Entkriminalisierung des Drogenkonsums

Wird Portugal 20 Jahre nach der Entkriminalisierung von Drogen auch Vorreiter bei Cannabis-Legalisierung?

Weitgehend unbemerkt ist am 1. Juli der Jahrestag verstrichen, als Portugal vor 20 Jahren weltweit drogenpolitische Geschichte mit der Entkriminalisierung des Drogenkonsums geschrieben hat. Der Besitz von Drogen zum Eigengebrauch steht seit 20 Jahren nicht mehr unter Strafe. Seither setzt das fortschrittliche Land erfolgreich auf Prävention und Aufklärung, wie allseits anerkannt wird. Nun wird aber auch über die Legalisierung von Haschisch und Marihuana debattiert. Portugal könnte sich Uruguay anschließen, das erste Land weltweit, das Cannabis legalisiert hat.

Auch in Portugal wurde nur leise am 1. Juli der 20. Jahrestag begangen, an dem das Gesetz 30/2000 in Kraft getreten ist. Der Drogenkonsum wurde damals entkriminalisiert. Seither wird in dem armen Land am westlichen Rand Europas auch nicht mehr zwischen sogenannten „harten Drogen“ wie Heroin oder Kokain und „weichen Drogen“ wie Haschisch oder Marihuana unterschieden. Der Drogenbesitz zum Eigenverbrauch steht  seit 20 Jahren nicht mehr unter Strafe. Im Rückblick war die Politik, mit der Portugal zum Vorreiter wurde, sehr erfolgreich. Darauf sind inzwischen fast alle im Land stolz.

Seit der Entkriminalisierung ist der Drogenkonsum allgemein und besonders bei jungen Menschen stark gesunken, vor allem was harte Drogen angeht. Der Cannabis-Konsum unter jungen Menschen soll allerdings in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben, zuletzt auch die Zahl der Toten im Zusammenhang des Drogenkonsums wieder. Deren Zahl ist zwar, wie der neueste Bericht für 2021 der Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht EMCDDA ausweist, in Portugal wieder gestiegen, liegt aber weiterhin weit unter dem EU-Durchschnitt der im Jahr 2020 mit 23,7 pro Million Einwohner angegeben wurde.

55 Tote weist der neue Bericht mit Blick auf die letzten verfügbaren Daten aus dem Jahr 2018 für Portugal aus, vier mehr als im Vorjahr. In der Altersgruppe zwischen 15 und 64 wurden acht Tote im Zusammenhang mit Drogenkonsum je Million Einwohner registriert.

An der Spitze liegen in dieser Gruppe Schweden mit 77 je Million oder Großbritannien ohne Nordirland mit 76. Deutschland lag mit Zahlen aus dem Jahr 2018 (Bericht 2020) mit 21 je Million knapp unter dem Durchschnitt. Allerdings musste Deutschland 2019 einen deutlichen Anstieg verzeichnen. Von fast 1300 im Vorjahr ist die Zahl auf fast 1400 Drogentote gestiegen, zeigt der kürzlich veröffentlichte neue Bericht auf. Deshalb liegt Deutschland nun deutlich über dem neuen Durchschnitt in der genannten Altersgruppe, der allerdings durch das Ausscheiden von Großbritannien aus der EU mit 15 verzerrt ist. Zu beachten ist bei diesen Zahlen allerdings auch, dass sie nach unterschiedlichen Kriterien ermittelt werden und deshalb nur bedingt vergleichbar sind. Sogar auf Ebene der Bundesländer gibt es keine genauen vergleichbaren Angaben.

Ein Blick zurück

Der progressive Vorstoß von Portugal vor zwei Jahrzehnten war auch im Land umstritten. Der von Kritikern befürchtete massive Anstieg des Drogenkonsums und des Drogentourismus, der das Land überschwemmen und es in ein Drogenparadies verwandeln würde, stellte sich allerdings nicht ein. In der Rückschau kann genau das Gegenteil beobachtet werden. Das Land behielt gegenüber den Alarmisten im In- und Ausland Recht, als es vor zwei Jahrzehnten zu einem der liberalsten Länder in der Drogenpolitik wurde und dem „Krieg gegen Drogen“ den Rücken zukehrte.

