Chance auf Veränderung in Bulgarien wie gewonnen so zerronnen

Der Popstar und Showmaster Slavi Trifonov begräbt mit seiner Partei die Hoffnung auf einen Regierungswechsel. Bild: ITN-YouTube-Video

Vermutlich muss ein drittes Mal in diesem Jahr ein Parlament gewählt werden, Hauptverantwortung dafür gebührt dem egomanischen Künstler Slavi Trifonov und seiner Partei „So ein Volk gibt es“, durch den eine Koaltion der Oppositionsparteien erneut scheiterte.

Dass Staatsgewalt und Mafia in symbiotischer Beziehung stehen, ist in Bulgarien eine verbreitete Ansicht. Immer wieder werden Polizeibeamte bekannt, die im Zweitjob im Personenschutz zwielichtiger Biznesmen engagiert sind. Aktuell publik gewordene Filmaufnahmen drastischer Polizeigewalt vom vergangenen Sommer machen augenfällig, dass so mancher bulgarische Polizist über hinreichende Qualifikationen für die Mitwirkung in Schlägertrupps verfügt. Während des Protests gegen das konservativ-nationalistische Kabinett von Ministerpräisdent Boiko Borissov am 10. Juli 2020 hat die Überwachungskamera 03 des Ministerratsgebäudes aufgezeichnet, wie Polizeibeamte Demonstranten hinter die Säulen der dortigen Kollonade schleifen, um sie mit Knüppeln und Fußtritten zu traktieren und anschließend mit Handschellen gefesselt wie Klamotten auf einen Haufen zu werfen.

Ich sehe die Bilder zu ersten Mal”, beteuerte Ex-Ministerpräisdent Borissov und versicherte, ”hätte ich sie damals gesehen, wäre ich der Erste gewesen, der sie angezeigt hätte. Nicht umsonst habe ich so viele Minister entlassen.  Bei seinen Kritikern stoßen seine Beteuerungen auf wenig Glauben. Ihrer Ansicht nach hat Borissov Bulgarien in seiner zwölfjährigen Amtszeit in die Sackgasse aus Reformstau, Willkür und Rechtlosigkeit geführt.

Aus den Parlamentswahlen Anfang April und Mitte Juli 2021 ist Borissovs Partei ”Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens (GERB)” geschwächt hervorgegangen. In der 46. Bulgarischen Volksversammlung verfügen die sogenannten Protestparteien nun sogar über eine relative Mehrheit. Dies ließ bei ihren Sympathisanten die Hoffnung keimen, es könne einen Bruch geben mit dem jahrzehntelangen, als mafiös-oligarchisch empfundenen Status quo. Nur einen Monat nach der Wahl hat sie sich als trügerisch erwiesen.

Stärkste politische Kraft im Parlament ist die von dem Popstar und Showmaster Slavi Trifonov geführte Partei ”Ima Takev Narod” (ITN / So ein Volk gibt es).  Erklärtermaßen stimmt sie mit den beiden anderen Protestparteien ”Demokratitschna Bulgaria” (DB) und ”Ispravi se Bulgaria” (ISB / Rappel Dich auf Bulgarien) in dem Willen überein, überfällige Reformen etwa im Justizwesen durchzuführen, um grassierender Korruption und Misswirtschaft ein Ende zu bereiten.

Keine Zusammenarbeit möglich

In wenigen Tagen chaotisch verlaufender Konsultationsgespräche haben ITN, DB und ISB dem bulgarischen Volk aber erwiesen, dass sie zu keiner konstruktiven Zusammenarbeit fähig sind. Aller Voraussicht nach werden die Bulgaren daher im Herbst zum dritten Mal in diesem Jahr ein neues Parlament wählen müssen. Die Vision eines anderen, besseren Bulgarien ist auf banalste Art und Weise geplatzt.

Gewiss haben auch die Repräsentanten der beiden kleineren Protestparteien DB und ISB ihren Anteil am Scheitern der Regierungsbildung. Die Hauptverantwortung dafür gebührt aber insbesondere dem egomanischen Künstler Slavi Trifonov und seinen Szenaristen von der ITN. Bereits nach den Wahlen im April 2021 stieß Trifonovs für einen Politiker höchst unkonventionelles Verhalten seine prädestinierten Bündnispartner DB und ISB vor den Kopf und sorgte für allgemeine Verwirrung. Nachdem seine Partei aus den Wahlen im April hinter GERB überraschend als zweitstärkste politische Kraft hervorgegangen war und GERB aufgrund des Scheitern der nationalitischen Parteien an der 4-Prozenthürde ohne Möglichkeit zur Regierungsbildung blieb, schwieg er zunächst wochenlang. Schließlich erklärte er via Facebook, vorgezogene Neuwahlen seien unausweichlich, da das Wahlergebnis die Bildung einer stabilen Regierung nicht erlaube.

