Von der Propaganda des „Liebesdschihad“

Droht bald ein Verbot von interreligiösen Ehen in ganz Indien? Bild: Amish Thakkar / Unsplash

Wenn eine hindu-nationalistische Verschwörungstheorie zum Gesetz wird. Ein Beitrag von Aaquib Khan*.

Vor wenigen Wochen veröffentlichte Meghan Markle einen Essay in der New York Times. Sie beschrieb darin den Schmerz ihrer Fehlgeburt, die sich im vergangenen Juli ereignet hat, unter anderem mit folgenden Wörtern: „Der Verlust eines Kindes ist mit einer fast unerträglichen Trauer verbunden. Viele Menschen haben diese Erfahrung gemacht, doch nur wenige sprechen darüber.“ Tausende Kilometer entfernt von der Herzogin von Sussex ereignete sich Ähnliches in der Kleinstadt Kanth im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Die 22-jährige Muskan Jahan erlitt eine Fehlgeburt, doch in diesem Fall handelte es sich um keinen Zufall. Vielmehr wurde sie zu diesem Schritt gezwungen, und zwar aus nur einem Grund: Sie hatte es gewagt, sich in einen muslimischen Mann zu verlieben und diesen zu heiraten. (1) (2)

In einem Video, das in Indien massiv verbreitet wurde, sieht man wie Muskan Jahan von einer Gruppe von Männern bedrängt und angegriffen wird. Es wurde in der Polizeiwache von Kanth aufgenommen. Die junge Frau hatte diese aufgesucht, um ihre Eheschließung registrieren zu lassen. Zum damaligen Zeitpunkt war Jahan bereits in der siebten Woche schwanger. „Menschen wie du sind der Grund, warum wir dieses Gesetz brauchen“, schreit einer der Männer. Sie gehören allesamt zu einer rechtsextremen, hindunationalistischen Gruppierung, der Bajrang Dal, die Premierminister Narendra Modi und dessen Partei, die Bharatiya Janata Party (BJP), unterstützen. (3)

Einst trug Muskan den Namen Pinky. Nach ihrer Hochzeit konvertierte sie zum Islam und nahm einen muslimischen Namen an. Für rechte Hindunationalisten gilt sie, ähnlich wie Millionen von Muslimen in Indien, als „Verräterin“. In Uttar Pradesh wurde nun ein Gesetz erlassen, das den sogenannten „Liebesdschihad“ verbietet. Dieser unsägliche Begriff leitet sich von einer Verschwörungstheorie ab, die de facto muslimischen Männern vorwirft, den Islam verbreiten zu wollen, indem sie gezielt hinduistische Frauen heiraten. Liebesbeziehungen zwischen Muslimen und Hindus sollen deshalb verbannt werden. In dem Bundesstaat hat Modis BJP das Sagen. Vier weitere Bundesstaaten, die von der Partei regiert werden, wollen demnächst nachziehen und dasselbe Gesetz erlassen.

Zu den Hauptarchitekten dieser rassistischen Novelle gehört der Ministerpräsident von Uttar Pradesh, Yogi Adityanath. In seinen Reihen lassen sich zahlreiche Rechtsextreme finden, die regelmäßig zu Mord und Vergewaltigung aufrufen. Als einer dieser Rädelsführer zur Schändung der Leichen muslimischer Frauen aufrief, saß Adityanath schweigend in dessen Nähe. (4)

Eheverbot zwischen Hindus und Muslimen

Konkret bezieht sich das neue Gesetz nicht offiziell auf den Begriff „Liebesdschihad“, allerdings wird die „Konvertierung des Glaubens“ verboten, interreligiöse Eheschließungen gelten ebenso als Gesetzesverstoß. Wer dagegen verstößt, muss mit einer zehnjährigen Haftstrafe rechnen. Die Novelle bleibt an vielen Stellen bewusst vage, was sie umso gefährlicher macht. Der Fokus liegt allerdings auf muslimischen Männern, die hinduistische Frauen heiraten. Eine Beziehung, in der ein hinduistischer Mann eine muslimische Frau heiratet, wird dagegen als „wahre Romanze“ porträtiert. In solch einem Fall wird der Mann sogar als „Erlöser“ betrachtet, der die Frau aus den Fängen von Sklaverei und Barbarei befreit. Sobald allerdings die umgekehrte Konstellation eintritt, ist sofort von „Zwang“ und „Nötigung“ die Rede. Derartige Ehen können von nun an seitens der Behörden annulliert werden.

Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass Indien massiv nach rechts gerückt ist und Modis BJP sowie dessen Unterstützer extreme Nationalisten mit faschistischen Zügen sind und sich auch von den Rassengesetzen der Nazis inspirieren lassen. Die Nürnberger Rassengesetze umfassten unter anderem zwei Punkte: Das „Reichsbürgergesetz“ sowie das „Blutschutzgesetz“. Derart rassistische und antisemitische Gesetze führten zu einem Eheverbot zwischen Juden und Deutschen. Das Endresultat dieser menschenfeindlichen Schritte war der Holocaust.

