Deutsche Medien lüften den Schleier über russische Kommunisten

„Säubern wir Russland von Räubern und Oligarchen“ – KPRF-Kandidatin Anastasija Udalzowa. Bild: Ulrich Heyden

Ein Kommentar zur Duma-Wahl. Erst durch die Initiative „Kluges Wählen“ wurde auch in deutschen Medien die zweitwichtigste Partei in Russland stärker beachtet.

Die deutschen Medien berichteten in den letzten Tagen vermehrt über die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF). Der Grund war, dass das Team Nawalny, das sich liberal-westlich positioniert, mit ihrer Initiative „Kluges Wählen“ die Wahl von 137 Direktkandidaten der KPRF empfiehlt.

Da Nawalny im Gefängnis sitzt, die Organisation des Oppositionspolitikers verboten wurde und keine eigenen Kandidaten ins Rennen schickt, entschied sich das Team von Nawalny, das vom Ausland aus arbeitet, die Wahl von Direktkandidaten von Oppositionsparteien zu empfehlen. Ob die Oppositionskandidaten eine kommunistische, liberale oder rechtspopulistische Richtung vertreten, spielt für das Nawalny-Team keine Rolle. Einziges Kriterium, damit man auf die Liste von „Kluges Wählen“ kommt, ist, dass der Kandidat bekannt und in der Lage ist, ein sehr gutes Ergebnis gegen einen Kandidaten der Regierungspartei Einiges Russland einzufahren.

30 Jahre lang wurde die KPRF von den deutschen Medien als „stalinistisch“ und „völlig überaltert“, faktisch als politischer Müll klassifiziert. Nun ist man gezwungen anzuerkennen, dass die KPRF neben der Regierungspartei Einiges Russland die zweitwichtigste politische Partei im Land ist. Wichtige deutsche Medien wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland sind gezwungen einzugestehen, dass sich in der KPRF nicht nur Stalinisten, sondern auch andere Linke und vor allem viele jüngere Aktivisten sammeln.

Die vorgestanzten Bilder der deutschen Medien passen nur so lange, wie Russland im Dunkeln liegt. Da muss schon das Nawalny-Team kommen und zur Wahl der KPRF-Kandidaten aufrufen. Dann sind auch die deutschen Mainstream-Medien gezwungen, den Schleier über das politisch vielschichtige Russland etwas zu lüften.

Nawalny-Team schlägt 137 kommunistische Direktkandidaten zur Wahl vor

Das Nawalny-Team empfiehlt über eine App, die auf Drängen der russischen Regierung inzwischen allerdings abgeschaltet wurde, die Wahl von 137 KPRF-Kandidaten, 48 Kandidaten der sozialdemokratischen Partei „Gerechtes Russland-Patrioten für die Wahrheit“, 20 Kandidaten der rechtspopulistischen Liberaldemokraten von Schirinowski und zehn Kandidaten der sozialliberalen Partei Jabloko.

Inwieweit die Wahlempfehlung des Nawalny-Teams realen Einfluss auf das Wahlverhalten der Russen hat, lässt sich nicht sagen. Belastbare Untersuchungen dazu gibt es nicht. Tatsache ist, dass Nawalny politischen Einfluss nur in den Großstädten hat, die Anhängerschaft der KPRF dagegen vor allem in der Provinz lebt.

Kommunisten für gemischte Wirtschaft

Programmatisch und auch in ihrer politischen Praxis ist die KPRF schon seit vielen Jahren eine patriotisch orientierte, eher sozialdemokratische Partei, die für eine gemischte Wirtschaft, aber für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und Bodenschätze sowie eine stärkere Besteuerung von Millionären und Milliardären eintritt.

