„In Deutschland ist es Usus, keine guten Konzepte zu haben“

Volker Quaschning

 

Klimawende-Vordenker Prof. Volker Quaschning im Interview mit Marcel Malachowski: Der Spiegel-Bestseller-Autor und Scientists for Future-Initiator macht der Bundesregierung schwere Vorwürfe in der Energie-Wende und der Sozialpolitik – und hat klare Forderungen an die Ampel-Koalition zu ihren Verhandlungen über das Hilfspaket am heutigen Donnerstag

 

„Ich will nicht glauben, dass die Menschheit zu dumm ist“, resümiert Volker Quaschning  mit melancholischer Hoffnung auf ein realistisches Wunder im k&k-Interview, „denn der unglaubliche technische Fortschritt der letzten Jahrhunderte könnte in der Tat ein gutes Leben für die gesamte Menschheit sichern.“

Seit zwei Wochen bereits diskutieren Fachpolitiker der Regierungs-Koalition intern über ein zweites Maßnahmen-Paket für Hilfen gegen die Preis-Explosion in den Supermärkten, den Tankstellen und den Heizkosten- und Stromrechnungen – bislang immer noch ohne Ergebnis, wie viele Beobachter im Berliner Regierungsviertel verwundert feststellen. Das aber sei jeden Tag dringlicher, kritisieren Sozialverbände. Für den heutigen Donnerstag, damit erst genau vier Wochen nach Kriegsbeginn, ist nun ein Ende des Koalitionsausschusses angekündigt, der endlich Ergebnisse für die Bundesregierung vorlegen soll.

Gegenüber krass&konkret äußert Volker Quaschning unmissverständlich seine klaren Erwartungen an die Bundesregierung und die Ampel-Parteien. Prof. Dr. Volker Quaschning gilt als Vordenker der Klima- und Energiewende und ist Mitbegründer der „Scientists for Future“, die gemeinsam mit der globalen Protest-Bewegung „Fridays for Future“ weltweit Millionen von Jugendlichen und Erwachsenen auf die Straße bringt. Für den morgigen Freitag, den 25. März, ruft er zusammen mit FFF erneut zum globalen Klimastreik auf und fordert auf Twitter: „Helft den Bedürftigen!“

Quaschning ist studierter Ingenieur und Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, zuvor war er Projektleiter in Spanien für die Deutsche Luft- und Raumfahrtgesellschaft (DLR). Mit seinem YouTube-Kanal  erreicht er über eine Million User im Jahr, er gibt zudem den Podcast dasisteinegutefrage.de heraus. LinkedIn zeichnete ihn 2020 als Top Voice aus, im selben Jahr erhielt er den Deutschen Solarpreis. Quaschning veröffentliche zahlreiche Bücher, zuletzt den Spiegel-Beststeller „Energierevolution JETZT!“, in dem es um auch die soziale Gestaltung der Klimawende, preisgünstigen ÖPNV und eine sozial gerechte Wohnungspolitik geht.

„Entlastungen für mittlere oder hohe Einkommen müssen ein No-Go sein“

Zum Ende der Woche hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket gegen die Kriegsfolgekosten im Energiebereich ff. für die Bürger angekündigt. Was sollte da Ihrer Meinung nach unbedingt drinstehen?

Volker Quaschning: Wir müssen damit rechnen, dass die Folgen des Ukraine-Kriegs noch dramatischer werden. Ein Embargo von Öl und Gas ist nicht vom Tisch und Putin könnte uns den Öl- und Gashahn abdrehen. Hierauf sollten wir uns vorbereiten. Darum müssen wir in erster Linie Maßnahmen umsetzen, die unter anderem die Internationale Energieagentur IEA zum Energiesparen vorgeschlagen hat, wie Tempolimit, autofreie Sonntage, Homeofficepflicht oder Preissenkungen für den ÖPNV. Eine Senkung des Öl- und Gasverbrauchs sorgt unmittelbar für einen Rückgang der Preise und befreit uns aus der Klammer Putins. Leider findet über die wirklich sinnvollen Maßnahmen in der Politik derzeit gar keine ernsthafte Diskussion statt.

Was halten Sie denn von den Vorschlägen von Finanzminister Lindner (FDP) zum Tankrabatt?

