger zu tun hat. Diese hat es aber nach wenigen Tagen bereits geschafft, dass die Wissenschaft selbst in Misskredit geraten zu sein scheint. Zu offenkundig war die Vermischung von politischer Tendenz und dem angeblich wissenschaftlichen Erfassen von Daten. Die Universität Wien zog bereits die Notbremse und verbat den Studienautoren die Anführung des Logos der Universität Wien.

Rechtsradikale haben in Wien begonnen, Schilder zu basteln mit der Aufschrift „Achtung politischer Islam“ und mit der URL „Islam-karte.at“ versehen, die sie vor Moscheen angebracht haben. Die böse Saat geht somit bereits auf. Mitglieder der islamischen Jugend bitten um Polizeischutz, weil sie Angst vor Übergriffen haben. Die anti-muslimische Gewalt und öffentliche Anfeindung steigt seit Jahren in Österreich.

Bundesministerin Susanne Raab bei der Präsentation der „Forschungsergebnisse“ zu den Strukturen des politischen Islam in Österreich. Bild: Andy Wenzel/BKA

Macht die ÖVP die Arbeit der Islamisten?

Auch die katholische Kirche spricht bereits von Bespitzelung einer einzelnen Religion und erkennt keinen „Servicecharakter“ der Aktion, wie er von der Integrationsministerin Raab (ÖVP) behauptet wird. Schließlich habe die muslimische Glaubensgemeinschaft nie um dieser Art Servicedienstleistung gebeten.

Die Argumentation der österreichischen Bundesregierung ist empörend fadenscheinig. Selbstverständlich geht es letztlich nur um Diskriminierung. Der rhetorische Trick ist die Formulierung „politischer Islam“, der eine grundsätzliche Gefahr des Islams suggeriert und nicht mehr zwischen Islamismus und Islam unterscheidet.

Nun ist aber eben jede Religion auch politisch – und wie gefährlich das Christentum sein kann, wurde historisch wohl zu genüge belegt. Es geht bei der Islamkarte eher um eine Aufspaltung „Wir gegen die“ und daraus gedenkt die ÖVP politisches Kapital zu schlagen. Der immer latent rechtsradikale Kurs der Partei hat sich somit nochmals verschärft. Die mahnenden Stimmen in der eigenen Partei sind kaum zu vernehmen.

Insbesondere nach den Ereignissen des letzten Jahres muss sich die Volkspartei fragen lassen, weshalb ihr Bewusstseinsbildungsprozess so eklatant zurückbleibt. Will man trotz einer Black-Lives-Matter-Demonstration in Wien, zu der sich 50.000 Menschen einfanden, tatsächlich immer noch so tun, als hätten die Weißen den Nicht-Weißen und die Hiesigen den Fremden tüchtig was ins Stammbuch zu schreiben? Irgendeine Erinnerung an den Kolonialismus? Hat irgendwer was davon mitbekommen, dass vor langem bereits Edward Said nachwies, dass der immer noch wirksame „Orientalismus“ eine Erfindung westlicher Mächte war und sich nie ein aufrichtiges Bild vom Osten und dessen Religionen gemacht hat? Nö, nicht bei der ÖVP.

Das Problem radikaler und sich radikalisierender Glaubenseiferer soll dabei gar nicht geleugnet werden. Nur kann dies mit Blockwart-Mentalität bekämpft werden? Wenn etwa die Mehrheits-Bevölkerung dazu aufgerufen wird weitere Informationen über die Moschee in ihrer Nähe zu sammeln?

Gerade dies wird die Islamisten freuen, weil es der Beleg für ihr Hauptargument zu sein scheint: „Die wollen Euch nicht, die werden Euch nie Teil ihrer Gesellschaft sein lassen, deshalb kommt zu uns und baut mit am Kalifat.“  Das Kalifat, das selbst wiederum die „Ungläubigen“ ausschließt. Hier haben sich folglich die richtigen gefunden. Beide Seiten dürfen das Denken und Reflektieren einstellen und werfen sich wechselseitig: „politische Motivation“ vor. Wissenschaft wird das dann alles nicht mehr.

