Warum sich viele auf dem Balkan der Corona-Impfung verweigern

Bild: Tim Reckmann/CCnull.de/CC BY-2.0

Westeuropäische Länder liefern sich in ihrem Streben nach Coronavirus-Herdenimmunität einen fiebrigen Wettbewerb um die höchste Impfquote. Dagegen legen die Balkanländer gegenüber der Impfung Zurückhaltung an den Tag.

Gerademal jeder fünfte Bulgare hat sich bisher gegen Covid-19 impfen lassen und ebenso viele wollen es noch tun, besagen Umfrageergebnisse des bulgarischen Meinungsforschungsinstituts Gallup International.  Rund die Hälfte der Bulgaren und Bulgarinnen hegt nicht diese Absicht.

Gemäß von euronews unter Berufung auf nationale Gesundheitsinstitutionen gemeldeten Daten zum Impfranking der südosteuropäischen Länder lag zum 6. September 2021 nur Bosnien-Herzegowina mit einer Impfrate von 11% bei den über zwölf Jahre alten Bürgern noch hinter dem EU-Land Bulgarien.  Auch Rumänien mit 30,5%, Kroatien mit 45,2% und Slowenien mit 49,8% rangierten zu diesem Zeitpunkt weit unter EU-Durchschnitt. Worin liegt die Impfskepsis der Menschen auf dem Balkan begründet? Diese Frage beschäftigte bereits internationale Medien wie ARD, New York Times oder Neue Zürcher Zeitung.

Die NZZ sieht eine mögliche Ursache auch in der Mangelhaftigkeit der nationalen Bildungssysteme auf dem Balkan und ähnlich wie die NYT hält sie die Südosteuropäer für besonders anfällig für Verschwörungserzählungen und Falschinformationen.  Nun gibt es zwischen Donau, Adria und Schwarzem Meer wie überall auch Konspirationisten, die die Coronavirus-Pandemie für ein übles Machwerk von Uncle Sam, Bill Gates und Big Pharma und die auf dem Markt befindlichen Impfstoffe allesamt für Teufelszeug halten.

Doch wie überall sonst dürften auch auf dem Balkan Verschwörungstheoretiker und eingeschweißte Impfverweigerer in der Minderheit sein. Anzunehmen ist, dass hier wie dort die meisten Lockdown-Kritiker und Impfskeptiker durch rationale Erwägungen zu ihren Einstellungen gelangen gegenüber nicht-pharmazeutischen Eindämmungsmaßnahmen und der Massenverimpfung von in großer Hast entwickelten Corona-Vakzinen. Außerdem hegen viele Bürger in den ehemals kommunistisch regierten Länder Südosteuropas ein aus Erfahrung gespeistes Misstrauen gegenüber ihren Politikern und Medien und eine nachvollziehbare Furcht vor totalitären Entwicklungen.

Weilt man in Bulgarien und schaut dabei deutsches Fernsehen wird ein grundsätzlicher Unterschied beider Gesellschaften im politischen Umgang mit der Pandemie und der medialen Berichterstattung über sie augen- und ohrenfällig. Während in Deutschland die Medienberichterstattung in einem eklatanten Missverhältnis vom neuartigen Coronavirus und den Impfanstrengungen gegen es dominiert wird, ist Covid-19 in Bulgarien ein wichtiges Thema unter anderen. Die Bulgaren werden im November zum dritten Mal in diesem Jahr ein neues Parlament wählen und naturgemäß erregen die politische Krise und die immer spürbarere Inflation nicht weniger die Aufmerksamkeit von Politikern, Journalisten und Bürgern als die Zahlen von Infizierten, Hospitalisierten, Gestorbenen und Geimpften in der Pandemie.

Kommt in deutschen öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern exklusiv ein kanalisierter Expertenpool zu Wort, der das herrschende Narrativ und die aus ihm resultierende Politik im Detail kritisieren mag, aber nicht grundsätzlich in Frage stellen wird, so herrscht in bulgarischen Medien ein Pluralismus an widersprüchlichen Erkenntnissen und kontroversen Meinungen. Kritiker der international angewandten Lockdown-Strategien und Zweifler an der Sinnhaftigkeit von Massenverimpfung kaum erforschter Impfstoffe werden in bulgarischen Medien in der Regel nicht per se als Querdenker, Corona-Verharmloser oder Verschwörungstheoretiker diskreditiert.

Warnung vor einer „obsessiven Kultur der Sicherheit“

Auch fehlt der sich in Deutschlands Politik und Medien mit jedem Tag verschärfende moralische und repressive Druck auf Impfunwillige in Bulgariens öffentlichem Diskurs völlig. Es gilt hier das Wort des Ministerpräsidenten der diensthabenden Übergangsregierung Stefan Janev: „Jeder Einzelne hat das Recht, über sein persönliches Leben und seine Gesundheit selbst zu bestimmen. In dieser Beziehung treffen wir überhaupt keine Entscheidung. Bei welcher Kampagne auch immer – wenn der Mensch sich nicht impfen will, wird er es nicht tun.”

