Österreich verdunkelt sich

Pressekonferenz anlässlich des Mordfalles an einem 13-Jährigen Mädchen mit Bundesministerin Karoline Edtstadler (r.) und dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf. Bild: Florian Schrötter/BKA

 

Nach dem mutmaßlichen Mord eines 13jährigen Mädchens in Niederösterreich durch vier afghanische Männer befindet sich das Land in einem gesteuerten Aufruhr. Besonnene Stimmen scheinen weitgehend verstummt zu sein.

Die Ohnmacht ist eine schlechte Ratgeberin. Sich den gewaltsamen Tod eines jungen Mädchens durch vier Männer auszumalen, kann zu Rage und Verzweiflung führen. Weite Teile der österreichischen Medienöffentlichkeit und Politik müssten sich allerdings fragen lassen, weshalb sie dies überhaupt tun.

Für die rechtsautoritäre Szene, die von der ÖVP und FPÖ bedient wird, ist die Sache leicht zu beantworten. Ein Mord (hier gilt übrigens nicht die sprichwörtliche Unschuldsvermutung) durch afghanische Asylwerber, die im Jahr 2015 im Rahmen der sogenannten „Flüchtlingskrise“ ins Land kamen, ist ein propagandistisches Geschenk des Himmels. Endlich ist das tausendfach ausgemalte Bedrohungsszenario greifbar. Die FPÖ unter ihrem neuen Parteichef Herbert Kickl ruft folglich sogleich zum Volksbegehren „Asylstraftäter sofort abschieben“ und viele bürgerliche Kreise klatschen Applaus. Man kann es der ÖVP aus Parteitaktik kaum verdenken mitzutönen, denn endlich geht es einmal nicht um Chatprotokolle und Korruption. Der rechte Flügel des Landes darf in trauter Zweisamkeit (die in der Asylfrage nie aufgekündigt wurde) wieder das Heft des Handels ergreifen.

Wenn die grüne Justizministerin Alma Zadić, die als geborene Bosnierin selbst ein Mensch mit Fluchterfahrung ist, davor warnt, die schreckliche Tat politisch zu  instrumentalisieren, dann steht ihr eine Phalanx in den Medien gegenüber, die lauthals beklagen, der Tod eines Kindes müsse endlich „aufrütteln“.

Die Aufgerüttelten schreiten zur Tat

Zum Zustand des Aufgerütteltseins gehört eine spezifische Blindheit, die umfassend von dem Österreicher Elias Canetti in seinem Werk „Masse und Macht“ analysiert worden ist. Im Dunkel liegen sowohl der Auslöser, als auch die energisch eingeforderten Konsequenzen. Ein gerüttelt Maß an soziopathischer Weltdeutung ist für eine Politikkarriere leider in Österreich und anderswo förderlich. Der soziopathische Blick erkennt überall das „Fremde“ und dessen „Gefahren“. Menschen aus Afghanistan eignen sich hier vorzüglich, weil sich ihr Heimatland lange und „erfolgreich“ der Moderne widersetzt hat.

In Wien gibt es allerdings viele Initiativen, die Wege eines erfolgreichen Zusammenlebens für Menschen aus Afghanistan gefunden haben. Afghanen gehen in Österreich zur Arbeit, gründen Kulturvereine, machen gemeinsam mit Österreichern Sport und werden zu einem Teil der österreichischen Gesellschaft. Darüber wird nun kaum mehr gesprochen. Auch nicht davon, dass Kriminalität immer ein individuelles Phänomen ist. Die vier afghanischen Männer, von denen drei zuvor bereits straffällig geworden waren, sollen in dunkler und geheimnisvoller Weise für den afghanischen Mann und die von ihm verkörperte Bedrohung stehen.

Mit den Details und Widersprüchen, die das wirkliche Leben ausmachen, halten sich erfolgreiche Polit-Soziopathen nicht mehr auf. So dunkel wie die Ursachen bleiben auch die Konsequenzen. Das Asylrecht müsse nun reformiert  werden, damit was überhaupt geschieht?