Wie wäre es mit einer Korruptionslandkarte?

Für diejenigen, die sich schwertun das Skandalöse der Islamkarte zu verstehen und meinen, Transparenz könne ja nicht schaden, einmal ein Gedankenexperiment. Wie wäre es mit der Einrichtung einer österreichischen Korruptionslandkarte? In der sind verzeichnet sämtliche Einrichtungen der Österreichischen Volkspartei. Alle Bürgermeister, Bundesräte etc. bis hin zum Bundeskanzler. Jeweils versehen mit dem aktuellen Korruptions-Status: „Nicht angeklagt, Vorermittlungen, Anklage, Verurteilung.“

Die ÖVP würde schäumen – und nicht ganz zu Recht. Sie würde sagen: „Warum gibt es dies nicht auch für andere Parteien, auch dort gibt es Fälle von Korruption?“ – Stimmt. Aber die ÖVP hat sich in den letzten Wochen als besonders korrupt erwiesen und die Bevölkerung muss vor der ÖVP geschützt werden. „Warum wurde dies ohne unsere Beteiligung und über unsere Köpfe hinwegentschieden?“  Na ja, weil ihr ja niemals mitgemacht hättet, die Menschen in Österreich müssen aber wissen, wer korrupt ist und wer nicht. Und so kann dann die ganze Diskussion über die Islamkarte unter anderen Vorzeichen mit der fiktiven Korruptionskarte durchexerziert werden.

Das Ergebnis wird notwendig lauten: Die Aktion schadet mehr als sie nützt. Sie erzeugt Unfrieden und hilft den tatsächlichen oder möglichen Straftätern, sich hinter einer Welle berechtigter, allgemeiner Empörung zu verstecken.

Weshalb ist die ÖVP dann so ungeschickt und eilt mit dieser im Übrigen auch noch technisch sehr unausgegorenen Islam-Landkarte (sie enthält teilweise Privatadressen und musste aktuell den IT-Betreiber wechseln) überhaupt an die Öffentlichkeit? Die meisten Kommentatoren sind sich einig und selbst grundsätzliche Sympathisanten der Islamlandkarte vermuten ein Ablenkungsmanöver der ÖVP.

Mit nationalem Getöse von der manifesten Kleptokratie ablenken

Tatsächlich rumort es gerade wieder gewaltig in der österreichischen Bundesregierung, nachdem neue Chatprotokolle des ÖBAG-Chefs und Kurz-Günstlings Thomas Schmid aufgetaucht sind, in denen der seine weniger privilegierten Menschen als „Pöbel“ und „Tiere“ bezeichnet. Natürlich war man sich im Umfeld von Sebastian Kurz (aka „Familie“) sicher, dass bei der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG) keine Frauen („Scheißquote“) oder Betriebsräte („Weg damit“) gebraucht werden. All dies liegt nun schwarz auf weiß vor, dank der Chat-Protokolle.

Bei diesem sich bereits über Wochen erstreckenden PR-GAU zeigt sich aber noch mehr. Die Halbweltexistenzen rund um Bundeskanzler Kurz, die einzig auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, haben durchaus das Zeug zu einer totalitären Bedrohung. Sie verachten unverkennbar Demokratie und Rechtsstaat. Kurz drischt gerne in die gleiche Kerbe. Bei der Sondersitzung des Nationalrats beantwortete Bundeskanzler Sebastian Kurz die „dringlichen Anfrage“ an ihn äußerst ausweichend, um dann anschließend dem Parlament zu drohen. Zwar habe dies vielleicht das Recht auf seiner Seite, er aber vertraue auf das Volk.

„Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden“ war bereits die Formel nach seiner Abwahl per Misstrauensantrag. Kurz wiederholt nun seine Drohung und erinnert daran, dass er bereits zwei Mal zum Bundeskanzler gewählt wurde. Darüber hinaus hält er die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs für „juristische Spitzfindigkeiten“ und scheint keinen Begriff von unabhängiger Justiz zu haben oder haben zu wollen. Die Ermittlungen und die mögliche Anklage gegen ihn stellt er als eine einzige Intrige seiner Gegner dar.