Zunächst schien ungewiss, wie seine Anhänger diesen Schritt honorieren würden. Doch bei den Parlamentswahlen am 11. Juli 2021 stellte sich heraus, dass ITN und DB ihre Stimmanteile sogar noch ausbauen konnten, so dass sich die Chancen der Bildung einer reformorientieren Regierung ohne Beteiligung des diskreditierten Parteien-Establishments noch vergrößert hatten. Doch dann verblüffte Slavi Trifonov die politische Öffentlichkeit erneut und konsternierte seine möglichen Partner DB und ISB abermals. Noch am Tag nach der Wahl präsentierte er eine vollständige Regierungsmannschaft, ohne mit DB und ISB auch nur ein Wort über deren personelle Besetzung und politische Ausrichtung gesprochen zu haben.

Zum künftigen Ministerpräsident bestimmte Trifonov den früheren Wirtschaftsminister Nikolai Vassilev. Als Parteigänger des früheren Zaren Simeon Sakskoburggotski ist er politisch nicht gerade unbelastet und taugt kaum zur Galionsfigur für einen neuen gesellschaftlichen Aufbruch. Nachdem sein erstes Regierungsprojekt in der bulgarischen Öffentlichkeit und Politik überwiegend mit Skepsis aufgenommen wurde und sich mangelnder Unterstützungswillen abzeichnete, widerrief Trifonov seinen ersten Kabinettsvorschlag. Kurze Zeit später präsentierte er aber eine weitere Regierungsmannschaft, erneut ohne über deren Besetzung und Prioritäten irgendeine Abstimmung mit den beiden anderen Protestparteien DB und ISB gesucht zu haben.

Als künftigen Ministerpräsidenten stellte er nun den in der bulgarischen Öffentlichkeit völlig unbekannten studierten Philosophen Plamen Nikolov vor. Er hat seinen Lebensunterhalt bisher mit dem Großhandel von Schwimm- und Tauchausrüstung verdient.  Trifonov hatte Nikolov im Jahr 2018 im Rahmen eines in seiner Late Night Show durchgeführten Castings für neue Politiker gefunden. Gleich nach Nikolovs Präsentation als Ministerpräsidenten in spe stießen Medien auf Ungereimtheiten in dessen Lebenslauf. So bestritt die Universität Klagenfurth, dass Nikolov bei ihr einen Abschluss erworben habe.

Es blieb nicht bei diesen Störfaktoren im Regierungsbildungsprozess. Dem designierten stellvertretenden Ministerpräsidenten und Innenminister Peter Iliev wurden umfangreiche Plagiate in seiner juristischen Doktorarbeit nachgewiesen. Darauf von TV-Journalisten angesprochen reagierte Iliev auf unerhört arrogante und aggressive Weise. Sie verstörte nicht nur die Repräsentanten von DB und ISB, sondern veranlasste auch die post-kommunistische Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) dazu, ihre zuvor angekündigte Bereitschaft zur Unterstützung der Wahl einer ITN-Regierung im Parlament zurückzuziehen. Damit war auch Slavi Trifonovs zweites Kabinettsprojekt sang- und klanglos gescheitert.

Das von Staatspräsident Rumen Radev übertragene Mandat zur Regierungsbildung hat ITN bereits zurückgeben. Das Staatsoberhaupt kann zwei weitere Mandate zur Regierungsbildung vergeben, aufgrund der politischen Arithmetik erscheint aber unwahrscheinlich, dass eines von ihnen zur Bildung einer Regierung führen wird. Die politischen Führer von ITN befinden sich inzwischen in Konfrontation zu allen anderen politischen Formationen und haben sich zur konstruktiven Opposition erklärt. Ihrerseits wollen sie keine Regierungsbildung irgendeiner der anderen Parteien unterstützen.

Wiederkehr von Borissov?

So wird den Bulgaren nichts anderes übrigbleiben, als im Herbst erneut wählen zu gehen, vielleicht sogar gleichzeitig mit der anstehenden Wahl des Staatspräsidenten.Wie sich die Wahlbeteiligung entwickeln wird und die Stimmverhältnisse, ist heute schwer zu prognostizieren. Dass Slavi Trifonov für sein egozentrisches politisches Verhalten bei kommenden Neuwahlen aber mit Stimmenverlusten rechnen dürfte, ist anzunehmen.

Unvermeidbar scheint, dass die fortgesetzte politische Krise im Modus des Dauerwahlkampfs die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation in dem Balkanland in Mitleidenschaft ziehen wird. Für den Herbst und Winter wird eine Verschärfung der Coronapandemie erwartet, doch ohne reguläre Regierung ist die dafür notwendige Aktualisierung des Staatshaushalts kaum möglich.

Zumindest Alt-Regierungschef Boiko Borissov kann der sich chaotisierenden Situation im Land etwas Gutes abgewinnen: ”Wir erwarten einen kategorischen Sieg bei neuen Wahlen”, frohlockte er auf einer Tour durch die bulgarische Provinz am vergangenen Mittwoch.” Sollten auch die Nationalisten von der nun eingetretenen Situation profitieren, wäre eine Rückkehr von GERB an die Macht nicht mehr auszuschließen.

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