Gefährliches Spiel mit Chemiewaffen

Polnische MiG-29. Bild: Sunburn1979/CC BY-2.0

Verdächtig oft wird immer wieder gesagt, Russland könne Chemiewaffen einsetzen, nachdem Moskau umgekehrt gewarnt hatte, dass in der Ukraine Biowaffen mit UNterstützung der USA entwickelt würden.

 

Der polnische Präsident Andrzej Duda scheint mit einer neuen Wendung zu versuchen, die Nato in den Krieg Russlands gegen die Ukraine hineinzuziehen. Wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit dem US-Außenminister Antony Blinken und mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell hatte die polnische Regierung geplant, die noch aus Zeiten der Sowjetunion stammenden MiG-29-Kampfflugzeuge der polnischen Luftwaffe im Gegenzug zu neuen amerikanischen Jets der Ukraine zu übergeben. Da klar war, dass die russische Regierung dies als Kriegseintritt Polens sehen würde, wurde der Plan von der polnischen Regierung ausgebrütet, die Flugzeuge nach Ramstein zu bringen und sie dort den Amerikanern zu übergeben.

Das Pentagon wurde von der Ankündigung aufgeschreckt und wies die Idee ab, weil dies die Nato in den Krieg hineinziehen könnte, der sich auch zu einem Atomkrieg ausweiten könnte. Die von der polnischen Regierung wahrscheinlich mit Blinken ausgebrütete Idee war natürlich eine Schnapsidee, zeigt aber, welche Risiken von manchen eingegangen werden, die sich gerne mit gefährlichen Machtspielen und Provokationen beschäftigen. Die US-Regierung gab sich schließlich überrascht von dem polnischen Vorschlag, der vielleicht vor allem darauf zielte, die Bereitschaft zur Lieferung schwerer Waffen zu erhöhen. Auch Patriot-Flugabwehrsysteme will man nicht in die Ukraine liefern. Dass die Biden-Regierung die Lieferung blockierte, sit aberwiederum Anlass für 42 republikanische Senatoren gewesen, dies zu kritisieren. Man müsse Polen diese Option lassen, schrieben sie in einem Brief.

US-Präsident Joe Biden hat denn am Samstag weitere 200 Millionen US-Dollar an Militärhilfe bewilligt, es sollen jetzt Flugabwehrsysteme geliefert werden. Offenbar wird wieder überlegt, alte S-300 Raketen- und Flugabwehrsysteme noch aus Sowjetzeiten der Ukraine zu übergeben. Die soll es noch in Bulgarien, Griechenland und der Slowakei geben. Ukrainische Soldaten könnten sie auch bedienen. Am Freitag hatten 15 demokratische und republikanische Abgeordnete in einem Brief die Übergabe von S-300-Systemen gefordert, aber auch daran festhalten, Polen zu helfen, dass die Ukraine MiG-29- und überdies Su-25-Kampfflugzeuge erhält.

Duda sieht nun eine andere Möglichkeit, die Nato gegen Russland zu stellen. Es ist ein bekanntes Drehbuch, das man aus dem Syrienkonflikt kennt. Russland wird vorgeworfen, Chemiewaffen, die völkerrechtlich verpönt sind, gegen „Rebellen“ oder Islamisten eingesetzt zu haben. Im Fall des angeblichen Chemiewaffeneinsatzes in Duma hatten bekanntlich die USA im Verein mit Großbritannien und Frankreich noch vor dem Beginn einer Aufklärung durch die OPCW angeblich mit dem weiter laufenden Chemiewaffenprogramm verbundenen syrische Ziele zu bombardieren. Russische Ziele wurden ausgeklammert, aber Russland war als Macht hinter dem Assad-Regime natürlich gemeint. Schon Barack Obama hatte beim Einsatz von Chemiewaffen von einer roten Linie gesprochen, Donald Trump hat die Warnung dann in einen Angriff umgesetzt. Bei der OPCW-Ermittlung gab es viele Ungereimtheiten, Inspektoren wurden rausgeschmissen, deren Berichte nicht aufgenommen, am Vorfall selbst scheint einiges inszeniert zu sein. Unvoreingenommen  muss man eigentlich trotz des abschließenden, aber umstrittenen OPCW-Berichts sagen, dass der Vorfall, wenn es sich überhaupt um einen Chemiewaffenangriff gehandelt hatte, nicht wirklich aufgeklärt ist.

Seit Kriegsbeginn wird von den Kriegsparteien die jeweils andere beschuldigt, False-Flag-Vorfälle zu planen, die der Gegenseite in die Schuhe geschoben werden kann, um andere Aktionen zu rechtfertigen. Da war und ist die Rede, dass mit Tschernobyl oder anderen Atomkraftwerken etwas geplant sein könnte, aber es wurde auch immer mal wieder von russischer und ukrainischer Seite davon gesprochen, dass irgendetwas mit Chemiewaffen inszeniert werden könnte. Vor allem Russland hat hier Angst, ähnlich wie in Syrien – zurecht oder nicht – beschuldigt zu werden.