In Kroatien reagierte Staatspräsident Zoran Milanović gereizt auf die Frage nach der stockenden Impfkampagne.  „Das kümmert mich nicht”, beschied er und forderte eine „Rückkehr zur Normalität”. Seien mehr Menschen geimpft als ungeimpft, sei „die Geschichte vorbei“. Mit für Politiker unerhört drastischen Worten kritisierte er den „Medienrummel zu COVID-19“. „Ich beginne jeden Tag mit CNN und solchen Kanälen und frage mich, ob ich noch normal bin oder sie verrückt geworden sind.“ Das vermeintliche Ziel, das Coronavirus komplett auszurotten hält Präsident Milanović  für unerreichbar. Er warnt vor einer „obsessiven Kultur der Sicherheit“, da es ein Leben ohne jegliches Risiko oder Krankheit nicht gebe. „Die Menschen erkranken an tausenden ernsthafteren Krankheiten und wir sprechen eineinhalb Jahre über COVID.“

Im benachbarten Slowenien fährt die von dem bekennenden Trump-Anhänger Janez Janša geführte Regierung einen restriktiven Kurs der Pandemiebekämpfung. Seit ihrer Einführung eines Grünen Passes zum 15. September dürfen nur noch 3G-Bürger (geimpft, genesen oder getestet)  an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, zum Friseur gehen oder ins Restaurant. Mit seinem wenig zimperlichen Versuch, die Impfbereitschaft der Slowenen erzwingen, facht Regierungschef Janša den politischen Widerstand gegen sich an. Tausende demonstrierten bereits in den Straßen Ljubljanas und forderten den Rücktritt der Regierung und die Abschaffung des Grünen Passes.

Protestdemonstrationen gegen drohende Beschränkungen für Restaurants und die mögliche Einführung eines Impfregimes nach dem Vorbild Deutschlands, Sloweniens oder Italiens gab es Ende August auch in Bulgariens Hauptstadt Sofia.  Angeführt wurden sie vom Leiter der Covid-Abteilung des Sofioter Infektionskrankenhauses Dozent Atanas Manguerov.  Er ist seit Anbeginn der Pandemie der profilierteste Kritiker von Lockdown-Maßnahmen, die in Bulgarien im vergangenen Winter vergleichsweise moderat waren. Maßten sich die Regierenden in Deutschland die Vollmacht an, ihren Bürgern für zehn Uhr abends Hausarrest zu diktieren oder zu bestimmen, mit wie vielen Personen aus wie vielen Haushalten sie Umgang pflegen dürften, so waren die Sofioter zur selben Zeit frei, die Schule zu besuchen, im Sportverein zu trainieren, ins Theater zu gehen und auf ihrem Hausberg Vitoscha skizufahren.

„Sie tun so, als wollten sie nur unser Bestes, und wir tun so, als wären wir geimpft“

Ein solch laxer Umgang mit der Coronavirus-Pandemie hätte nach dem Urteil der maßgeblichen Covid-Experten in Deutschland eigentlich zum Zusammenbruch des bulgarischen Gesundheitswesens führen müssen. Der ist aber nicht eingetreten. Zwar weist das Balkanland eine im internationalen Vergleich hohe Sterblichkeit auf, Dozent Manguerov sieht sie indes weniger in der Coronaviruspandemie begründet als vielmehr im beklagenswerten Zustand des bulgarischen Gesundheitswesens und der nicht besonders gesundheitsbewussten Lebensführung vieler Bulgaren.

Aus epidemiologischer Sicht unterschieden sich Geimpfte in Nichts von Ungeimpften, behauptet Atanas Manguerov, könnten sie sich doch wie diese infizieren und erkranken und andere anstecken. Viele seiner Mediziner-Kollegen propagieren aber verstärkte Impfanstrengungen. „Entweder wissen wir in Bulgarien etwas, das die übrige Welt nicht weiß, oder die weiß was, was wir nicht wissen”, kommentiert Prof. Radostina Alexandrova von der Pathologie-Abteilung der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (BAN) die skeptische Einstellung vieler Bulgaren zur Impfung gegen das Coronavirus.

Und der Nationale Gesundheitsinspektor Angel Kuntschev drängt konträr zur Haltung seines Regierungschefs gar auf eine Impfpflicht für medizinische und soziale Berufe. „Wenn wir uns weiter wie die Idioten Europas benehmen, werden wir unsere Wirtschaft und unseren Tourismus fürcherlich schädigen. Es wird im nächsten Jahr niemand nach Bulgarien kommen wollen, wenn wir dasselbe Impftempo haben”, warnt er.

„Sie tun so, als würden sie uns bezahlen, und wir tun so, als würden wir arbeiten”, lautet ein geflügeltes Wort zum Verhältnis zwischen Bürger und Staat während der kommunistischen Volksrepublik Bulgarien. Es findet nun seine Entsprechung in Coronazeiten. „Sie tun so, als wollten sie nur unser Bestes, und wir tun so, als wären wir geimpft.“ Viele impfunwillige Bürger in Bulgarien haben keine Skrupel, ihren Impfausweis für einen Preis um 500 BGN (250 €) käuflich zu erwerben. Sie sehen dies als legitimen Schritt an, um sich ihr Grundrecht auf Freizügigkeit zu bewahren.  „COVID-19 EU-Zertifikat für Janssen-Impfstoff. Zahlbar auch mit Crypto-Valuta”, lautet eines der im Darknet zu lesenden Verkaufsangebote. Auch im benachbarten Rumänien floriert der Handel mit gefälschten Impfpässen.

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Ein Kommentar

  1. Mir egal wie die auf dem Balkan mit dem Virus umgehen.
    Was ich verwerflich finde das es bei den zu Impfenden zu suchen ist, ungebildet. Oder an den Wahlen, das die das nicht Interessiert ist doch daran zu sehen das zum dritten mal gewählt wird.
    Ich lasse mich nicht Impfen, wenn ich denn Corona bekomme dann kann ich die Leute hoffentlich so ärgern wie die mich mein Leben lang. warum wird nie gefragt wenn doch Menschenleben so wichtig sind, warum gibt es noch den Krankenhauskeim? Wird das Geld für einen Hygienearzt etwa als Dividende für Investoren verteilt?
    Auch ohne Virus ist das Leben als Rentner kein Zuckerschlecken, vor allem wenn die permanente Beschimpfung nicht aufhört.
    https://www.youtube.com/watch?v=DgVAB2RQUYs&t=476s

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