Nawalny bleibt in Haft, Berlin und Moskau verharren im Vorwurfsspiel

Nawalny ruft auf der Polizeistation noch schnell zu Protesten auf.

Gut möglich, dass die Bundesregierung dankbar war oder vielleicht auch nachgeholfen hatte, dass Nawalny sich entschloss, nach Russland zurückzukehren, obgleich ihm – und der Bundesregierung -. klar sein musste, dass er dort festgenommen wird.

Die Bundesregierung könnte erleichtert sein, einen möglicherweise gefährdeten Gast, der permanent beschützt werden muss, nachdem seine Entlassung aus dem russischen Krankenhaus und seine Überführung in die Charité sowie die Vorwürfe an Russland als politische Angelegenheit der Regierung auf höchster Ebene gehandhabt wurde. Dazu kommt, dass Nawalny unentwegt gegen Moskau stichelte und provozierte, was der Bundesregierung trotz aller Instrumentalisierung des Falls außenpolitisch auch nicht gefallen haben dürfte.

Regierungssprecher Seibert antwortete am 15. Januar auf der Pressekonferenz nicht direkt auf die Frage, ob die Bundeskanzlerin ihm abgeraten habe, sondern sagte: „Er ist natürlich in seinen Entscheidungen völlig frei. Aber wir freuen uns, dass er sich offensichtlich so weit erholt hat, dass er glaubt, diesen Schritt gehen zu können. Mehr habe ich dazu eigentlich nicht zu sagen.“

Durch seine Festnahme wurde er nicht automatisch zum politischen Gefangenen, wie amnesty international gleich behauptete, sondern weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen und sich mehrmals 2020 – zuletzt nach seiner von den Charité-Ärzten bestätigten Genesung – nicht persönlich nach Aufforderung gemeldet hatte. Das Urteil von 2014, das für eine Unterschlagung eine Gefängnisstrafe von 3,5 Jahren und eine Bewährungszeit von 5 Jahren ausgesprochen hatte, mag Ausdruck einer politischen Justiz oder eine Schikane sein, ebenso die Bewährungsauflagen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kam zu dem Schluss, dass der Prozess unfair war und Nawalny und sein Bruder wegen einer Straftat verurteilt wurden, die zu der Zeit, als begangen wurde, noch nicht verboten war.

Allerdings wäre die Bundesregierung auch pikiert, wenn ein anderer Staat verlangen sollte, eine aufgrund einer Verurteilung wegen Unterschlagung zur Fahndung ausgeschriebene Person nach Festnahme sofort wieder freizulassen. Man kann darüber streiten, wie unabhängig die Justiz in Russland ist, aber damit wird ein politischer Eingriff in die Justiz verlangt.

Bundesregierung, EU-Kommission und Bidens Sicherheitsberater verlangen sofortige Freilassung

In dem Sinn hat sich allerdings Bundesaußenminister  Heiko Maas am Montagmorgen geäußert und wohlwissend jede Bemerkung zum Vorwurf unterlassen, dass Nawalny seine Bewährungsauflagen verletzt hat: „Alexei Nawalny ist nach seiner Genesung aus eigenen Stücken und bewusst zurückgekehrt nach Russland, weil er dort seine persönliche und politische Heimat sieht. Dass er von den russischen Behörden sofort nach Ankunft verhaftet wurde, ist völlig unverständlich.  Russland ist durch die eigene Verfassung und durch internationale Verpflichtungen an Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Bürgerrechte gebunden. Die Prinzipien müssen selbstverständlich auch gegenüber Nawalny zur Anwendung kommen. Er sollte unverzüglich freigelassen werden.“

Ganz ähnlich verurteilte kurz darauf Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, die Festnahme und forderte die Freilassung.

Der Nationale Sicherheitsberater von Joe Biden geht noch einen Schritt weiter. Jack Sullivan forderte gleichfalls die sofortige Freilassung und die Bestrafung der Täter, wobei nicht klar ist, ob er nun den Kreml direkt für den Anschlag verantwortlich macht: „Die Angriffe des Kreml auf Herrn Nawalny sind nicht nur eine Verletzung der Menschenrechte, sondern auch ein Affront gegen die russischen Menschen, die wollen, dass ihre Stimmen gehört werden.“  Sullivan hatte überdies angekündigt, dass die Biden-Regierung ihre Außenpolitik auf die Mittelklasse ausrichtet, also nicht auch auf die Armen.

