Ukraine-Konflikt: Scheinheiligkeit der USA und der Nato

Die Begegnung aus russischer Perspektive. Bild: mid.ru

 

Beim Treffen von Blinken mit Lawrow bewegte sich nichts. Das Narrativ des Westens über die russische Aggression ist in seiner Einseitigkeit ennervierend.

Die Nato gibt sich wie die USA gerade im Hinblick auf die Ukraine als Bewahrer der territorialen Integrität und der staatlichen Souveränität im Fall der Ukraine. Einer erneuten Aggression Russlands, das die Krim über ein nicht anerkanntes Referendum annektiert und die separatistischen „Volksrepubliken“ militärisch unterstützt habe, werde man mit aller Härte, wenn auch nicht direkt militärisch beantworten, wird seit Monaten wie ein Mantra wiederholt. Nach dem Treffen mit dem russischen Außenminister Lawrow sagte Blinken nach Wiederholung der Drohungen, man werde weiter miteinander sprechen, die USA würden, wie von Moskau verlangt, mit ihren Verbündeten schriftlich auf Russlands Forderungen eingehen.

Lawrow machte hingegen klar, dass Russland an seinen Sicherheitsforderungen festhält und eben auch den Abzug der Nato-Truppen aus den baltischen Staaten, Polen, Bulgarien und Rumänien verlangt. Das sind Maximalforderungen, die im Grunde die Geschichte zurückdrehen wollen, was völlig unrealistisch ist. Etwas anderes ist die Forderung, die Ukraine und Georgien, vermutlich auch Moldawien, nicht in die Nato aufzunehmen. In allen Staaten gibt es russische Enklaven im Rahmen eines gefrorenen Konflikts, was die Aufnahme in die Nato verhindert, weswegen Russland daran festhalten wird, wenn es keine Einigung gibt.

Ansonsten wiederholte Blinken ohne nähere Ausführungen, dass Russland 2014 in die Ukraine einmarschiert sei, weswegen man wieder damit rechnen müsse, auch wenn Russland dies abstreitet. Das beruhe nicht auf Emotionen: „Das beruht auf Fakten und auch auf der Geschichte.  Russland ist 2014 in die Ukraine eingedrungen, hat die Krim erobert, einen anhaltenden Konflikt in der Ostukraine, dem Donbas, provoziert und die Grenzen der Ukraine gewaltsam verändert.“ (Über die doch ziemlich durchsichtige einseitige Information gegen die russische Desinformation hat das US-Außenministerium gerade ein Fact Sheet publiziert).

Die russische Invasion – nicht ganz so einfach wie das Nato-Narrativ

Das Narrativ, das nur auf die russische Aggression setzt,  lässt natürlich die Vorgeschichte aus, den Sturz der Vorgängerregierung durch die radikalen Maidankräfte, die sich bewaffnet hatten, obgleich gerade eine friedliche Übergangslösung unter Beteiligung von Deutschland, Frankreich, Polen und aus der Ferne Russland sowie den drei Chefs der Oppositionsparteien Arsenij Jazenjuk – der Favorit der USA -, Vitali Klitschko und Oleh Tjahnybok gefunden worden war. Es kam zu Anti-Maidan-Protesten in der Ostukraine, die ganz ähnlich wie die Maidan-Proteste abliefen und von Angst vor dem antirussischen Nationalismus der neuen Regierung angetrieben war. Diese sorgte nicht mit Polizeikräften für Ruhe und Ordnung oder mit Versuchen der Verständigung, sondern  beschloss eine Antiterror-Operation und ging militärisch gegen die Protestierenden, also die eigene Bevölkerung, vor, was dann Schritt für Schritt, auch mit russischer Unterstützung der Aufständischen, zum offenen Krieg führte.

