Israelische Regierung sucht nach einem militärischen Sieg über Hamas

Von Gaza abgefeuerte Raketen. Bild: IDF

Trotz himmelweit asymmetrisch überlegener militärischer Macht, die massiv eingesetzt wird, kann die israelische Armee nicht verhindern, dass aus Gaza weiter Raketen abgefeuert werden. Derzeit herrscht Patt – auf Kosten der Bevölkerung in Israel und im Gazastreifen.

US-Präsident Joe Biden übt zwar – ernsthaft oder nur symbolisch – Druck auf Bejamin Netanjahu aus, um einen Waffenstillstand durchzusetzen. Gestern sagte er im vierten Telefongespräch mit dem israelischen Regierungschef, der sich dank des neuen Gazakriegs wieder sicher im Amt hält, er erwarte eine „signifikante Deeskalation“ als einen ersten Schritt.

In der Zusammenfassung des Weißen Hauses wird das Selbstverteidigungsrecht nicht erwähnt, was als bedeutsam interpretiert wird. Noch scheint man nicht sonderlich entschlossen zu sein, Israel wirklich unter Druck zu setzen. Noch wird vom Weißen Haus weiter die Absicht verfolgt, Israel Waffen, auch Raketen, die gegen Gaza eingesetzt werden, in Höhe von 735 Millionen US-Dollar zu verkaufen. Demokratische Abgeordnete fordern angesichts des Kriegs, den Deal nicht zu machen.

Der israelische Noch-Regierungschef zeigt sich jedenfalls wenig beeindruckt. „Ich bin entschlossen“, so Netanjahu nach dem Gespräch, „diese Operation fortzusetzen, bis ihr Ziel erreicht wird, Ihnen, den Bürgern Israels, den Frieden und die Sicherheit zurückzubringen.“ Zuvor hatte Netanjahu nicht einmal die Einnahme des Gazastreifens ausgeschlossen. Netanjahu will offensichtlich einen militärischen „Sieg“ über die Hamas erzielen, der bislang nicht erreicht wurde.

Auch die Hamas ist gewillt und offenbar in der Lage, die Raketenengriffe fortzusetzen. Wieder wurden Raketen auf den Süden abgeschossen. Der Hamas-Führer Musa Abu Marzook erklärte, Aggression werde mit Aggression beantwortet: „Wenn Israel eskaliert, werden wir eskalieren. Wenn Israel die Bombardierung von Gaza beendet, werden wir aufhören, Tel Aviv zu beschießen.“

Nach dem israelischen Militär IDF wurden aus dem Gazastreifen gestern innerhalb von 12 Stunden weitere 200 Raketen abgeschossen, 30 seien noch im Gazastreifen abgestürzt, die israelische Raketenabwehr habe 90 Prozent aller Raketen abgeschossen, die auf Siedlungen gerichtet waren. Für die Hamas war es bereits ein Erfolg, mit offenbar neuen Raketen, die massenhaft abgeschossen werden, die Raketenabwehr überwinden und Tel Aviv erreichen zu können. Die IDF gehen davon aus, dass die Hamas um die 12.000 Raketen besitzen, was heißt, es würde noch reichlich Nachschub geben, Israel zu beschießen. Bislang seinen 4000 Raketen abgefeuert worden.

Das israelische Militär versucht, nicht nur Einrichtungen der Hamas und des Islamischen Dschihad zu zerstören, sondern auch deren Führung auszuschalten, Kollateralschaden werden in Kauf genommen. Nach Angaben der UN wurden bis zum 19. Mai 219 Menschen getötet, davon 63 Kinder und 35 Frauen, was an der Präzision zweifeln lässt. Verletzt wurden 1570 Menschen, davon 480 Kinder und 322 Frauen. Bislang seien über 1800 Luftangriffe ausgeführt worden. In Israel starben 12 Menschen, 796 wurden verletzt. Das primäre Ziel ist aber wohl die Zerstörung des weit verzweigten Tunnelnetzes unter dem Gazastreifen. Vermutlich strebt Netanjahu dessen weitgehende Vernichtung an. Das ist bislang nicht gelungen, wenn es weiterhin möglich ist, Hunderte von Raketen abzufeuern.