Haft bis zum 15. Februar

Um das von Nawalny und seinem Team geplante Medienereignis bei der Ankunft in Moskau platzen zu lassen, wo sich Hunderte von Anhängern eingefunden hatten, wurde das Flugzeug kurz vor der Landung auf einen anderen Flugplatz umgeleitet. Die nach der Festnahme folgende Anhörung durch eine Richterin  fand am Montagmittag auf einer Polizeistation in Khimki statt. Das Gericht begründete dies damit, weil dann Journalisten anwesend sein können, die Abteilung des Innenministeriums für die Region Moskau wies hingegen darauf hin, dass Nawalny keine Covid-19-Testergebnisse vorlegen konnte. Der Anwalt Nawalnys durfte erst in letzter Minute zu ihm.

Das Gericht ordnete eine Inhaftierung bin 15. Februar an, am 2. Februar soll ein Gericht das Urteil sprechen, ob die Bewährungsstrafe in eine Gefängnisstrafe umgewandelt wird. Die Gefängnisbehörde FSIN wirft Nawalny vor, „systematisch und wiederholt“ gegen die Auflagen verstoßen zu haben. Er sei sechsmal nicht zur Registrierung erschienen, man habe seinen Krankenhausaufenthalt dabei berücksichtigt.

 

In einem Video, das aufgenommen wurde, während Nawalmy auf das Urteil wartete, rief er wieder zu Protesten auf und versuchte, seine Angriff auf Putin noch einmal zuzuspitzen: „Dieser diebische, in einem Bunker lebende alte Typ sitzt und zittert vor Angst. Sie sind veränsgtigt und deshalb machen sie alles so dringend, geheim, in einer überstürzten Hast. Sie haben Angst, und sie haben Angst vor euch. Habt keine Angst auf die Straßen zu gehen, nicht für mich, sondern für euch selbst und eure Zukunft.“ Am 23. Januar wollen die Mitarbeiter von Nawalny landesweite Proteste mobilisieren.

Konflikt zwischen Russland und Deutschland: Warum mauert die Bundesregierung?

Die Querelen zwischen Deutschland und Russland über den Fall Nawalny gehen indes weiter. Das Bundesjustizministerium sagte am Samstag, man habe ein Rechtshilfeersuchen aus Russland beantwortet. Nawalny habe „umfangreich“ auf die übermittelten Fragen der russischen Generalstaatsanwaltschaft geantwortet. Die Vernehmungsprotokolle seien Russland übergeben worden. Man gehe nun davon aus, „dass die russische Regierung nun umgehend alle nötigen Schritte zur Aufklärung des Verbrechens gegen Herrn Nawalny einleitet“. Es wurden aber weder für strafrechtliche Ermittlungen erforderlichen Informationen wie Blut- und Gewebeproben und Kleidungsstücke noch die Analyse des Bundeswehrlabors übergeben. Russland liege alles vor. Medizinische Daten dürfe man aus Datenschutzgründen nicht übermitteln.

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa bestätigte den Eingang, meinte aber, die Informationen seien wertlos. Außenminister Sergej Lawrow ging scharf gegen die Bundesregierung vor. Sie benehme sich rüpelhaft, so dürften sich „unsere Partner“ nicht verhalten.

Deutschland müsse die Ergebnisse der Proben übergeben, in denen Nowitschok entdeckt worden sein soll: „Aus der Sicht des Außenministeriums haben wir nur eine Frage: Damen und Herren aus Deutschland, Frankreich und Schweden, erfüllt eure internationalen Verpflichtungen, stellt die Ergebnisse jener Analysen zur Verfügung, die laut eurer Behauptung einen unbekannten, nicht auf den Listen der OPCW stehenden Kampfstoff enthalten.“ Man könne, so das Mantra, erst Ermittlungen einleiten, wenn Beweise für eine Straftat vorliegen. Die legt Deutschland aber nicht vor.

Die russische Generalstaatsanwaltschaft moniert, dass die deutschen Behörden den Auskunftsersuchen nicht nachgekommen seien: Die russischen Anträge enthielten Anträge auf mehr als 15 Verfahrensmaßnahmen, von denen je nach Inhalt des Materials nur zwei tatsächlich ausgeführt wurden: Es wurden Interviews mit Navalny und seiner Frau geführt. Sie sind nicht sehr informativ und enthalten keine Antworten auf die gestellten Fragen.“ Auf die Weise wolle man die Wahrheit verbergen, aber die Anschuldigungen gegen Russland aufrechterhalten. Den Eindruck kann man tatsächlich haben.

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