Auf der Krim marschierten die Russen strenggenommen nicht ein, dort waren bereits Tausende von russischen Soldaten stationiert, schließlich war dort seit dem 18. Jahrhundert in Sewastopol der Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte. Erst 1954 übergab die Sowjetunion die Krim von Russland an die Ukraine, an die damalige Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik (USSR). Nach der Unabhängigkeit wurde schließlich die Schwarzmeerflotte in einen russischen und ukrainischen Teil aufgespalten. Es gab wegen des Stützpunkts immer Spannungen zwischen der Ukraine und Russland. 2010 wurde der Vertrag für Russland bis 2042 verlängert. Nach dem Sturz von Janukowitsch drohte die Beendigung des Vertrags über den Stützpunkt, der für Russland eine hohe strategische Bedeutung hat. Die militärische Übernahme der Krim erfolgte durch die dort stationierten Soldaten, Teile der ukrainischen Soldaten liefen auch zu den Russen über, und den „grünen Männchen“, Bewaffnete ohne Hoheitsabzeichen, vermutlich russische Spezialeinheiten. Das wurde dann als „Hybride Kriegsführung“ bekannt, die aber nur funktionierte, weil ukrainische Soldaten keinen nennenswerten Widerstand leisteten, wenn sie nicht überliefen, und die Bevölkerung weitgehend prorussisch eingestellt war, was sich dann auch im Referendum zeigte. Die Lage ist also komplizierter und nicht so faktenbasiert, wie dies Blinken darzustellen versucht.

Die Abstimmung mit den USA könnte für die deutsche Regierung, wie Außenministerin Annalena Baerbock beim Besuch des US-Außenministers Blinken betonte, „nicht intensiver“ sein. Natürlich warnte Baerbock mit dem großen Bruder wieder Russland vor jeder weiteren Aggression, für die sofort ein hoher Preis gezahlt werden müsse. Alleine Russland müsse deeskalieren. Blinken sieht in der Militärhilfe für die Ukraine keine Provokation oder Eskalation. Damit solle die Ukraine nur in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen, was Russland offenbar auf eigenem Territorium nicht zugestanden wird. Blinken erklärt, man sei von Russland immer zurückgewiesen worden, die Nato, ein „Verteidigungsbündnis“,  sei kein Problem, aggressiv sei nur Russland gewesen, Russland sei ndas wirkliche Problem für die europäische Sicherheit.

Demonstration in Syrien gegen die türkische Besatzung

Zweifacher Maßstab, auf den mal wieder hingewiesen werden muss

Dass die Nato kein Verteidigungsbündnis ist, hat sie unter amerikanischer Führung bereits beim völkerrechtswidrigen Krieg gegen Serbien aufgrund falscher Gründe bewiesen, wodurch eine Abspaltung des Kosovo herbeigeführt wurde – ohne Referendum. Beim Irak-Krieg der USA mit der meist aus Nato-Staaten bestehenden Koalition der Willigen und in Syrien zeigte sich erneut, dass die Nato kein Verteidigungsbündnis ist, sondern geopolitische Interessen auch unter Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität durchzusetzen versucht.

Eklatant wird die Scheinheiligkeit im Fall des Nato-Mitgliedlands Türkei, das nicht nur einen Krieg gegen die Kurden im eigenen Land geführt hat und Tausende von Menschen inhaftiert hat, sondern auch Terrororganisationen wie den Islamischen Staat unterstützt hat und jetzt den islamistischen „Rebellen“ in Idlib zur Seite steht sowie mit den islamistischen Kämpfern als Milizen Teile Südsyriens besetzt und mehr oder weniger annektiert hat – obwohl die syrischen Kurden den USA und ihrer Koalition als Bodentruppen im Kampf gegen den IS gedient hat und immer noch Teile des Landes kontrolliert und IS-Kämpfer und deren Angehörige in Lagern und Gefängnissen festhält.

Man hört weder von der Biden-Regierung noch von der neuen deutschen Regierung die Forderung, dass die Türkei sofort aus den besetzten syrischen Gebieten abziehen und die Bombardierungen von Zielen im Nordirak und Syrien einstellen muss. Europa fürchtet vor allem, dass die Türkei die Schleusen für Flüchtlinge öffnet – sie spielte auch eine Rolle bei der Migration von vorwiegend irakischen Kurden nach Weißrussland -, die Nato und die USA fürchten, dass die Türkei als Scharnier zwischen dem Nahen Osten und Europa und zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer sich mehr Russland anschließt. Daher lässt man die Türkei mit einem Freibrief pokern zwischen Russland und der Nato.