Der Zusammenhang zwischen Straftat und Asylverfahren ist rechtlich nicht leicht zu klären. Wenn immer wieder davon getönt wird, ein Mensch habe durch eine Straftat sein „Gastrecht verwirkt“, dann lässt sich der Paragraph des Gastrechtes leider in keinem Gesetzestext finden.

Aktuell kämpft das von der ÖVP geführte Innenministerium gegen das grüne Justizministerium und meint, letzteres mache es dem durchgriffswilligen Innenministerium unmöglich, „konsequent“ abzuschieben. Eine Kritik, die sich der Innenminister auch von rechten Rand der Sozialdemokratie, in Gestalt des burgenländischen Landeshauptmannes Hans Peter Doskozil, hat anhören müssen. Es solle einfach mehr abgeschoben werden und gut ist. „Warum passiert nichts!“ schmettert es durch die medialen Sprachrohre.

Ein genauer Blick auf den rechtlichen Sachverhalt konnte hier Auskunft geben und der hitzigen Debatte den Wind aus den Segeln nehmen. Das Recht auf Asyl muss in einem eigenen, unabhängigen Verfahren festgestellt werden. Es wird zuerkannt oder eben nicht. Dann muss die mögliche Rückführung in das Herkunftsland erwirkt werden. Die dazu verfügbaren Mittel müssen aber selbstverständlich menschenrechtskonform sein.

Keiner der aufgerüttelten Machthaber, die laut Canetti so gerne das Blut der Massen in Wallung bringen, betrachtet gern diesen simplen Sachverhalt. Gleichzeitig schrecken sie aber auch vor der Forderung zurück, den Rechtsstaat für „Fremde“ auszuhebeln und einfach dennoch abzuschieben. Dies konnte in letzter Konsequenz die Todesstrafe für Verwaltungsvergehen bedeuten. Denn eine aktuelle Rückführung nach Afghanistan ist – gelinde gesagt – schwierig, dort befinden sich gerade Millionen Menschen auf der Flucht vor den Taliban.

Im Grunde soll nichts geschehen

Eine ungute Rollenaufteilung ist hier politisch entstanden, bei der die Konservativen und die Rechtsextremisten immer Forderungen stellen können und deren Undurchführbarkeit den „Gutmenschen“ vorwerfen dürfen, während diese sich in dem Dickicht der sachlichen Schwierigkeiten verwickeln, die wiederum medial kaum zu vermitteln sind.

Vermutlich ließe sich nachweisen, dass das Innenministerium, sei es unter Herbert Kickl (FPÖ) oder seinem ÖVP-Nachfolger Karl Nehammer, nie ein echtes Interesse an Beschleunigung und Verbesserung der Asylverfahren hatte. Das dem Innenministerium untergeordnete Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) befindet sich offensichtlich seit Jahren in einer Dauerkrise aus Personalmangel und Aufgabenzuwachs, die sehr wohl politisch intendiert sein könnte, schließlich ist die Klage über schlecht verlaufende Asylverfahren eine politisch gut ausschlachtbare Folklore.

Aber selbst wenn kein böser politischer Wille am Werk wäre, dann sind die Aufgaben für das BFA kaum zu bewältigen, weil hier sichtbar werden muss, was leidenschaftlich politisch verdunkelt wird. Am Beispiel von Afghanistan lässt sich dies gut deutlich machen. Über 80% der Menschen in Afghanistan wissen nicht, was am 11.9.2001 passiert ist. Auch als Mensch des globalen Nordens muss man lange in der Trickkiste der außenpolitischen Argumentation kramen, um die Story wieder zusammenzukriegen: 2001 haben eine Gruppe Saudis sowie ein Ägypter und ein Libanese einen schrecklichen Terroranschlag in den USA vollführt. Sie erhielten dabei logistische Unterstützung der Taliban aus Afghanistan, die lange Zeit von den USA, als sie noch Mudschaheddin waren und gegen die Sowjetunion kämpften, unterstützt wurden.