Schon bevor die Hamas mit den Raketenangriffen begann, um Solidarität mit den Palästinensern in Ost-Jerusalem zu zeigen und den Einfluss von Fatah im Westjordanland weiter zu schwächen, nachdem dort aus Furcht vor Hamas erneut Wahlen abgesagt worden sind, hatte Basil Salhieh, Ex-Chef des militärischen Arms der Hamas, davor gewarnt, dass Israel eine Karte des Tunnelnetzwerks angelegt hat und dieses im nächsten Krieg zerstören wolle. Nach einem Bericht von Al-Monitor, der Hamas-konform titelt: „Hamas claims Israel cannot destroy tunnel network“, wurde seine Warnung nicht beherzigt und er für die Veröffentlichung von Videos Anfang Januar verhaftet. Das zeigt auch, dass die Hamas im Gazastreifen ein repressives Regime erreicht haben und jede Kritik unterdrücken.

Ibrahim al-Madhoun, der Hamas nahesteht, sieht in den Tunnels das wirksamste strategische Mittel gegen das israelische Militär. Das habe zwar mit bunkerbrechenden Bomben aus den USA  Tunnels teileweise zerstört, was Hamas aber bislang ebenso wenig dazu gebracht hat, die Angriffe einzustellen, wie die getöteten Führer. Die Kenntnis des Tunnelsystems seitens des israelischen Militärs erweise sich als nicht allzu groß.

Dem schließt sich Tayseer Mehasen, Politikprofessor an der Al-Azhar-Universität in Gaza an. Seiner Meinung nach habe es Israel nicht geschafft, die militärischen Ziele zu treffen, weswegen man versuche, auf Hamas Druck durch Bombardierung von Zivilisten auszuüben. Das zeige sich an der Zahl der zivilen Opfer, die Hälfte seien Kinder. Aber Israel spricht von vielen getöteten Hamas-Kämpfern, die Hamas von vielen getöteten Zivilisten.

Überdies würden Straßen, Wohngebäude und Infrastruktur beschossen, was demonstriere, dass es keine genaue Kenntnisse über die Orte gibt, wo sich Hamas-Kämpfer befinden, weswegen größere Gebiete bombardiert werden müssten. Aber auch das ist unterschiedlich interpretierbar, weil Hamas Stellungen nicht nur in Tunnels anlegt, sondern auch in zivilen Strukturen, also zivile Opfer provoziert. Mitunter warnen die israelische Streitkräfte auch nicht immer die Insassen von Gebäuden, die bombardiert werden. Amnesty will einige Vorfälle dokumentiert haben.

Nach Mehasen, der sicher nichts gegen Hamas sagt, habe Israel möglicherweise eine Karte des Tunnelnetzwerks und habe einige zerstört, aber es gebe weiterhin „Dutzende von Tunnels, die Israel nicht kennt, das es geschafft hat, einige Personen mit Informationen über den Widerstand zu rekrutieren“. Mit „Widerstand“ sind Hamas und der Islamische Dschihad gemeint. Aufgrund der Informationen habe man einige Hamas-Führer töten können, aber offenbar nicht diejenigen, die sich im Norden aufhalten, wo es Tunnels nahe der Grenze geben müsse. Zudem, so die Botschaft des Hamas-Vertreters, hätten die Palästinenser mehr Unterstützung als je für Hamas demonstriert: „Gaza wird lieber weiter eskalieren, als unfaire Bedingungen eines Waffenstillstands akzeptieren.“ Gaza ist auch im Frieden ein Gefängnis, in dem Verzweiflung gärt.

Das sieht in der Tat derzeit so aus. Auch die Behauptung, dass die israelische Regierung bislang keinen überzeugenden Sieg errungen habe, scheint zuzutreffen, da Netanjahu auch auf wachsenden Druck nicht einzulenken bereit ist. Ausgetragen wird der Konflikt auf Kosten der israelischen Bevölkerung und der Gaza-Bewohner, die zu Geiseln der Machtkämpfe werden. Wird gekämpft, bis der Hamas und dem Islamischen Dschihad die Raketen ausgehen oder bis wieder zahlreiche Menschen im Gazastreifen sterben, um dann einen Waffenstillstand zu schließen, der wieder nur ein paar Jahre vielleicht hält und den Konflikt betoniert?

Moshe Zuckermann hat deutlich gemacht, dass Netanjahu und die rechten Israelis die Hamas brauchen, die wiederum auf die anti-palästinensische Politik angewiesen sind. In Israel aber ist keine Regierung in Sicht, die auf eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung setzt, was auch bedeuten würde, jüdische Siedlungen im Westjordanland aufzulösen und eine Verbindung zwischen dem Westjordanland und Gaza herzustellen. Und bei den Palästinensern ist ebenso wenig eine alternative politische Bewegung zu erkennen, die sich gegen Hamas und Fatah durchsetzen könnte.

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