Großrazzia in Wien

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz in Bedrängnis. Bild: Christopher Dunker/BKA

Bundeskanzleramt, Finanzministerium, ÖVP-Zentrale und andere Orte in Wien wurde heute von der Staatsanwaltschaft durchsucht. Krass und Konkret berichtete bereits Sonntag über die möglichen Hintergründe.

Das Wort „einmalig“ darf wieder mal im Kontext der Skandale der österreichischen Bundesregierung ausgepackt werden. Dass es kriminalistische Ermittlungen gegen einen amtierenden Kanzler wegen „Untreue und Bestechlichkeit“ gibt, hat es auch im skandalerprobten Österreich in dieser Form noch nicht gegeben. Seit Wochen waren bereits Gerüchte in Wien kursiert, die über bevorstehende Hausdurchsuchungen mutmaßten.

Die meisten Beobachter rechneten damit, dass es sich um die Casinos-Affäre handeln würde, in die die Volkspartei tief verstrickt ist. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hatte sich aber nicht in die Karten schauen lassen und die neuen Ermittlungsakten geheim gehalten.

Heute nun zeigte sich, dass um bisher völlig unbekannte Vorwürfe gegen Sebastian Kurz und die ÖVP geht.

Land der „Anzeigenkorruption“

In den bislang ans Licht gekommenen Verdachtsmomenten, geht es um bestellte Artikel und Umfragen in einer österreichischen Tageszeitung durch Sebastian Kurz. Der habe, noch vor seiner Übernahme als Parteivorsitzender der ÖVP, mittels Scheinrechnungen Leistungen für sich persönlich über das Finanzministerium abgerechnet. Die bestellten, ministeriellen Umfragen, deren Fragenkatalog Kurz teilweise selbst vorgegeben haben soll, wären von keinerlei öffentlichem Interesse gewesen, sondern reine, parteipolitischen Werbungen.

Kurz hat sich also – so die Anschuldigungen – Umfragen vom Ministerium zahlen lassen und diese dann in der Zeitung „Österreich“ mittels Inseraten als Gegengeschäfte veröffentlicht. Diese Annoncen sollen 1,2 Millionen Euro in die Kassen des Boulevardmediums „Österreich“ gespült haben. Sich Medien mit Anzeigen gefügig zu machen, ist eine nicht unübliche Praxis in Österreich, die auch bereits SPÖ-Bundeskanzlern vorgeworfen wurde.

Der finanziell stets klamme Zeitungsmarkt in Österreich ist anscheinend auf diese Art „Unterstützung“ angewiesen, weil die sonstigen Werbeeinnahmen in den letzten Jahren immer geringer geworfen waren. Die von Kurz betriebene „Anzeigenkorruption“ ist allerdings einerseits möglicherweise strafrechtlich relevant (wegen der gefälschten Rechnungen) und geht andererseits über bisher bekannte Praktiken hinaus.

Wie aus den Chatprotokollen des ehemaligen ÖBAG-Chef Thomas Schmid hervorgeht, sollen auch gleich Artikel in der Zeitung Österreich „gekauft“ worden sein. In den unnachahmlichen Worten des Thomas Schmid: „So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen. Und Fellner (Herausgeber der Zeitung „Österreich“) ist ein Kapitalist. Wer zahlt schafft an. Ich liebe das.“

Die Staatsanwaltschaft glaubt belegen zu können, dass der von Kurz über Annoncen üppig alimentierte Herausgeber Wolfgang Fellner Artikel schreiben ließ, die beispielsweise per Umfragen belegen sollten, wie sehr die ÖVP von einem Wechsel von Kurz an die Parteispitze profitieren würde. Fellner und die Zeitung „Österreich“ sprechen hingegen von einem Missverständnis. Absprachen habe es keine gegeben, die eigenen Umfragen seien unabhängig erstellt und nach marktüblichen Preisen bezahlt worden.

Sollten sich die schweren Vorwürfe bewahrheiten, dann müsste sich die Volkspartei fragen, ob nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Partei von Sebastian Kurz hinter die Fichte geführt worden sind. Denn schließlich hätte Kurz mit den vom Ministerium bezahlten Umfragen und den Artikeln im Boulevardblatt „Österreich“ nicht nur das Land, sondern auch die Partei manipuliert, um so einem Wechsel an der Parteispitze zu erzwingen.

ÖVP bleibt im Angriffsmodus

Von dieser Art Zweifeln gegenüber der Person Kurz ist derweil noch nichts zu spüren. Die Partei macht noch brav die Mauer. Der ÖVP-Generalsekretär August Wöginger hält die Ermittlungen  für eine „reine Show“ und hat dafür eine bizarre Erklärung. Welchen Sinn hätten denn Durchsuchungen, die seit Wochen kolportiert würden?

Lässt der Generalsekretär der Öffentlichkeit somit mitteilen, die Partei habe ohnehin schon alles verschwinden lassen? Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft scheint allerdings genau damit gerechnet zu haben und es ist ihr wohl gelungen, die ÖVP im Dunkel tappen zu lassen, wegen welcher Vorwürfe aktuell überhaupt ermittelt wird.

Auch verfügt heutige Datenforensik über erstaunliche Mittel, um gelöschte Inhalte wieder herzustellen. Dies hat in Österreich bereits zu vielen überraschenden Erkenntnissen geführt. Darüber hinaus kann das Löschen und auch das versuchte Löschen durchaus als Schuldeingeständnis gewertet werden.

Das Land darf also gespannt warten, ob es ein neues „Ibiza“ gibt, an dem innerhalb von Stunden eine Regierung implodiert, Übergangsregierungen eingesetzt werden müssen und Neuwahlen  anstehen oder ob es tatsächlich letztlich nur eine dünne Suppe ist, die hier sehr heiß serviert wird. Dieser Gefahr dürften sich die Staatsanwälte allerdings bewusst sein.

Seit Monaten beklagt sich die ÖVP lautstark über Vorverurteilungen. Auch heute liest Generalsekretär Wöginger in einer eilends einberufenen Pressekonferenz die bereits bekannten Gegenvorwürfe  vom Blatt. Man wolle der ÖVP „massiven Schaden zufügen“ durch „konstruierte Vorwürfe“.

Die spannende Frage, die aktuell die österreichische Gesellschaft auf die Sesselkante treibt, lautet nun, welche Seite hier maßlos übersteigert agiert. Wischt die Volkspartei stichhaltige Anschuldigungen vom Tisch und zieht sich in die Wagenburg zurück? Oder führt die Staatsanwaltschaft tatsächlich eine Vendetta gegen eine Partei? Von diesem Rachefeldzug wäre nur sehr unklar, welche Ziele dieser eigentlich verfolge. Vorwürfe, die sich vollständig in Luft auflösen, wären schließlich eine reine Blamage für die Justiz.

Außerdem muss daran erinnert werden, dass Staatsanwaltschaften bei Hausdurchsuchungen nur mit richterlicher Genehmigung agieren können. Die Richter hätten bei zu geringer Beweislage kaum eingewilligt. In jedem Fall sind dies fatale Entwicklungen für das Land. Entweder hat die unabhängige Justiz parteiisch agiert oder aber die österreichische Volkspartei verabschiedet sich immer mehr von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, indem sie versucht, die eigenen Machenschaften durch Infragestellung der Justiz zu entkräften.

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