Österreich: Lockdown als letzter Ausweg?

Bild: https://covid19-dashboard.ages.at/

Die grafische Darstellung der Neuinfektionszahlen in Österreich gleicht der Silhouette des Burj Khalifa. Das Drama des November 2020, in dem das Land die weltweit höchsten Corona-Zahlen hatte, scheint sich zu wiederholen. Droht Österreich der Lockdown?

Der österreichischen Politik gehen allmählich die Ausreden aus. Die aktuelle 7-Tage-Inzidenz liegt bei 760, im Bundesland Oberösterreich sogar bereits bei 1190. Der Rekordwert von 13.500 bestätigten Neuinfektionen an einem Tag übertrifft den Wert von gut 9000 im letzten Jahr bei weitem. Die Ereignisse beginnen sich wieder zu überschlagen und was gestern noch ausgeschlossen wurde, ist heute wieder möglich. Selbst ein landesweiter Lockdown könnte drohen.

Bereits seit dem Sommer ließen die Verantwortlichen die Zahlen in die Höhe steigen. Zu sehr scheute man die Konfrontation mit der Öffentlichkeit, die einfach genug von Corona hat, und zu sehr wollte man die Wirtschaftstreibenden (insbesondere im Tourismus) vor negativen Schlagzeilen schützen.

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Jetzt ist die Situation hochgefährlich. Von dem neuen Virus der Delta-Variante ist bekannt, dass es innerhalb von 5-7 Tagen zu schweren Erkrankungen führt. Zwar werden dank der Impfungen deutlich weniger Menschen gefährlich am Virus erkranken, da aber die Neuinfektionszahlen so übermäßig hoch sind, könnten trotzdem die Krankenhauskapazitäten vor dem Kollaps stehen.

Neben den Infektionen schießen nun auch die wechselseitigen Anschuldigungen in die Höhe. Der Salzburger Landeshauptmann Haslauer (ÖVP) drosch sogar unsachlich auf die Virologie als Wissenschaft ein, denn die würde Menschen „am liebsten wegsperren“. Ein durchsichtiger Versuch, von Faktum ablenken zu wollen, dass das Land vor einem Systemversagen steht.

Die ewig unterschätzte Pandemie

Ein Spezifikum der Pandemiebekämpfung in Österreich liegt daran, dass Corona eigentlich ständig vorbei ist. Das Virus wurde in Austria bereits unzählige Male besiegt. Die freudig erklärte „Rückkehr zur Normalität“ währte allerdings immer nur einen Sommer lang. Zuletzt war es der mittlerweile wegen diverser Anklagen in die zweite Reihe geflohene Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz, der verkündigt hatte, die Pandemie sei endlich vorbei und nun wäre der Umgang mit der Krankheit reine „Privatsache“.

Die seltsame Aussage folgte zwei Impulsen: Erstens hat Sebastian Kurz ein beinahe pathologisch zu nennendes Bedürfnis, gute Nachrichten zu verkünden (das er leider mit vielen Politikern in Österreich teilt) und da scherte ihn weder Realität noch Strategie im Umgang mit einer Pandemie. Denn weder war die Pandemie zu irgendeinem Zeitpunkt vorbei, noch wäre es sonderlich schlau, dies vor ihrem gesicherten Ende zu verkünden. Schließlich kann jede Fahrlässigkeit wieder zum Aufflammen führen.

Zweitens sollte mit den Aussagen der rechte Rand besänftigt werden, indem signalisiert wird: „Regt euch nicht auf, wir fahren die Einschränkungsmaßnahmen ja schon herunter.“ Dies war insofern sehr wichtig für Kurz, da es die zumeist rechten Impfskeptiker waren, die sich als erste lautstark gegen den Kanzler gewendet haben. Kurz hatte gespürt, dass sich ein Momentum gegen ihn aufzubauen begann.

Insbesondere die im  September abgehaltenen Wahlen im drittgrößten Bundesland Oberösterreich stoppten jede Verve bei der Pandemiebekämpfung. Das Land mit den höchsten Neuinfektionszahlen hat bezeichnenderweise zugleich die geringste Impfquote. Die wahlwerbenden Parteien wollten den Impfskeptikern nicht aufs Fußerl stiegen, die erfolgreich von der rechtsextremistischen FPÖ und der neuen, ebenfalls dem rechten Rand zuzuordnenden Partei MFG umworben wurden.

Das Bundesland verdankt seine stramm wertkonservative Gesinnung zu Teilen der Roten Armee. Die machte nämlich 1945 in Oberösterreich halt, weshalb sich hier viele geflohene Nazis auf der sicheren Seite im britischen Sektor niederließen. Dass Neonazis und „Querdenker“ ein Problem mit dem Impfen haben, darf als gesicherte Erkenntnis gelten. Widersprochen wird rechten Recken in Oberösterreich traditionell nur zögerlich und nun hat man den Salat. Ab Montag herrscht in Oberösterreich der „Lockdown für Ungeimpfte“, dessen Durchsetzung allerdings noch nebulös ist.

Wellenbrechen mit vielen Gs statt Lockdown in Österreich

Fraglich ist auch, ob diese Maßnahmen jetzt noch reichen. Viele Experten bezweifeln dies. Sicherlich war und ist ein Hauptfaktor für den Kampf gegen das Virus die Impfquote, die in Österreich nur bei gut 65% liegt – in Oberösterreich bei 60%. Aber selbst wenn es augenblicklich gelingen würde, die Impfungen drastisch zu steigern, dann käme dies wohl zu spät. Die aktuelle Welle kann nur mehr gebrochen werden, wenn es auch umfassende Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit gibt. Hierzu hatte sich die österreichische Bundesregierung einiges ausgedacht.

Um den unbeliebten vollständigen Lockdown in Österreich zu verhindern, sollte zunächst eine 3G-Regel (geimpft, genesen, gestestet) als Zugangsbeschränkung zu öffentlichen Orten und auch zur Arbeit eingesetzt werden. Diese wurde dann zögerlich, aber doch, mit der 2 G-Regel (geimpft oder genesen) ersetzt, die ohnehin bereits einem de facto-Lockdown für die Ungeimpften entspricht. Das Land, das den Mezzanin (Zwischenstockwerk, damit die Bauvorschrift von maximal drei Obergeschossen „eingehalten“ werden konnte) erfunden hat, lieferte natürlich noch gleich eine 2,5 G Regel obendrauf, bei der nur mehr PCR-Test als Nachweis geduldet werden.

Jedweder Anflug von Klarheit und Übersichtlichkeit des Regelwerkes konnte erfolgreich verhindert werden, indem jedes Bundesland selbst entschied, was und wann umgesetzt wird. Dadurch wirkten die einen übereifrig, die anderen nachlässig – je nach Sichtweise. Der von der Bundesregierung ausgehandelte „Stufenplan“ erschien mit zunehmender Krisendynamik immer lächerlicher, weil die darin festgelegten Maßnahmen einerseits zum Spielball der Politik wurden und andererseits mit viel zu großen Zeitfenstern operierten.

Statt schnell auf die sich täglich veränderte Lage zu reagieren, wurden Maßnahmen für die übernächste Woche angekündigt, die reihenweise vorgezogen werden mussten, um dann immer noch zu spät zu sein. Insgeheim hatte man wohl drauf gehofft, dass auch bei steigender Inzidenz und hoher Reproduktionszahl die Impfbarriere halten würde und nur wenige Infizierte in Krankenhausbehandlung müssten, sodass ein Lockdown in Österreich nicht notwendig wäre.

Vermutlich ist das Krisenmanagement der Regierung aber auch deshalb so beschämend, weil sich der große Koalitionspartner ÖVP immer noch über die Absetzung von Sebastian Kurz ärgert. Zum Fleiß gehen die Granden der Volkspartei deshalb auf keinen der Vorschläge des grünen Gesundheitsministers ein.

Der Grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein hatte nämlich die ÖVP-Landeshauptleute der am stärksten betroffenen Bundesländer Oberösterreich und Salzburg Mittwochabend zum Krisengespräch gerufen, dem bezeichnenderweise der neue ÖVP-Kanzler Schallenberg fernblieb. Das Ergebnis des Krisentreffens war der feste Entschluss, sich in zwei Tagen erneut zu treffen. Ein weiteres Musterstück an Krisenmanagement hatte am Morgen bereits die oberösterreichische Landesrätin Christine Haberlander (ÖVP) geliefert. Sie versprach im Radio, die Covidzahlen „sorgfältig zu beobachten“. Vielleicht, es ist nicht auszuschließen, fällt ihr ja in den nächsten Wochen was zu den Zahlen ein.

Bis dahin versinkt das Land in einer sich immer schneller drehenden Krisenspirale, die fatale Folgen haben kann. Denn nun wird immer deutlicher, wie weitgehend wirkungslos die bisherigen halbherzigen Maßnahmen waren, die den Lockdown in Österreich verhindern sollten. Wenn sich zudem zeigen sollte, dass die Impfung, die gerne als Allheilmittel gepriesen wurde, ihr Freiheitsversprechen ebenso nicht wahrmachen kann, dann hat dies sicherlich eine zusätzliche, demoralisierende Wirkung. Die Politik wird sich fragen lassen müssen (im Jahr 2021 genauso, wie bereits im Jahr 2020), warum nicht frühzeitiger und energischer reagiert wurde, um Schlimmeres zu verhindern.

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