Als in Südafrika die Apartheid herrschte, waren gemischte Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen ebenfalls verboten, basierend auf ein rassistisches Gesetz aus dem Jahr 1949. Die Propaganda rund um den „Liebesdschihad“ unterscheidet sich nicht von der Nazi-Vorstellung der „Rassenschande“ oder jener anderen rassistischen Ideologien. Aus diesem Grund sollten die Entwicklungen in Indien die internationale Gemeinschaft alarmieren. (5)

In den meisten Teilen Indien ist Liebe etwas Gefährliches. Die Gesellschaft wird von konservativen Ansichten, Religion, Nationalismus, dem Patriarchat sowie dem Kastensystem dominiert. Lediglich fünf Prozent der indischen Eheschließungen werden zwischen Menschen verschiedener Kasten oder Religionen abgeschlossen. Liebesbeziehungen zwischen einer hinduistischen Frau und einem muslimischen Mann können nicht selten eskalieren. Das neue Gesetz macht nicht nur deutlich, dass in der vermeintlich größten Demokratie der Welt vieles falsch läuft. Es bestätigt auch, wie sehr Politik und Justiz mittlerweile nicht von Fakten, sondern von Ideologien geleitet werden. (6)

Vor rund einem Monat wurden Rashid Jahan, Muskans Ehemann, und dessen Bruder von der Polizei verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen, eine Zwangshochzeit arrangiert zu haben. Zeitgleich wurde Muskan in der erwähnten Polizeiwache festgehalten bis man sie mitten in der Nacht in einem anderen Regierungsgebäude einsperrte. Eigenen Aussagen zufolge wurde die junge Frau dort drei Tage lang gefoltert. Als sich ihr gesundheitlicher Zustand verschlechterte, wurde sie in ein Krankenhaus gebracht, wo die Ärzte ihr mehrmals Injektionen verabreichten, die wahrscheinlich zu der Fehlgeburt geführt haben. Der Schmerz, den Muskan Jahan erfahren hat, lässt sich kaum in Worte fassen. Der Staat hat sie von ihrer Familie getrennt, gefoltert und de facto ihr ungeborenes Kind ermordet. Ihr Ehemann sowie ihr Schwager wurden zwei Wochen später aus der Haft entlassen. Die Vorwürfe gegen sie konnten in keinster Weise bewiesen werden. (7)

Die Propaganda rund um den „Liebesdschihad“ ist allerdings nichts Neues. Eine Recherche der Historikerin Charu Gupta machte deutlich, dass dieselbe Narrative bereits in den 1920-Jahren von Hindu-Nationalisten verbreitet wurde. (8) Laut Gupta haben damals radikale Hindu-Gruppen, praktisch ähnlich wie heute, Fake-News verbreitet, indem sie etwa behaupteten, muslimische Männer würden hinduistische Frauen entführen, vergewaltigen und zum Heiraten zwingen. Ein Blick auf die damaligen Pamphlete ebenjener Akteure macht deutlich, dass derartige Hasskampagnen im gegenwärtigen politischen Klima wiederverwertbar geworden sind.

Das Leben von Muskan und Rashid Jahan wird nie wieder dasselbe sein. Einen Teil von ihnen – ihr ungeborenes Kind – hat jener Staat, der seine Bürger und Bürgerinnen beschützen sollte, vernichtet. Die Entmenschlichung und Marginalisierung von Muslimen hat allerdings noch lange kein Ende gefunden. Hindu-Nationalisten und Rechtsextremisten werden weitermachen, und Muskan und Rashid werden nicht ihr letztes Opfer gewesen sein.

 

*Aaquib Khan ist Journalist aus Mumbai. Er ist für indische und internationale Medien tätig.


  1. NYT-Essay von Meghan Markle: https://www.nytimes.com/2020/11/25/opinion/meghan-markle-miscarriage.html
  2. Der Fall Muskan Jahan sorgte auch international für Schlagzeilen: https://www.telegraph.co.uk/news/2020/12/12/first-woman-detained-indias-controversial-love-jihad-laws-forced/
  3. Das Video wurde vor allem in Indien verbreitet: https://www.ndtv.com/india-news/uttar-pradesh-husband-in-jail-up-pregnant-woman-sent-to-shelter-now-in-hospital-2338559?pfrom=home-ndtv_topscroll
  4. Mehr dazu: https://www.altnews.in/fact-check-did-up-cm-yogi-adityanath-say-rape-muslim-women-by-taking-them-out-of-graves/
  5. Der „Liebesdschihad“ gehört mittlerweile zu den Hauptthemen von Modis BJP und deren Anhängern
  6. Die meisten indischen Eheschließungen finden nicht außerhalb der eigenen Kaste oder Religion statt: https://www.thehindu.com/data/just-5-per-cent-of-indian-marriages-are-intercaste/article6591502.ece
  7. Zur Folter Muskan Jahans: https://www.news18.com/news/india/pregnant-woman-held-under-love-jihad-law-alleges-torture-by-up-admin-says-given-injections-that-led-to-miscarriage-3179342.html
  8. Historikerinnen wie Gupta haben sich wissenschaftlich mit dem „Liebesdschihad“ beschäftigt: https://www.jstor.org/stable/25663907?seq=1

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