Kürzlich verwies auch die Sprecherin des Weißen Hauses erneut darauf, dass Russland in der Ukraine Chemiewaffen oder biologische Waffen einsetzen könnte. Das sagte Jen Psaki, nachdem von Russland das Thema von Bio-Labors des Pentagon in der Ukraine aufgegriffen wurde und deswegen eine Sondersitzung des US-Sicherheitsrats verlangt hatte. Der erklärte, es gebe keine Hinweise auf Biowaffenprogramme. Joe Biden hatte ebenfalls  am Freitag bei der Ankündigung neuer wirtschaftlicher Sanktionen Russland mit schweren Konsequenzen gedroht, sollte es zu Chemiewaffen greifen.

Die Idee hinter solchen Warnungen, egal ob von Russland, den USA oder der Ukraine, ist immer, bei einem Vorfall schnell mit dem Finger auf den vermeintlich Schuldigen zeigen zu können, um die Eskalation hochzufahren. Diese Idee wurde nun auch vom polnischen Präsident als Drohung eingesetzt.

Im Gespräch mit BBC sagte er gestern, dass Putin den Krieg praktisch schon verloren habe. Gefragt ob Russland Chemiewaffen einsetzen könnte und wie die Nato dann reagieren müsste, antwortete er, dass jeder hoffe, Putin werde weder chemische noch biologische oder nukleare Waffen verwenden. Es sei aber, wenn er dies tut, für die Nato ein „Game Changer“, die Regierungen müssten sich dann zusammensetzen und ernsthaft darüber nachdenken, was in dieser Situation getan werden muss, weil es dann für die ganze Welt gefährlich werden würde.

Am Wochenende hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in einem Gespräch mit der Welt am Sonntag ebenfalls davor gewarnt, dass Russland Chemiewaffen einsetzen könnte.  Die Logik ist so: Weil Russland Ängste vor biologischen, von den USA finanzierten Waffenlabors in der Ukraine geäußert hat, bezeichnete Stoltenberg diese Behauptungen als „absurd“ und verkehrt alles ins Gegenteil. Wer Befürcctungen äußert, plant wahrscheinlich selbst Entsprechendes: „Nachdem diese falschen Behauptungen nun aufgestellt wurden, müssen wir wachsam bleiben, weil es möglich ist, dass Russland selbst Einsätze mit chemischen Waffen unter diesem Lügengebilde planen könnte. Das wäre ein Kriegsverbrechen.“

Gemäß dieser Logik müsste man nun befürchten, dass Washington, die Nato und Polen einen Chemiewaffeneinsatz. Natürlich kann jede Seite verdächtig werden, dass hinter den Behauptungen, die andere Seite würde Chemiewaffeneinsätze planen, um irgendetwas zu rechtfertigen, selbst der Plan steckt, ebendies zu machen. Wem man in diesem Spiel der strategischen Kommunikation oder Desinformation glaubt, ist wohl vor allem Folge davon, welche Position man einnimmt. Und wenn nun im Kriegsgeschehen ein Chemiewaffeneinsatz tatsächlich erfolgen sollte, wäre es wohl kaum möglich zu beweisen, wer dahinter steckt. Die Kriegsparteien und ihre Unterstützer können jeweils sagen, sie hätten ja davor gewarnt, was belege, dass die jeweils andere Seite schuld ist.

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3 Kommentare

  1. Hier einiges zum Thema Bio-Labs: http://www.theamericanconservative.com/articles/questions-about-ukrainian-biolabs/
    Dass es diese gibt und die u.s.-Amerikaner damit zu tun haben ist eigentlich keine Geheimnis. Unklar ist bloss, was genau in den Labors getan wurde. Etwas Harmloses ist allerdings schwer vorstellbar.

    Das Chemiewaffenthema ist warscheinlich ein Nonstarter. Solche dummen Vorwürfe machen nur Sinn als Vorwand für einen Angriff. Und so verrückt sind die Verantwortlichen in den usa denn doch nicht.

    Heute wurde in der Nähe von Kiew ein u.s.-Journalist in einer ukrainisch kontrollierten Zone erschossen. Die nächststehenden russischen Kräfte waren etwa 2 Kilometer entfernt und ohne Direktsicht. Dennoch ‚weiss‘ britische Presse, dass der Mann von Russen erschossen wurde. Ich hoffe, es kommt nicht so weit, dass Historiker später einmal Journalisten als Auslöser für den dritten Weltkrieg ausmachen…

  2. OPCW
    Ich warte eigentlich jeden Tag auf einen vermeintlichen Angriff mit Bio oder Chemiewaffen. Die mediale Vorbereitung ist ja schon im vollen Gange. Vielleicht ist der OPCW Bericht noch nicht ausformuliert. Über die harmlosen Labors ,insbesondere in Georgien, kann man auch bei der Journalistin Dilyana Gaytandzhieva (Bulgarien) nachlesen.

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