Es war zu einem entscheidenden Teil die Entkriminalisierung zu verdanken, dass der Drogenkonsum zurückgedrängt werden konnte. Zwar war der Gesamtkonsum von Drogen auch vor dem Schwenk vor 20 Jahren unterdurchschnittlich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, aber es waren vor allem harte Drogen, die in Portugal konsumiert wurden. Etwa 100.000 Heroinabhängige soll es zum Höhepunkt der „Heroin-Pest“ im Land gegeben haben, etwa ein Prozent der gesamten Bevölkerung. Übliche Bilder davon, dass sich Süchtige auf offener Straße in den Städten einen Schuss setzten, gehören nun praktisch einer dunklen Vergangenheit an.

„Heute können wir rückblickend sagen, dass nichts von dem geschehen ist, was die Kritiker sagten. Im Gegenteil, wir hatten eine sehr positive Entwicklung in allen Bereichen“, sagt der international anerkannte Drogenexperte João Goulão rückblickend. Es war dieser frühere Hausarzt aus Faro, der federführend an dem liberalen Gesetz mitgestrickt hatte. Schon 1987 hatte er sich auf die Behandlung von Drogensüchtigen spezialisiert. Seit 24 Jahren ist er inzwischen Chef des nationalen Anti-Drogen-Programms (SICAD).

Anders als oft fälschlich angenommen wird, sind Drogen – auch Cannabis – in Portugal bis heute aber nicht legal. Allerdings wird der Besitz kleiner Mengen zum Eigenverbrauch seit 20 Jahren nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Es ist eine Ordnungswidrigkeit, die ähnlich wie das Falschparken geahndet wird, meist sogar ohne jede Geldstrafe. Als Eigenverbrauch werden zehn Tagesrationen definiert. Die jeweilige Menge dafür wurde im Gesetz genau bestimmt. Wer bis zu 25 Gramm Marihuana, bis zu zwei Gramm Kokain, bis zu einem Gramm Heroin oder Crystal, bis zu zehn LSD- und Ecstasy-Pillen besitzt, dem droht keine Strafe. Wer mit größeren Mengen erwischt wird, gilt als Dealer und wird auch in Portugal nach dem Strafrecht entsprechend bestraft.

Die Polizei lässt es bei der Entdeckung kleiner Mengen aber nicht mit der Beschlagnahmung bewenden. Statt Strafe kommt ein zentraler Aspekt der Drogenpolitik zur Anwendung, der Goulão besonders wichtig ist. Wer mit Drogen erwischt wird, muss wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung vor einer der „Comissões para a Dissuasão da Toxicodependência“ (CDT) antreten, die es im ganzen Land gibt.  Die „Ausschüsse zur Bekämpfung der Drogensucht“ werden von einem Juristen, einem Sozialarbeiter und einem Psychologen gebildet. Mit dem Konsumenten wird dann über dessen Suchtverhalten gesprochen und über die möglichen Folgen diskutiert. Die CDT können im Wiederholungsfall auch Bußgelder verhängen oder Betroffene zur Sozialarbeit verpflichten. Besonders wichtig ist aber, dass die CDTs auch Hilfe und Therapien anbieten.

Entkriminalisierung ist aber kein Wunderheilmittel

Dreh- und Angelpunkt der portugiesischen Drogenpolitik ist aber nicht die Entkriminalisierung. Die wäre allein alles andere als zielführend. „Entkriminalisierung bringt keine Wunderheilung“, erklärt der Experte. „Wenn das alles ist, was du tust, wird die Lage nur schlechter“, fügt der Mann gerne an, der in der Hauptstadt Lissabon in einem Zentrum zur Behandlung und Reintegration von Drogenabhängigen gearbeitet hat, bevor er zum SICAD-Direktor wurde.

Die Strafbefreiung ist für ihn zwar kein Wundermittel, aber sie ist die Voraussetzung, um eine wirksame Politik zur Drogenbekämpfung zu ermöglichen: „Wer Drogen nimmt, ist nicht kriminell, sondern krank“, meint er.  „Wir bekämpfen eine Krankheit, nicht die Menschen, die an ihr leiden“. Die Menschen werden behandelt und beraten, sie erhalten frühzeitig Angebote, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. „Wenn wir Risikofaktoren wie Familienprobleme oder psychologische Anfälligkeit entdecken, können wir eine mögliche Drogenkarriere verhindern.“

Über diese Politik wurde auch die Drogenkriminalität zurückgedrängt und weitere negative Folgen für die Konsumenten und die Gesellschaft wurden deutlich vermindert. Begleitet wird diese Arbeit von Aufklärungskampagnen in Schulen, Hochschulen und im Fernsehen, während auch die Sozialarbeit in Problemvierteln verstärkt wurde. Therapieangebote wurden genauso verbessert, wie Substitutionsprogramme für Abhängige eingeführt wurden.

Die „Transform Drug Policy Foundation“ zeigt in einem zum 20. Jahrestag aktualisierten Bericht die Erfolge der portugiesischen Politik auf. Demnach liegen die Drogenkonsumraten seit vielen Jahren konstant unter dem EU-Durchschnitt. „Die drogenbedingten Todesfälle sind nach der Reform der portugiesischen Drogenpolitik zurückgegangen und liegen seit 2001 unter dem EU-Durchschnitt“, ist ein weiterer wichtiger Aspekt, der in dem Bericht herausgearbeitet wird.  Der Anteil der wegen Drogendelikten verurteilten Gefängnisinsassen ist von über 40 Prozent vor 20 Jahren nun auf 15,7 Prozent gesunken. 2001 hätten 70 Prozent aller angezeigten Straftaten mit Drogen in Verbindung gestanden. Während im europäischen Durchschnitt Anteil der Drogendelikte an den Straftaten von 14 auf 18 Prozent gestiegen sei, liege Portugal nun deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.

2001 und 2002 wurde in Portugal auch noch mehr als die Hälfte aller HIV-Infektionen im Zusammenhang mit injizierendem Drogenkonsum der gesamten EU registriert, obwohl das Land nur zwei Prozent der Bevölkerung aufweist. Statt etwa 1300 Fälle waren es 2019 noch 16, nur noch 1,7 Prozent aller EU-Fälle, wozu auch großangelegte Programme zum Nadel- und Spritzentausch beigetragen haben. Ganz ähnlich sieht es auch für andere übertragbare schwere Krankheiten wie Hepatitis aus. Die Stiftung spricht in ihrem Resümee zu den vergangenen 20 Jahren von einem „Lehrstück dafür, was erreicht werden kann, wenn politische Innovation und politischer Wille als Reaktion auf eine Krise abgestimmt werden“.

Die Kritiker von einst sind inzwischen verstummt. Die Kritik kommt seit Jahren eher aus der anderen Richtung, dass sich die Gesetzgebung kaum noch weiterentwickelt hat. Doch seit einigen Jahren tut sich auch in der Drogenpolitik wieder etwas, nachdem die Linke 2015 wieder an die Macht kam. Im Januar 2018 hatten der „Bloco de Esquerada“ (Linksblock/BE) und die Tierrechtspartei (PAN) jeweils im Parlament einen Gesetzesvorschlag eingebracht, in dem sich beide unter anderem für den Einsatz von verschreibungspflichtigem medizinischem Cannabis ausgesprochen haben.

Schließlich wurde das „Cannabisgesetz“ mit großer Mehrheit im Parlament angenommen. Nur die rechtskonservative CDS-PP enthielt sich bei der Abstimmung, sogar ihr rechter Bündnispartner PDS stimmte dafür.  Medizinisches Cannabis darf deshalb in Portugal seit 2018 eingesetzt werden, allerdings wurde das erste Präparat erst im April von der Nationalen Arzneimittelbehörde für bestimmte Erkrankungen zugelassen, bei denen eine herkömmliche Behandlung die Symptome nicht lindern konnte. Da es sich um THC-Präparate handele, sehen darin Beobachter einen „Meilenstein“ und einen „einzigartigen und progressiven“ Schritt.  Dass 2018 auch die rechten Parteien zugestimmt oder sich enthalten haben, hatte aber auch damit zu tun, dass der Vorstoß der beiden Linksparteien in der zuständigen Kommission gekippt wurde, auch den Eigenanbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken zu erlauben.

Anbau, Verkauf, Besitz und Konsum von Cannabis soll für den persönlichen Gebrauch legalisiert werden

Inzwischen haben im Juni aber der Linksblock und die Liberale Initiative (IL)  erneut zwei Anträge ins Parlament eingebracht, die auch auf die Legalisierung und die Freigabe des Anbaus für den Eigenbedarf zielen.  Die Vorschläge orientieren sich an Uruguay, wo die Bevölkerung eine begrenzte Anzahl von Hanfpflanzen anbauen darf. In Uruguay kann Qualitäts-Marihuana kontrolliert, das aus staatlichen Plantagen stammt, rezeptfrei in jeder Apotheke gekauft werden.