2001 musste für den Anschlag auf das World Trade Center Rache geübt werden und ein 20jähriger Krieg verwüstete seit dem das Land Afghanistan. Die Taliban enthaupteten GIs vor laufender Kamera, während diese wiederum sterbenden Taliban erzählten, dass es keinen Allah gäbe und ihre Opfer einem „Canoeing“ unterzogen. Dabei wird mittels aufgesetzten Gewehrschuss der Kopf des Gegners gespalten. Die amerikanischen GIs wollten dadurch nach eigener Aussage zurück „in den Sattel kommen“.

Die Grausamkeiten des Krieges in Afghanistan spotten jeder Beschreibung. Wer dieses Land verlässt und flieht, handelt in vielen Fällen schlicht rational. Der überwiegende Teil der Bevölkerung hat weder Sympathien für die Taliban, noch für die als Besatzer wahrgenommenen Truppen aus dem Westen.

Und wie soll nun ein österreichisches Bundesamt mit dieser Misere umgehen? Soll es ernsthaft politische Praxis werden, Menschen in die Hölle Afghanistans zurückzuschicken? Einmal abgesehen davon, dass dies die Kooperation der dortigen Machthaber erfordern würde. Außerdem, wer wagt es diesen politischen Sachverhalt einmal ganz auszubuchstabieren? Der globale Norden (ebenso auch Australien und Neuseeland) wünscht sich möglichst qualifizierte Arbeitskräfte und gibt diesen – wenn auch unter großen Auflagen – die Chance einzuwandern. Kriminelle hingegen werden in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Die besten Köpfe abschöpfen und die Gestrauchelten zurückschicken lautet der Deal, dem der globale Süden unmöglich zustimmen kann.

Die Debatte wird heiß und unmenschlich

Der österreichische Boulevard listet nun auf, wie viele Afghanen Straftaten begangen haben und vergisst dabei zu erwähnen, dass es für Afghanen viele Vergehen gibt, die Österreicher gar nicht begehen können, weil diese ein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht genießen. Auch wird nicht erwähnt, dass perspektivlose Jugendliche häufig delinquent werden. Hier gibt es keinen Zusammenhang mit „Kultur“, denn arbeitslose Afghanen und Oberösterreicher geraten in ähnlicher Weis auf die schiefe Bahn. Erstere sind nur viel häufiger arbeitslos und letztere haben meist eine breitere Infrastruktur die sie schützt und sie erleben auch keine Alltagsdiskriminierung.

All das soll nun nicht mehr gehört werden.  Eine Stimmung des „Wir gegen die“ beginnt sich zu verfestigen. Sie wird zuverlässig zu Gegenreaktionen führen und nicht wenige der afghanischen Jugendlichen werden vermutlich jene Straftaten begehen, derer man sie zuvor ungerechtfertigterweise bezichtigt hat. So sind Menschen nun einmal –  leider.

Die Spitzenpolitik in Österreich hat längst bewiesen, dass sie diesem Konflikt moralisch nicht gewachsen ist. Die ÖVP weiß, dass das „Ausländerthema“ ihr Mehrheiten an der Wahlurne beschafft und hat in der Koalition mit den Grünen kaum einen Gelegenheit ausgelassen, den kleinen Koalitionspartner bloßzustellen und zu erniedrigen.

Die Grünen hingegen brauchen ihr Rückgrat in Menschenrechtsfragen, um die bereits geschrumpfte und enttäuschte Basis nicht noch weiter zu brüskieren. Im Moment haben sie dafür denkbar  schlechte Karten, weil ihnen die aufgerüttelte Masse der Empörten gegenüberstellt, die nun keine Zögerlichkeit beim Nichtstun mehr duldet.

Für die „Fremden“ in Österreich wird es nun noch einmal schwerer, insbesondere weil die Corona-Krise zivilgesellschaftliche Institutionen ausgelaugt hat. „Die Stimme der Vernunft ist leise“ hat man als Zitat und Sinnspruch in das Sigmund-Freud-Denkmal in Wien meißeln lassen. Auf absehbare Zeit wird diese Stimme in Österreich kaum gehört werden.

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