Volker Quaschning: Das ist ein Vorschlag von vorgestern und es ist interessant, wie schnell die FDP ihre eigenen Prinzipien beerdigt. Wir brauchen keine neuen Subventionen für fossile Energieträger, die auch noch auf Pump finanziert werden müssten, sondern Investitionen in eine unabhängige und klimaneutrale Energieversorgung. Es ist nicht einzusehen, dass wir Menschen, die mit Autos für über 50.000 Euro Tempo 180 auf der Autobahn fahren, Steuergeld hinterherwerfen. Wenn wir schon fossile Energieträger subventionieren, anstatt sie zu substituieren, sollte das sich wenigstens an der finanziellen Bedürftigkeit der Menschen orientieren.

Ist denn das Mobilitätsgeld der SPD wirklich durchdachter?

Volker Quaschning: Es ist zumindest an die Bedürftigkeit gekoppelt und stützt nicht auch noch den hohen Ölverbrauch.

Und was halten Sie vom Energiegeld der Grünen? 50 Euro für die Ärmsten in Deutschland angesichts der Preissteigerungen sind eher etwas ignorant, meinen Kritiker aus dem Sozialbereich.

Volker Quaschning: Neben den Energiekosten steigen inzwischen auch die Preise für Lebensmittel spürbar. Das heißt, wir müssen die Geringverdienenden in Deutschland spürbar entlasten und zwar so, dass niemand in Deutschland hungern oder frieren muss und alle noch zur Arbeit kommen. 50 Euro reichen da für die Ärmsten wahrscheinlich nicht aus. Da die Staatskasse kein Füllhorn ist, sind Entlastungen für mittlere oder hohe Einkommen aber ein No-Go. Viele haben in Deutschland seit Jahren eine Politik gewählt, die die Probleme durch den hemmungslosen Einsatz fossiler Energieträger völlig ignoriert hat. Jetzt müssen wir halt auch mit den Konsequenzen leben und notfalls auch mal den Gürtel enger schnallen.

„Wir müssen unterscheiden, wer wirklich Not leidet und wer auf hohem Niveau jammert“

Zumindest die Lebensmittelproduktion und -logistik ist ja wohl akut und mittelfristig nicht gefährdet, die gerechte Verteilung aber dagegen schon zuvor. Müsste man das ganze Thema vielleicht nicht ganz neu denken, damit sich alle auch gesundes, gutes und genug Essen leisten können?

Volker Quaschning: Global gesehen sind die steigenden Lebensmittelpreise ein riesiges Problem. Die Zahl der von Hunger betroffenen Menschen steigt rapide. Russland und die Ukraine waren mit die größten Getreideexporteure. Diese fallen nun weg. Gleichzeitig werden in den Industrieländern 70 Prozent des Getreides an Nutztiere verfüttert. Unsere Landwirtschaft ist genauso nachhaltig wie unsere Energieversorgung. Auch das müssen wir nun dringend ändern.

Nicht nur Tomaten und Paprika sind aus den Einkaufslisten von Millionen Menschen in Deutschland schon lange verschwunden, da sie einfach viel zu teuer sind, reale Preissteigerungen beim Alltagsbedarf sind um ein Vielfaches höher als die Nominalinflation … Und schon vor der Wahl warnte der wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums, eine ausreichende und gesunde Ernährung sei für Finanzschwache in Deutschland – etwa Grundsicherungsempfänger – in der Realität nicht mehr möglich. Lässt man die Ärmsten in der Armen in der Modernisierung der Gesellschaft also einfach zurück? Die Tafeln haben einen Hilferuf ausgesendet, die Spenden gehen sehr stark zurück, die Lager seien leer. Aldi hat gerade eine allgemeine Preiserhöhung angekündigt von bis zu einem Euro pro Produkt, in der Realität heißt das: Millionen Menschen in Deutschland können jetzt weniger essen.

Wie gesagt: Wir müssen zielgerichtet den Menschen helfen, die Not leiden. Es gibt in Deutschland aber auch viele Menschen, bei denen die Preissteigerungen bei den Lebensmitteln möglicherweise zu Lasten der nächsten Flugreise oder Kreuzfahrt geht. Wir müssen unterscheiden, wer wirklich Not leidet und wer auf hohem Niveau jammert.

Denken Sie denn, eine Energieunabhängigkeit von Russland ist überhaupt umsetzbar? Was wird das kosten? Und wer wird die Kosten tragen?

Volker Quaschning: Spätestens wenn Herr Putin den Hahn abdreht, werden wir es herausfinden. Natürlich werden die Preise für Öl- und Gas deutlich ansteigen. Und die Gasversorgung könnte im nächsten Winter stottern. Erfrieren wird bei uns aber nicht niemand. Aber mit jedem Liter Öl und jedem Kubikmeter Gas, den wir aus Russland kaufen, finanzieren wir den Krieg in der Ukraine. Russland heuert in großem Maßstab ausländische Söldner an. Diese lassen sich nicht in Rubel bezahlen. Dafür braucht Putin unsere Öl- und Erdgaseuros.