Aus der Sicht der Bild-Zeitung und der Parteien im Bundestag – bis auf Die Linke – riechen solche Forderungen nach „Kommunismus“ und sind deshalb abzulehnen. Wenn jetzt aber selbst das westlich-liberale Team Nawalny aufruft, KPRF-Kandidaten zu wählen, stürzt das Schreckensbild Kommunismus nun in sich zusammen? Wohl kaum. Aber es bekommt Risse. Und deutsche Medien müssten jetzt eigentlich der Frage auf den Grund gehen, wie es kommt, dass die KPRF bei der Duma-Wahl nach Meinungsumfragen bis zu 20 Prozent der Stimmen bekommt.

Das hat nicht nur etwas mit der Heraufsetzung des Rentenalters, der Kommerzialisierung des Gesundheits- und Bildungswesens und einer stagnierenden Wirtschaft, sondern auch etwas mit dem in Russland stark ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl zu tun. Der von russischen Oligarchen und Spitzenbeamten zur Schau gestellte Reichtum verletzt viele Menschen, die keine Beziehungen „nach oben“ haben und nur davon träumen können, dass ihr Kind einmal eine Uni in Moskau oder im Ausland besucht und Karriere macht.

Sehnsucht nach sozialen Standards wie zu Sowjetzeiten

Was es in der Sowjetunion an sozialem und wirtschaftlichem Fortschritt gab, ist noch nicht völlig vergessen. Nach der Oktoberrevolution wurde die Sowjetunion zur Industriemacht. Der Analphabetismus wurde beseitigt. Das Land konnte technologisch auf allen Gebieten mit dem Westen konkurrieren.

Die erfolgreiche Industrialisierung in den 1930er Jahren war einer der Gründe, warum die Sowjetsoldaten die Hitler-Wehrmacht besiegten. Die Soldaten hatten etwas zu verteidigen. Nicht nur ihre Familien, sondern auch ihren sozialen Aufstieg. Jeder sowjetische Arbeiter hatte Anspruch auf Urlaub. Die Flugtickets waren so billig, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen durch das ganze Land in den Urlaub fliegen konnten. Die unter Stalin geschaffene Infrastruktur – Eisenbahnen, Straßen, Fabriken – hat auch 30 Jahre lang nach der Auflösung der Sowjetunion noch dazu beigetragen, dass Russland trotz fehlender Investitionen weiter seine Menschen ernähren konnte und der Staat leidlich funktionierte. Ein großer Teil bestens ausgebildeter Sowjetbürger wurde von Universitäten und Instituten des Westens abgesaugt, ohne dass da jemand „Danke Russland“ sagte.

Wer in Russland heute KPRF wählt, will ein Ende der Korruption und Vetternwirtschaft, kurz: mehr Ordnung, mehr Gerechtigkeit, gleiche Chancen in der Gesundheitsversorgung und der Bildung für Alle. Sicher gibt es unter KPRF-Wählern auch viele, die härteste Strafen für korrupte Beamte und sogar eine Säuberung des Staatsapparates fordern. Aber eine Kopie des Stalin-Systems mit Arbeitslagern und Todesstrafen für Andersdenkende wollen weder die KPRF noch ihre Anhänger. Mit Stalin – der bei Umfragen über populäre Personen ganz vorne liegt –  verbinden die Wähler der KPRF vor allem den Sieg im Zweiten Weltkrieg und die Befreiung von der Hitler-Wehrmacht.

Die Wahlen in Russland könnten für die deutschen Medien Anlass sein, sich mit dem realen Fühlen und Denken der Russen zu beschäftigen und endlich von trügerischen Bildern wie „Nawalny gegen Putin“, „Diktator gegen Freiheitsheld“ wegzukommen.

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Ein Kommentar

  1. Gut das darüber berichtet wurde. Ich bin sicher das bei der Konkurrenz verboten worden wäre, die Begründung Einmischung in den Wahlkampf. Es ist ausschließlich Destruktiv.
    Es hätte mit einem Satz auch gesagt werden können das die USA Russland im zweiten Weltkrieg, massiv, Waffen geliefert hat.

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