Klaus Lederer im Interview: Der Berliner LINKE Politiker über Armut, Mieten & Enteignung

Klaus Lederer. Bild: https://klaus-lederer.de

 

Klaus Lederer im Interview mit Marcel Malachowski. Der Vize-Regierungschef des Landes Berlin von der Linkspartei über die soziale Frage vor der Wahl und den Kampf gegen die Armut.

 

Massenarmut, Ausbeutung, Mietenwahnsinn, Obdachlosigkeit, Rechtsextremismus, Diskriminierung durch Behörden und menschenverachtende Bürokratie: Ist Berlin noch „arm, aber sexy“, wie der frühere Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) einmal feststellte? Und wie kann die soziale Frage nicht nur in Berlin und Deutschland gelöst und die Armut abgeschafft werden?

Diese und andere Fragen beantwortet im krass&konkret-Interview der Berliner Bürgermeister, Kultursenator und Spitzenkandidat der Partei DIE LINKE für die Berliner Abgeordnetenhauswahl Klaus Lederer, der auch als Mitinitiator eines nun bundesweit diskutierten Mietendeckels gilt und einer „Enteignung“ großer Wohnungsunternehmen, welche weltweit Schlagzeilen macht als Vorschlag für eine moderne Stadtpolitik.

Der Jurist Klaus Lederer wuchs im Ost-Berliner „Plattenbau“-Viertel Hohenschönhausen auf und war über zehn Jahre Berliner Landesvorsitzender der Linkspartei. Er ist seit 2012 im Bundesvorstand der Partei, seit 2003 Abgeordneter im Berliner Landesparlament und war engagiert im Forum demokratischer Sozialismus. Der Hobby-Tenor und Chorsänger ist zudem engagiert in der Organisation Queer Nations und in der Pro-Israel-Solidarität und war auch Mitherausgeber des „Handbuch zur Freiheit: Schritt für Schritt ins Paradies“.

 

Welche konkreten sozialpolitischen Schritte zur Verhinderung und zur Abschaffung von Armut plant die Linkspartei denn bei einer weiteren R2G-Koalition im Land Berlin?

Klaus Lederer: Unser ambitioniertestes Ziel ist sicherlich, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beseitigen. Unsere Sozialsenatorin Elke Breitenbach hat einen konkreten Plan vorgelegt, wie das gelingen kann. Statt teurer Unterbringung in teilweise prekären Unterkünften wollen wir Wohnungen bereitstellen, in denen obdachlose Menschen zur Ruhe kommen können und für weitere Unterstützungsangebote wieder erreichbar werden. Nicht nur dafür brauchen wir mehr bezahlbare Wohnungen. Deshalb wollen wir unsere eigenen Wohnungsunternehmen, aber auch private Immobilienunternehmen dazu verpflichten, einen größeren Anteil der neugebauten Wohnungen zu bezahlbaren Mieten anzubieten. Wir wollen noch mehr Sorge dafür tragen, dass Menschen ihre Wohnung nicht aufgrund steigender Mieten verlieren oder sich die Miete vom Munde absparen müssen. Die Vergesellschaftung großer, nicht gemeinwohlorientierter Immobilienbestände kann uns dabei ebenso helfen wie ein Mietendeckel, für dessen Einführung wir nun auf Bundesebene weiterkämpfen.

Wir setzen uns auch in anderen Bereichen dafür ein, Menschen mit geringen Einkommen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Denn darum geht es beim Kampf gegen Armut: allen Menschen und insbesondere den Kindern den Zugang zu Bildung, Kultur, medizinischer Versorgung, Sport, Mobilität, zur Natur und vielen anderen Dingen zu gewährleisten, die das gesellschaftliche Leben ausmachen. Deshalb sind Kitas, Lernmittel, Schulessen und Schülertickets kostenfrei, haben wir den Preis für das Sozialticket gesenkt. Deshalb gibt es jetzt an jedem ersten Sonntag im Monat kostenlosen Eintritt in Museen, deshalb stärken wir Kinder- und Jugendtheater, Bibliotheken und, und, und.

Schlussendlich bekämpft man Armut auch dadurch, dass die Menschen höhere Einkommen haben. Wir haben prekäre Beschäftigungsverhältnisse in landeseigenen Unternehmen zurückgedrängt und wollen das auch in anderen Bereichen weiter tun. Ein Mindestlohn von 13 Euro pro Stunde wäre ein hilfreicher Schritt dabei.

„Je stärker DIE LINKE abschneidet, desto eher gibt es R2G auch im Bund“

Wird es R2G auch im Bund geben?

Klaus Lederer: Je stärker DIE LINKE am Sonntag abschneidet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit dafür. Und es wäre wünschenswert, weil es grundlegender Veränderungen in der Sozial-, der Steuer- und Finanz- und natürlich auch der Klimapolitik bedarf, die es nur mit uns geben wird.