Wenn wir die Solidarität mit der Ukraine ernst meinen und uns wirklich um unsere Sicherheit Gedanken machen, sollten wir schnellstmöglich zumindest ein Ölembargo für Russland beschließen. Natürlich müssen wir dann auch mit den Konsequenzen der fatalen Energiepolitik der letzten Jahre leben und einen Preis dafür zahlen. Aber was ist die Alternative? Alle Sanktionen gegen Russland aufheben und bei Putin um mehr und billigere Öl- und Gaslieferungen betteln? Wohl nicht im Ernst.

„Es ist eine Tragödie: Solidarität mit den Armen ist jetzt gefragt!“

Der IWF und die Weltbank gehen ja von mehr als dramatischen Folgen des russischen Angriffskrieges aus, die erst noch kommen … die UN von einer Hungersnot mit vielleicht Millionen Toten. Sehen Sie das auch so?

Volker Quaschning: Ja. Wenn die Menschen bei uns darüber nachdenken, ob sie sich noch Tomaten im Winter leisten können, reicht es bei Menschen in vielen armen Ländern nicht einmal mehr für Grundnahrungsmittel. Hier zeichnet sich eine Tragödie ab. Auch hier ist unsere Solidarität gefragt.

In der Energiewende-Diskussion gilt Wasserstoff ja als the next big thing. Ist das denn wirklich so?

Volker Quaschning: Wir werden Wasserstoff brauchen. Wasserstoff ist aber ineffizient und sehr teuer. Wir sollten ihn nur dort einsetzen, wo es wirklich Sinn ergibt: Beispielsweise in der Industrie, dem Flug- oder Schiffsverkehr. Für das Heizen oder das Autofahren ist Wasserstoff hingegen ein extrem  teures Vergnügen. Kurzfristig kann uns Wasserstoff auch nicht aus der Klemme helfen. Dazu müssen wir Öl und Gas einsparen und erst einmal den Ausbau der Solarenergie und Windkraft in Deutschland flott machen. Wer weiter den Ausbau der Windkraft blockiert, wie beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Söder, zementiert damit die Abhängigkeit von fossilen Energien.

Sie beschäftigen sich ja auch mit den Auswirkungen auf das Wohnen … Ein großes, notwendiges und dramatisches Thema: Zum Beispiel Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) warf gerade ihrem Vorgänger im Amt und Parteifreund, Michael Müller, öffentlich vor, dass er und sein Kabinett sich bis Ende 2020 damit gar nicht beschäftigt hätten, was ein beachtlicher Vorgang ist. Sagen Sie, kann die Politik die benötigten Wohnungen denn überhaupt und energiearm bauen oder hat sie da innerlich schon aufgegeben?

Volker Quaschning: Es gibt positive Beispiele wie in Wien, wo das gelingt. In Deutschland ist es eher Usus, keine guten eigenen Konzepte zu haben und die Verantwortung dann bei der Vorgängerregierung abzuladen. Wie in vielen anderen Bereichen haben sich die Fehler in der Wohnungsbaupolitik auch schon über viele Jahre angehäuft. Wir haben uns aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen und in Berlin landeseigene Wohnungen an profitorientierte Investoren verkauft. Und dann haben wir auch noch munter Öl- und Gasheizungen eingebaut als gäbe es kein Morgen und diese auch noch staatlich subventioniert. In Dänemark hat man den Einbau von Öl- und Gasheizungen schon 2013 unterbunden. Darüber wurde seinerzeit in Deutschland nicht einmal nachgedacht. Darum haben wir nun keine guten Voraussetzungen für günstige Mieten und bezahlbare Heizkosten.

„Es ist zynisch: Wir haben jahrelang von Arm zu Reich umverteilt“

Im Moment wird gerade viel über Verzicht diskutiert als Patentlösung … Laut Oxfam wurden aber schon die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie fast nur von den Ärmsten in der Welt getragen, genauso verhält es sich laut Oxfam mit der Verursachung der Klimakrise. Über 80% der Menschen in Deutschland sind ja Teil der globalen Luxus-Elite und leben in einem wahrgewordenen Schlaraffenland. Ist es nicht zynisch, dass jetzt wieder einmal von allen, auch den Armen, Verzicht gefordert wird?