Mit all dem zeigt sich, dass Kurz und seine „türkise Bewegung“ durchaus eine inhaltliche Nähe zu Diktaturen aufweisen. Im Grunde werden mit dem Auflegen der „,Ausländer-sind-böse’-Langspielplatte“ ähnliche Motive verfolgt wie von Erdogan, Lukaschenko, Putin und Co.: mit nationalem Getöse von der manifesten Kleptokratie ablenken.

Ein realpolitischer Aspekt wird hierbei selten beleuchtet. Der Rechtspopulismus züchtet einen Ring der Diktatoren rund um Europa. Ganz nihilistisch betrachtet, bringt man sich damit ins Hintertreffen. Wenn Politiker Mitmenschlichkeit für weiche Themen halten und insgeheim humanitäre Prinzipien verachten, dann sollten sie doch empfänglich für den Hinweis auf eine strategische Malaise sein.

Erdogan und in Ansätzen auch bereits innerhalb der EU Orban drohen unaufhörlich mit dem nächsten Flüchtlingsstrom. Sie haben dadurch für sie äußerst günstige Verträge mit dem Westen ausgehandelt. Die „demokratie-kritischen“ Herrscher kümmern sich darum, Menschen in Not von Europa fern zu halten und dafür können sie einen hohen Preis fordern.

Die westlichen Rechtspopulisten wie Sebastian Kurz sollten, wenn sie immer wieder die alte Leier von den bösen Ausländern, insbesondere den fiesen Moslems, anstimmen, dazu gezwungen werden, die exorbitanten politischen und ökonomischen Kosten dieser Haltung einmal „einzupreisen“. Durch den Rechtspopulismus sind die „westlichen Demokratien“ in der Hand der Diktatoren und dies sollte vielleicht auch jene schmerzen, die sich von humanistischen Prinzipien längst „frei“ gemacht haben.

Welche Karte kann Kurz noch spielen?

Sebastian Kurz unterhält satte 59 PR-Berater im Kanzleramt. Die formale Präzession einer PR-Maschine kann aber nur einen gewisse Zeit über inhaltliche Leere hinwegtäuschen. In Österreich dürfte sich diese auf knapp vier Jahre belaufen. Alle Ablenkungsmanöver, sei es das jüngste Moslem-Bashing oder die unaufhörlichen Angriffe auf die Justiz, erzeugen mehr Backlash als Momentum, um es im einmal PR-Jargon zu sagen.

Die katholische Kirche hat sehr deutlich – fast apodiktisch – die Islamkarte abgeurteilt und empfiehlt deren Entfernung. Die Richtervereinigung in Österreich zeigt sich ebenso äußerst besorgt, wegen der jüngsten Angriffe auf die unabhängige Justiz durch die ÖVP. Sie erkennt „mangelnden Respekt“ und wünscht sich einen „Schritt zurück [zu] machen und [zu] reflektieren“. Katholische Kirche und Richtervereinigung sind in Österreich nicht unbedingt als linksradikale Organisationen verschrien. Kurz und seine 59 PR-Leute werden sich fragen müssen, wo überhaupt noch Verbündete der „türkisen Bewegung“ zu finden sind.

Sicherlich ging es immer darum, einen großen Teil der knapp 30 % FPÖ-Sympathisanten im eigenen Lager zu behalten. Nur, mit der baldigen Einsetzung des rechten Vortänzers und berüchtigten ehemaligen Innenministers Herbert Kickl als FPÖ-Vorsitzenden, wird die rechtsradikale Show der FPÖ wieder an Fahrt aufnehmen und sich kaum noch rechts überholen lassen.

Der ÖVP bröckeln zugleich die gemäßigten Unterstützer in der Mitte weg. Mit der abgedroschenen Angstmacherei vor den Orientalen, dem Islam und der Überfremdung wird Kurz möglicherwiese bald keine Mehrheiten mehr bekommen. Da er aber bekanntlich bereit ist, alles seiner Karriere unterzuordnen, wird es spannend sein zu sehen, welche (letzte?) Karte Kurz nun spielen wird.

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