„Ich weiß, dass es nicht stimmt, aber ich glaube trotzdem daran“, sagt man aber gerne in Neapel. Ist die Menschenverachtung des Kapitalismus denn überhaupt noch aufzuhalten oder gibt es noch eine linke Perspektive, an die man noch glauben kann?

Klaus Lederer: Was wäre denn die Alternative? Ich halte nichts davon, sich in Zynismus zu flüchten. Wenn es in den nächsten Jahrzehnten keine grundsätzlichen Veränderungen geben wird, könnte die Menschheit verschwinden. Theoretisch sind wir heute dazu in der Lage, allen Menschen ein Leben ohne Armut zu bieten und das ökologische Gleichgewicht zu halten. Eigentlich sind das nicht die schlechtesten Voraussetzungen für eine Perspektive der menschlichen Emanzipation.

Wird Berlin aber nach der Pandemie nicht eine Stadt sein, die weniger lebenswert ist?

Klaus Lederer: Ob Berlin lebenswert bleibt, hat weniger mit der Pandemie zu tun als mit der Frage, ob es uns gelingt, denjenigen etwas entgegen zu setzen, die die Stadt als ihre Beute, als renditeverheißendes Anlageobjekt betrachten und versuchen auch noch den letzten Freiraum und jede soziale Infrastruktur irgendwie in Wert zu setzen. Ich finde den Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienbestände auch deshalb so wichtig, weil wir diesen Leuten als auch den Berlinerinnen und Berlinern zeigen können, dass wir nicht machtlos sind. Politik kann etwas gegen diese Entwicklung tun, wenn sie nur will.

„Wir brauchen einen Kulturwandel im öffentlichen Dienst“

Wann wird es denn in Berlin wieder so sein, dass jeder, der eine Wohnung benötigt, auch eine findet? Und welche politischen Schritte sind dazu notwendig?

Klaus Lederer: Die Vergesellschaftung habe ich bereits erwähnt. Wenn der Volksentscheid Erfolg hat und wir ihn umsetzen können, dann würden sich fast 50 Prozent der Mietwohnungen in Berlin in öffentlicher bzw. gemeinwohlorientierter Hand befinden, mit der Folge, dass sie für den größeren Teil der Bevölkerung auch wieder bezahlbar wären. Ein ähnlicher Effekt – allerdings nur temporär, dafür aber für fast alle Wohnungen – ließe sich mit einem Mietendeckel erzielen. Deshalb hätte ich gerne beide Instrumente zur Verfügung. Und natürlich wollen und werden wir auch weiter viele Wohnungen neu bauen, ganz klar! Berlin hat in den vergangenen Jahren einen starken Zuzug erlebt, weshalb der Mangel nicht nur marktgemacht, sondern auch real ist. Wir rechnen damit, dass wir diesen in etwa zehn Jahren beseitigen können, wenn die Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung zutreffen.

Was kann Berlin dabei von Hamburg lernen, neben der Freundlichkeit und Lebensqualität im Alltag an der Alster? Dort kann man nämlich eine Wohnung finden …

Klaus Lederer: In Hamburg sehen wir, dass verstärkter Neubau allein das Problem eben nicht löst. Auch in Hamburg steigen die Mieten weiter. Und wer nicht über ein entsprechendes Einkommen verfügt, hat auch da große Probleme, eine neue Wohnung zu finden. In der Zeit als in Berlin der Mietendeckel galt, waren wir deutschlandweit die einzige große Stadt, in der die Mieten sanken.

Muss Berlin denn nicht vielleicht allgemein mal freundlicher werden? Besonders Behörden und vor allem auch Sozialbehörden der Bezirke dort sind ja nicht gerade für Bürgerfreundlichkeit bekannt, wenn man sich mit Betroffenen unterhält … Menschenverachtung gegenüber Kranken und den Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft scheint dort immer noch an der Tagesordnung. Dies erinnert an eine Kurzgeschichte von Italo Calvino, in der er die „verwaltete Welt“ (Adorno) beschrieb …

Klaus Lederer: Ich würde das so pauschal nicht sagen. Fakt aber ist, dass gerade der öffentliche Dienst in Berlin harte Zeiten durchgemacht hat, als die Stadt Anfang der Nullerjahre faktisch pleite war, nachdem CDU und SPD sie mit ihrer Großmannssucht und Filz und Korruption heruntergewirtschaftet hatten. Diese Erfahrung hat viele demotiviert und wirkt allgemein immer noch nach. Es kommen aber gerade viele neue Leute in den öffentlichen Dienst und wir sollten das für einen Kulturwandel nutzen.

Den braucht es dringend auch in den Jobcentern. Der wird dort aber nur gelingen, wenn man diejenigen, die ALG-II beziehen nicht strukturell als Menschen einstuft, die man zur Arbeit antreiben muss, sondern als Menschen, die Anspruch auf Unterstützung haben. Eine sanktionsfreie Mindestsicherung, wie sie DIE LINKE fordert, würde da helfen.