Volker Quaschning: Ja. Wir haben jahrelang von Arm zu Reich umverteilt. Und es sind im Wesentlichen die Reichen, die die nötigen Veränderungen blockieren, weil sie fürchten, Abstriche machen zu müssen. Das heutige System ist aber nicht nachhaltig und wird auch langfristig zum Wohlstandsverlust für die Gutbetuchten führen. Je schneller wir erkennen, dass wir alle in einem Boot sitzen, desto besser wird es für alle ausgehen.

Sie fordern ja eine Energie-Revolution … Aber müsste die Revolution nicht vielleicht auch in anderen Bereichen der Gesellschaft weitergehen, damit die Menschheit dem nahekommt, was Freddie Mercury einst für das Diesseits eingeklagt hat, denn „this could be heaven for everyone“?

Volker Quaschning: Die Menschheit hat in den letzten Jahrhunderten einen unglaublichen technischen Fortschritt erreicht. Dieser könnte in der Tat eine gutes Leben für die gesamte Menschheit sichern. Da unser Planet und viele Ressourcen endlich sind, gibt es aber auch klare Grenzen. Diese Grenzen überschreiten wir ständig: bei der Zerstörung der Artenvielfalt, durch die intensive Landwirtschaft, den übermäßigen Konsum tierischer Nahrungsmittel, den Umgang mit Ressourcen und Abfällen und ganz besonders mit der Zerstörung unseres stabilen Klimasystems. Unser Boot hat inzwischen ziemlich Leck geschlagen. Noch können wir den Untergang verhindern. Dazu müssen wir aber alle bereit sein, grundlegende Veränderungen in vielen Bereichen zu akzeptieren. Ich will nicht glauben, dass die Menschheit zu dumm dazu ist.

Ähnliche Beiträge:

5 Kommentare

  1. „Aber mit jedem Liter Öl und jedem Kubikmeter Gas, den wir aus Russland kaufen, finanzieren wir den Krieg in der Ukraine.“
    Und welche Kriege finanzieren wir, wenn wir fossile Energieträger aus den USA, Kuwait, Aserbeidschan, Saudi-Arabien, den Emiraten etc kaufen?

    „Russland heuert in großem Maßstab ausländische Söldner an.“ Hör ich zum ersten mal, aber die Ukrainer werben ihrerseits für den Einsatz von Söldnern. 20.000 sollen schon da sein.

    Den ganzen Schlamassel hätte man billig verhindern können – zum Discountpreis. Das ist nun das zweite Desaster, dass der Herr im Weißen Haus angerichtet hat.

    Diese Aussage ist was für Freudianer: „Erfrieren wird bei uns aber nicht niemand.“

  2. „Diese lassen sich nicht in Rubel bezahlen. Dafür braucht Putin unsere Öl- und Erdgaseuros.“ Offenbar nicht, da er ja nun dekretiert hat, die Energiefossilien müssten nun in Rubel bezahlt werden. Die Vorstellung, Russland sei auf Söldner angewiesen ist übrigens Propaganda.
    „Wir sollten ihn nur dort einsetzen, wo es wirklich Sinn ergibt: Beispielsweise in der Industrie, dem Flug- oder Schiffsverkehr.“ Im maritimen Container-Verkehr gibts direkt-elektrische Alternativen. Ein u.s.-Startup will ein System mit Batterie-Containern zum Wechseln aufbauen. Mit etwa 100 Stück davon kann man auch die grössten Frachter über lange Strecken antreiben.
    „Die Menschheit hat in den letzten Jahrhunderten einen unglaublichen technischen Fortschritt erreicht. Dieser könnte in der Tat eine gutes Leben für die gesamte Menschheit sichern.“ Aber nur eine wesentlich kleinere Menschheit. In der heutigen Grösse ist der technische Fortschritt sowohl Voraussetzung wie Zerstörungsgrund.

    Quaschning ist gewiss in der richtigen Richtung unterwegs, bloss ein wenig überoptimistisch.

  3. Deutschland und die EU werden von US Agenten geführt. Es gibt keinen in der politischen Führungsebene der nicht Transatlantiker ist und sie sorgen dafür das es auch so bleibt. Aber nicht nur die Politik gehört zu diesem Theater, auch der Mainstream und die Front-„Künstler“ gehören als Meinungsmacher zu diesem Verrat. Wir werden betrogen und belogen.

  4. „Ich will nicht glauben, dass die Menschheit zu dumm dazu ist.“

    Aber selber unterstützt er die Nazis in der Ukraine und das westliche Streben nach der Weltherrschaft… Seit 30 Jahren nur noch Chaos und Krieg und er ist zu dumm zu sehen dass Russland genau das nicht für sich will.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert