Völkermord in Tigray

Zehntausende fliehen vor Gewalt in Tigray. Screenshot von YouTube-Video von UNHCR, die zu Spenden aufrufen.

Äthiopische Regierung und Eritrea in gemeinsamer Verantwortung

 

2018 – kurz nachdem Abiy Ahmed Ali in Äthiopien an die Macht kam – wurde eine „Friedensvereinbarung“ zwischen beiden Ländern geschlossen. Abiy Ahmed Ali und Isayas Afewerki trafen sich zu Gesprächen in den Vereinigten Arabischen Emiraten und wurden dort mit Preisen geehrt. Bisher sind allerdings keine Einzelheiten zu der Vereinbarung bekannt oder veröffentlicht, noch nicht einmal das Parlament kennt den Wortlaut. Der genaue Inhalt wird von beiden Seiten unter Verschluss gehalten. Abiy Ahmed Ali wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die Grenze zwischen Eritrea und Tigray wurde kurz nach dem Friedensschluss für eine kurze Zeit geöffnet. Es kam zu freundschaftlichen, teils enthusiastischen, Begegnungen beider Bevölkerungen. Von vielen Eritreern wurde die Grenzöffnung zur Flucht nach Tigray genutzt. Allerdings wurde solcher Verbrüderung durch die beiden Regime schnell ein Ende gesetzt, und die Grenze wurde wieder geschlossen.

Mit dem Beginn der Offensive Abiy Ahmed Alis gegen das Bundesland Tigray Anfang November letzten Jahres ist der eigentliche Sinn dieser „Friedensvereinbarung“ deutlich geworden. Es ging weder Abiy Ahmed Ali noch Isayas Afewerki um Frieden. Abiy Ahmed Ali wollte – vielleicht auch aufgrund eigener Schwäche – einen Bündnispartner für seinen Krieg gegen Tigray gewinnen, und Isayas Afewerki hatte noch alte Rechnungen mit den TPLF zu begleichen, wollte aus der internationalen Isolation heraus und hoffte sich endlich Gebiete aus Tigray aneignen zu können. Möglicherweise wurde die Allianz auch durch Einfluss dritter Parteien wie den Arabischen Emiraten befördert.

Die Rolle Eritreas im Krieg gegen Tigray

Bis heute wird die Präsenz eritreischer Truppen vom Regime Abiy Ahmed Ali geleugnet. Angeblich handele es sich um eine zeitlich begrenzte Aktion, mit der das „Gesetz“ durchgesetzt werden solle. Das Regime sprach von der Notwendigkeit einer ca. dreiwöchigen Operation, für die die eigenen Kräfte ausreichend seien. Mittlerweile sind mehr als drei Monate vergangen, und die Lage in Tigray ist katastrophal – weit entfernt von Stabilität und Frieden.

Die Bevölkerung Tigrays ist einem Genozid hilflos ausgeliefert. Tigray ist dem Terror der eigenen Regierung ausgesetzt, die einerseits die eigene Bevölkerung für ausländische Invasoren zum Schlachten freigibt und andererseits in aller Welt behauptet, dass sie alles im Griff habe. Die Menschen haben damit niemanden, der sie z.B. in internationalen Gremien – etwa bei der UN – oder auch in der Frage von internationaler Hilfe vertreten könnte.

Trotz des Versuches der Regierung, das Gebiet Tigrays von jeglicher Nachrichtenverbindung, jedem Zugang unabhängiger Journalisten und von jeglicher humanitärer Hilfe abzuschotten, kommen mit jedem Tag, den dieser Krieg dauert, mehr Informationen an das Licht der Öffentlichkeit:

  • So sind auch die Vereinigten Arabischen Emirate mit Drohnen und somalische Truppen am Krieg beteiligt.

 

  • Die Anwesenheit eritreischer Truppen wird mittlerweile durch viele internationale Beobachter bestätigt. Es mehren sich international die Forderungen, dass eritreische Truppen das Land verlassen müssten. Auch die neue amerikanische Regierung hat sich in diesem Sinne geäußert.

 

  • Eritreische Truppen sind demnach nicht nur entlang der Grenze zwischen Tigray und Eritrea präsent, sondern nahezu in ganz Tigray.

 

  • Insbesondere durch die Aussagen von Flüchtlingen wird deutlich, dass eritreische Truppen auch für einen Großteil der Kriegsverbrechen verantwortlich sind, insbesondere auch für Plünderungen, das Wegtreiben von Vieh, das Verbrennen von Ernten und die Vertreibung und Ermordung von tigrayischen Bauern. Insbesondere die Grausamkeit der eritreischen Soldaten und der amharischen Milizen gegen die Zivilbevölkerung Tigrays ist beispiellos, während die offizielle Armee des Regimes Abiy Ahmed Ali den Vergewaltigungen und Massakern nicht nur zuschaut, sondern die Kriegsverbrechen deckt und unterstützhttps://selamkidanedotcom.wordpress.com/2021/01/31/issias-afworkis-army-in-tigray-from-impotence-to-omnipotence/t.

 

  • Hunger und mangelnder Zugang zu Trinkwasser wird so als Kriegswaffe eingesetzt – mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung. Da gleichzeitig jegliche Aktivität internationaler Hilfsorganisationen durch das Zentralregime blockiert wird, sind tausende Menschen in Tigray vom Hungertod bedroht. Es scheint, dass der Tod durch Hunger nicht nur in Kauf genommen wird, sondern gewollt und gezielt ist.

 

  • Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Fabriken und religiöse Stätten unterschiedlicher Glaubensrichtung, werden geplündert und zerstört. Menschen, die versuchen, die Kulturgüter mit ihrem Leben zu schützen, indem sie sich etwa in Kirchen versammelten, werden ermordet. Alte Artefakte werden geraubt, um die Kultur und Geschichte Tigrays zu zerstören.

Perspektiven

Mittlerweile mehren sich die Anzeichen, dass eritreische Truppen kriegsentscheidender sind als die Regierungstruppen der äthiopischen Zentralregierung.  Bereits vor dem Einmarsch hat Ahmed die äthiopische Armee stark geschwächt durch Säuberung von Tigray-stämmigen Militärs aus wichtigen militärischen Positionen. Man schätzt, dass ca. 20% der äthiopischen Armeeangehörigen entlassen oder verhaftet wurden.

Es gibt die Einschätzung, dass die Regierungsarmee ohne die eritreischen Truppen keine Chance gegen die TPLF gehabt hätte, und auch einen lang andauernden asymmetrischen Guerillakrieg nicht zu einem Ende bringen könnte.

Ahmed überlässt den ausländischen Invasoren viele Gebiete in Tigray. Es ist nicht davon auszugehen, dass eritreische Truppen Tigray in ansehbarer Zeit verlassen werden. Eher sieht es so aus, dass Tigray zwischen Amharen und Eritrea aufgeteilt werden soll.

Da der internationale Druck zunimmt, dass die eritreischen Truppen Tigray verlassen müssen, kommt Abiy Ahmed Ali in eine Zwickmühle: Einerseits ist er selbst dringend auf ausländische Hilfe und ausländische Investition angewiesen, andererseits ist er militärisch zu schwach, als dass er auf die eritreischen Bundesgenossen verzichten könnte. Es gibt erste Anzeichen, dass die Anwesenheit von eritreischen Truppen durch das Tragen von neuen (äthiopischen) Uniformen verborgen werden soll. Erleichtert wird dies dadurch, dass sowohl in Tigray als auch in Eritrea die gleiche Sprache gesprochen wird.

Es ist auch nicht auszuschließen, dass es Geheimabsprachen gibt, in denen vereinbart wurde, dass weite Teile Tigrays auf Dauer Eritrea überlassen werden. Ohnehin erscheint es zunehmend so, als wenn Ahmed mehr und mehr zum schwächeren Juniorpartner des eritreischen Diktators Isays Afewerki mutiert.

Sobald sich die Anwesenheit eritreischer Truppen nicht mehr verbergen lässt, wird Abiy nicht umhinkönnen, dies zuzugeben. Er wird dies damit rechtfertigen, dass er sie um Hilfe gebeten hat, um die Operation in Tigray zu sichern.

Faktisch hat Abiy Ahmed Ali die Souveränität in einem Teil Äthiopiens an Isayas Afewerki verloren. Sollte sich der eritreische Diktator auf lange Sicht in weiten Teilen Tigrays festsetzen, ist ein zukünftiger Konflikt mit den Amharen (auf die sich Abiy zurzeit stützt) nicht ausgeschlossen.

Wenn der Hauptstörfaktor Tigray/TPLF in die Knie gezwungen ist, dann kann es zu einem Gemetzel zwischen den aktuellen Komplizen kommen. Das Horn von Afrika kommt nicht zur Ruhe, eine angeblich kleinere Operation zur Durchsetzung von Gesetzen hat sich zu einem internationalisierten Krieg entwickelt, der Friedensnobelpreisträger mutiert zunehmend zum Kriegstreiber und -verbrecher. Warum findet die internationale Gemeinschaft keine deutlichen Worte?

 

Hintergrund Eritrea

Historisch gehörte Eritrea ursprünglich zu Äthiopien. Allerdings setzten sich im Gebiet des heutigen Eritrea 1890 die Italiener fest, nachdem Versuche. ganz Äthiopien zu kolonialisieren. militärisch gescheitert waren. 1952 wurde Eritrea wieder dem äthiopischen Kaiserreich, damals unter Haile Selassie, zugeschlagen. Haile Selassie wurde 1974 durch einen Militärputsch gestürzt, das Kaiserreich wurde durch eine stalinistische Militärdiktatur ersetzt. Nachdem das stalinistische Derg-Regime 1991 durch eine Koalition verschiedener Befreiungsbewegungen unter Führung der TPLF besiegt wurde, wurde die heute noch gültige föderale Verfassung mit weitreichenden Rechten für die Bundesstaaten entwickelt. Darin ist auch das Recht auf Sezession verankert.

„1993 kam es gewissermaßen zur Nagelprobe im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht. Eritrea unter Führung von Isayas Afewerki wollte die Unabhängigkeit von Äthiopien. Meles Zenawi, Premierminister, stimmt der Loslösung unter der Voraussetzung zu, dass die Bevölkerung von Eritrea mehrheitlich zustimmte. Dies führte 1993 zur Gründung Eritreas. Allerdings fanden seitdem keine Wahlen in Eritrea mehr statt, und demokratische Rechte wurden unter dem Diktator Isayas Afewerki – Abiy Ahmed Alis neuem Freund und Lehrmeister – mehr und mehr eingeschränkt.“ (Shuwa Kifle: Was steckt hinter dem Konflikt in Tigray?)

Die Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea verläuft hauptsächlich entlang des Bundesstaates Tigray im Norden. Seit der Unabhängigkeit Eritreas hat es immer wieder Grenzstreitigkeiten bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen um den Grenzverlauf gegeben. Gemeinsame Sprache von Eritrea und dem äthiopischen Bundesland Tigray ist Tigrinja. Während in Tigray über 90 % der Bevölkerung christlich-orthodox sind, bekennen sich in Eritrea gut die Hälfte der Einwohner zum Islam.

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