„Es ist ein Geschenk, dass es heute in Berlin wieder blühende jüdische Kultur gibt“

Vor der letzten Wahl wurde von der Linkspartei in Berlin ja aber auch eine Politik für Obdachlose und gegen Obdachlosigkeit versprochen. Einiges wurde auch umgesetzt wie „housing first“, aber in sehr, sehr kleinem Umfang mit 80 Wohnungen, wie Wohnungsloseninitiativen beklagten, muss aber nicht viel, viel mehr geschehen, vor allem „niedrigschwellig“ und „unbürokratisch“ abseits oft lebensfremder „Regelsysteme“ der Bezirksämter dort in Berlin? Es geht um Menschenwürde und auch um Leben und Tod …

Klaus Lederer: Ja, und deshalb bin ich sehr froh, dass wir da in den vergangenen Jahren einiges erreicht haben und unsere Senatorin Elke Breitenbach jetzt einen Masterplan zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit vorgelegt hat. Ironischerweise konnten wir in der Pandemie teilweise viel mehr möglich machen als in normalen Zeiten, zum Beispiel eine 24/7-Unterbringung im Winter, ohne die Menschen tagsüber aus der Unterkunft rauswerfen zu müssen. Unser Ziel muss es sein, das zum Standard zu machen.

In Städten wie Hamburg oder auch Berlin ist Armut zwar an fast an jeder Ecke sichtbar, aber dennoch fehlt es an gesellschaftlicher Sichtbarkeit, denn „die im Dunkeln sieht man nicht“ … In allen großen TV-Formaten zur Wahl kamen Armut, Sozialpolitik und Mackie Messer gar nicht vor … Hat die Politik den ärmeren Teil der Bevölkerung schon abgeschrieben, obgleich es gut 25% der Bevölkerung sind?

Klaus Lederer: Es ist leider in der Tat so, dass insbesondere die Parteien der sogenannten bürgerlichen Mitte eher die Armen als Armut bekämpfen. Arme Menschen sollen aus dem Blickfeld verschwinden, damit ihre Armut uns kein schlechtes Gewissen bereitet. Gleichzeitig werden sie als permanente Drohung gegenüber jenen in Stellung gebracht, die sich gerade noch so über Wasser halten können, nicht zuletzt in unsäglichen TV-Sendungen. Immer nach dem Motto: „Hier schau, wenn du dich hängen lässt oder zu aufmüpfig bist, kannst auch du da landen. Also sei immer fleißig und verhalte dich konform.“ Der LINKEN wird ja schnell mal der Vorwurf gemacht, sie kümmere sich immer nur um Menschen in Hartz IV, aber nicht um den Pfleger, die Busfahrerin oder andere „normale“ Arbeitnehmer*innen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es geht um guten Lohn für gute Arbeit und ein Leben in Würde und ohne Ausgrenzung für Menschen ohne Arbeit.

 In der diesjährigen Sukkot-Woche nach Yom Kippur leben Jüdinnen und Juden in Deutschland in großer Besorgnis, wie man aus den Gemeinden hört, nicht nur in Berlin, auch in Hamburg und Regensburg: Nach aktuellen Studien muss man davon ausgehen, dass gut 40% der Deutschen überzeugte Antisemit*innen sind, die von einer „geheimen Macht“ von Juden ausgehen, was man als Jude auch als Kompliment  „on a German Way“ (Robin Williams bei Jon Stewart) verstehen kann. Nicht nur auf Querdenker-Demos auch in Berlin „werden Holocaust-Opfer regelmäßig verhöhnt und beleidigt in klassischer Täter-Opfer-Umkehr und Schuldabwehr“ (Samuel Salzborn, Antisemitismus-Beauftragter der Berliner Senats und Ex-Bahamas-Autor), „ohne dass die Polizei einschreitet“, wie auch Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hickel (SPD) beklagt … Gibt es noch irgendeinen Grund, warum man als Jude in Berlin bleiben könnte, anstatt wieder die Aliyah zurück nach Eretz Israel anzutreten?

Klaus Lederer: Mindestens zwei Gründe. Zum einen sind da die vielen Menschen, die das alles nicht unwidersprochen hinnehmen und sich täglich dagegen engagieren. Und der andere Grund ist, dass die Antisemit*innen dann ja erreichen würden, was sie wollten. Ich empfinde es als großes Geschenk und Verpflichtung, dass es heute in Berlin, in der Stadt, in der der Genozid an den Jüd*innen geplant und gesteuert wurde, jüdisches Leben und eine vielfältige, blühende jüdische Kultur gibt, und werde mich immer dafür einsetzen, dass es so bleibt und weiter gedeiht.

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