2016 hat die Türkei zunächst mit Rückdeckung der USA (der damalige Vizepräsident Biden spielte hier eine wichtige Rolle) die bislang vom IS kontrollierte Grenzstadt Dscharablus und weitere Gebiete übernommen, um zu verhindern, dass die gegen den IS vorrückenden YGP- und SDF-Einheiten das Gebiet zwischen Afrin und Rojava übernehmen und damit die gesamte Region an der nordsyrischen Grenze (Rojava) kontrollieren. Um das zu unterbinden und um Land zu gewinnen, andere syrische Flüchtlinge sowie der Türkei zugeneigte Islamistenfamilien anzusiedeln, wurde 2018 schließlich mit der Operation Olivenzweig das mehrheitlich von Kurden bewohnte Afrin durch türkische Soldaten und islamistische Milizen besetzt. Kurdische Familien flohen oder wurden vertrieben. 2019 erfolgte die dritte Invasion. Gerechtfertigt wurden die Besetzungen mit der Einrichtung einer angeblichen Sicherheitszone, die vor allem aber dazu diente, Kurden zu vertreiben und Islamisten und andere Syrer, die in die Türkei geflohen waren, dort anzusiedeln.

Es gab zwar immer wieder Kritik an den völkerrechtswidrigen Invasionen und den unter türkischer Kontrolle vorwiegend von den Milizen begangenen Menschenrechtsverletzungen. Die USA verhängten 2019 kurzzeitig Sanktionen, die EU stoppte 2019 Waffenexporte in die Türkei, Russland versuchte den türkischen Vormarsch zu begrenzen und taktierte ebenso wie in Idlib zurückhaltend, um die Türkei als Partner in der Nato nicht zu verlieren. Seitdem wird die Okkupation stillschweigend geduldet, im Unterschied zum Ukraine-Konflikt wird nicht permanent die territoriale Integrität Syriens, die Beendigung der Okkupation und die Einstellung der Bombardierungen verlangt.

 

Zum vierten Jahrestag der türkischen Besatzung von Afrin haben viele Zehntausende von Kurden aus Afrin in Sherawa gegen die Türkei auf der Autobahn M5 demonstriert, die Aleppo mit Afrin verbindet. Gefeiert wurde der Widerstand, der gegen die Invasion geleistet wurde und der weiterhin gegen die Besatzung stattfindet. Beklagt wird von Organisationen der Vertriebenen und Geflüchteten aus Afrin das Schweigen der internationalen Gemeinschaft und der Menschenrechtsorganisationen über die Verbrechen der Türkei: „Auch heute noch setzt die Türkei alle Mittel ein, darunter Tötung, Vertreibung und demografische Veränderungen in allen von ihr besetzten Gebieten, und sie setzt alle unmenschlichen Mittel ein, die sich gegen alle Teile des syrischen Volkes und der friedliebenden Völker richten. … Die Türkei hat Häuser zerstört, Bäume gefällt und Menschen vertrieben mit dem Ziel, unsere vielfältigen Kulturen zu untergraben und unsere Ressourcen zu plündern.“ Immer wieder sollen Dörfer von Kampfflugzeugen und Drohnen bombardiert und mit Artillerie beschossen werden.

Kritisiert werden sowohl die USA als auch Russland, der Türkei grünes Licht für die Invasion gegeben zu haben. Mehr als 300.000 Menschen flohen vor den türkischen Truppen und Milizen nach Shehba.

Kurden von SFD und YPG halten weiterhin viele IS-Kämpfer und ihre Angehörigen in Gefangenschaft. Gerade wurde ein Angriff des IS auf das Gefangenenlager in Al-Hasakah abgewehrt, in dem Teile der 5000 Gefangenen revoltierten und einen Massenausbruch versuchten. Es komme aber weiter zu Kämpfen mit einzelnen IS-Zellen in der Umgebung. Schon jetzt erstarkt der IS wieder in Syrien und im Irak. Würden die gefangenen Kämpfer wieder in die Freiheit gelangen, könnte die Lage in Teilen Syriens und des Nordiraks wieder kippen. Appelliert wird an die internationale Gemeinschaft, die Kurden zu unterstützen, und an die Länder, ihre IS-Kämpfer zurückzuholen. Zehntausende von Kämpfern sind noch in den Gefangenenlagern. Besiegt worden sei der IS nur militärisch, aber er existiere weiter.

Während die Ukraine mit Milliarden, Waffen und Sanktionen gegen eine behauptete Invasion unterstützt wird,  werden die Kurden, die den IS in Syrien besiegt haben, weitgehend sich selbst überlassen, und wird die türkische Invasion geduldet. Das nennt man zweierlei Maßstab und untergräbt die westliche Attitüde, für Menschenrechte und Völkerrecht einzutreten. Man macht es eben da, wo es den eigenen geopolitischen Interessen entspricht.

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