Die Entwürfe müssen nun innerhalb von 60 Tagen im Gesundheitsausschuss debattiert werden. Der Linksblock hat vor allem die Austrocknung des Schwarzmarkts und die Bekämpfung des organisierten Verbrechens im Blick. Der BE-Abgeordnete Fabian Figueiredo meint, das Geld, das bisher in illegale Geschäfte fließt, sollte in legale Bahnen gelenkt werden. Der Verkauf sollte, ähnlich wie beim Tabak, mit einer Sondersteuer belegt werden. Die zusätzlichen Einnahmen sollten in „Präventionsmaßnahmen, Risikominderung und die Suchtbehandlung“ sowie insgesamt ins Gesundheitswesen fließen.

Es sei nun an der „Zeit, das Blatt zu wenden“, verwies Figueiredo auf die aktuelle Zusammensetzung des Parlaments, in dem die Linke bei den vergangenen Wahlen vor zwei Jahren weiter deutlich gestärkt wurde. Das mache einen „vernünftigen und umsichtigen gesetzgeberischen Durchbruch“ möglich, der einem breiten Konsens im Parlament erreicht werden könne.

Für die Liberalen, denen angesichts schlechter Wahlergebnisse vorgeworfen wird, mit ihrer Initiative auf populistischen Stimmenfang zu gehen, erklärte João Cotrim de Figueiredo, dass hinter dem Vorstoß kein „politisches Kalkül“ stehe, sondern dass man aus „Überzeugung“ handele. Die derzeitige Lage führe nur dazu, dass die Verbraucher „größeren Risiken“ ausgesetzt würden. Definitiv abgelehnt wird der Vorstoß nur von der rechtsradikalen „Chega“ (Es reicht), die inzwischen auch mit dem Parteichef André Ventura im Parlament sitzt.  Die Vorstöße würden die „guten Portugiesen“ nicht schützen, meint der Rechtsextreme.

Katholisch fundamentalistische Organisationen haben ebenfalls, wie einst gegen die Entkriminalisierung, etwas gegen die Cannabis-Legalisierung. Sie sprechen von einem „persönlichen und soziale Schaden, der aus dem Cannabiskonsum resultiert“. Der sei „zunehmend besser bekannt“. Sie verweisen sie auf „strukturelle und funktionelle Veränderungen im zentralen Nervensystem“. Es gäbe weder gute noch schlechte Drogen, sagen sie und wollen der falschen Vorstellung entgegentreten, dass weiche Drogen der Gesundheit nicht schadeten. Allerdings hat niemand etwas anderes behauptet. Dass ein Verbot nicht schützt, der Konsum steigt, ist aber auch längst bekannt. Allerdings werden derzeit zum Teil mit extrem schädlichen Substanzen versetzte Cannabis-Produkte unkontrolliert auf dem Schwarzmarkt verkauft.

Die beiden Gesetzesentwürfe der beiden sehr unterschiedlichen Parteien stimmen darin überein, den Anbau, Verkauf, den Besitz und den Konsum von Cannabis für den Freizeitgebrauch für Erwachsene erlauben. Sie wollen auch den Heimanbau einer begrenzten Anzahl von Cannabispflanzen pro Monat (5 oder 6) erlauben. Beide Entwürfe sehen auch eine Begrenzung der Menge von 30 Tagesdosen vor, die auf einen Schlag gekauft werden darf. Sie unterscheiden sich erheblich, wenn es um eine Kontrolle geht. Während der Linksblock sich an Uruguay orientiert und ebenfalls ein Konsumentenregister einführen will, soll nach Ansicht der Liberalen weder eine Sondersteuer noch eine Kontrolle über den Sektor geben.

Wie dann allerdings Höchstmengen kontrolliert werden sollen, bleibt unklar. Während die Linke weiterhin ein Verbot von synthetischen Cannabisprodukten anstrebt und es auch nicht will, dass die mit Getränken und Esswaren vermischt werden, sollte auch das nach Ansicht der IL erlaubt sein. Man darf nun gespannt sein, ob es die Vorschläge durch die zuständige Kommission ins Parlament schaffen, welche Veränderungen es gibt und ob letztlich auch ein Vorschlag verabschiedet wird, der Cannabis legalisiert. Damit könnte Portugal erneut in Europa zum Vorreiter werden.

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